Opfer der Nazis: Die Berliner Sopranistin Fanny Opfer, eine Lied- und Oratoriensängerin der Zeit um 1900
„Ihr freundlicher heller Sopran und ihr freundlicher heller Vortrag trugen ihr auch diesmal wohlverdienten Beifall ein“
– Kunstlied und Oratorium waren das bevorzugte Feld der Sopranistin Fanny Opfer –
von Klaus J. Loderer und Matthias Woehl
„Der Engel Lied“ (La serenata) gehörte um 1900 zu den bekannten Kunstliedern, wie überhaupt die Gattung Kunstlied viel gepflegt wurde. Sein Komponist Gaetano Braga (1829-1907), dessen Opern einmal sehr populär waren, ist heute weitgehend vergessen. In einer erhaltenen Schallplattenaufnahme vom Anfang des 20. Jahrhunderts singt Fanny Opfer berührend das Lied von einem fiebernden Mädchen, das im Sterben die Stimmen der Engel hört. Auch Fanny Opfer ist längst vergessen. Immerhin war sie 1905 in der Musikwelt bekannt genug, dass der Musikverlag Martin Schmeling in Anzeigen für Liederausgaben von James Rothstein mit der Referenz Fanny Opfers warb. Das Berliner Musikpublikum konnte sie durch Konzertauftritte kennen. Zumindest war vielen ihr Name bekannt durch die regelmäßigen Anzeigen, mit denen sie auf ihre Tätigkeit als Gesangslehrerin aufmerksam machte. Fanny Opfer gab vor allem Liederabende und sang häufig in Oratorien. Das Publikum bewunderte sie für die ungewöhnliche Höhe ihrer Stimme. Sie gehörte zu den zahlreichen Künstlerinnen, die mit dazu beitrugen, dass sich Berlin eine Stätte der Musikpflege nennen konnte, und die dann wegen ihrer jüdischen Abstammung im Konzentrationslager ums Leben kamen. Die kurzen biographischen Nachweise bei Wikipedia und in anderen Nachschlagewerken fanden wir unbefriedigend. So recherchierten wir etwas genauer nach, wobei sich herausstellte, dass einige der bisher genannten Daten falsch waren. Da Fanny Opfer nie in einem Opernensemble tätig war, ist die Quellenlage über sie sehr spärlich. Aber immerhin stießen wir auf einige Konzertkritiken, die ihr Wirken zeigen. Für wertvolle Hinweise danken wir Klaus-Dieter Schüssler.
Kindheit und Ausbildung
Fanny Opfer wurde am 24. September 1870 in Berlin geboren. Ihre Eltern waren Bernhard Opfer und dessen Frau Marie Opfer geborene Rosenthal. In den Berliner Adressbüchern findet man nähere Angaben zur Tätigkeit des Vaters, der in den 1860er- und 1870er-Jahren als Kaufmann und Inhaber eines Konfektionsgeschäfts für Weißwaren und Seidenbänder und in den 1880er-Jahren als Fabrikant für Rüschen und Plissees angegeben wird. Im Adressbuch 1878 erfährt man von einer Spezialisierung auf „gebrannte Rüschen, Volants und Plissés“.
Nach den Berliner Adressbüchern zog die Familie nicht selten um. Zur Zeit von Fannys Geburt lebte die Familie in der Brüderstr. 39 (zweiter Stock) im Zentrum von Berlin. 1875 war man in der Niederwallstr. 28-29 zwischen Hausvogteiplatz und Spittelmarkt. Im Branchenteil findet man unter Wäschefabrikanten allerdings den Eintrag: Opfer, Sebastianstr. 10. Diese Anschrift an der Ecke zur Prinzenstraße verweist auf die nächste Adresse in Kreuzberg: 1876 wohnte die Familie in der Oranienstr. 23 (Parterre) zwischen Mariannen- und Adalbertsraße. Im dicht bebauten, kleinbürgerlichen Viertel um den Heinrichplatz dürfte es sich um eine dunkle Erdgeschosswohnung hinter Laden und Näherei gehandelt haben. Nicht weit entfernt war die nächste Adresse: Ab 1879 Prinzenstr. 46 (dritter Stock) – heute Heinrich-Heine-Straße, zwischen Dresdener Straße und Sebastianstraße), ein Haus, das der Firma Walter & Söhne gehörte. Unweit, in der Prinzenstr. 51, war die von Fanny besuchte Viktoria-Töchterschule. Die Eltern investierten also in die Erziehung der Tochter. Auch beim Umzug 1888 blieb man in Kreuzberg, im dritten Stock der Oranienstraße 108, ein Haus des Möbelhändlers Matthes zwischen Lindenstraße und Alter Jakobstraße. Unter der Adresse war auch der Arzt Felix Opfer gemeldet, wohl Fannys älterer Bruder.
Ihre gesangliche Ausbildung erhielt Fanny Opfer ab 1889 am berühmten Stern’schen Konservatorium in Berlin, aus dem ja unzählige große Sänger hervorgegangen sind. Das nach Julius Stern benannte Konservatorium stand von 1888 bis 1894 unter der Leitung von Sterns Schwägerin Jenny Meyer.
Umzug in die Oranienburger Straße
Im Nachtrag des Adressbuches 1890 findet man den Umzug der Familie Opfer in die Spandauer Vorstadt. Dort lebte die Familie in der Oranienburger Str. 65 im zweiten Stock. Das Stadtviertel ist zwar weitgehend erhalten, aber genau dieses Gebäude steht nicht mehr. Schräg gegenüber befand sich das Postfuhramt, wenige Häuser weiter die Neue Synagoge mit ihrer das Viertel überragenden vergoldeten Kuppel. Die benachbarte Friedrichstadtpassage, in deren Ruine später das Kulturzentrum Tacheles war, wurde erst 1907-1908 gebaut. Auch Felix Opfer zog mit um und praktizierte als „pr. Arzt, Wundarzt u. Geburtshelfer“. Der Vater Bernhard Opfer hatte sich bereits aus dem Geschäftsleben zurückgezogen.
Die Kuppel der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin Foto: Klaus J. Loderer |
Ein Zeugnis des Stern’schen Konservatoriums
Cordula Heymann-Wentzel stellt in ihrer Dissertation zum Stern’schen Konservatorium ein in der Theatersammlung des Landesarchivs Berlin verwahrtes Zeugnis für Fanny Opfer vor. Dieses Zeugnis aus dem Jahr 1892 wurde von Jenny Meyer, Arno Kleffel, Georg Link, Julius Graefen und Ludwig Bußler unterschrieben. Man darf annehmen, dass es sich um Opfers Lehrer handelt. Das Zeugnis lobt ihr „schnelles und festes Auffassen des Lehrgegenstandes und künstlerisches Anschauungsvermögen“ und betont: „Die Technik ist in erfreulichster Weise entwickelt, die Vortragsweise bemerkenswerth, sowohl in lyrischen Gesangsstücken wie im Coloratur-Gesange.“
Unterricht bei Selma Niklass-Kempner, Etelka Gerster und Raimund von Zur Mühlen
Außerdem hatte Fanny Opfer Unterricht bei Selma Niklass-Kempner (1850-1928), einstens selbst Schülerin am Stern’schen Konservatorium. Zu deren Schülerinnen gehörten die späteren Opernstars Ottilie Metzger und Frieda Hempel. Am 17. Februar 1905 traten Selma Nicklass-Kempner und Ottilie Metzger-Froitzheim (die später den Bassbariton Theodor Lattermann heiratete) zusammen mit dem Violinisten Jan Kubelik beim IV. Elitekonzert in der Berliner Philharmonie auf.
Privaten Gesangsunterricht erhielt Fanny Opfer bei der Sopranistin und Adelina-Patti-Rivalin Etelka Gerster (1855-1920), deren Gesangskarriere Stationen in Venedig, London und New York umfasste. Nach ihr ist die Gerster-Methode benannt. Eine berühmte Schülerin war z.B. Lotte Lehmann. Kutsch und Riemens nennen als weiteren Lehrer Opfers den in Livland geborenen Tenor Raimund von Zur Mühlen (1854-1931), der seit 1886 in Berlin lebte, später nach England ging und zu einem der bekanntesten Gesangspädagogen wurde. Um die Jahrhundertwende war er beim Publikum beliebt durch seine Interpretation von Schuberts „Die schöne Müllerin“.
Fanny Opfer als Sängerin
Im Jahr 1892 debütierte Fanny Opfer auf der Konzertbühne. Aus einer Erwähnung in der im nächsten Absatz zitierten Konzertkritik erfahren wir von Fanny Opfers Mitwirkung bei einem von ihrer Lehrerin Jenny Meyer organisierten Weihnachtskonzert. Es handelt sich wohl um das Wohltätigkeitskonzert am 9. Dezember in der Singakademie in Berlin.
Kurz darauf kündigte eine Anzeige in der Vossischen Zeitung (25. Dezember 1892) einen Liederabend am 4. Januar 1893 im Bechsteinsaal an. Dieser Konzertsaal in der Linkstraße war erst wenige Monate zuvor, am 4. Oktober 1892, eröffnet worden und wurde 1944 zerstört. Die Konkurrenz an Konzerten um diesen Jahreswechsel war nicht gering. Am 29. Dezember 1892 trat z. B. Lilli Lehmann in der Philharmonie auf. Die Vossische Zeitung (8. Januar 1893) besprach Opfers Konzert ausführlich: „Im Saal Bechstein gaben am Mittwoch Fräulein Fanny Opfer und Herr Hermann Genß ein gemeinsames Konzert. Beide sind unlängst erst bei uns aufgetreten, Fräulein Opfer im Weihnachtskonzert des Fräulein Jenny Meyer, deren Schülerin sie ist, Herr Genß in der Singakademie als Komponist und Klavierspieler. Ihren frischen, hellen und umfangreichen wie gut geschulten Sopran brachte die junge Sängerin abermals zu erfreulicher Geltung. Einen besonderen Klangreiz übt die Stimme mit ihrem leicht ansprechenden und duftigen Piano in der Höhe. In tiefer Lage und Tonstärke aber verrieth sie beim Vortrag der Arie der Leonore aus Flotows „Stradella“ eine Neigung, zu hoch zu schweben. Die Koloraturen in demselben Stück führte Fräulein Opfer zwar korrekt, doch nicht ganz mühelos aus. Im Ausdruck gab sie sich mit natürlicher Lebendigkeit.“ Der Pianist Hermann Genss (1856-1940) kam in der Kritik nicht so gut weg: „Seinem Spiel fehlte es an technischer Klarheit und Beweglichkeit wie an Schwung der Auffassung.“ Auch seine eigene Komposition kam nicht so gut an: „Der erste Satz seiner Sonate ist ernst gedacht und von tüchtiger Arbeit, während der zweite über den Salonstil nicht hinausgeht und im Verhältnis zum Inhalt eine ungebührliche Länge hat. Das Werk im ganzen läßt die Selbständigkeit der Erfindung vermissen.“
Die Musikzeitschrift Signale für die musikalische Welt (51.1893, 5, S. 73) erwähnte das Konzert kurz und nicht gerade schmeichelhaft: „Die ersten musikalischen Neujahrsgrüße vermittelten eine junge singende Dame, Fräulein Fanny Opfer, und eine Pianistin Fräulein Caroline von Radio je in einem eigenen Concert. Beide standen der Berliner Oeffentlichkeit als Novizen gegenüber und beide hätten sicher keinen Fehler begangen, wenn sie den Termin für ihre Probeleistungen noch geraume Zeit hinausgerückt hätten. Im Concert der Sängerin vermochte der mitwirkende Herr Herm. Genß aus Mainz weder als Pianist noch als Componist sonderlich zu interessieren, dagegen machte die Alliierte des Fräulein von Radio, eine mit sympathischer Stimme begabte Altistin Fräulein Nagel in verschiedenen Liedvorträgen ihre Sache recht hübsch.“ Fanny Opfer wird mit einer (unfreundlichen) Erwähnung abgespeist. Mehr erfahren wir über ihren Pianisten und die Sängerin eines anderen Konzerts. Das Konzert der Pianistin Caroline von Radio mit der Altistin Bertha Nagel fand am 3. Januar 1893 im Bechsteinsaal statt.
Konzertankündigung in der Vossischen Zeitung vom 25. Dezember 1892 |
Fanny Opfer als Gesangslehrerin
Schon in der Oranienburger Straße 65 war Fanny Opfer als Gesangslehrerin tätig: „Fanny Opfer, Concertsängerin erth. Gesangsunterricht, Sprechst. 3-4 Uhr“. Die kleine Anzeige in der Sonntagmorgenausgabe der Vossischen Zeitung vom 25. Februar 1900 weist auf ihr zweites Standbein hin. Die Anzeige ist auf der Seite der Konzertankündigungen (darunter der Hinweis auf einen Liederabend ihres früheren Lehrers Raimund von Zur Mühlen am 19. März im Beethovensaal) zwischen den Anzeigen der verschiedenen Berliner Konservatorien. Ihre Werbung stand nie unter den Kleinanzeigen sondern immer zwischen den auffallenden, großen Annoncen in der Nähe der Konzerthinweise.
Umzug in die Bülowstraße
Um die Jahrhundertwende starb der Vater Bernhard Opfer. Das Adressbuch 1901 nennt nur noch die Kaufmannswitwe Marie Opfer geb. Rosenthal. Kurz darauf bezog der später zum Sanitätsrat ernannte Felix Opfer unweit eine Wohnung in der Friedrichstr. 133, in der er auch praktizierte. Marie Opfer zog nach Schöneberg in die Bülowstr. 32a (Parterre). Das Haus zwischen dem Bahnhof Bülowstraße und der Lutherkirche steht nicht mehr. In den nächsten Jahren wird dort ein Kaufmann Georg Opfer genannt, eventuell ein weiterer Bruder Fannys. Von ihm erfährt man 1905, dass er Inhaber der Firma Scheffel & Opfer, Metall- und Galanteriewarenfabrik in der Reichenbergstr. 160 war. Dass Fanny mit in dieser Wohnung lebte, erfahren wir aus ihren Anzeigen, in denen sie sich nun als Konzertsängerin bezeichnete. 15 bis 16 Uhr war die übliche Zeit für Gesangsunterricht.
Anzeige in der Vossischen Zeitung vom 8. Januar 1905 |
Fanny Opfer am Konservatorium E. Breslaur
Cordula Heymann-Wentzel führt ohne weitere Nachweise an, dass Fanny Opfer am Veit’schen Konservatorium in Berlin unterrichtet habe. Das vom durch seine Lieder bekannten Komponisten Emil Alexander Veit 1874 gegründete und nach dessen Tod 1911 von Alfred Perleberg geleitete Conservatorium, das seinen Sitz am Luisenufer 43 hatte, warb regelmäßig in der Zeitschrift Der Klavier-Lehrer, Musik-pädagogische Zeitschrift für alle Gebiete der Tonkunst, Organ der Deutschen Musiklehrer-Vereine. So im Heft Nr. 19 des XXIX. Jahrgangs von 1906: „Seminar zur Ausbildung von Musiklehrern und -Lehrerinnen und Elementarschule für alle Fächer, in der Kinder von 7 Jahr an aufgenommen werden. Lehrkräfte ersten Ranges. Prospecte, alle Bedingungen u. Lehrerverzeichnis enth., gratis durch den Director A. E. Veit.“
Gesicherter ist, dass Fanny Opfer ab dem 1. September 1905 an Prof. E. Breslaur’s Konservatorium in Berlin unterrichtete. Der Name des Instituts sorgte bei den bisherigen Autoren für eine Verwechslung mit der Stadt Breslau, so auch bei Kutsch/Riemens. Fälschlicherweise ist in allen biographischen Notizen zu lesen, dass sie am Konservatorium in Breslau unterrichtet habe. Sie unterrichtete aber in Berlin an einer Musikschule, die von dem Pianisten und Komponisten Emil Breslaur (1836-1899) als Berliner Conservatorium und Clavierlehrer-Seminar gegründet worden war. Das in dieser Zeit von Gustav Lazarus geleitete Prof. Breslaur’s Konservatorium hatte zwei Standorte, in der Bülowstr. 2 am Nollendorfplatz und in der Luisenstr. 36. Eine Anzeige in der Vossischen Zeitung vom 27. August 1905 kündigte an: „Neu eingetreten in das Lehrer-Kollegium: Frl. Fanny Opfer, Konzertsängerin, Herr Felix Meyer, Königl. Kammer-Virtuose“.
Im nächsten Jahr wirkte sie bei der XX. Schüleraufführung am 21. Oktober 1906 im Bechstein-Saal mit. Der Veranstaltungshinweis kündigte an: „Unter gütiger Mitwirkung von Frl. Fanny Opfer“ (Vossische Zeitung vom 7. Oktober 1906). Auch im Herbst 1906 unterrichtete sie weiter in E. Breslaur’s Konservatorium (Vossische Zeitung 2. September 1906).
Anzeige in der Vossischen Zeitung vom 27. August 1905 |
Liederabend in der Singakademie 1905
Die Vossische Zeitung vom 5. November 1905 kündigte einen Liederabend am Dienstag, den 21. November in der Singakademie an, bei dem Fanny Opfer von Irene Schwartz auf der Violine begleitet wurde. Außerdem ist von „freundlicher Mitwirkung von Herrn Prof Robert Kahn“ die Rede. Am Freitag, den 24. November brachte die Vossische Zeitung in der Morgenausgabe eine kleine Besprechung. M.M. schrieb: „Die uns wohlbekannte Sängerin Fr. Fanny Opfer gab in Gemeinschaft mit der Violinistin Irene Schwartz ein Konzert in der Singakademie. Sie sang Lieder von Robert Kahn, Georg Schumann und Edvard Grieg, außerdem Rezitativ und Arie aus der „Schöpfung“: „Nun beut die Flur“. Ihr freundlicher heller Sopran und ihr freundlicher heller Vortrag trugen ihr auch diesmal wohlverdienten Beifall ein.“ Die Komponisten Robert Kahn (1865-1951) und Georg Schumann (1866-1952) waren damals als Liedkomponisten populär. Das Konzert fand in der Singakademie statt. Auch dieser Saal existiert heute nicht mehr. Er befand sich in dem 1825-1827 errichteten Gebäude, das heute vom Maxim-Gorki-Theater genutzt wird.
Am 28. November 1907 gab Fanny Opfer einen weiteren Liederabend in der Singakademie.
Konzertankündigung in der Vossischen Zeitung vom 19. November 1905 |
„Die Apostel“ von Edward Elgar 1908
Bei Kutsch/Riemens und in den weiteren biographischen Artikeln zu Fanny Opfer wird betont, dass sie 1905 in Berlin in der deutschen Erstaufführung von Sir Edward Elgars „Die Apostel“ (The Apostles) gesungen haben soll. Allerdings fand die deutsche Erstaufführung am 22. Mai 1904 in Köln im Rahmen des 81. Niederrheinischen Musikfests statt. Dort sang Cäcilie Rüsche-Endorf die Sopranpartien, wie man Paul Hillers Bericht in der Neuen Zeitschrift für Musik (71. Jg. 1904, S. 453) entnehmen kann. Auch bei der Berliner Erstaufführung durch die Singakademie unter der Leitung ihres Direktors Georg Schumann am 23. Februar 1906 hat Fanny Opfer nicht gesungen. H. Leichtentritts Kritik in der Neuen Zeitschrift für Musik (73. Jg. 1906, S. 226) erwähnt an weiblichen Stimmen Clara Erler und Iduna Walter-Choinanus. Allerdings sang Fanny Opfer zwei Jahre später tatsächlich in den „Aposteln“. Am 14. Februar 1908 führte Georg Schumann das Oratorium wieder mit der Singakademie auf. Adolf Schultze zählte nach einer Besprechung des Werks die Solisten allerdings nur kurz auf (Musikalisches Wochenblatt, 39.1908, 9, 27. Februar 1908. 225): „Die Solopartien werden durch die Damen Fanny Opfer (Die heilige Jungfrau, Der Engel) und Fr. Walter-Choinanus (Maria Magdalena) […] angemessen vertreten.“
Umzug in die Schwäbische Straße
Um 1910 starb wohl die Mutter. Georg Opfer zog in die Schwäbische Str. 17 (vierter Stock). Das inzwischen seiner Stuckfassade beraubte Haus steht in der Nähe der Apostel-Paulus-Kirche. Fanny Opfer zog mit um. Eine eigene Wohnung dürfte eventuell die finanziellen Möglichkeiten überstiegen haben. Vielleicht führte sie dem Bruder auch den Haushalt.
Schwäbische Straße in Berlin. Das gelbe Haus ist die Nummer 17. Foto: Klaus J. Loderer |
Liederabend in der Singakademie 1913
Über einen Liederabend am 19 Februar 1913 kann man in der Musikzeitschrift Signale für die musikalische Welt (71.1913, 9, 26. Februar 1913, S. 324) lesen: „Fanny Opfer bemüht sich in ihrem Liedvortrag, sich nicht konventionell zu geben. Dies führt manchmal zu einer übertriebenen Detailvertiefung, worunter die Ganzheit leidet, wie es in „Klärchens Lied“ der Fall war. Anderes gelingt ihr besser; so Schumann’s „Stille Tränen“ und Brahms’ „Anklänge“, wo sie die rechte Stimmung zu treffen wusste. Schwierige Lieder, wie Brahms’ „Salome“, sollte sie lieber meiden, bis sie mehr Leichtigkeit in schnellen Tonfolgen gewonnen und bis sie vor allem ihre Mittellage müheloser zu geben gelernt hat. Eine sehr angenehme Abwechslung bot der ausgezeichnete Flötist Professor Emil Prill, dessen warme Cantilene und elegante Koloraturen man in einem Capriccio von Kempfer bewundern konnte. Am Klavier sass ein Herr, dem man mit bestem Willen nicht viel gutes nachsagen kann, und dessen Name deshalb ungenannt bleiben mag.“
Konzertankündigung in der Vossischen Anzeige vom 2. Februar 1913 |
Unterricht am Victoria-Luise-Konservatorium
1913 nennt eine Anzeige des Victoria-Luise-Konservatoriums, das seinen Sitz in der Nähe des Viktoria-Luise-Platzes in der Motzstr. 57 hatte, Fanny Opfer unter den Lehrkräften. (Morgenausgabe der Vossischen Zeitung vom 30. März 1913). In dieser Ausgabe findet man auch noch eine Einzelanzeige von Fanny Opfer, die nun annoncierte: „Vollständige Gesang-Ausbildung!“ Sie wohnte während der 1920er-Jahre weiterhin in der Schwäbischen Str. 17. Als Berufsbezeichnung findet man im Adressbuch: „Konzertoratoriensängerin u. Gesangslehrerin“. Außerdem wird im Adressbuch 1920 auch ein Frl. Jenny Opfer genannt, wohl eine weitere Schwester.
Anzeige in der Vossischen Zeitung vom 30. März 1913 |
Ein schweres Schicksal
Mit der Machtergreifung der Nazis 1933 begannen die nun staatlichen Diskriminierungen, Benachteiligungen und schließlich Verfolgungen der deutschen Juden. Ab 1933 wurde Fanny Opfer in den Berliner Adressbüchern nicht mehr genannt. Sie soll zuletzt in der Gasteiner Straße 9/I gewohnt haben, einem noch bestehenden markanten Eckhaus an der Kreuzung mit der Uhlandstraße. Sie konnte erst noch als „nicht arisch“ weiter unterrichten. Die Reichsmusikkammer führte sie nach Sophie Fetthauer unter der Mitgliedsnummer 8572. Aber im Jahr 1935 wurde sie als Jüdin aus der Reichsmusikkammer ausgeschlossen, was ein Berufsverbot bedeutete. Ihre mehrfach eingereichten Beschwerden blieben erfolglos. Ihr Bruder Felix verlor 1938 seine Approbation und durfte nicht mehr als Arzt tätig sein. Man kann ahnen, dass es nun sehr schwierig für Fanny Opfer gewesen sein muss. Aber es kam noch schlimmer. Die Vernichtungsmaschinerie machte nicht halt. In der Holocaust-Datenbank findet man karge Daten zu ihrem Schicksal. Am 18. August 1942 wurde Fanny Opfer mit dem Transport 1/46 nach Theresienstadt deportiert. Von den fast tausend Menschen dieses Transports überlebten nur 15. Sie war nicht darunter. Sie starb am 28. März 1944 im Alter von 73 Jahren in Theresienstadt. Ob sie im Konzentrationslager ermordet wurde oder durch die schrecklichen Umstände zu Tode kam, ist nicht bekannt. Auch ihr Bruder Felix und seine Frau Doris überlebten den Holocaust nicht. Nur die Nichte Margot konnte 1939 mit Tochter Eva nach England ausreisen.
Fanny Opfer als Referenz: Anzeige in der Neuen Zeitschrift für Musik, 1905, S. 504 |
Tonaufnahmen
Leider scheint keine Fotografie von Fanny Opfer erhalten zu sein. Ihre Stimme ist auf wenigen seltenen Aufnahmen für die Nachwelt überliefert. Es sind auf die Zeit um 1904 datierte Schallplatten von Lyrophon und Anker. Die Lyrophon-Werke in Berlin wurden 1904 vom Opernsänger Adolf Lieban gegründet. Anker Schallplatten GmbH & Phonogramm GmbH produzierten in Rudolstadt Grammophone, Imperator-Musikapparate und Schallplatten, ein anderer Firmenbereich stellte die berühmten Anker-Steinbaukästen her.
An Aufnahmen von Fanny Opfer sind nachgewiesen: „Ave Maria“ von Gounod mit Cello- und Klavierbegleitung bei Hermophon-Edelklang (Nr. 1001). Auf der Rückseite ist Händels Largo. Auf einer Schallplatte von Anker singt Fanny Opfer das „Engellied” (La serenata) von Gaetano Braga, die Violine spielt Alberto Curci (Anker Record No 9081-I, Matrizennummer 03925). Auf der Rückseite singt sie das „Spielmannslied“ von Eugen Hildach (Anker Record No 9081-II, Matrizennummer: 03926).
Hörbeispiel 1
Fanny Opfer singt „Engellied” (La serenata) von Gaetano Braga (1829-1907), die Violine spielt Alberto Curci (1886-1973).
Hörbeispiel 2
Fanny Opfer singt das „Spielmannslied“ von Eugen Hildach (1849-1924), gemeint ist „Der Spielmann“ aus Opus 15, „Zwei Lieder“. Eugen Hildach war ein Sänger (Bariton) und Komponist. Seine Frau war die Mezzosopranistin Anna Schubert. Zusammen gaben sie z.B. am 26. Februar 1905 einen „Populären Liederabend“ in der Singakademie (Vossische Zeitung 12.2.1905).
Literatur
Karl Joseph Kutsch, Leo Riemens: Großes Sängerlexikon, 3. Aufl. 1999, Bd. 4, S. 2600-2601.
Sophie Fetthauer: Fanny Opfer, in: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, Claudia Maurer Zenck, Peter Petersen (Hg.), Hamburg: Universität Hamburg, 2007
Cordula Heymann-Wentzel: Das Stern’sche Konservatorium in Berlin, Rekonstruktion einer verdrängten Geschichte. Univ. d. Künste Berlin, Diss., 2010. S. 207, 213-214.
Zum tragischen Schicksal der erwähnten Ottilie Metzger gibt es einen eigenen Beitrag:
https://opernloderer.blogspot.com/2017/11/ottilie-metzger-lattermann.html
Zu Elgars Oratorium „Die Apostel“ gibt es einen eigenen Beitrag:
https://opernloderer.blogspot.com/2020/12/die-ersten-auffuhrungen-von-edward.html
Zur Komischen Oper in der Berliner Friedrichstraße gibt es einen eigenen Beitrag:
https://opernloderer.blogspot.com/2020/12/eine-andere-komische-oper-1905.html
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