Buchbesprechung: Paul Abraham, der tragische König der Operette – eine Biographie von Klaus Waller

Paul Abraham, der tragische König der Operette 

– Eine Biographie des Komponisten Paul Abraham von Klaus Waller – 

von Klaus J. Loderer

Klaus Wallers Biographie über Paul Abraham ist ein zweifelsohne lesenswertes Buch. Für die Fans von Paul Abraham liefert es endlich gesicherte Daten und geprüfte Fakten. Es bringt viele Informationen über die Aufführungspraxis im Operettenbereich in Budapest, Berlin und Wien in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg und das Leben der Exilkomponisten in New York. Und das Buch zeigt auf tragische Weise ein menschliches Schicksal im Getriebe einer unmenschlichen Politik und zwischen Machtsystemen.

Kurz ist die Phase des Erfolgs als Operettenkomponist. Sie dauert in Berlin noch nicht einmal drei Jahre. Sie bricht mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler ab. Paul Abraham wird vom gefeierten Bonvivant der mondänen Berliner Gesellschaft zum ausgestoßenen Juden ohne Heimat, zum Getriebenen. Durch Europa, durch die Welt. Hat er in Budapest und in Berlin Melodien verfasst, die musikalisch um die Welt greifen, so ist er nun gezwungen, um den halben Globus zu reisen, um in Sicherheit zu kommen. Dem Holocaust ist er entkommen, Krankheit holt ihn aber ein.

Dafür ist eine Geschichte markant, nach der er 946 in New York aufgegriffen worden sein soll, als er mitten in einer Straße stehend, ein imaginäres Orchester dirigierte. Diese Geschichte wird immer wieder kolportiert. Augenzeugen gibt es nicht. Es ist einer der vielen Mythen um Paul Abraham. Zu diesen Mythen hat er übrigens selbst mit allerlei Erzählungen und vielleicht auch Aufschneidereien beigetragen. Ihnen geht Klaus Waller in seiner inzwischen in zweiter Auflage erschienen Biographie auf den Grund. Er versucht diese vielen Anekdoten auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und unterscheidet zwischen Geschichten mit Augenzeugen und den von ihm selbst in die Welt gesetzten Geschichten. Es zeigt sich, dass im Fall Abraham noch nicht einmal offizielle Akten oder Zeitungsberichte eine sichere Quelle sind.

Unsicher ist schon der Geburtsort. Apatin oder Sombor? Klaus Waller schreibt in der ersten Auflage Apatin, korrigiert das dann entsprechend der Angaben in der Heiratsurkunde auf das benachbarte Sombor und legt sich schließlich wieder auf Apatin fest. Hilfreich sind die Korrekturen, die Klaus Waller auf seiner Homepage zu den beiden Auflagen macht.

Geboren wurde Paul Abraham jedenfalls 1892. Apatin liegt an der Donau, damals in der Donaumonarchie zum Königreich Ungarn gehörend, kommt nach dem Ersten Weltkrieg zu Jugoslawien und ist heute in Serbien. Nach dem Tod des Vaters ging er mit seiner Mutter nach Budapest. Dort besuchte er von 1913 bis 1916 die Muskakademie. Was er damals komponiert hat, ist nach wie vor im Dunkeln. 1917 wurde die Kleinoper „Etelka szive“ (Etelkas Herz) zur Eröffnung des Marionettentheaters aufgeführt. Dann scheint er sich als Börsenspekulant beschäftigt zu haben, bis er 1924 in den Konkurs rutschte, was ihm eine Verhaftung einbrachte. 1927 begann er als Kapellmeister am Budapester Operettentheater. Für die Operette „Zenebona“ trug er Melodien bei. In der Operette „Az utolsó Verebély lány“ (Der Gatte des Fräuleins) sang die damals sechzehnjährige Marta Eggerth. Der in Ungarn gedrehte Ufa-Film „Melodie des Herzens“ machte Abraham auf einen Schlag in Deutschland bekannt, da sich das von Willy Fritsch gesungene Lied „Bin kein Hauptmann“ zum Hit entwickelte. Die bereits in Budapest uraufgeführte Operette „Viktoria und ihr Husar“ war 1930 in Leipzig ein Erfolg. So richtig schlug die Operette in Berlin ein, mit Rosy Barsony und Oszkar Dénes, die sich schnell zu Publikumslieblingen entwickelten. Und natürlich Paul Abraham als Dirigent – mit weißen Handschuhen.

Er erwarb das Haus Fasanenstr. 33. Klaus Waller beschäftigt sich auch mit diesem, in den Mythen zum Schloss gewordenen Haus. Er versucht die Arbeitsweise Abrahams zu rekonstruieren, der einen Stab von Mitarbeitern beschäftigte, um die Arrangements für Operetten, Filmmusiken und Schlager hinzubekommen. Über diese Arbeitsweise rümpften die allein arbeitenden „Genies“ natürlich die Nase. Abraham war in Berlin voll beschäftigt, da er neben der Kompositionsarbeit auch noch Filmmusiken einspielte und Aufführungen seiner Operetten dirigierte. Dort fanden die legendären Gulasch-Partys statt. Die Feste mit Champagner und Kaviar waren legendär. Lori, wie seine Frau Charlotte genannt wurde, scheint das Leben in Berlin nicht so gefallen zu haben. Klaus Waller ist da aber vorsichtig mit der Deutung. Sie war zwischendurch immer wieder in Budapest.

Der nächste Erfolg kam 1931 mit „Die Blume von Hawaii“. Wieder war zuerst Leipzig dran, dann kam der Triumph in Berlin. 1932 kam die Verfilmung von „Viktoria und ihr Husar“ ins Kino. Im Dezember 1932 begann die neue Operette „Ball im Savoy“ ihre Erfolgsserie, die mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und der Machtergreifung jäh unterbrochen wurde. Zwar kam im März 1933 noch die Verfilmung von „Die Blume von Hawaii“ in die deutschen Kinos. Dann kam Abraham auf den Index. Sein Vermögen wurde beschlagnahmt. Abraham und seine Frau reisten nach Ungarn ab. In Wien kamen dann die Operetten „Märchen im Grand Hotel“, „Dschainah“ und „Roxy und ihr Wunderteam“ auf die Bühne. Auch in Budapest wurden einige neue Operetten aufgeführt.

Doch auch in Budapest wurde das Leben unsicher. Paris war 1939 nicht wirklich ein sicheres Exil. Über Casablanca und Havanna gelangte er schließlich fast mittellos in die USA. Ein Freund bürgte für die Einreise. Doch dort bekam er keinen Fuß auf den Boden. Alle Versuche, am Broadway unterzukommen, scheiterten. 1946 bis 1956 verbrachte er in der Creemoor-Klinik auf Long Island. Er wurde nach Deutschland überführt. Auch hier kam er zuerst in die Psychiatrie. Klaus Waller beschreibt eindrucksvoll das Geschachere um seine Tantiemen, denn es gab durchaus etwas zu verdienen an Paul Abraham. Ab 1957 wurde er von seiner Frau in Hamburg gepflegt. 1960 starb er an Krebs und wurde auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt.

Neben Anmerkungen findet sich im Anhang natürlich eine Bibliographie. Interessant ist die Liste der Operetten und die Auflistung der Filme, an denen Abraham musikalisch beteiligt war. Auch diese ist ziemlich umfangreich und reicht mit den Neuverfilmungen der Operetten weit über seinen Tod hinaus – endet in Deutschland allerdings auch schon 1975 mit der letzten Verfilmung von „Viktoria und ihr Husar“. In Schweden gab es immerhin 1992 eine „Blume von Hawaii“.

In die Neuausgabe wurde auch ein Text des Musikwissenschaftlers Henning Hagedorn aufgenommen: „Zwischen Skizzenbüchern und Zentralpartituren, Paul Abrahams Operetten aus Sicht der bühnenpraktischen Rekonstruktion“.


Klaus Waller

Paul Abraham
Der tragische König der Operette
Eine Biographie

[1. Aufl.] Books on Demand 2014
ISBN 978-3-7357-6311-2
239 S.

Überarbeitete Neuausgabe
Books on Demand 2017
ISBN 978-3-7431-4328-9
240 S.

E-Book ISBN 978-3-7448-4227-3

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