Opfer der Nazis: die Mezzosopranistin Therese Rothauser
Therese Rothauser als Carmen an der königlichen Oper Berlin 1906 Foto: Atelier Wertheim Berlin |
„Immer vorwärts – nie zurück – mein Prinzip und auch mein Glück“
– Carmen war eine der Paraderollen von Therese Rothauser, Sängerin der königlichen Hofoper in Berlin –
von Matthias Woehl
Die Mezzosopranistin Therese Rothauser wurde am 10. Juni 1865 als Tochter eines wohlhabenden, deutschsprachigen jüdischen Kaufmanns in Budapest geboren. Familie Rothauser muss eine musische Familie gewesen sein, denn gleich drei Kinder – sie hatte drei Schwestern und zwei Brüder – haben eine künstlerische Laufbahn eingeschlagen. Therese wurde Sängerin, ihr am 8. Dezember 1876 geborener Bruder Eduard, wurde Schauspieler, ihre Schwester Gisela (später verheiratete Rehorst) wurde ebenfalls Sängerin.
Therese Rothauser wurde von Emmerich Bellovicz in Gesang ausgebildet. Schon in Budapest sang sie in Oratorien und gab erste Konzerte. Außerdem brachte sie einige Lieder Gustav Mahlers zur Uraufführung, der von 1888 bis 1891 am königlichen Opernhaus in Budapest war. Der Dirigent Hans Richter lud sie zu einem Konzert in Wien ein, bei dem sie sehr bejubelt wurde, und sie sang erstmals an der königlichen Hofoper in Berlin vor. Dort lehnte man sie, auf Grund fehlender Bühnenerfahrung erst einmal ab, aber sie unterschrieb einen Vertrag an der Oper in Leipzig, wo sie dann 1887 in der Oper „Loreley“ von Max Bruch debütierte. Hier sammelte sie Erfahrungen, und sang, neben vielen kleinen Partien auch ihre ersten Hauptrollen, wie Bizets „Carmen“ oder Thomas’ „Mignon“, und in der Uraufführung der von Mahler bearbeiteten Weber-Oper „Die drei Pintos“. 1889, nach einem erfolgreichen Gastspiel als Carmen in Berlin, erhielt sie den vorher so ersehnten Vertrag.
Therese Rothauser war nun königliche Hofopernsängerin, und blieb 27 Jahre, bis zum Ende ihrer Bühnenlaufbahn, im festen Ensemble des königlichen Opernhauses unter den Linden. In einer 1907 erschienenen Porträtsammlung über Sänger des Opernhauses sind ihr Porträt und ihr Motto veröffentlicht: „Immer vorwärts – nie zurück – mein Prinzip und auch mein Glück“ (Leporello, Künstlerblätter aus der Bühnenwelt, königliche Oper zu Berlin, Kunstverlag Leporello Berlin, Nr. 1, 1907).
Emilie Herzog und Therese Rothauser in „Die lustigen Weiber von Windsor“ an der Hofoper Berlin 1904 Foto: Zander und Labisch Berlin |
Sie sang Mozarts Donna Elvira, Cherubino und Dorabella, Verdis Amneris in „Aida“, Maddalena in „Rigoletto“, Hänsel in Humperdincks „Hänsel und Gretel“, Fricka in Wagners Walküre, Thomas’ Mignon und viele andere große und kleine Partien ihres Stimmfachs. In mancher Spielzeit kamen da durchaus bis zu 200 Auftritte in bis zu 50 verschiedenen Partien zusammen. Erstaunlich ist auch die Liste an Opern, die heutzutage völlig aus dem Spielplan gestrichen, gar überhaupt nicht mehr bekannt oder völlig vergessen sind. Sie sang Lorezza in der Oper „Johanna von Paris“ von Francois Adrien Boieldieu, in Reinhold Beckers Oper „Ratbold“ die Atta, Jeanet in der Oper „Die Grille“ von Johannes Doebber, die Gertrud in Victor Ernst Nesslers „Der Rattenfänger von Hameln“, Madame Lange in „Muselle Angot“ von Alexandre Charles Lecocq, und vieles andere. Bei der Berliner Erstaufführung von Strauss’ „Der Rosenkavalier“ sang sie neben Frieda Hempel als Marschallin, Paul Knüpfer als Ochs, Claire Dux als Sophie und Lola Artot de Padilla als Octavian die Rolle der Annina.
Sehr stolz war sie auf eine kostbare Brosche, die ihr Kaiser Wilhelm II. nach einer Aufführung der „Carmen“ in seiner Loge überreichte. Er setze sich auch dafür ein, das ihr 1914 der Titel „Kammersängerin“ verliehen wurde. 1915 verabschiedete sich Therese Rothauser dann von der Bühne.
Sie lebte weiterhin mit ihrer Schwester Katicza in ihrer Berliner Wohnung in der Konstanzer Straße 11 im Bezirk Wilmersdorf, von ihrer sogenannten „Gnadenpension“ und gab auch Gesangsunterricht. Weiterhin nahm sie am gesellschaftlichen Kulturleben der Stadt teil, lernte bei einer Gesellschaft den Begründer des Kulturhistorischen Archivs, Martin Sarneck kennen, und das Geschwisterpaar Rothauser freundete sich mit ihm an. Er hielt den Kontakt, auch als es im Dritten Reich bereits verboten war, aufrecht, und ihm haben wir zu verdanken, das Bühnenfotos und Briefe und Dokumente bis Heute erhalten sind. In der Weltwirtschaftskrise 1929 verlor Therese Rothauser ihr gesamtes angespartes Vermögen. Sie handelte danach sogar eine Zeit mit Kohlen, um sich und ihre Schwester zu ernähren.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verschlechterte sich die Situation noch mehr. Therese Rothauser wurde die Pension gekürzt und sie konnte ihre Wohnung nur noch halten, weil sie mit ihrer Schwester in ein Zimmer zog, und die anderen Zimmer an ebenfalls mittel- und wohnungslose jüdische Damen untervermietete.
Auch ihr Bruder Eduard Rothauser wohnte eine Weile mit seiner Frau und dessen Tochter in einem der Zimmer. Eduard Rothauser wurde von Max Reinhard 1910 an das Deutsche Theater verpflichtet, spielte auch in Wien am Carl-Theater, am Schauspielhaus Wien, danach wieder in Berlin am Rose-Theater. Er wirkte in der Zeit von 1913 bis 1933 in über 40 Filmen mit. 1933 wurde er aus der Reichstheaterkammer ausgeschlossen und hatte Auftrittsverbot. Er emigrierte mit seiner Familie nach Spanien, überlebte den Krieg und betrieb bis zu seinem Tod 1956 in Barcelona eine Geflügelfarm.
Therese Rothauser als Lady Pamela in „Fra Diavolo“ , königliche Oper Berlin 1891 Foto J. C. Schaarwächter Berlin |
Die in Berlin verbliebenen Schwestern hatten nun Mühe ihr Leben wie gewohnt fortzusetzen. Ihnen war verboten in die Oper, ins Kino, ins Konzert oder in ein Museum zu gehen, und auch Einladungen zu Gesellschaften konnten sie nur noch am Tage, nicht mehr Abends wahrnehmen. Selbst das Radio, an dessen Lautsprecher man vielleicht hätte etwas Musik genießen können, wurde ihnen abgenommen. In überlieferten Briefen schrieb sie die bedrückende Situation, aber es ist geradezu bewundernswert, das sie dabei ihren Humor nicht ganz verloren hatte, und auch immer noch auf ein Wunder hoffte. Ihrem Freund Martin Sarneck, der sie immer wieder zu Gesellschaften einlud, und der sie auch oft zu Hause besuchte, schrieb sie oft, das er sein Leben nicht aufs Spiel setzen soll, und dass sie verstehen könne, wenn er den Kontakt zu ihnen abbrechen würde. Doch er ließ sich nicht beirren, hielt bis zuletzt den Kontakt aufrecht.
Als die erste der Frauen, die bei dem Geschwisterpaar lebte, von der Gestapo abgeholt, und das Zimmer in dem sie wohnte versiegelt wurde, bat Therese Rothauser Martin Sarnek sie mit einem Koffer besuchen zu kommen. In Vorahnung an das, was passieren könnte, gab sie die Erinnerungen an ihre Sängerlaufbahn in dessen Verwahrung.
Wie groß muss die Verzweiflung gewesen sein, dass sie sich sogar persönlich in einem Brief an Hermann Göring wandte, in dem sie förmlich um Gnade bat. Hermann Göring antwortete nur knapp: „Es sei nicht zu befürchten, das solch alte Personen evakuiert würden“. Wie bei vielen fehlten zur Flucht aus Deutschland einfach die finanziellen Mittel, als auch die nötigen Papiere und Visa. Der Bruder Eduard hatte in Spanien ebenfalls keine Möglichkeit, seinen Schwestern zur Flucht zu verhelfen.
Liest man ihre letzten Briefe an Martin Sarneck, bricht einem fast das Herz. „Bestimmt ist, was Bestimmung heißt, dem wollen wir ins Auge sehen“, und am 11. August 1942 schrieb sie: „Wir sind leider dem Ziel näher gerückt. Heute erfolgte die Vermögensabgabe, .... und es ist möglich, das wir in einigen Tagen ins Böhmerland kommen. Wie Gott will, er wird uns schon beschützen. In herzlicher Freundschaft Teresi und Katicza“. In ihrem letzten Brief am 14. August 1942 teilte sie dann noch die Transportnummer mit: Th 07321/22.
Man berichtet, dass sie sich vor der „Abholung“ noch von ihrem Flügel verabschiedet habe, hinter dem an der Wand das Bild von Kaiser Wilhelm II. prangte, und dass sie aus dem Transportwagen noch einen Blick auf „ihre“ Lindenoper werfen konnte. Im Lager Theresienstadt wurde Therese Rothauser am 20. April 1943 im Alter von 79 Jahren ermordet, ihre Schwester Katicza starb dort am 19. Mai 1944 mit 80 Jahren.
Die von Martin Sarneck übernommenen Unterlagen kamen nach dessen Tod in die Theaterwissenschaftliche Sammlung der Universität Köln. Diese würdigte die Sängerin 2006 mit einer Ausstellung und einem Katalog. Vor der Wohnung von Therese Rothauser in Berlin erinnert ein Stolperstein an sie.
Literatur
Lebenszeichen, Therese Rothauser 1865 Budapest – 1943 Theresienstadt. Theaterwissenschaftliche Sammlung Schloss Wahn. Köln 2006.
Karl-Joseph Kutsch, Leo Riemens: Großes Sängerlexikon. 3. Aufl. Berlin 2000, S. 2084ff.
Kay Weniger: Zwischen Bühne und Baracke, Lexikon der verfolgten Theater-, Film- und Musikkünstler 1933 bis 1945. Berlin 2008, S. 297.
Hörbeispiel: Therese Rothauser singt „Ja die Liebe hat bunte Flügel“ aus der Oper „Carmen“ von Bizet
Der Autor betreibt den YouTube-Kanal Callas&Co mit historischen Aufnahmen
Kommentare
Kommentar veröffentlichen