Skandal: Enrico Caruso und die spektakuläre Trennung von Ada Giachetti

Rodolfo und Mimì oder doch eher Marcello und Musetta?

– Enrico Carusos Beziehung zu Ada Botti Giachetti ging spektakulär auseinander – 

von Klaus J. Loderer


So leidenschaftlich wie die Beziehung zwischen Rodolfo und Mimì in Puccinis Oper „La Bohème“ so verlief auch die Beziehung des Tenors Enrico Caruso mit der Sopranistin Ada Botti Giachetti, die sich übrigens während einer Aufführung genau dieser Oper kennenlernten, als sie die genannten Rollen sangen. Die Aufführung in Livorno entsprach gewissermaßen dem ersten Akt der Oper. Es folgte eine mehrjährige Liebesbeziehung als zweiter Akt. Der Opernfreund weiß, was im dritten Akt folgt. Allerdings war das, was Caruso und Giachetti an öffentlichem Streit veranstalteten eher mit den Eifersuchtsszenen der Opernfiguren Marcello und Musetta vergleichbar. Den frühen Tod erlitt dann der Tenor, nicht die Sopranistin.


Enrico Caruso und ein Vitrola-Grammophon
(Ausschnitt einer historischen Fotographie)

Caruso und Giachetti

Zu den legendären Tenören des zwanzigsten Jahrhunderts gehört Enrico Caruso (1873-1921). Nach Aufritten in seiner Heimatstadt Neapel begann sein Aufstieg 1898 mit der Uraufführung von Giordanos Oper „Fedora“ im Teatro Lirico in Mailand, in der er an der Seite von Gemma Bellincioni den Loris Ipanov sang. Noch als junger Sänger lernte Caruso 1897 bei einer Aufführung von „La Bohème“ im Theater von Livorno die in Florenz geborene Ada Botti Giachetti (1874-1946) kennen. Der Sänger des Rodolfo verliebte sich in die Sängerin der Mimì. Sie war die Schwester der Sopranistin Rina Giachetti. Auch sie wurde Sopranistin und gab ihr Debüt 1897 am Teatro San Carlo in Neapel als Alice in Verdis „Falstaff“. Es folgen gemeinsame Auftritte mit Caruso, etwa in „La Traviata“, „La Bohème“ und „Tosca“. 1898 wurde der gemeinsame Sohn Rodolfo geboren. 1903 begleitete sie Caruso auf der Amerika-Tournee. Mit dem Herzog in Verdis „Rigoletto“ begann an der Metropolitan Opera in New York die internationale Berühmtheit. Die Familie lebte in der Villa Le Panche in Sesto Fiorentino, in der 1904 der zweite Sohn, Enrico, geboren wurde. Als neuen Familiensitz erwarb Caruso 1906 die Villa Bellosquardo in Lastra a Signa bei Florenz, in der sich seit 2012 das Museo Enrico Caruso befindet. Es war die Zeit, in der Caruso zum Star wurde. Das Paar heiratete übrigens nie. Schon deswegen fand die Öffentlichkeit die Sache anrüchig. Die Beziehung platzte mit einem großen Knall. Die Gazetten stürzten sich nun noch mehr auf die Sache. Auch die Berliner Zeitungen griffen die Geschichte auf, zumal Caruso nach mehreren Auftritten in der deutschen Hauptstadt auch dort bekannt war.



Ada Giachetti, Ausschnitt aus einem Porträt von A. Galli (1907) im Museo Enrico Caruso

Eine Affäre schlägt Wellen

Dass Ada Giachetti mit dem Chauffeur durchbrannte, war schon Opernstoff genug. Danach entspann sich ein Rosenkrieg. Denn Caruso reagierte durchaus als leidenschaftlich gekränkter Neapolitaner. Der Streit eskalierte, als er ihre Kleider und ihren Schmuck zurückhielt. Dann war da noch die Sache um einen Brief. Giachetti beschuldigte Caruso, den Brief eines Agenten über ein Engagementangebot in den USA, den er von Carlotta Carignani, der Wirtin ihrer Pension erhalten hatte, zurückzuhalten, um damit ihre weitere Karriere zu verhindern.


Die Berliner Volkszeitung veröffentlichte am 24. Juli 1910 unter der Überschrift „Caruso in Nöten“ einen ausführlichen Bericht über die Affäre: „Carusos Privatleben wird augenblicklich in den italienischen Zeitungen mit wahrem Behagen näher beleuchtet. Den Anlaß hierzu bietet ein zwischen dem berühmten Tenor und seiner Freundin, der Primadonna Ada Giachetti, ausgebrochener Zwist, der binnen kurzem ein gerichtliches Nachspiel haben soll. Die Primadonna hat nämlich den „Divo“ wegen Unterschlagung eines ihr Engagement am New-Yorker Manhattantheater betreffenden Briefes beim Strafrichter des ersten Mailänder Gemeindebezirkes verklagt, worauf der göttliche Sänger mit einer Gegenklage wegen Verleumdung geantwortet hat. In einer „Denkschrift“ erzählt Caruso, wie er in Livorno vor dreizehn Jahren die Sängerin kennen und lieben gelernt und wie das Idyll ihrer Liebe ein Jahrzehnt ungetrübt bestanden habe, bis es durch seinen Chauffeur, Cesare Romati genannt, in grausamer Weise gestört wurde. In diesen hatte sich die Freundin des Tenors so heftig verliebt, daß sie, während Caruso in New-York seine Stimme ertönen ließ, den Schwur der Treue, den sie zwar nicht vor dem Altar abgelegt hatte, skrupellos vergaß. Als Caruso, aus Amerika in sein Vaterland heimgekehrt, diese unliebsame Entdeckung gemacht hatte, jagte er den Kraftwagenlenker sofort aus seinem Dienst, und die schöne Ada versprach, ihn recht bald zu vergessen. Aber schon nach wenigen Monaten war sie mit ihm auf einem mit Carusos Geld gekauften Automobil nach Nizza gefahren und hatte noch dazu ein ihrem Verhältnis mit dem Sänger entsprossenes Kind als Geisel mit genommen, das sie nur gegen ein Lösegeld von einer halben Million Franken herausgeben wollte. Doch es kam zu einer neuerlichen Versöhnung, die freilich nicht von Dauer war – denn alsbald kehrte Ada zu ihrem Chauffeur zurück. Da es aber dem Liebespaar an Geld fehlte, verklagte Carusos ehemalige Freundin diesen auf Herausgabe ihrer Juwelen, was der Beschuldigte wieder mit einer Gegenklage wegen Veruntreuung von zwanzigtausend Franken beantwortete. Im November 1908 trat Carusos Freund Carignani als Friedensstifter auf und brachte eine abermalige Aussöhnung zustande, wobei Caruso der wiedergewonnenen Freundin als Liebespfand ein Haus im Werte von 350000 Franken schenkte und ihr außerdem ein monatliches Nadelgeld von 6000 Franken aussetzte. Trotzdem litt es Signora Giachetti nicht lange bei dem so freigebigen Freunde und wieder suchte sie ihren Chauffeur auf. Worauf Caruso der Mutter seiner Kinder das Monatsgeld auf fünfhundert Franken reduzierte. Aber Ada erklärte sich mit einer so kläglichen Abfindung nicht zufrieden, und so nahmen die gerichtlichen Streitigkeiten ihren Anfang. Die Primadonna beschuldigt den großen Caruso jetzt öffentlich im „Corriere della Sera“, daß er ihr alle Schmucksachen und ihre ganze Garderobe widerrechtlich vorenthalte, um sie zu hindern, ihre künstlerische Laufbahn wieder aufzunehmen. Außerdem vertraute sie dem Vertreter des Mailänder Blattes eine Reihe von Intimitäten über ihr Zusammenleben mit Caruso an, die für die Veröffentlichung nicht geeignet schienen. Der famose Zwist des ehemaligen Liebespaares, das sich jetzt so glühend haßt, scheint noch an Ausdehnung zunehmen zu wollen. Jedenfalls steht ein wahrer Rattenkönig von Prozessen bevor, deren Verlauf natürlich von den Verehrern des Königs der Tenöre mit größtem Interesse verfolgte werden wird.“

 

Das Jahr 1912 war für Caruso mit gleich drei Gerichtsprozessen verbunden. Einerseits schwelte immer noch die Sache mit Ada Giachetti. Andererseits kam zu einem Prozess, den Elisabetta Gabelli aus Mailand angestrengt hatte, um wegen des Bruchs des Eheversprechens 250000 Lire Entschädigung zu erhalten. Er habe sie zu einem Gastspiel nach Berlin mitgenommen, sie dort als seine Braut vorgestellt, während einer Amerika-Tournee aber das Interesse an ihr verloren. Außerdem strengte Caruso einen Prozess gegen den Kehlkopfspezialisten Temistocle della Vedova an wegen Verletzung des Berufsgeheimnisses und verlangte erfolglos eine Million Lire als Schadensersatz.


Vom 25. bis zum 30. Oktober 1912 fand der Prozess in der Sache Giachetti statt. Caruso musste ein in Berlin geplantes Gastspiel absagen, um am Prozess teilzunehmen. Die Auftritte am 1. und 3. Oktober 1912 im neu eröffneten kgl. Hoftheater in Stuttgart absolvierte er. 


Vor Gericht erschien er persönlich, nicht aber Ada Giachetti. Der Hamburger Anzeiger berichtete am 30. Oktober 1912 aus Mailand: „Der Prozeß, den der berühmte Tenor Enrico Caruso gegen seine ehemalige Freudin Ada Giachetti und ihre Helfer angestrengt hatte, war schon im Monat Juli auf den Verhandlungsplan des hiesigen Strafgerichts gesetzt worden, mußte aber damals wegen eines Formfehlers, der in der Zustellung der Vorladungen begangen worden war, vertagt werden. Vorgestern hat er endlich begonnen, doch dadurch sehr viel an Interesse verloren, weil die Hauptangeklagte es vorgezogen hat, Amerika nicht zu verlassen und es so auf ein Abwesenheitsurteil ankommen zu lassen. Dagegen war Caruso persönlich erschienen, um als Zeuge vernommen zu werden. Ada Giachetti hatte bekanntlich zwei Beschuldigungen gegen den Vater ihrer Kinder erhoben, daß er einen an sie gerichteten Brief unterschlagen und ihr den Schmuck im Werte von 200000 Lire widerrechtlich weggenommen habe. Ihr Geliebter Cesare Romati, der ehemalige Chauffeur Carusos, der Theaterabend Gaetano Loria, Carlotta Carignani sind der Mitschuld an der gegen Caruso gerichteten Verleumdung angeklagt. Von diesen Angeklagten fehlt Loria. Im bisherigen Verlauf des Prozesses wurde die ganze unerquickliche Geschichte des Zusammenlebens Carusos und seiner ehemaligen Freundin aufgerollt, die es nach einem zehnjährigen intimen Verhältnis mit dem König der Tenöre vorgezogen hatte, die Geliebte eines gewöhnlichen Chauffeurs zu werden. Freilich hat auch das Vorgehen Carusos gegen sie keinen sehr günstigen Eindruck gemacht. Denn der vielfache Millionär mußte auf die den Vorwurf der Entwendung des Schmuckes betreffende Frage des Vorsitzenden gestehen, daß er in der Tat alle die Juwelen, die er Frau Giachetti währender vielen Jahre des gemeinsam geführten Hausstandes geschenkt hatte, mit sich genommen habe. Diese Schmuckstücke, erklärte aber Caruso mit seltsamer Dialektik, seien eigentlich doch keine Geschenke gewesen, denn man mache wohl der Geliebten, die man außer dem Hause habe, Geschenke, nicht aber der Frau, mit der man zusammenlebe und die Mutter der Kinder ist. In diesem Falle seien die Schmuckstücke nur geliehene Gegenstände, die man immer wieder zurücknehmen könne. Diese Theorie wird wohl den Verteidigern der Angeklagten einen gefährlichen Angriffspunkt gegen den Kläger bieten. Dagegen haben die bisherigen Zeugenvernehmungen ergeben, daß die Beschuldigung bezüglich der Unterschlagung des Briefes jeder Begründung entbehrt. Es scheint sich um einen von Loria ausgeheckten und von der Giachetti der Rache halber gerne angenommenen Erpressungsplan gegen Caruso zu handeln, was dadurch bestätigt wird, daß vor Erhebung der gerichtlichen Anklage eine Summe von 200000 Lire verlangt wurde, um die Sache beizulegen.


Der Prozess endete damit, dass Ada Giachetti wegen Verleumdung zu einem Jahr Gefängnis und 1000 Lire Geldstrafe verurteilt wurde. Außerdem wurde Romati wegen Verleitung zu falscher Aussage zu einem Jahr und elf Tagen, der Journalist Giuseppe Micalizzi wegen fahrlässigen Falscheides zu drei Monaten und 26 Tagen und der Theateragent Gaetano Loria wegen Verleitung zum Meineide zu elf Monaten und 23 Tagen verurteilt. Im Dezember 1913 versuchten die Verurteilten eine Revision anzustrengen.


Das wirkt nun so, als habe es nur an Ada Giachetti gelegen, dass die Beziehung letztlich auseinanderging. Allerdings scheint auch Caruso allerhand Affären gehabt zu haben. Nach der endgültigen Trennung von Ada lebte Caruso übrigens mit deren Schwester Rina zusammen. Caruso heiratete 1918 die junge US-Amerikanerin Dorothy Benjamin (1893-1955), mit der er die Tochter Gloria hatte. Carusos Gesangskarriere endete früh, als er sich 1920 eine Rippenfellentzündung zuzog. Caruso starb im Alter von 48 Jahren in Neapel. Ada überlebte ihn um fünfundzwanzig Jahre und starb 1946 in Rio de Janeiro.

 


Zum Tod Encrio Carusos vor 100 Jahren

https://opernloderer.blogspot.com/2021/08/vor-hundert-jahren-starb-der-tenor.html

 

 

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