Aus der Geschichte der Oper in Stuttgart: Gastspiel der Sopranistin Hedy Iracema-Brügelmann 1919
„Der weiche Wohllaut ihres glockenreinen Soprans hat etwas Einschmeichelndes und Beglückendes an sich“
– Ein Gastspiel von Hedy Iracena-Brügelmann in Stuttgart im Frühjahr 1919 mit „Tiefland“, „Mona Lisa“ und einem Liederabend –
von Klaus J. Loderer
Die in Brasilien geborene Sängerin Hedy Iracema-Brügelmann war von 1909 bis 1917 als gefeierte Sopranistin im Ensemble des Königlichen Hoftheaters in Stuttgart. Die Stuttgarter Opernfans waren traurig über ihren Weggang nach Wien. Die Karriere gestaltete sich am k.u.k. Hofopernhaus in Wien, aus der dann die Staatsoper wurde, aber nicht so, wie sie sich das vorgestellt hatte. Die neuen Direktoren Richard Strauss und Franz Schalk versuchten Hedy Iracema-Brügelmann loszuwerden. Dass sie im Frühjahr 1919 zu einem Gastspiel an ihre alte Wirkungsstätte Stuttgart zurückkehrte, könnte ein Hinweis darauf sein, dass sie sich eine Wiederanstellung erhoffte. Aus dem Königlichen Hoftheater war mit dem politischen Umbruch das Württembergische Landestheater geworden. Dort war nicht mehr ihr früherer Förderer Max von Schillings Generalmusikdirektor sondern der junge Fritz Busch. Nur wenige Monate nach dem Sturz der Monarchie herrschten unruhige Zeiten mit zum Teil gewalttätigen Auseinandersetzungen.
Hedy Iracema-Brügelmann in „Mona Lisa“
Am 4. Februar 1919 sang Hedy Iracema-Brügelmann Martha in Eugen d’Alberts „Tiefland“. Am 8. Februar folgte ein Liederabend im Kunstgebäude. Eine weitere Opernvorstellung im Großen Haus war am 12. Februar die Titelrolle in „Mona Lisa“ von Max von Schillings.
Ankündigung im Staats-Anzeiger für Württemberg vom 5. Februar 1919 |
Ein Liederabend im Kunstverein
Das Publikum war von ihren Aufritten im Frühjahr 1919 begeistert. Auch die sonst durchaus sehr kritischen Rezensionen im Staats-Anzeiger für Württemberg sind schwärmerisch verfasst. Ein Beispiel ist die Besprechung des Liederabends, bei dem Fritz Busch die Sängerin am Klavier begleitete. So schrieb der Staats-Anzeiger am 13. Februar 1919: „Frau Hedy Iracema Brügelmann hat am Samstag in Verbindung mit ihrem Gastspiel im Landestheater auf in einem Liederabend ihre Stuttgarter Freunde begrüßt. Ein Schubert-Mahler-H. Wolf-Abend war es, im Programm schon ein Erweis ihrer Vorliebe für feinstilisierten Kunstliedgesang, eine Erinnerung daran, daß für ihre Meisterschaft auf der Opernbühne sie den Ausgang vom Konzertgesang genommen hatte. Die Künstlerin machte es dem Publikum schwer, den Verlust dieser in der Vollkraft geschulten Gesangstechnik stehenden und in geistvoller Auffassung bewährten Sängerin zu tragen. Der weiche Wohllaut ihres glockenreinen Soprans hat etwas Einschmeichelndes und Beglückendes an sich. Sicher wird das allmähliche An- und Abschwellen des Tons, mit großer Leichtigkeit die Atemtechnik beherrscht, die eine geradezu wunderbare Ausgiebigkeit bewährt. Ausnehmend schön waren schon die Schubertlieder selbst die schlichtesten wie. Das Wiegenlied mit allerlei Feinheiten geschmückt. Ihr Vortrag zeigt sein Pochen auf die Tonfülle oder auf das augenblickliche Geschick. In der Tonfärbung; alles ist mit feinem Geschmack ausgestaltet. Dies galt besonders für die schwierigen Mahlerlieder, Kompositionen, denen erkünstelte und erdachte Vornehmheit anhaftet und die nur bei besonderer Beachtung ihrer dramatischen Eigenart wirken. Wie hob sich der legendenhafte Ton in des „Antonius Fischpredigt“ aufs schärfste ab von dem feurigen, abwechslungsreichen „Um Mitternacht“! Wie floß mitten ins Lyrische ein dramatischer Akzent zu rechter Stelle herein, z.B. beim Aufschrei des Kindes! Daß die Sängerin im Lyrischen sich besonders heimisch fühlt, empfand man so recht bei der Wolflieder-Auswahl. Die Heyselieder bedeuteten den Höhepunkt des Abends. Auch in der Mörikeliederreihe bewährten sich die Vorzüge ihrer Deklamationskunst. Die Zuhörer gaben ihrer Dankbarkeit für den reichen Genuß warm empfundenen Beifallsausdruck. Als Begleiter trug Kapellmeister Fritz Busch mit pianistischem Geschmack auf bei den schwierigen Wolfbegleitungen zur Erhöhung der Eindrücke des Liederabends in bewährter Weise das Seinige bei.“
Die Rolle der Mona Lisa hatte Hedy Iracema-Brügelmann schon bei der Uraufführung am 26. September 1915 in Stuttgart unter der Leitung des Komponisten gesungen und ebenso bei einem Gastspiel des Stuttgarter Hoftheaters im Januar 1918 in den Niederlanden.
Über ihren Auftritt 1919 findet man im Staats-Anzeiger vom 13. Februar 1919 die folgende Besprechung: „Am Mittwoch sang Hedy Iracema Brügelmann als Gast in der Mona Lisa von M. Schillings die Titelrolle. Vornehm beseeltes Spiel, das alle krassen und grellen Wirkungen verschmäht, vereinigte sich mit dem klangvollen Wohllaut ihrer in klarer Reinheit leuchtenden Stimme zu einer edlen und tiefen Wirkung, der sich niemand in dem ausverkauften Hause entziehen konnte. Die Freude, die geschätzte Künstlerin, der man so manchen und erhebenden genußreichen Abend verdankt, wieder an der Stätte ihrer früheren Wirksamkeit begrüßen zu dürfen, gab sich in dem warmen, stets erneuten Beifall kund, der besonders am Schluß keine Ende nehmen wollte. Auch sonst war die Aufführung, in der außer Frau Brügelmann Th. Scheidl und A. Oestvig die Hauptrollen inne hatten, wohlabgerundet und hinterließ einen machtvollen Eindruck.“
Auch der genannte norwegische Tenor Karl Aagard Østvig (1889-1969) in der Rolle des Giovanni de Salviati stammte noch aus der Uraufführungsbesetzung. Er hatte 1914 sein Bühnendebüt in Stuttgart und war von 1919 bis 1926 an der Wiener Staatsoper, wo er z.B. in der Uraufführung von „Die Frau ohne Schatten“ den Kaiser sang – übrigens an der Seite von Maria (Mitzi) Jeritza, die auch in Stuttgart nicht unbekannt war, da sie 1912 die Titelrolle in der Uraufführung der ersten Fassung von „Ariadne auf Naxos“ sang, während Hedy Iracema-Brügelmann die Zweitbesetzung war.
Wochenspielplan im Staats-Anzeiger für Württemberg vom 12. Februar 1919 |
Dorothea Manski stellt sich in Stuttgart vor
Die wichtigen Sopranrollen übernahm nach dem Weggang von Hedy Iracema-Brügelmann aus Stuttgart Rhoda von Glehn (1881-1964). Doch das Württembergische Landestheater in Stuttgart suchte noch einen weiteren Sopran. Der Staats-Anzeiger verfolgte das kritisch. In der Ausgabe vom 6. März 1919 konnten die Stuttgarter lesen: „Nach einer Mitteilung aus der Kanzlei des Landestheaters ist Fräulein Dorothea Manski vom Nationaltheater in Mannheim als erste jugendlich-dramatische Sängerin in Aussicht genommen, die den größeren Teil des früher von Frau Brügelmann vertretenen Fachs übernehmen soll. Die Künstlerin stellte sich gestern als Elisabeth in Tannhäuser dem Publikum vor. Sie kann die Gunst einer einnehmenden äußeren Erscheinung und einer stattlichen Größe, die für Rollen heroischer Natur eine starke Stütze ist, für sich in die Wagschale werfen. Die Stimme ist nicht besonders groß; sie litt einigermaßen unter einem leichten Tremolo, das sich aber bald fasst ganz verflüchtigte; über dem Chor schwebte sie nicht ganz mit der Sieghaftigkeit überwältigenden Glanzes. Mimik und Spiel sind belebt und gut geschult. Man wird, um zu einem endgültigen Urteil über die Künstlerin gelangen zu können, ihre Agathe im Freischütz abwarten müssen.“ Die Begeisterung hielt sich in Grenzen im Vergleich zu den schwärmischen Tönen über Hedy Iracema-Brügelmann. Aber sollte jemand in Stuttgart Hoffnung auf deren Rückkehr gehabt haben, zerschlug sich das mit der Mitteilung im Staats-Anzeiger vom 11. März 1919: „Fräulein Dorothea Manski vom Nationaltheater in Mannheim, die bei ihrem zweiten Auftreten als „Agathe“ in Freischütz am letzten Samstag die guten Eindrücke ihres ersten Gastspiels noch verstärkt hatte, ist, wie die Theaterleitung mitteilt, von der nächsten Spielzeit ab an das Württemberg. Landestheater verpflichtet worden.“
Da Dorothea Manski (1892-1967) – die entgegen den Gerüchten einer Geburt in New York laut ihrer Stuttgarter Personalakte am 11. März 1892 in Berlin geboren wurde – erst ab dem 1. April 1920 als „jugendlich-dramatische Sängerin“ in Stuttgart engagiert war, konnte sie am 8. Mai 1919 nicht die Titelrolle in der Premiere „Schahrazade“ singen, obwohl sie diese Rolle doch von der Uraufführung in Mannheim 1917 kannte. Dorothea Manski blieb bis 1921 in Stuttgart und ging dann an die Staatsoper Berlin. 1927 wechselte sie an die Metropolitan Opera in New York, wo sie bis 1941 sang. Anfang der 1930er-Jahre trat sie bei den Salzburger Festspielen und in der Wiener Staatsoper auf.
Hörbeispiel:
Hedy Iracema-Brügelmann singt „D’amor sull’ali rosee“ aus „Il trovatore“ von Giuseppe Verdi:
Weitere Informationen zu Hedy Iracema-Brügelmann in Stuttgart finden sich hier
Weitere Informationen zur Premiere Schahrazade in Stuttgart
Weitere Informationen zur Biographie von Hedy Iracema-Brügelmann finden Sie hier
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