Sängerporträt: die niederländische Koloratursopranistin Lea Fuldauer (1892-1949)

Vom Schicksal der niederländischen Koloratursopranistin Lea Fuldauer 

– Amsterdam, Berlin, Königsberg, Münster und São Paulo waren Stationen ihres Lebens – 

von Matthias Woehl 

Die niederländische Soubrette Lea Fuldauer (eigentlich Louise Fuldauer) wurde an einem 17. Oktober in Den Haag geboren. Wie bei vielen Damen des darstellenden Gewerbes ist das mit dem Geburtsjahr aber so eine Sache. Während sie laut Opernblog „Great Singers of the Past“ 1887 geboren ist, wird sie im großen Sängerlexikon von Kutsch & Riemens schon fünf Jahre jünger und ist 1892 geboren. Vielleicht steckt das übliche Mittel dahinter, gerade bei den Damen, die das „jugendlich naive“ Fach bedienen, das Alter zu korrigieren, um möglichst lange den von ihnen dargestellten Figuren zu entsprechen. 

Lea Fuldaer als Baronin im Wildschütz an der Großen Volksoper in Berlin

Nach einem Gesangsstudium in Den Haag und Amsterdam debütierte Lea Fuldauer 1916 in der niederländischen Erstaufführung von „De Kleermakers van Marken“,  einer Oper des holländischen Komponisten Jan Brandts-Buys (1868-1933), die am 1. April 1916 unter dem Titel „Die Schneider von Schönau“ an der königlichen Hofoper in Dresden uraufgeführt worden war.  Es geht darin übrigens um die Witwe Veronika im schwäbischen Schwarzwaldort Liebenzell und die sie umwerbenden Schneider aus Schönau.

Lea Fuldauer erarbeitete sich an der Nederlandschen Opera ein schönes Repertoire, sang Rollen wie Musetta in Puccinis „La Bohème“, Ines in Verdis „Il Trovatore“,  Cherubino in Mozarts „Hochzeit des Figaro“, Olympia in Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen, die Nedda in Leoncavallos „Pagliacci“ und auch den Oscar in Verdis „Maskenball“. In dieser Rolle gastierte sie sogar 1926 einmal an der Opéra Comique in Paris. Bei der Opernkompanie „De Co-opera-tie“ erschien sie in einigen Operettenpartien, als auch in heutzutage fast vergessenen Werken wie z.B. „Island-Saga“, einer 1925 in München uraufgeführten Oper des deutschen Komponisten Georg Vollerthun (1876-1945). 

Am 5. August 1919 sang Lea Fuldauer in der Uraufführung der Oper „Madeleine“ des Komponisten Samuel Schuijer (1873-1942). Beide, sowohl Samuel Schuijer als auch Lea Fuldauer, waren jüdischen Glaubens und konnten dereinst noch nicht ahnen, dass ihnen die Nationalsozialisten noch übel mitspielen würden.  

Hörbeispiel: Lea Fuldaer als Musetta in Puccinis La Bohème“:


Generalintendant Otto Wilhelm Lange verpflichtete Lea Fuldauer 1923 an die 1922 gegründete Große Volksoper Berlin, die im Theater des Westens spielte. Generalmusikdirektor war kein geringerer als der große Leo Blech. Lea Fuldauer stand mit bedeutenden Kollegen auf der Bühne. Zum damaligen Ensemble gehörten z.B. Hans-Hermann Nissen, Kammersänger Leo Schützendorf, die wundervolle Anni Frind, Fritzi Jokel, Kammersängerin Melanie Kurt, alles Sänger, die wir von unzähligen überlieferten Tonaufnahmen her kennen. Gewohnt hat sie während ihres zweijährigen Berliner Engagements in Wilmersdorf, in der Bamberger Straße Nr. 3, und wie man dem Deutschen Bühnenjahrbuch entnehmen kann, hatte sie auch bereits Telefon: ihre Nummer lautete „Kurfürst 4554“. Durch die Inflation war die Aktiengesellschaft 1925 gezwungen, das Theater zu schließen.

1926 wechselte Lea Fuldauer dann in den östlichsten Teil Deutschlands, ans Stadttheater in Königsberg. War das Theater aus dem frühen 19. Jahrhundert seit 1918 als reines Opernhaus betrieben worden, vereinigte man Oper und Schauspiel 1924 zum Vereinigten ostpreußischen Landestheater. 1928 erwarb die Stadt das Theater. Hier traf sie auf eine weitere bedeutende Persönlichkeit, den Dirigenten Frieder Weissmann, der Schallplattengeschichte schrieb, und der zu dieser Zeit bereits mit der berühmten Sopranistin Meta Seinemeyer liiert war, die er kurz vor ihrem viel zu frühen Tod noch heiratete. Unter Weissmanns Leitung sang Lea Fuldauer in Königsberg die Gilda in Verdis „Rigoletto“, Oscar in Verdis „Maskenball“ und die Margarethe in Gounods „Faust“. Während Frieder Weissmann als Staatenloser Königsberg nur per Flugzeug erreichen konnte (Königsberg hatte den ersten deutschen Flughafen für Zivilverkehr), weil Ostpreußen von Deutschland abgetrennt war, konnte Lea Fuldauer als Niederländerin mit dem Zug in die Stadt reisen. Dieser Aufwand, als auch die dauernden finanziellen Probleme der Stadt, den Opernbetrieb aufrecht zu halten, mögen der Grund sein, warum Weissmann nur eine Spielzeit, Lea Fuldauer nur zwei Spielzeiten an dem Haus blieben. 

Nun wechselte sie 1929 ins Engagement an das Stadttheater von Münster in Westfalen. Dort blieb sie, bis die Situation unter den Nationalsozialisten unangenehm wurde. Sie zog sich erst einmal in die Niederlande zurück, wo sie ihre Karriere fortsetzte und bei verschiedenen Opernkompanien sang. Sie trat 1933 als Blumenmädchen im „Parsifal“, 1934 als Adele in der „Fledermaus“ und 1935 als Helmwiege in der „Walküre“ in Erscheinung. 

Kurz bevor die deutschen Truppen die Niederlande besetzten, begab sie sich auf eine Konzertreise nach Brasilien. Das war ihre Rettung. Alle Nachrichten, die sie erreichten, waren grauenhaft. Der schon erwähnte Komponist Samuel Schuijer, in dessen Uraufführung seiner Oper „Madeleine“ sie 1919 noch gesungen hatte,  wurde 1939 ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Man hat ihm dort vor der Ermordung sogar die die  Hände abgehackt. 

Lea Fuldauer ließ sich in São Paulo nieder, und lebte von Liederabenden und Konzerten  mit dem Pianisten und Dirigenten Joao de Souza Lima und den  Sinfonieorchestern von São Paulo und Rio de Janeiro.  Mit dem aus Deutschland emigrierten Musikprofessor Dr. Gustav (Gustavo) A. Stern machte sie sogar einige Sendungen für das Radio in São Paulo, in denen die beiden (ausgerechnet) deutsches Liedgut vorstellten. Lea Fuldauer sang, Stern hielt dazu Vorträge zur Musik. Später sang sie, ebenfalls für das Radio, Lieder von  zeitgenössischen Komponisten und folkloristische brasilianische Werke. 

Nun ereilte Lea ein weiteres Schicksal: Sie erblindete. Als sie nach dem Krieg in ihre Heimat zurückkehrte, sagte ein Zollbeamter beim Betrachten ihres Ausweises: „Fuldauer? Den Namen kenne ich, das war einmal eine berühmte Koloratursopranistin an der Nederlandse Opera“.  „Das bin ich,“ sagte Lea, „übrigens bin ich nur vorübergehend hier“. Von da an verliert sich ihre Spur. Das einzige was noch zu erfahren ist, dass sie 1949 in der Nähe von New York verstorben sein soll. 

Hörbeispiel: Lea Fuldaer singt Connais-tu le pays from Mignon“:



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