Aus der Geschichte der Oper in Stuttgart: „Schahrazade“ von Bernhard Sekles 1919

„Für die Aufführung hat Fritz Buschs Leitung den entsprechenden Ton gefunden“ 

– „Schahrazade“, eine vergessene Oper des vergessenen Komponisten Bernhard Sekles – 

von Klaus J. Loderer


Der Spielplan des Württembergischen Landestheaters in Stuttgart, wie das ehemalige königliche Hoftheater und spätere Württembergische Staatstheater nun hieß, hatte im Opernbereich im Frühjahr 1919 die übliche Mischung mit Werken, die auch heute noch häufig gespielt werden wie Mozarts „Don Giovanni“, Verdis „Aida“, Wagners „Meistersinger“ und Webers „Der Freischütz“ im Programm. Daneben gab es einige heute eher vergessene Werke wie Lortzings „Undine“ und „Der Waffenschmied“ und mehrere damals moderne Opern wie „Tiefland“ von Eugen d’Albert und die immerhin in Stuttgart uraufgeführte Oper „Mona Lisa“ von Max von Schillings“. Übrigens wurde „Don Giovanni“ im Kleinen Haus gespielt, die heutige Aufteilung in Opernhaus und Schauspielhaus gab es damals noch nicht. Am 8. Mai 1919 lernte das Stuttgarter Publikum eine weitere zeitgenössische Oper kennen, „Schehrazade“, die erste Oper von Bernhard Sekles nach einem Schauspiel von Gerdt von Bassewitz. „Für die Aufführung hat Fritz Buschs Leitung den entsprechenden Ton gefunden“, konnte man in einer Kritik zur Premiere über den Dirigenten lesen. Vor seinem Wechsel nach Dresden war Fritz Busch damals in Stuttgart. Später wird auf die Stuttgarter Aufführung eingegangen, doch seien zunächst der Autor des für die Oper verwandten Schauspiels und der Komponist vorgestellt.

Der Dichter Gerdt von Bassewitz

Die Oper „Schahrazade“ beruht auf einem Schauspiel aus dem Jahr 1911. Kurz hintereinander erschienen von Gerdt von Bassewitz mehrere Theaterstücke, 1911 „Judas“ und 1912 „Die Sunamitin“. Bis heute bekannt ist Gerdt von Bassewitz durch sein Märchenspiel „Peterchens Mondfahrt“, das am 12. Dezember 1912 im Alten Theater in Leipzig mit Musik von Josef Achtélik uraufgeführt wurde. 1916 erschien das Märchen auch als illustriertes Buch. 1916 erschien mit „Pips der Pilz“ ein weiteres Märchenspiel. Der Schriftsteller und Schauspieler Gerdt von Bassewitz (1878-1923) wurde im württembergischen Gut Allewind bei Hermaringen im heutigen Landkreis Heidenheim als Sproß eines mecklenburgischen Adelsgeschlechts geboren. Die Schule besuchte er in der Herrnhuter Brüdergemeine in Niesky und im fürstlichen Pädagogium in Putbus auf Rügen. Eine Karriere in der preußischen Armee endete 1903 wegen seines Gesundheitszustands mit der Beurlaubung und Pensionierung. Er beschäftigte sich als Schauspieler, war 1908 bis 1911 Direktionsassistent bei Max Martersteig am Kölner Stadttheater und lebte als Schriftsteller in Berlin. Nach einer Lesung aus „Peterchens Mondfahrt“ brachte er sich um.

Der Komponist Bernhard Sekles

Die Musik zu „Schehrazade“ stammt von Bernhard Sekles, der neben Orchesterwerken, darunter einer Sinfonie, viel Kammermusik und zahlreiche Lieder komponierte. Als Bühnenwerke entstanden das Ballett „Der Zwerg und die Infantin“ (nach Oscar Wildes „Der Geburstag der Infantin“) und die Opern „Schahrazade“ (1917), „Die Hochzeit des Faun“ (1921) und „Die zehn Küsse“ (1926). Mit dem Orient hatte er sich schon in der symphonischen Dichtung „Die Gärten der Semiramis“ beschäftigt, der dann mit „Schahrazade“ eine Bearbeitung des Grundhandlung der Märchen aus tausend und einer Nacht folgte. Bernhard Sekles (1872-1934) – der Familienname war eigentlich Seckeles – wurde in Frankfurt am Main geboren, wo er am Hoch’schen Konservatorium studierte. Zu seinen Lehrern gehörte Engelbert Humperdinck. Er war 1893-1894 Kapellmeister am Theater Heidelberg und 1895-1896 am Theater Mainz. Ab 1896 unterrichtete er am Hoch’schen Konservatorium, dessen Direktor er 1923 wurde. Zu seinen Schülern gehörten Paul Hindemith und Theodor W. Adorno. Aufsehen erregte 1928 die Einrichtung einer Jazzklasse unter Mátyás Seiber. Die Nationalsozialisten diffamierten ihn als „jüdischen Scheindirektor“. 1933 bekam Sekles schnell die staatlichen Diskriminierungen zu spüren. Er wurde als Jude entlassen, seine Werke wurden verboten. Unter diesem Eindruck entstand die Vertonung des Psalms 137 „An den Wassern Babylons saßen wir und weinten“.

Die Uraufführung in Mannheim 1917

Die Uraufführung von „Schahrazade“ war am 2. November 1917 – also mitten im Ersten Weltkrieg – am Nationaltheater Mannheim. Dorothea Manski sang die Titelrolle, Hans Bahling den Kalifen und Wilhelm Fenten den Großwesir.

 

Die Neue Zeitschrift für Musik (84. Jahrgang, Nr. 45/46 vom 15. November 1917, S. 346-347) veröffentlichte eine Uraufführungskritik. Über Libretto und Musik schrieb Hans Schorn: „Immerhin hat Gerdt v. Bassewitz die vorteilhafteste Stellung für einen operngemäßen Konflikt herausgefunden und in dem übrigens schon früher in Köln und Kiel als Schauspiel aufgeführten Buch dem Komponisten etwas sehr Dankenswertes in die Hand gegeben. Ob er den Tondichter Bernhard Sekles nicht doch überschätzte, als er an ihn mit seinen halb bestialischen, halb tragischen und halb kindlichen Märchenfiguren herantrat, ist eine andre Frage. Sekles, der bekannte Frankfurter Komponist der Temperamente, hat natürlich mit Inbrunst das Märchenthema aufgenommen, aber nicht immer deutlich und entscheidend die Kontinuität der Handlung gewahrt oder gar gefördert. Seine Partitur bietet bekannte und unbekannte salbungsvolle orientalische Allgemeinheiten, redet nur an wenigen Stellen eine zu Herzen gehende, großzügige Sprache, verstummt musikalische oft gerade dort, wo man Steigerungen erwartet. Die Partitur zeigt Märchenklang und viel ästhetische Formfreude, aber kaum einen einzigen hellen Freudenton und noch weniger Töne der Tiefe.“ Über die Aufführung liest man: „Ludwig Sievert hat an Bildern und Märchenpracht das denkbar Beste geleistet, Dr. Hagemann in der Regie keine Winzigkeit des Textes unbeachtet gelassen und dennoch in großen Linien gestaltet.“ Die Sänger werden nur kurz aufgezählt. Der Dirigent wird gar nicht genannt, dabei war es wohl Wilhelm Furtwängler, der seit 1915 Operndirektor in Mannheim war, bevor er 1919 Chefdirigent des Wiener Tonkünstler-Orchesters wurde. Dem Rezensenten war die Stimmung im Theater wichtiger: „Das Publikum stand wohl mehr im Banne der Märchenbilder, die immer der Fantasie Anregung geben, ließ aber auch durch die Handlung und die musikalische Illustration sich begeistern; nach den Aktschlüssen und besonders am Schluß gab es für die Beteiligten zahlreiche Hervorrufe, die sowohl von der Theaterfreudigkeit der Mannheimer wie von einem echten rechten Theatererfolg zeugten.“

Stuttgart 1919

Bereits unmittelbar nach der Uraufführung in Mannheim schloss die Hoftheaterintendanz im Dezember 1917 mit dem Drei-Masken-Verlag in Berlin einen Vertrag, um sich die Aufführungsrechte an „Schahrazade“ zu sichern. Nach dem Vertrag sollte die erste Aufführung spätestens bis zum 1. Januar 1919 erfolgen. Für das Aufführungsmaterial erhielt der Verlag 800 Mark. Für jede Aufführung war ein Anteil von 8 % der Einnahmen fällig. Allerdings verstrich die Zeit. Man darf nicht vergessen, dass man mitten im Ersten Weltkrieg war. 1918 wurde aus dem Königlichen Hoftheater das Württembergische Landestheater. 


Die Staatsoper Stuttgart, vormals Großes Haus des Königlichen Hoftheaters, dann des Württembergischen Landestheaters, dann des Württembergischen Staatstheaters
Foto: Klaus J. Loderer


Die Premiere fand dann am 8. Mai 1919 im Großen Haus statt. Die musikalische Leitung hatte ein damals noch nicht einmal dreißigjähriger Dirigent, der später Weltkarriere machen sollte. Fritz Busch (1890-1951) war nach Stellen in Riga, Bad Pyrmont, Gotha und Aachen von 1918 bis 1922 Generalmusikdirektor am Landestheater in Stuttgart. Von Stuttgart aus ging er an die Staatsoper Dresden, bis ihn 1933 die SA aus einer Opernvorstellung hinauspöbelte. In England leitete er das erste Glyndebourne Opera Festival. Es folgten Stationen in Buenos Aires, Stockholm, Kopenhagen, Edinburgh und Zürich. 1945 bis 1950 war er künstlerischer Leiter der Metropolitan Opera in New York. 


Der in Frankfurt geborene Schauspieler und Regisseur Dr. Franz Ludwig Hörth (1883-1934) inszenierte die Stuttgarter Aufführung. Nach Tätigkeit in Breslau war er 1917 bis 1920 Oberspielleiter der Stuttgarter Opernsparte. Zu seinen Inszenierungen gehörte die Uraufführung von Siegfried Wagners „An allem ist Hütchen Schuld“ und auch Richard Wagners Ring. Zahlreiche Inszenierungen machte er an der Berliner Staatsoper, so z.B. 1925 die Uraufführung von Alban Bergs Oper „Wozzeck“. Außerdem unterrichtete er an der Hochschule für Musik in Berlin und der Rundfunkversuchsstelle.

Rhoda von Glehn sang die Titelrolle 

Die Premierenbesetzung in Stuttgart war Rhoda von Glehn (Schahrazade), Felix Fleischer (Kalif Schahryar), Reinhold Fritz (Wesir Said-Fares), Else Betz (Dunyazade), Lu Jonghaus (Saad) und Emanuel Sarsky (Omar). Einer zeitgenössischen Aufführungskritik habe ich einige biographische Daten zu den Sängern vorangestellt.

 

Die in London geborene Sopranistin Rhoda von Glehn (1881-1964) hatte ihre Ausbildung in London und Paris. 1912 sang sie Woglinde in Covent Garden. Als Deutsche verließ sie mit Beginn des Ersten Weltkriegs England. Sie wurde 1914 Ensemblemitglied im königlichen Hoftheater Stuttgart. Sie sang in den Uraufführungen von „Mona Lisa“ und „An allem ist Hütchen Schuld“. In Stuttgart war sie bis 1933 im Ensemble, wo sie zum Ehrenmitglied ernannt wurde. Außerdem sang sie in Berlin, Frankfurt am Main, München und Zürich.

 

Der Baßbariton Felix Fleischer-Janczak (1886-1964) debütierte 1909 im Theater Bremen. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs war er in London. 1914 bis 1921 war er in Stuttgart. Am 30. Januar 1917 sang er dort in der Uraufführung von Zemlinskys „Eine Florentinische Tragödie“. 1921 bis 1927 war er in Leipzig, dann bis 1944 an der Berliner Staatsoper. Dort sang er 1935 in der Uraufführung von Eduard Künneckes „Die große Sünderin“. 

 

Die Sängerin und Gesangslehrerin Else Betz (1894-1960) wurde in Stuttgart geboren und studierte in Straßburg. 1916 kam sie mit einem Jahresvertrag an das kgl. Hoftheaters Stuttgart, der 1917 bis 1922 verlängert wurde. 1917 wurde ihr das Charlottenkreuz verliehen. Es folgten Engagements in München, Mannheim und Essen. Anschließend war sie Dozentin für Sprech- und Schauspielkunst an der Folkwangschule in Essen.

 

Lu Drebes geb. Jonghaus war von 1918 bis 1920 als Opernschülerin am Landestheater Stuttgart.

 

Reinhold Fritz (1884-1950) begann nach einer Ausbildung zum Goldschmied 1904 mit dem Gesangsstudium. 1908 kam er als Opernschüler an das Königliche Hoftheater und wurde 1909 ins Ensemble aufgenommen. 1913 erfolgte die Ernennung zum Kammersänger. Neben dem klassischen Repertoire wirkte er in zahlreichen Uraufführungen mit, darunter in „Prinzessin Brambilla“ und „Ulenspiegel“ von Walter Braunfels, „Mona Lisa“, „An allem ist Hütchen schuld“, „Die Kronenbraut“ von Ture Rangström und „Das Nusch-Nuschi“ von Paul Hindemith. Da er sich weigerte, sich von seiner jüdischen Frau scheiden zu lassen, wurde er 1933 in den Zwangsruhestand versetzt. Der Rauswurf aus der Reichstheaterkammer bedeutete ein Berufsverbot. Um die Familie zu ernähren, war er gezwungen in einer Kohlehandlung zu arbeiten. Trotzdem er Ehrenmitglied des Staatstheaters war, wurde er auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs nicht wieder in das Ensemble aufgenommen. Er bekam nur einen Gastvertrag für wenige Vorstellungen.

 

Der lyrische Tenor Emanuel Sarsky (1891-1944) kam 1918 von München an das Stuttgarter Hoftheater, wo er einen Vertrag bis 1921 erhielt. Er scheint als Emil Sarsky von Berlin nach Auschwitz deportiert worden zu sein.

Eine Premierenkritik

Der „Staats-Anzeiger für Württemberg“, der neben den amtlichen Veröffentlichungen regelmäßig Theater- und Konzertkritiken brachte, berichtete in der Ausgabe vom 12. Mai 1919 ausführlich über die neue Oper: „Im Württ. Landestheater brachte der Donnerstag Abend eine Opern-Neuheit. Bernh. Selkes’ Oper nach der Dichtung von Gerdt von Bassewitz über „Schahrazade“, die Märchenerzählerin von Tausend und eine Nacht, vor mehr als Jahresfrist in Mannheim und seither auf anderen Bühnen nicht ohne Erfolg gegeben, ist in der Tat einer Probe auf künstlerische Anziehungskraft wert. Empfiehlt sie schon der Erfolg des mit einigen Kürzungen der Oper zugrundeliegenden gleichnamigen Schauspiels, das aus der Märchenerzählerin am Hof des blutdürstigen Kalifen eine Märtyrerin für die Not der Frauenwelt des asiatischen Heidentums gemacht hat, so geschieht dies auch durch den Namen des Komponisten, der durch frische Erfindung in der Lieder- und Kammermusik sich bewährt und nun einem theaterwirksamen Werk ein musikalisches Gewand gegeben hat, das durch ausländische Klangreize und feinfühlige Stimmungen interessiert. In beiden, in der Wahl des fremdländischen National-Charakters dieser Musik und im Vorherrschen lyrischer Klänge, liegen die Vorzüge, aber auch die Schwächen der Oper.

Der dramatische Hergang versetzt in die geheimnisvolle Welt des fernen Orients mit ihren Märchen und auch ihren Greueln. Der mächtige Kalif der indischen Inselwelt hat aus Rache für die Untreue einer von ihm geliebten Gattin drei Jahre lang an Frauenopfern eines an das andre gereiht. Auch der Nächste am Thron, der Vesier, beugt sich dem Tyrannen, bis dessen eigener Sohn Omar, der als Führer der Leibwache an dem Raub der täglichen Opfer für des Kalifen Bett und Schwert beteiligt ist, für ein neues Opfer, die Tochter eines Emirs, durch gemeinsames Erleben zu jäher Liebe entflammt, sich einsetzt. Ein grelles Beispiel der blutrünstigen Scheußlichkeit des Tyrannen verfällt auch dieser edle und natürlich empfindende Jüngling mit der Jungfrau dem Todeslos. Freiwillig teilt er, wiewohl er ein Liebling des Kalifen ist, den Todesweg, indem er das Henkerwerk an der Geliebten und an sich selbst vollzieht. Dramatisch lebhaft bewegt schildert dies der erste Akt mit Vorgängen in des Kalifen Palast. Als ein liebliches Idyll erscheint im zweiten Akt das Treiben in des Vesiers Landhaus, wo der besorgte Vater mit zwei Töchtern, die er vor des Jungfrauenmörders Eingriffen verbergen möchte, im Schmerz um den weggerafften Bruder vereint ist. Wider Absicht erfahren die jungen Gemüter des Kalifen Schandtaten. Unerwartet blitzt aber im Empfinden der älteren Tochter Schahrazade das Urteil über des Kalifen Art auf, daß solch gräßlichem Wüten der Rachesucht des Tyrannen nur der Schmerz über den Verlust einer reichen tiefen Liebe habe Anlaß und Nahrung geben können. Wie sie der opfervollen Aufgabe sich unterzieht, durch freiwillige Hingabe an den aus Liebesnot zum Wüstling gewordenen Tyrannen dem verachteten Frauengeschlecht neue Anerkennung zu verschaffen und den Mörder zur seelischen Erneuerung zurückzuführen, das schildern zwei wirkungsvolle Bilder im dritten Aufzuge. Aus der Begegnung mit dem Kalifen in seinem Palast gewinnt sie Anrecht zur Gewährung einer Bitte, die sie vorbringen darf im sicheren Ausblick auf das auch ihr bevorstehende Todeslos. Sie bittet, von den Ihren Abschied nehmen zu dürfen. Unter dem Eindruck des lieblichen Familienbildes, das am Lager des schlummernden Kalifen im Zusammensein der kindlich frohen Schwestern mit ihrem Vater sich darbietet, schwindet aber auch die rohe Unnatur des Wüterichs. „Die Schwester soll Märchen erzählen“, dieser kindliche Wunsch des Schwesterchens Dunyazade verhiflt dem Kalifen aus seinem Wahn zum Interesse für eine lichte andere Welt. Schahrazade hat mit ihrem selbstlosen Wagnis sich als Heldin im Kampf mit der Unnatur und Scheußlichkeit bewährt. Sie bleibt vom Henkersbeil bewahrt. Die Märchenerzählerin wird zur Retterin aus der inneren Umnachtung des Kalifen zur Königin.

Für die dramatische Wirksamkeit des Stückes wäre durch einen glanzvollen äußerlichen Abschluß, etwa durch die öffentliche Anerkennung der selbstlosen Heldentat Schahrazades bei einem feierlichen letzten Auftritt im Palast des Kalifen, ohne Zweifel eine bedeutungsvolle Ergänzung geschaffen worden. Das letzte Bild im Schlafgemach des Kalifen bleibt nur feineren Gefühlen verständlich. Dieser Mangel an einem dramatischen wirksamen Höhepunkt wird dem Erfolg der Oper Abbruch tun. Dramatische Leblosigkeit beeinträchtigt auch den Eingang des Stücks und wiederholt sich im zweiten Akt in der Dichtung trotz ihres so knapp geschürzten Aufbaus und im Gegensatz zu den eindrucksvollen Worten des Textes, der feinempfunden die schnell vorüberziehenden Bilder genügend beleuchtet. Kein Wunder, daß die Not der geängsteten Frauenwelt im Kalifenreich nicht deutlich genug heraustritt und auch für die Seelenreinheit der Retterin und für ihre erlösende Tat das Verständnis ohne Kenntnis der Textworte nicht wohl möglich ist. In dieser Hinsicht wäre der Oper mit lebhafterer Farbengebung in der Orchesterschilderung eine bedeutsame Verbesserung der Gesamtwirkung möglich gewesen. Lyrische Anklänge überwiegen statt dramatisch wirksamer Klangkraft. Solche sind anmutig den Erzählungen des Kalifen, des Vesiers und den Worten Schahrazades aufgeprägt. Die Musik ist sonst treffsicher dem fremdländischen Charakter angepaßt, nicht bloß durch das Beiwerk einiger reizvollen Tanzweisen im zweiten Akt, die noch sinnlich leidenschaftlicher wirken dürften, sondern durch eine einheitlich zeichnende Tonsprache. Schade, daß von der Mitwirkung eines Chors abgesehen ist. Dem Versuche, durch Zwischenspiele die Stimmung zu heben und die Handlung verständlicher zu machen, verdankt die Oper recht hübsche musikalische Einlagen, die das Orchester zur Geltung kommen lassen. Die Kunst, zu fesseln durch kräftigere Mittel reicherer Abwechslung, hat der Tondichter zu früh außer Aug gelassen. Der erste Akt steht hierin noch bedeutsam voran; im dritten Akt verflachen sich die Orchesterbilder zusehends.

Für die Aufführung hat Fritz Buschs Leitung den entsprechenden Ton gefunden: Fein erfühlte Einzelausmalung, aber zu temperamentvoller Gesamtgestaltung fehlte der belebende Antrieb. Im zweiten Akt gerät die Musik in dramatische Hilflosigkeit und gleichmäßiges Tändeln. Von den Sängern hatte Rhoda v. Glehn mit der Titelrolle die dankbarste Aufgabe, die sie mit Schwung und feinerfühlter, fast klassischer Sicherheit und Schönheit löste. Felix Fleischer zeigte im Kalifen Würde und Wärme der Charakterisierung, die ihm mit wachsendem Erfolg gelang. Die würdige Greisengestalt des Vesiers war durch R. Fritz so gut vertreten, als es die knappe Zeichnung zuläßt. Anmutig wirkte Frl. Betz durch die naiv liebenswürdige Gestaltung der Dunyazade. Das Liebespaar, dessen Opfertod im ersten Akt vorüberzieht, wurde von Frl. Lu Jonghaus und Herrn Sarsky gesanglich und darstellerisch gut wiedergegeben. Daß in der Inszenierung durch Franz Ludwig Hörth der Oper mit eindrucksvollen Licht- und Farbenwirkungen ein farbenüppiger festlicher Rahmen gegeben wurde, erhöhte die reizvollen Szenen des Stücks. Der Beifall war nicht so reichlich, wie das an duftiger musikalischer Kleinarbeit so reiche Werk verdiente.“ 

 

Soweit die Kritik zur Stuttgarter Aufführung 1919. Weitere Aufführungen der Oper „Schahrazade“ gab es in  Aachen, Berlin, Düsseldorf, Duisburg, Frankfurt, Lübeck, München und Wiesbaden. In Frankfurt sang Else Genther-Fischer die Titelrolle. Über die Aufführungen in Hamburg schrieb Bertha Witt in der Neuen Zeitschrift für Musik (86. Jahrgang Nr. 11/12 vom 20. März 1919, S. 86): „Die Musik verzichtet übrigens so vollständig auf die Melodie, daß einige melodisch zusammenhängende Takte geradezu auffallen, und doch kann man ihr einen gewissen eigenartigen Reiz nicht absprechen. Hält sich die Oper, so wäre das ein Beweis, daß wir das eigentlich Musikalische der Oper, selbst die Wagner-Oper, überwunden und das Gesetz der Moderne, die rückgratlose, die Musik ohne Form begriffen und anerkannt haben. Über die Sängerin der Titelrolle liest man: „Möglich, daß die hier zu verzeichnen gewesenen tiefern Eindrücke, die sich allerdings erst nach Verlauf des rigolettohaft grauenvollen, aufregenden ersten Aktes einstellten, mit in erster Linie der ganz ausgezeichneten, stimmlich prachtvoll disponierten Vera Schwarz als Schahrazade hauptsächlich zuzuschreiben sind. Diese fesselnd gezeichnete Figur muß jedenfalls das Ganze beherrschen, wenn man sich ihr mit solcher Vertiefung nähert, wie Vera Schwarz das tat.


Die Kompositionen von Bernhard Sekles waren damals fest in den Programmen der Orchester verankert. In Veranstaltungen zur zeitgenössischen Musik fehlte sein Name nicht. Ein Beispiel ist das erste moderne Musikfest in Dresden 1917, bei dem Sekles’ Orchestersuite „Der Zwerg und die Infantin“ gespielt wurde. Mit der Diffamierung von Sekles’ Musik als „entartet“ im Dritten Reich, verschwanden auch seine Werke aus den Konzertsälen. Nach 1945 waren sie vergessen. „Schahrazade“ wurde erst nach fast hundert Jahren wiederbelebt. Das Opernhaus Halle nahm „Schahrazade“ in der Spielzeit 2013/2014 ins Programm. Die Premiere war am 30. November 2013 in einer Inszenierung von Axel Köhler unter der musikalischen Leitung von Josep Caballé Domenech.



Weitere Texte zur Stuttgarter Theatergeschichte:


Die Opernsängerin Hedy Iracema-Brügelmann


Das Alte Schauspielhaus in Stuttgart


Opernsängerinnen in Stuttgart um 1910


Apollotheater, Residenztheater, Deutsches Theater


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Geplante Ersatzspielstätte für die Oper Stuttgart


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