Ersatzspielstätte der Oper Stuttgart im ehemaligen Paketpostamt geplant

Oper im Niemandsland – zwischen Rosensteinpark und Bahngleisen 

– Während des Umbaus des Opernhauses in Stuttgart sollen Oper und Ballett in einer Ersatzspielstätte im ehemaligen Paketpostamt auftreten – 

von Klaus J. Loderer 

Nachdem in der Nacht vom 19. auf den 20. Januar 1902 das alte königliche Hoftheater am Schlossplatz in Stuttgart abgebrannt war, machte man sich zügig an den Bau eines Interimstheaters, das im Oktober 1902 spielfertig war. Mit dem Bau des neuen Hoftheaters ließ man sich dann Zeit. Es wurde 1912 eröffnet. Das Interimstheater wurde anschließend abgerissen. Hätte man es erhalten, stünde jetzt vielleicht ein Theater zur Verfügung, das der Oper während des Umbaus des Großen Hauses, wie das Opernhaus von den Stuttgartern genannt wird, als Ausweichquartier dienen könnte.

In einem dreiviertel Jahr errichtete man damals eine Ausweichspielstätte. Jetzt benötigt man wieder ein Interimstheater. Allerdings drohen sich Planung und Einrichtung dieser Ersatzspielstätte fast so lang hinzuziehen wie damals der Bau der neuen Hoftheater. Damals bestand ein dringender Anlass. Heute muss die Theaterleitung erst einmal die Politik überzeugen, dass überhaupt eine Sanierung notwendig ist.

Die letzte größere Renovierung des Opernhauses war die groß angelegte Rückführung des Zuschauerraums und des Publikumsbereichs in den Originalzustand samt dem Bau eines Barpavillons in den 1980er Jahren. Seither wurden nur kleinere Maßnahmen durchgeführt. Nun steht eine große Sanierung an. Der Wettbewerb für die Sanierung soll Mitte 2020 stattfinden, eigentlicher Baubeginn soll 2023 sein. Fünf Jahre sind für die Sanierung veranschlagt, die 400 Millionen Euro kosten soll.

Aber wohin mit der Oper in dieser Zeit? Diese Fragestellung zog sich über einige Jahre hin. Die Diskussionen führten lange Zeit nicht wirklich zu einem Ergebnis. Als 2015 die Idee eines Ersatzstandorts im Schlossgarten bekannt wurde, protestierte schon im Sommer 2015 der BUND dagegen. Der Verwaltungsrat der Staatstheater ließ nach seiner Sitzung vom 14. November 2016 folgende Standorte prüfen: Paketpostamt, Schillerstraße Ecke Gebhard-Müller-Platz, Gelände zwischen Innenministerium und Planetarium, Gelände neben dem Mercedes-Benz-Museum. Doch im Sommer 2017 rückte dann wieder der zu überbauende Eckensee im Schlossgarten in den Vordergrund: die Mehrheit des Gemeinderats empfahl diesen Standort zu prüfen. Allerdings gab es dann schließlich starke ökologische und auch ästhetische Bedenken dagegen. Auch die Untere Denkmalbehörde fand den Standort nicht akzeptabel – im Gegensatz übrigens zur geplanten Veränderung der Seitenfassade des Großen Hauses. Eine Ortsbesichtigung der möglichen Standorte fiel dann zusammen mit dem Bekanntwerden von Master-Studiengang-Entwürfen für den Schlossgarten, die Prof. Peter Cheret an der Architektur-Fakultät der Universität Stuttgart betreut hatte – worüber sich die Spitzen von Stadt und Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst nicht so erfreut zeigten. Außerdem trat noch der Architekt und Architekturprofessor an der Universität Stuttgart, Arno Lederer, in die Diskussion ein. Er schlug vor, gar keine teure provisorische Zwischenspielstätte zu bauen sondern gleich ein dauerhaft zu bespielendes drittes Haus der Staatstheater an der Stelle des jetzigen Katharinenstifts.

Die baden-württembergische Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst Theresia Bauer (Grüne) und der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) gaben am 27. November 2017 bekannt, dass sich der Verwaltungsrat der Staatstheater Stuttgart auf das ehemalige Paketpostamt als Standort der Ersatzspielstätte für Oper und Ballett während des Umbaus des Opernhauses geeinigt habe. Nun sollen Bedarfsprüfungen und Kostenschätzungen folgen. Baubeginn soll 2021 sein. In dieses Jahr hätte nach den Wünschen des Theaters eigentlich schon der Bezug fallen sollen. Nun steuert man 2023 für den Umzug ins Ausweichquartier und 2028 für den Rückzug ins Große Haus an.

Das Paketpostamt sollte eigentlich abgerissen werden und einer Parkerweiterung Platz machen als Ersatz für den Grünflächenverlust durch den Bau des Tiefbahnhofs. Jetzt wird erst einmal nichts aus der neuen Grünfläche, denn das Paketpostamt war der von Ministerin Theresia Bauer favorisierte Standort: „Das ehemalige Paketpostamt in der Ehmannstraße hat Charme und das Zeug für eine faszinierende und urbane Interimsspielstätte für Oper und Ballett.“ Die Pressemitteilung vom 15. November 2017 weiter: „Nach gründlicher Prüfung und Abwägung der Standortalternativen sind Land und Intendanz sich einig, dass das ehemalige Paketpostamt die beste Lösung darstellt. Neben künstlerischen Aspekten wurden dabei Erreichbarkeit und Akzeptanz für das Publikum wie auch Fragen der Ressourceneffizienz und der baulichen und zeitlichen Erfordernisse der Generalsanierung geprüft.“ Es ist interessant, was für ein Gebäude die Ministerin charmant findet.

Was die Erreichbarkeit angeht, wird die Ministerin das ehemalige Paketpostamt als sehr zentral empfinden. Sie wird sich leicht in ihrem Dienstwagen zur Premiere chauffieren lassen können. Aus der Dienstwagenperspektive, womöglich mit die Straße freimachender Polizeibegleitung, ist die Lage zentral in der Landeshauptstadt. Ansonsten wird man diese Lage als Niemandsland hinter dem Hauptbahnhof betrachten.

Aber wie kommen die normalen Operngäste zum ehemaligen Paketpostamt? Ich musste erst einmal zum Stadtplan greifen, um zu schauen, wo das eigentlich ist. Dann fiel mir auf, dass ich fast täglich untendrunter durchfahre und dass man vom ICE darauf schauen kann. Verlässt man den Stuttgarter Hauptbahnhof Richtung Mannheim, kann man den Komplex rechterhand sehen zwischen den Instandhaltungshallen und den Abstellgleisen der Bahn und dem Rosensteinpark. Eigentlich steht das Gebäude genau der Eingangsfassade von Schloss Rosenstein gegenüber. Das ist charmant für das Paketpostamt und wenig charmant für das klassizistische Schloss. Das Gebäude liegt genau zwischen dem Rosensteinpark und den Bahngleisen.

Dort soll die Stuttgarter Oper spielen: im ehemaligen Paketpostamt (das orange Gebäude hinten)
zwischen Gleisen und Rosensteinpark
Foto: Klaus J. Loderer

Die Südwestpresse beschreibt begeistert: „Das seinen Eckensee liebende Stuttgarter Opernpublikum könnte sich heimisch fühlen im alten Paketpostamt am Ende der Ehmannstraße: ein paar Stationen nur vom Hauptbahnhof aus mit der Stadtbahn zur Haltestelle Mineralbäder, dann gut 300 Meter hoch durch den Park und noch die Eisenbahnstrecke auf einer Fußgängerbrücke überquert.“ Das kann man sich zu einer sommerlichen Sonntagnachmittagsvorstellung schon so vorstellen. Aber Oper fängt eben meistens erst um 19.30 Uhr an und da ist es häufig schon dunkel. Und sie hört nach 22 Uhr auf, und um diese Zeit zählen die Ausläufer des Stuttgarter Schlossgartens nicht zu den Orten, durch die man nächtens flaniert. Da wird man kaum durch den dunklen Park zu einer einsam gelegenen U-Bahnhaltestelle gehen.

Aber wie kommen die Opernbesucher dann hin? Für die Autofahrer wird des da schon Parkmöglichkeiten geben. Es wird sich eben nach der Vorstellung eine unendliche Autokolonne durch die Ehmannstraße zur Nordbahnhofstraße quälen. Bei 1400 Sitzplätzen dürfte mit 700 Autos zu rechnen sein, die dann über ein Sträßchen in die Welt müssen. Ach so. Man soll ja in Stuttgart manchmal nicht Auto fahren. Stuttgart hat ja so ein gravierendes Feinstaubproblem.

Wie kommt man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln hin? Gar nicht. Ganz einfach. Die Stadtbahnhaltestellen Mineralbäder und Wilhelma sind zwar nicht weg weit – aber durch den Park unerreichbar. Die Stadtbahnhaltestelle Nordbahnhof ist 1,2 km entfernt, ebenso wie die S-Bahnhaltestelle Nordbahnhof.

Vielleicht kommt die SSB ja auf die Idee, eine Buslinie einzurichten. Das kennt man von anderen Ersatzspielstätten in irgendwelchen Gewerbegebieten. Und das hat nirgendwo richtig funktioniert. Wie oft hat man es da erlebt, dass ein völlig leerer Bus den aus dem Theater strömenden Gästen vor der Nase wegfuhr und der 15 Minuten später auftauchende Bus die Gäste nicht alle aufnehmen konnte, die dann nochmals 15 Minuten warten mussten.

Da das Gebäude Eisenbahnanschluss hat, könnte man ja nach der Vorstellung einen Sonderzug zum Hauptbahnhof fahren lassen. Das wäre doch mal eine metropolitane Lösung, die sogar nach dem Geschmack grüner Politiker sein sollte. Da sich die Fertigstellung von Stuttgart 21 sicher noch weiter verzögern wird, wäre das noch eine Möglichkeit. Denn ich fürchte ansonsten wird dieses Ersatztheater nur mit dem Auto erreichbar sein.


Land und Stadt uneinig über Ersatzspielstätte

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