Kinogeschichte: Das Metropol in Stuttgart schließt

Wo einst Marika Rökk tanzte und Kalanag zauberte 

– Bahnhof und dann Kinopalast: das traditionsreiche Metropol in Stuttgart schließt – 

von Klaus J. Loderer 


Die Stuttgarter Bolzstraße, wie der untere Teil der Schlossstraße heute nach dem 1945 hingerichteten früheren württembergischen Staatspräsidenten Eugen Bolz heute heißt, besteht nur aus wenigen Gebäuden. An der nördlichen Seite sind es das ehemalige Hotel Marquardt, ein schlichtes Sandsteingebäude und ein großes Kino. Dass das Metropol-Kino zum Jahresende schließt, hat gerade die Stuttgarter aufgeschreckt. Die Familie Mertz als Kinobetreiber und der Eigentümer Union Investment konnten sich, wie man hört, nicht über einen neuen Pachtvertrag einigen. Damit droht diesem traditionsreichen Kino, das wegen der Veranstaltungsverbote gerade sowieso geschlossen ist, das Ende. Immerhin handelt es sich um das älteste Stuttgarter Filmtheater. 


Es ist dunkel im Metropol in Stuttgart

Foto: Klaus J. Loderer


Stuttgarts erster Bahnhof

Zur bewegten Geschichte des Metropol-Kinos gehört auch, dass Teile des Gebäude von einem interessanten Vorgängerbau stammen. Die drei großen Bögen an der Fassade erinnern daran, dass sich hier einstmals der Bahnhof von Stuttgart befand. Beim rechts anschließenden Gebäude, in dem ein großer Bogen in die Stephanstraße führt, handelt es sich gar um das Empfangsgebäude des 1844-1846 erbauten ersten Stuttgarter Bahnhofs. Die Züge hielten in einer Halle dahinter. Es ist heute kaum mehr vorstellbar, dass hier zu dieser Zeit schon das Ende Stadt war. Der heute den Schlossplatz auf einer Seite begrenzende Königsbau war damals noch im Bau.


Der schon bald zu kleine Bahnhof wurde 1864-1867 erweitert. Eine zweite Gleishalle entstand. Von der Straße aus war der Komplex als Bahnhof nicht zu erkennen. Die Gleisanlagen waren verdeckt von den Gebäuden entlang der Straße. Zum Erweiterungsbau gehörte auch eine repräsentative Eingangshalle. Der Architekt Georg von Morlok entwarf dazu eine Fassade im damals modernen Neorenaissance-Stil mit fünf großen Bogenöffnungen. Gegenüber entstand in einem ehemaligen Kasernengelände die Hauptpost. Mehrere elegante Hotels gab es in der Umgebung ebenso wie Kaffeehäuser und das Theater im Friedrichsbau.


Der Stuttgarter Bahnhof nach 1867: Von den fünf Bögen in der Mitte sind drei erhalten


Auch dieser Bahnhof konnte schon nach wenigen Jahren das gestiegene Verkehrsaufkommen nicht mehr aufnehmen. Im frühen 20. Jahrhundert wurden die Planungen für den neuen Hauptbahnhof konkret. Wie sehr die Stuttgarter die Eingangshalle des alten Bahnhofs mochten, zeigt die Besprechung der Entwürfe zum Wettbewerb des neuen Hauptbahnhofs, die am 23. Juni 1911 im Neuen Tagblatt erschien. Als Illustration ist nicht etwa der Siegerentwurf von Paul Bonatz abgebildet. Vielmehr ist dem Text ein Grundriss, in dem man erkennt, dass die Säulenhalle des alten Bahnhofs als Nordeingang an das Ende der Kopfbahnsteighalle des neuen Hauptbahnhofs versetzt werden soll. Wohlgemerkt: dazu hätte die Halle abgebaut und am neuen Standort aufgebaut werden müssen. Autor F. Schuster war ein ausgesprochener Verfechter dieser Idee: „Dem Entwurf ist auch noch eine Variante beigefügt, welche die hier schon ausgesprochenen Bedenken der Wiederverwendung der seitherigen Bahnhofvorhalle ebenfalls verwertet und an der zu sehen ist, daß derselbe ohne Zwang und Störung des neuen Baus durchführbar wäre.“ Felix Schuster war nicht nur Professor an der Baugewerkschule in Stuttgart sondern auch Gründungsmitglied des Bunds für Heimatschutz. Die Idee einer Umsetzung der Halle geschah wohl in Zusammenarbeit mit einem anderen Mitglied des Bunds für Heimatschutz, dem in der Generaldirektion der württembergischen Staatseisenbahnen tätigen Baurat Martin Mayer.


Auch ein Verbleib der Säulenhalle hätte in Verbindung mit der anschließenden Passage eine reizvolle Verbindung zum neuen Hauptbahnhof geschaffen. Diese geschah dann letztlich durch die neu angelegte Lautenschlagerstraße und die Stephanstraße mit der Verlängerung durch den Hindenburgbau zum Schillerplatz.


Ab 1922 fuhren die Züge vom neuen Hauptbahnhof. Im alten Bahnhof fand 1924 eine Bauausstellung statt, dann wurde der Bahnhofskomplex größtenteils abgerissen. Vom ersten Bahnhof blieb immerhin das Empfangsgebäude erhalten mit stark verändertem Erdgeschoss. Drei Bögen der Eingangshalle und sechs Säulen wurden in die Fassade des 1925-1926 von der Industriehof-AG errichteten Geschäfts- und Lichtspielhauses integriert. Als Architekten waren Richard Bielenberg und Josef Moser in Berlin und Hans Paul Schmohl, Georg Staehelin und Alber Eitel in Stuttgart beteiligt. Die Festschrift zur Eröffnung hebt das besonders hervor: „Für die Verwendung der alten Bahnhofsfassade war im besonderen die Erwägung leitend, das schöne im Neorenaissancestil um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts errichtete Wahrzeichen der Entwicklung Stuttgarts und des Württembergischen Staatseisenbahnwesens der Nachwelt zu erhalten. Generationen gingen hier aus und ein, und gleich beliebt war der Platz – unter der Uhr!“ 

Ufa-Palast

Der neue Ufa-Palast war damals das größte Kino Stuttgarts und soll sogar das größte Filmtheater Süddeutschlands gewesen sein. 1929 eröffnete die 1917 gegründete Universum Film AG in Hamburg sogar Europas größtes Kino. 1300 Sitzplätze besaß der Saal des Stuttgarter Ufa-Palasts. Hinter dem Parkett befanden sich zehn geschlossene Logen. U-förmig umgaben Logen im Rang den Saal, dahinter stieg steil der Balkon an. Zur Theateratmosphäre trugen die beiden flachen Kuppeln in der Decke bei. Der Bühne war ein Orchestergraben vorgelagert. Das war wichtig, denn es gab noch keine Tonfilme. Die Filme wurden von Orchestermusik begleitet oder von der Kino-Orgel. Diese war eine Oskalyd-Orgel der Firma Walcker in Ludwigsburg. Die Fassade war damals lebhafter als heute. Und sie hatte als Besonderheit elektrische Leuchtwerbung. Die Schwäbische Chronik schwärmte: „Aus der schönen Eingangshalle und den hohen Fenstern des Treppenaufgangs flutet festlich das weiße Licht, die Portale säumt eine neuartige Lichtröhre. […] Weiterhin leuchten an der Hauptfront die Ufazeichen in rot und blau.“ Die noch vorhandenen großzügigen Treppen führten schon damals zum Parkett in den ersten Stock. Der Ufa-Palast besaß sogar ein großzügiges Foyer an der linken Seite des Parketts. Am 9. Februar 1926 war die festliche Eröffnung. Der Ufa-Palast blieb aber nicht lange das größte Kino Stuttgarts. 1930 wurde in der Königstraße das Universum eröffnet, das 1970 dem neuen Kaufhof weichen musste.


Ufa-Palast Stuttgart, Zuschauerraum 1926

Kino und Varieté

Der Ufa-Palast wurde im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt. 1948-1949 wurde das Kino wiederaufbaut. Die Finanzierung erfolgte durch die Industriehof-AG und die Metropol-Palast-Betriebs GmbH, hinter der sich Martha und Philipp Metzler verbargen. Der Cannstatter Architekt Wilhelm F. Schuh veränderte den Zuschauerraum insofern, als er die Bühne vergrößerte, denn der 1. August 1949 wiedereröffnete Metropol-Palast sollte auch als Varieté-Bühne dienen. Da die Konzertsäle in Königsbau und Liederhalle durch die Kriegszerstörungen nicht mehr nutzbar waren, fanden sogar klassische Konzerte statt, etwa der Stuttgarter Philharmoniker und der Wiener Symphoniker. Marika Rökk feierte Erfolge. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich aber die Aufritte des überaus populären Zauberers Kalanag (eigentlich Helmut Schreiber), dessen Tricks zum Teil bis heute unaufgelöst sind. 36 Vorstellungen vor ausverkauftem Haus gab er 1958. 1960 übernahm ein neuer Betreiber das Kino und ließ es umbauen. Dabei wurde in die Palast-Lichtspiele, wie das Kino ab nun hieß, eine größere Leinwand eingebaut. 1971 wurde der Rang als separater Kinosaal abgetrennt (später Kino 4), 1975 das Foyer im zweiten Stock als Kino 3 umgebaut und 1980 unter dem Rang das Kino 5 eingebaut.


Das Metropol in Stuttgart nach dem Zweiten Weltkrieg


Abriss drohte

1979 erfolgte die Unterschutzstellung als Kulturdenkmal. Das hinderte die Technischen Werke Stuttgart (TWS, heute Neckarwerke Stuttgart), seit 1981 Eigentümer, nicht daran, über einen Totalumbau und sogar Abriss nachzudenken, um ihre benachbarten Büros zu erweitern. Das hätte die Zerstörung des Kinos bedeutet. An der historischen Bausubstanz hatten die TWS kein Interesse. Allerdings kamen in der Stadt zwei Ideen auf für eine künftige Nutzung: als Ganzjahresspielstätte für das bisher im Sommer auf dem Killesberg spielende Varieté oder als Theater für eines der gerade so populär werdenden Musicals. Im Juni 1988 kündigten die TWS den Abbruch an. Die Nutzung als Musicaltheater zerschlug sich mit der Theaterplanung auf den Fildern wieder. Für eine Nutzung als Varieté scheute die Stadt die Kosten. Einen Kauf durch die Stadt lehnte Oberbürgermeister Manfred Rommel deshalb ab. Im Juni 1989 beschwichtigten die TWS die Öffentlichkeit, dass nur ein Teilabbruch geplant sei und die Fassade erhalten werden soll. Der „Verein zur Förderung und Erhaltung historischer Bauten“ unter seinem rührigen Vorsitzenden Frank Schweizer setzte sich die Erhaltung ein und veröffentlichte die Geschichte des Gebäudes in einer Broschüre. Damit sollte auch die Idee unterstützt werden, den großen Saal auch wieder als Varieté zu nutzen. Doch immer noch hielten die TWS an einer kompletten Entkernung des Gebäudes und anschließende Büronutzung fest. Die Stadt agierte äußerst zögerlich. Im Sommer 1990 wurde ein Vorschlag mit einer stark veränderten Fassade publik. Beharrlich mobilisierte der Verein die Öffentlichkeit. Im Oktober 1990 besichtigte der Bezirksbeirat Mitte das Gebäude und liebäugelte nun mit einer kulturellen Nutzung, wofür er ein Gutachten in Auftrag gab. Die TWS trieben ihre Planung weiter und reichten im Dezember 1990 ein Baugesuch ein. Umgesetzt werden sollte das Projekt erst nach der IGA 1993, um eine Großbaustelle während der Internationalen Gartenbauausstellung zu vermeiden. Das Landesdenkmalamt lehnte die Planung umgehend ab, da es inzwischen eine Erhaltung auch des Kinosaals anstrebte. Gesichert war der Erhalt damit aber noch nicht. Im Juni mahnte der TWS-Vorstandchef eine Grundsatzentscheidung der Stadt an. Die Einsicht, dass man sich mit der Erhaltung eines historischen Gebäudes positiv profilieren könnte, hatte man bei der TWS übrigens nie. Allerdings sondierte man inzwischen einen Verkauf. Der Denkmalschutz erwies sich allerdings als hinderlich einen Käufer zu finden, der den von der TWS erwarteten Preis zu zahlen bereit war. Im Januar 1993 war der Abbruch dann endlich abgewendet. Regierungspräsident Udo Andriof erklärte, einen Abbruch nicht zu genehmigen. Dann blitzte kurz die Idee einer Spielbank auf. 1994 hatten sich die TWS damit abgefunden, das Gebäude zu erhalten und dachten nun über neue Nutzungskonzepte nach. Eine gastronomische Nutzung im großen Saal zerschlug sich schnell wieder. So ging man an eine Neukonzeption des Kinos mit gastronomischer Nutzung im Erdgeschoss. Der Abbruch war nun endgültig abgewandt. Für die Renovierung veranschlagten die Neckarwerke Stuttgart (NWS) – wie die TWS seit 1997 hießen – 20 Millionen Mark Baukosten veranschlagt. Bei der Renovierung kamen dann allerdings auch technische Probleme zu Tage. Eine Ersatzkonstruktion für eine nicht tragfähige Decke sorgte 1998 für Mehrkosten von einer Million Mark. Die für Ende 1998 geplante Wiedereröffnung musste so auf 1999 verschoben werden. Die Baukosten kamen dann schließlich auf 25 Millionen Mark. Den Betrieb der Kinos übernahmen die EM-Filmtheaterbetriebe Mertz, ein Familienunternehmen, das inzwischen in dritter Generation neben dem Metropol auch EM, Gloria und Cinema betreibt und Eigentümer des benachbarten Marquardt-Baus sind. Dessen Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg ist dem Firmengründer, dem Architekten Eugen Mertz zu verdanken.


Bei der Renovierung des Metropol-Kinos kamen viele historische Details ans Licht, die konserviert wurden. Als Festival- und Premierenkino erhielt das Metropol neuen Glanz. Das Programm mit verschiedenen Filmfestivals unterscheidet sich von den anderen Kinos der Stadt. Regelmäßig fanden von nun an Erstaufführungen von Filmen statt. Die NWS verkaufte das Gebäude schließlich an Union Investment (Union Asset Management Holding AG), die Investmentgesellschaft der DZ Bank.

Keine Verlängerung des Pachtvertrags

Am 3. November 2020 teilten die EM-Filmtheaterbetriebe Mertz, mit, dass das Metropol zum 31. Dezember 2020 geschlossen werde. Neben den zweimaligen behördlich angeordneten Schließzeiten in diesem Jahr sind vor allem die sinkenden Besucherzahlen verantwortlich. Über eine Verminderung der Pacht konnte man sich mit dem Eigentümer wohl nicht einigen. So wird der Pachtvertrag zum Jahresende auslaufen.


Droht dem Metropol so nach fast hundert Jahren das Ende? Das wäre eine Katastrophe für Stuttgart. Als das Kino das letzte Mal gefährdet war, schrieb Judith Breuer 1990 hoffnungsvoll und vielleicht trotzig in der Zeitschrift Denkmalpflege in Baden-Württemberg: „Noch ist über das Schicksal dieses beachtlichen Baudenkmals nicht endgültig entschieden.“ Für den Saal sollte eine Lösung gefunden werden. Immerhin handelt es sich nicht nur um Stuttgarts ältestes Kinogebäude, das Metropol ist der einzige erhaltene – wenn auch veränderte – Saal Stuttgarts aus den 1920er-Jahren.



Texte zu weiteren Theatern in Stuttgart:

Apollotheater, Residenztheater, Deutsches Theater

Friedrichsbautheater in Stuttgart

Altes Schauspielhaus in Stuttgart

 


 


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