Theatergeschichte: Der 17. November 1922 in Berlin
Operetten von Jacques Offenbach, Leo Fall, Jean Gilbert und Maurice Yvain
– Vor 100 Jahren in den Theatern der Reichshauptstadt –
von Klaus J. Loderer
Im Laufe des Jahres 1922 stiegen die Preise weiter an. Seit dem Ersten Weltkrieg kämpfte das Land mit einer hohen Inflation. Am 14. November 1922 trat Reichskanzler Wirth zurück. Joseph Wirth, der wie sein Vorgänger Constantin Fehrenbach der katholisch geprägten Zentrumspartei angehörte, war im Mai 1921 von Reichspräsident Ebert zum sechsten Reichskanzler seit Gründung der Republik ernannt worden. Im Oktober 1921 trat er aus Protest gegen die Zuschlagung Oberschlesiens zu Polen, die ohne Rücksicht auf die Volksabstimmung erfolgte, zurück, wurde aber wenige Tage später vom Reichspräsidenten wieder mit der Regierungsbildung beauftragt. Der Sommer 1922 war nach der Ermordung des Außenministers Rathenau politisch aufgeladen. Am 22. November 1922 trat Wilhelm Cuno sein Amt als neuer Reichskanzler an.
Ein breit gefächertes Theaterangebot unterhielt die Bewohner der Reichshauptstadt Berlin. Mit dem Groß-Berlin-Gesetz hatte sich 1920 die Fläche Berlins stark vergrößert. So wurden damals Städte wie z.B. Charlottenburg, Schöneberg, Spandau, Neukölln und Wilmersdorf eingemeindet. Dadurch besaß Berlin nun mehrere Opernhäuser. Ende November 1922 kam es nach einem Streik der Berliner Hochbahn zu einem großen Schauspielerstreik.
Schauen wir uns einmal das Theaterangebot am 17. November 1922 – also vor genau hundert Jahren – an. Dieser Tag war ein Freitag. Das Opernhaus der Staatstheater (heute Staatsoper unter den Linden) spielte Smetanas „Die verkaufte Braut“. Im Deutschen Opernhaus in Charlottenburg lief Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“. Das Theater des Westens, das übrigens als privates Opernhaus gegründet wurde, hatte Donizettis „Don Pasquale“ auf dem Programm.
Auf den Schauspielbühnen
Das Schauspielhaus am Gendarmentheater, ein Gebäude, das trotz des historischen Scheins ganz unhistorisch als Konzerthaus wiederaufgebaut wurde, spielte das Molière-Stück „George Dandin“. Im Deutschen Theater liefen Ibsens „Gespenster“. Star des Abends war Alexander Moissi. Der 1879 in Triest geborene Schauspieler war Anfang der 1920er-Jahre ein international gefeierter Schauspieler. 1920 war er in Salzburg der erste Jedermann. Am Folgetag trat er in Shakespearrs „König Richard II.“ auf. In den Kammerspielen lief Scribes „Das Glas Wasser“. In Theater in der Königgrätzer Straße lief „Die wunderbare Geschichte des Kapellmeisters Kreisler“, im ebenfalls von den Meinhard-Bernauer-Bühnen bespielten Komödienhaus „Die Erwachsenen“. In der Volksbühne wurde „Der Verschender“ gespielt. Im Trianon-Theater spielte die durch zahlreiche Stummfilme bekannte Erika Glässner in „Lissi, die Kokotte“. Der Besuch dieser Vorstellung setzte ein Mindestalter von 18 Jahren voraus. Im Kleinen Theater spielten Irene Triesch (die Ehefrau des Pianisten Frederic Lamond) und Olga Limburg (eine damals bekannte Filmschauspielerin, die 1953 in der Verfilmung der Operette „Der Vetter aus Dingsda“ mitspielte) in Georg Hirschfelds Schauspiel „Agnes Jordan“. Das Schillertheater spielte „Rosenmontag“. Im Central-Theater fand die Erstaufführung von „Die Zeit wird kommen“ statt. Im Lessing-Theater wurde „Der Biberpelz“ gegeben. Im Deutschen Künstler-Theater trat Käthe Dorsch in „Liebelei“ auf. Das Lustspieltheater spielte am 17. November nicht, da es fü den folgenden Tag die Premiere „Der Mustergatte“ mit Max Adalbert und Dagny Servaes vorbereitete. Das Theater am Kurfürstendamm spielte „Liliom“. Im Renaissance-Theater fand ein Strindbergabend statt mit „Das Band“, „Vor dem Tode“ und „Erste Warnung“. Ida Wüst und Hans Marr waren auf der Bühne zu erleben.
Anzeige im Berliner Tageblatt vom 17. November 1922 |
Berlin als Operettenstadt
Doch nun zu den Operetten. Berlin besaß ein reichhaltiges Operettenangebot. Gleich mehrere Theater spielten Operetten. Diese erfreuten sich als Kassenfüller großer Beliebtheit. Im Großen Schauspielhaus lief am 17. November 1922 ein bis heute beliebter Operettenklassiker: „Orpheus in der Unterwelt“. Jacques Offenbachs Operette lief dort in einer Inszenierung Max Reinhardts mit großem Erfolg. Die Produktion erwies sich nach der Premiere am 31. Dezember 1921 so erfolgreich, dass sie nicht nur wie geplant bis zum 15. Januar 1922 gespielt, sondern schon bald auf den 31. Januar 1922 verlängert wurde. Nur unterbrochen von einem Ballettgastspiel Anfang Februar lief die Produktion dann weiter. Den Endpunkt der Serie setzte schließlich der große Theaterstreik Ende November 1922. Das 1988 abgerissene Große Schauspielhaus – das Gebäude war ursprünglich als Markthalle erbaut und dann als Zirkus genutzt worden – war 1919 eröffnet worden.
Das Berliner Theater (ein nicht erhaltenes Theater in der Charlottenstraße), damals von den Meinhard-Bernauer-Bühnen bespielt, hatte eine neue Operette auf dem Programm. Leo Falls neue Operette „Madame Pompadour“ lief seit der Uraufführung am 9. September 1922. In der Hauptrolle war Fritzy Massary zu sehen.
Das Theater am Nollendorfplatz spielte die Operette „Dein Mund“. Es handlt sich um die französische Operette „Ta bouche“ von Maurice Yvain mit einem Libretto von Albert Willemetz, die am 1. April 1922 im Théâtre Dannou in Paris. Das Theater im Art-Déco-Stil war erst im Dezember 1921 eröffnet worden. Yvain wurde mit „Ta bouche“ bekannt und komponierte in den 1920er- und 1930er-Jahren zahlreiche Operetten, darunter „Pas sur la bouche“, „Up there“ und „Chanson gitane“. Seine Lieder wurden von Maurice Chevalier und Mistinguett gesungen. Barbra Streisand sang für den Film „Funny Girl“ das Lied „My Man“. „Ta bouche“ lief als „One Kiss“ 1923-1924 am Broadway. Die Besetzung von „Dein Mund“ war Kürty, Schulz, Ritzinger, Lilien, Werckmeister, Schüren.
Anzeige im Berliner Tageblatt vom 17. November 1922 |
Die Operette „Die schwarze Rose“ lief im Neuen Operetten-Theater. Dieses nicht erhaltene Theater befand sich am Schiffbauerdamm und hieß später Komödienhaus. Die Operette mit Musik von Walter W. Goetze basierte auf einem Libretto von Richard Bars und Oskar Felix. Goetze brachte seit seinem ersten Erfolg, der Operette „Nur nicht drängeln“ regelmäßig Operetten heraus. Besonders „Ihre Hoheit, die Tänzerin“ wurde 1919 in Berlin ein großer Erfolg.
Den Operettenschwank „Die kleine Sünderin“ von Jean Gilbert konnte man im Wallner-Theater sehen. Gleich noch eine Operette von Jean Gilbert lief im Neuen Theater am Zoo. Die Besetzung von „Dorine und der Zufall“ war Grete Freund, Fritz Werner, Paulsen, Pauig, Wilfan und Starnburg. Jean Gilbert (eigentlich Max Winterfeld) gehörte seit der erfolgreichen Operette „Polnische Wirtschaft“ zu den gefragten Operettenkomponisten.
Auch musikalisch ging es im Walhalla-Theater zu. In „Die tolle Lola“ mit Musik von Hugo Hirsch traten Molly Wessely und Paul Heidemann auf. Diese Produktion wurde wurde vorher im Neuen Operettentheater gespielt.
Anzeige im Berliner Tageblatt vom 17. November 1922 |
Revuen
Dann liefen in Berlin natürlich auch noch verschiedene Revuen. Das Metropoltheater in der Behrensstraße (in dem heute die Komische Oper spielt) bot mit „New York – Berlin“ ein großes Ausstattungsstück in sieben Bildern, bei dem Trude Hesterberg, Lori Leux, Lotte Werkmeister, Oscar Sabo, Paul Westermeier, Ferry Sikla, Gustab Matzner, Alex Flessburg, Anton Herrnfeld, Ellen Stavrides, Anita Dickstein und Maria Warhuus mitwirkten. Premiere war am 19. September 1922.
In der Komischen Oper, einem Theater in der Friedrichstraße nahe der Brücke über die Spree (nicht zu verwechseln mit der heutigen Komischen Oper in der Behrensstraße) wurden nach der Eröffnung als Opernhaus und einer Fortsetzung als Operettentheater nun unter der Leitung von James Klein Ausstattungsrevuen gezeigt. Im November 1922 gab es seit der Premiere am 16. September 1922 die große internationale Revue in 25 Bildern „Europa spricht davon“. Die Werbung versprach sechs Ballettteile mit 200 Mitwirkenden, darunter Mister Jackson vom Alhambra-Theater in London mit englischen Girls sowie den ersten Bühnen- und Filmdarstellern. Berüchtigt sollte später die Revue „Zieh Dich aus“ werden.
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