Vor der Oper zum Five o’clock: Fünf-Uhr-Tee war einstmals chic in Berlin

Kein Five o’clock an der Quadriga 

– Wie der Fünf-Uhr-Tee in Berlin modern wurde und in den 1920er-Jahren im Schlager besungen wurde – 

von Klaus J. Loderer


„Also es gibt kein Café Brandenburger Tor mit Five o’click oben auf der Quadrigaplattform.“ Mit diesem ziemlich überspitzten Satz beruhigte das Berliner Tagblatt 1912 seine Leserschaft und beendete damit die Diskussion um ein Café neben dem Brandenburger Tor. Man stolpert über den Begriff Five o’clock – also den Fünf-Uhr-Tee.


Beim Five o’clock Tea denkt man vor allem an England, an Fernsehserien wie „Das Haus am Eaton Place“ oder an „Downton Abbey“, an den Butler, der steif und förmlich serviert, an hochgeschlossene Damen und Herren im Morning Dress, an Wintergärten in großen Hotels. 


Doch wann kam der Fünf-Uhr-Tee in Deutschland auf? Die Comedian Harmonists lästerten witzig über den „Fünf-Uhr-Tee bei Familie Kraus“: „Sie geben einen Tee jeden Donnerstag. Da kommt die Hautevolée jeden Donnerstag.“ Als der Schlager herauskam, war der Fünf-Uhr-Tee in Deutschland aber schon längst etabliert. Der Tee als Getränk war natürlich auch in Deutschland schon länger geläufig. Als gesellschaftlicher Anlass kam der Fünf-Uhr-Tee nach 1900 nach Deutschland und erfreute sich in Berlins High Society großer Beliebtheit. Interessanterweise scheint das weniger an der aus England stammenden aber gesellschaftlich nicht mehr in Erscheinung tretenden Kaiserinmutter als an der Vorbildwirkung der Eleganz der edwardianischen Ära gelegen zu haben. Das elegante Deutschland orientierte sich in mancher Hinsicht an englischen Vorbildern. Auch die englische Bezeichnung galt als chic. Thomas Mann erwähnte den Five o’clock Tea kurz in seiner Erzählung „Wälsungenblut“ von 1906.

Tee im Hotel Kaiserhof

Ada von Schmidt hat der Erscheinung Five o’click Tea eine Erzählung gewidmet: „Eine neue „Note“ nicht in der Skala der Töne – sondern in dem vollen Akkord unseres winterlichen Gesellschaftslebens, gewissermassen ein „Auftakt“ zur Hochflut der glänzenden Abendfeste, ist durch die Neuinstitution des „Fünfuhrtees“ in unsern märchenhaft ausgestatteten, erstklassigen Palasthotels getreten. Man verabredet sich nach Kommissionen, Konsultationen, anstrengenden Ausstellungsbesuchen usw. zum „Fünfuhr“ im Adlon. Man staunt, bewundert, sieht und wird gesehen! Plaudert ein Stündchen, flirtet, medisiert, hört gute Musik. Namentlich aber five o’clock im Hotel Kaiserhof ist heut die Parole der Gesellschaft von Berlin – sage Hofgesellschaft!“ So leitete Ada von Schmidt ihre 1909 in der Zeitschrift Berliner Leben erschienene Erzählung „Eine neue „Note“ ein. Ada von Schmidt (von der 1910 die Erzählung „Prinzeß Type“ erschien) nahm die neue Mode des Fünfuhrtees spöttisch auf’s Korn. Sie amüsierte sich über das eitle Getue beim Fünfuhrtee im Hotel Kaiserhof: „Einzelne Paare, Damen in grosser Toilette, rauschen langsam, um ausbündig bewundert zu werden, zum frühen Souper nach dem Speisesaal hinauf – sie wollen wohl eine Wagneroper besuchen, sich vorher stärken.“

 

Während man heute auch an einigen Stellen in Deutschland bei einem Fünf-Uhr-Tee ganz nach englischem Vorbild ein Gedeck eine Etagère mit Scones, Sandwiches und Kuchen bekommt, war es damals in Berlin doch einfacher. Ada von Schmidt schrieb: „Ein rotbefrackter Silberdiener bestellt den Tisch mit wunderfeinem Porzellan und niedlichen Teetöpfchen, setzt eine getriebene Platte mit leckren Kuchen in die Mitte.“ Es handelte sich also eher um Tee mit Kuchen als Haute-Volée-Variante satt des bis heute in Deutschland verbreiteten nachmittäglichen Kaffeetrinkens.


Das hatte im Hotel Kaiserhof natürlich seinen Preis. Die Portion Tee kostete eine Mark (zum Vergleich: eine Parkettkarte in der königlichen Oper kostete sechs Mark. Ein winziger „Pfannkuchen“ – womit wohl schon damals das gemeint war, was außerhalb Berlins „Berliner“ heißt – kostete 50 Pfennige. Das verglich die Autorin gleich damit, dass man an anderer Stelle vier Pfannkuchen für 10 Pfennige erhielt.


Teehalle im Hotel Kaiserhof um 1910

In den großen Hotels

Fünf-Uhr-Tee boten in dieser Zeit viele große Hotels in Berlin an. Einige Hotels richteten dafür sogar eigene Räume ein. Im Kaiserhof war es der neu umgestaltete Lichthof. Das Hotel Kaiserhof am Wilhelmplatz wurde 1873-1875 erbaut, brannte wenige Tage nach der Eröffnung aus und wurde 1876 wiedereröffnet. Das Zentrum des Gebäudes nahm der mit einem Glasdach über dem zweiten Stock versehene Lichthof ein, der von Beginn an gastronomisch genutzt wurde. Das Glasdach wurde später abgesenkt, als der Raum zur intimeren Teehalle umgestaltet wurde. Diese Teehalle stand damit den entsprechenden Räumen in Hotels in London nicht nach. Auch das 1907 eröffnete Hotel Adlon und das 1908 eröffnete Hotel Esplanade boten Fünf-Uhr-Tee an. Alle drei Hotels könnten übrigens noch stehen, wenn das in der Nachkriegszeit gewollt gewesen wäre.


Anzeige des Kaufhauses des Westens

Berliner Leben 1914, 2


Im KaDeWe

Auch das als KaDeWe bekannte, 1907 eröffnete Kaufhaus des Westens bot einen Fünf-Uhr-Tee an und bewarb diesen mit einer großen Anzeige in Berliner Leben. Man sieht der Anzeige an, welche Kundschaft angelockt werden sollte: elegante Leute. Die arbeitende Bevölkerung hatte nachmittags sowieso keine Zeit und konnte sich das auch nicht leisten. Die Zeichnung mit den sechs Köpfen stammt übrigens vom Maler, Zeichner und Illustrator August Hajduk, der in Graz die Zeichenakademie besuchte und in Berlin ein gefragter Illustrator wurde. Er gestaltete für die Warenhauskette A. Jandorf, zu der das KaDeWe gehörte, die Werbekampagnen. Er entwarf auch Plakate, Anzeigen und Werbemarken für Otto Ring (Klebstoff Syndetikon), die Harlan-Werke in Johannisthal, das Kaufhaus Oberpollinger in München und die Mercedes-Schreibmaschinen. Außerdem illustrierte er Bücher und zeichnete für das Berliner Tagblatt Karikaturen und Abbildungen.


Musikalischer Fünf-Uhr-Tee im Hotel Eden in Berlin 1914

Berliner Leben 1914, 2


Musikalischer Fünf-Uhr-Tee

Auch wenn Musik üblicherweise immer dabei war, gab es die Sonderform des musikalischen Fünf-Uhr-Tees als besondere Form eines Konzerts. Gut besucht war ein musikalischer Fünf-Uhr-Tee 1914 im Eden-Hotel, das wissen wir durch ein in der Zeitschrift Berliner Leben veröffentlichtes Foto: Wir sehen das Publikum, das neugierig in Richtung des Podiums schaut. Das 1912 eröffnete Eden-Hotel stand gegenüber dem Eingang des Zoos und hatte die nicht mehr existierende und heute zur Budapester Straße gehörende Adresse Kurfürstendamm 246-247. In den 1920er-Jahren war der Tanztee im Wintergarten auf dem Dach beliebt. Willy Wilder soll dort als Eintänzer gewirkt haben. Das Gebäude wurde in den 1950er-Jahren abgerissen. Oft wurden Nachmittagstees auch als Wohltätigkeitsveranstaltungen angelegt.


Die Sopranistin Emmy von Holstein

Berliner Leben 1910, 2


Fünf-Uhr-Tee mit Emmy von Holstein

In der Zeitschrift Berliner Leben findet sich das Porträt der Sängerin Emmy von Holstein mit der Bemerkung: „Bei dem von ihr im Künstlerhause veranstalteten Fünf-Uhr-Tee entzückte die ausgezeichnete Gesangskünstlerin Emmy von Holstein ihre Zuhörer durch meisterlichen Vortrag von Liedern von Richard Wagner, Richard Strauss und der jungen Komponistin Ida von Malden.“ (Berliner Leben, 1910, 2). Ida von (van) Malden hat mehrere Gedichte Heinrich Heines vertont, etwa in der Sammlung „Vier Lieder“ von 1907 mit „Herz, mein Herz, sei nicht beklommen“, „Mädchen mit dem roten Mündchen“, „Der Schmetterling ist in die Rose verliebt“ und „Wir wollen jetzt Frieden machen“. 

 

Über die Sopranistin Emmy Holstein geb. von Holstein ist wenig bekannt. Am 18. November 1910 trat sie bei einem Konzert zusammen mit Hofopernsänger W. Grüning, Margaret zur Nieden und der Violinistin Edith von Voigtländer in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin auf. Die „Opern- und Konzertsängerin“ wohnte damals in Berlin im Gartenhaus der Hohenstaufenstr. 42 in der Nähe des Viktoria-Luise-Platzes (Adressbuch 1910). Am 20. Mai 1912 sang sie in München in einem Konzert der Schülerinnen der Sopranistin Sofie Röhr-Brajnin mit Luise Wolf, Liselotte Münzner, Katinka Pecz, Aenny Lankes-Rosen und Johanna Lippe. Am 23. April 1913 gab sie mit der Pianistin Else Hoffmann einen Liederabend in München. „Mehr eine Sängerin für die Provinz“ schrieb Thomas Manns Schwiegermutter Hedwig Pringsheim in ihrem Tagebuch über sie. (Hedwig Pringsheim: Tagebücher 1911-1916)

 

Das Weinrestaurant Sanssouci lockte mit Musik und Tanzaufführungen zum Fünf-Uhr-Tee. In dem markanten Eckgebäude Kurfürstendamm 217 war bis 2002 das Astor-Filmtheater.


Anzeige des Weinrestaurants Sanssouci am Kurfürstendamm

Berliner Leben 1912, 12



Mode im Frühjahr 1911: Tee-Toilette, Gesellschaftstoilette und Reunion-Toilette

Berliner Leben 1911, 4


Die Teetoilette

Wie war man zum Fünfuhrtee gekleidet? Ada von Schmidt beobachtete: „Man“ ist selbstredend im Sportdress. Die Gesellschaft erscheint zum „Fünfuhr“ in solchem oder Promenadenkleid!“ Der Sportdress rührte daher, dass man nach der sportlichen Betätigung am Nachmittag zum Tee ging. Daraus sollte man nicht dem Irrtum verfallen, dass man etwa in kurzen Hosen in den Kaiserhof ging. Sportkleidung war im Jahr 1909 wesentlich eleganter als heute. 

 

Aber für den Fünf-Uhr-Tee war auch keine Abendgarderobe üblich. Sieglinde mokiert sich in Thomas Manns Erzählung „Wälsungenblut“ verächtlich darüber, als ihr Bruder davon erzählt, dass jemand zum Fünf-Uhr-Tee im Smoking erschienen sei. Sie ahnt da nicht, dass ihrem Verlobten genau das schon passiert war.

 

Modefotos aus der Zeit zeigen, dass der Modebereich sofort auf das Aufkommen des Fünf-Uhr-Tees reagierte und den Typus der Teetoilette entwickelte. Die Zeitschrift Berliner Leben bildete Beispiele ab. Ein Teekleid war um 1910 sehr festlich. Der Unterschied zum Abendkleid war vor allem, dass es wesentlich weniger dekolletiert war. Ein Beispiel von 1911 bestand aus einem Überkleid aus Satin Liberty imprimér mit Spitzen-Muster und seidenen Fransen und einem Unterkleid aus farblich einfarbigem Satin Magnolia. Zwei Jahre später war die Mode schon wesentlich schlichter. Das Teekleid von 1912, angeboten vom Modehaus R. M. Maassen in der Leipziger Straße, bestand aus einem engen Rock aus Velours Chiffon und einer langen Bluse aus Crepe de Chine. Wieder weiter waren die Kleider 1917, also mitten im Ersten Weltkrieg geschnitten. Das Teekleid bestand nun aus Seidenkaschmir mit Stickereien und aufgenähten Quasten. Etwas eigentümlich muten die Schnüre mit den Quasten an. Auch dieses Kleid stammte von R. M. Maassen.


Mode im Herbst 1912: Promenaden-Kleid, Tee-Kleid und Gesellschafts-Toilette

Berliner Leben 1912, 9


In den 1920er-Jahren

Auch in den 1920er-Jahren blieb der Fünf-Uhr-Tee in Berlin en vogue. So bot das 1926 eröffnete Kino Gloria-Palast am Zoo in seinen prachtvoll ausgestatteten Räumen Fünf-Uhr-Tee an.

 

Und doch war die literarische Rezeption zum Fünfuhrtee nun anders. Das bemerkt man im 1922 erschienenen Gedicht „Fünfuhrtee in der Halle“ von Klabund (eigentlich Alfred Henschke, 1890-1928), dessen erste Strophe lautet:

 

„Der Kellner stellt die goldne Heizung an.

Ich friere sehr und wärme mich bemüht

An einem Zeitungsblatt, das geistig glüht.

Der Kellner stellt die goldne Heizung an.“

 

Auch im Schlager hielt der Fünf-Uhr-Tee Einzug. In Friedrich Hollaenders „Sind Sie der Herr vom Fünf-Uhr-Tee?“ aus der Revue „Der! Die! Das!“ von 1925 erinnert sich eine junge Dame an eine Einenachtbekanntschaft. Wenige Jahre später versuchte die Familie Kraus im von den Comedian Harmonists gesungenen Schlager zwar immer noch aus ihrem Tee ein gesellschaftliches Ereignis zu machen, aber da schmeckte der Tee nach Benzin, der Keks nach Margarine und der Käse roch böse. Und auch die musikalischen Genüsse sind fragwürdig, wie man in der Zwischenstrophe erfährt. Das war dann eher ein spöttischer Abgesang auf bürgerliche Herrlichkeit. Auch Paul Ludwig Steins Film „Fünf-Uhr-Tee in der Ackerstraße“ spielt nicht gerade in einem eleganten Ambiente.


Mode im Frühjahr 1917: Tee-Kleid und Mantelkleid

Berliner Leben, 1917, 4



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