Theatergeschichte Berlin: der Schauspieler August Junkermann
Königlich württembergischer Hofschauspieler und Reuter-Rezitator
– Der Volksschauspieler August Junkermann, Oberhaupt einer Theaterfamilie –
von Klaus J. Loderer
Wenn man sich mit Theater in Berlin im späten 19. Jahrhundert stößt man immer wieder auf den Namen Junkermann. August Junkermann (1832-1915) war ein populärer Volksschauspieler, der besonders durch seine Interpretation der Werke des niederdeutschen Dichters Fritz Reuter bekannt war. Er begann seine Theaterlaufbahn 1851 in Münster in Westfalen. Nach Engagements in Trier, St. Gallen, am Carl-Theater in Wien, am Deutschen Theater in Pest, Stettin, Bremen, Nürnberg, Weimar, Amsterdam, Oldenburg, Breslau war er von 1870 bis 1887 im Ensemble des Stuttgarter Hoftheaters und lebte dann in Berlin und Wiesbaden. Seine zweite Ehefrau Rosa Le Seur (1846-1920) war Schauspielerin und Sängerin. Seine Söhne Hans und Fritz wurden ebenfalls als Schauspieler bekannt. Fritz Junkermann (1883-1942) wirkte in mehreren Filmen mit, etwa 1920 als Oberzeremonienmeister im Historienfilm „Katharina die Große“ und wurde im Dritten Reich wegen seiner Homosexualität in ein Konzentrationslager verschleppt und 1942 ermordet. Der Sohn Karl aus erster Ehe war 1892 in Berlin als Theaterdirektor in die spektakuläre Pleite einer Operngesellschaft verwickelt.
75. Geburtstag von August Junkermann: Fritz Junkermann, Hans Junkermann, Rosa Junkermann geb. Le Seur und August Junkermann. Nicht mit auf dem Bild ist der Sohn Karl. Das Foto entstand vermutlich in der Wohnung in der Yorckstr. 85 in Berlin
Berliner Leben 11.1908, 1 |
Nervenleiden?
An der Tätigkeit und auch am Leben und Privatleben August Junkermanns nahm die Berliner Presse regen Anteil. Er lebte seit 1889 im Kurort Wiesbaden. 1890 sickerten Gerüchte über ein Nervenleiden nach Berlin durch. „Der bekannte, seit dem vorigen Jahre in Wiesbaden ansässige Reuter-Darsteller Junkermann ist, wie von dort gemeldet wird, von einem so schweren Nervenleiden befallen worden, daß er in eine Heilanstalt überführt werden mußte.“ (Berliner Börsenzeitung, 23.10.1890)
Die Berliner Börsenzeitung korrigierte die Nachricht schon wenige Tage später: „Die Meldung von dem beunruhigenden Gesundheitszustand des berühmten Reuterdarstellers Junkermnn erweist sich – wie uns die Theateragentur Crelinger mittheilt – erfreulicherweise als unzutreffend. Der Künstler fühlte sich in der Folge geistiger Anstrengung veranlaßt, sich einer Massagecur in der Wasserheilanstalt Marienbad bei Boppard zu unterziehen und dort einige Wochen ganz der Ruhe zu pflegen. Gegen Mitte November jedoch denkt Junkermann seine künstlerische Thätigkeit wieder aufzunehmen, um seinen zahlreichen Gastspielverpflichtungen nachzukommen. Am 24. November wird Junkermann zu einer Reuter-Vorlesung im Saale der Singakademie hier eintreffen.“ (Berliner Börsenzeitung 31.10.1890)
1892: Opernpleite
Im Herbst 1892 bespielte August Junkermann mit seinem Fritz-Reuter-Ensemble das Berliner Thomastheater und trat in einer seiner Paraderollen auf, in „Onkel Bräsig“, der von ihm erarbeiteten Bühnenadaption von Fritz Reuters „Ut mine Stromtid“. Am 7. Oktober 1892 lief „das bewährte Stück des Reuter-Repertoires“ zum dreißigsten Mal. (Berliner Börsenzeitung, 5.10.1892)
Am 4. September 1892 kam erstmals „Hanne Rüte un de lütte Pudel“ mit Musik von Max Seifriz. Am 22. September 1892 war die Premiere von Fritz Reuters Volksstück „Kein Hüsung“. Der mit dem Kürzel S zeichnende Kritiker der Berliner Börsenzeitung amüsierte sich über Junkermanns Eitelkeit: „Allerdings kann unser höchstes Lob nicht Herrn Junkermann gelten, der seinen eigenen werthen Namen auf dem Zettel fett drucken läßt, daß man ja nicht ihn als Hauptperson übersehen möge, aber wir erkennen gern an, daß er seinen alten Pferdeknecht Daniel sehr brav giebt. Etwas weniger Komödie und mehr schlichtes Spiel, so könnte Herr Junkermann am Ende aus dem dickaufgetragenen Virtuosenthum, in welches er sich verrannt hat, noch herausfinden.“ (Berliner Börsenzeitung 23.9.1892)
In diese Zeit fällt die Pleite der Neuen Deutschen Oper im Belle-Alliance-Theaters, deren Direktor sein Sohn Karl Junkermann war. Da sich Karl Junkermann ins Ausland abgesetzt hatte, war es August Junkermann, den die Berliner Zeitungen um Stellungnahmen baten. Er schob die Schuld an der Pleite allerdings auf die anderen Direktoren.
Die abgebrochene Amerika-Tournee
August Junkermann selbst war kurze Zeit später in einen Theaterskandal verwickelt, als er sich mit seinem Agenten überwarf. Schnell sickerte nach Berlin das Gerücht eines eventuellen Abbruchs der Tournee wegen einer angeblichen Erkrankung Junkermanns durch. Die Berliner Börsenzeitung berichtete: „Ueber Herrn August Junkermann schreibt man dem „B.T.“ [Berliner Tageblatt] gelegentlich seines Amerikanischen Gastspiels Folgendes: „Cinicinnati, 30. März. In Pikes Opera House sollte gestern „Kein Hüsing“ aufgeführt werden und es hatten sich schon vor 8 Uhr viele Leute eingestellt, um der Vorstellung beizuwohnen. Sie wurden sehr enttäuscht, als ihnen gesagt wurde, daß Herr August Junkermann krankheitshalber nicht spielen könne und das Theater bis morgen Donnerstag, geschlossen bleiben würde. Die schon gelösten Billette könnten für die folgende Vorstellung umgewechselt werden. Ob eine weitere Vorstellung überhaupt stattfinden wird, ist aber sehr die Frage. Herr Junkermann theilte nämlich allen Mitgliedern seiner Gesellschaft gestern Abend schriftlich mit, daß er laut Attesten verschiedener hiesiger Specialärzte in Folge Ueberanstrengung seiner Stimmbänder krank und gezwungen sei, den mit ihnen eingegangenen Contract aufzulösen und sich Alle als entlassen betrachten sollten. Er würde ihnen die Tage bis zum 1. April bezahlen und auch ihre Heimreise bestreiten. Damit gaben sich aber die so unerwartet Entlassenen nicht zufrieden. Sie bestanden auf ihrem Schein und erklärten dem Director, daß er sie bis zum Mai engagirt habe und sie auch bis dann bezahlen müsse. Sie gaben ihm bis 3 Uhr heute Nachmittag Zeit, sein ihnen betreffs Einhaltung des Contractes gegebenes Ehrenwort einzulösen, widrigenfalls sie gezwungen sein würden, den Deutschen Reichsschutz in New-York anzurufen. Sie stützten ihr Verlangen auf die Behauptung, daß Herrn Junkermanns Gastspiel-Tournée eine pecuniär erfolgreiche gewesen sei, und sie nichts damit zu thun hätten, wenn zwischen ihm und seinem „Manager“ Differenzen betreffs der Einnahmen entstanden seien. Herr Amberg, der betreffende Geschäftsführer, der sich zur Zeit in Chicago aufhält, wird heute hier ankommen, und werden dann weitere Schritte in der Angelegenheit gethan werden. Zwischen Herrn Junkermann und Herrn Amberg brachen vor ungefähr derei Wochen Differenzen aus und unternahm Ersterer sein Gastspiel in Cincinati auf eigene Faust. Obgleich zwischen Beiden ein neues Uebereinkommen getroffen wurde, scheint das Verhältniß ein gespanntes geblieben zu sein, und mag darin, mehr als in irgend etwas Anderem, der Grund zu suchen sein, daß Herr Junkermann seine Gesellschaft gestern Knall und Fall entließ.“ (Berliner Börsenzeitung 1.4.1893)
Die Gastspiele der Tournee fanden in deutscher Sprache statt. Dafür gab es im späten 19. Jahrhundert in den USA ein großes Publikum. Es waren die Einwanderer aus den deutschsprachigen Ländern, die die Vorstellungen besuchten. In vielen Städten gab es deutsche Clubs, in einigen Städten sogar deutsche Theater. Mit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg vermieden die deutschstämmigen Einwohner allerdings die Betonung ihrer Herkunft. Die Deutschkenntnisse verloren sich mit den Folgegenerationen.
In einem Bericht der Altonaer Nachrichten über Chicago anlässlich der dortigen Weltausstellung erfährt man, dass das Junkermann-Gastspiel erfolgreich gewesen sei und dass der Agent Amberg nun mit Emil Thomas und seinem Ensemble eine entsprechende Tournee unternehmen will. (Altonaer Nachrichten, 11.4.1893)
Die Junkermann-Tournee wurde dann tatsächlich abgebrochen. Ab dem 6. Mai 1893 findet man August Junkermann mit einem Gastspiel mit „Onkel Bräsig“, „Hanne Rüte“, Dorchläuchting“ und „Aus der Franzosenzeit“ im Thaliatheater in Hamburg. Wenn man sich nun überlegt, dass die Amerika-Tournee eigentlich bis Mai dauern sollte, fragt man sich schon, ob das Hamburggastspiel so kurzfristig anberaumt wurde oder doch schon längerfristig geplant war. Genau diese Überlegung stellten auch Junkermanns entlassene Schauspieler an und streuten das Gerücht. Der Redakteur Adalbert von Hanstein machte dieses Gerücht in seinem Fremdenblatt öffentlich.
Ein Prozess
Wegen dieser Veröffentlichung strengte August Junkermann einen Rechtsstreit gegen den Redakteur an. Mehrere Berliner Tageszeitungen berichteten über den Prozess: „Die Schicksale der Junkermann’schen Schauspielgesellschaft in Amerika, die in der Theaterwelt so viel Staub aufgewirbelt haben, beschäftigten gestern das hiesige Schöffengericht unter Vorsitz des Amtsrichters Dr. Riedel in Form einer Privatklage des Theaterdirektors A. Junkermann wider den Redakteur des „Fremdenblattes“, Dr. Adalbert v. Hanstein. – Direktor Junkermann engagirte bekanntlich seiner Zeit hierselbst eine Gesellschaft zu einer amerikanischen Tournée. In dem Engagementsvertrage war ein § 19 vorhanden, welcher besagte, wenn Direktor Junkermann krank werden sollte, sei er berechtigt, den Vertrag innerhalb zweier Tage aufzulösen. Junkermann soll die Bedenken, die einzelne Schauspieler gegen diese Vertragsbestimmung geltend machten, mit der Bemerkung beschwichtigt haben, daß von dieser Bestimmung nur im alleräußersten Notfalle Gebrauch gemacht werden würde. Er soll sogar hinzugefügt haben: „So lannge noch ein Stein meiner Villa auf dem anderen steht, soll von jenem Paragraph kein Gebrauch gemacht werden.“ Die Engagements für die amerikanische Tournée gingen bis zum 1. Mai, das Gastspiel wurde jedoch am 29. März in Cincinnati plötzlich abgebrochen, da Junkermann auf Grund ärztlicher Atteste von jenem § 19 Gebrauch machte. – Junkermann ist dann nach Deutschland zurückgekehrt und am 6. Mai schon wieder im Thalia-Theater zu Hamburg im Reuter-Cyklus aufgetreten. Ueber die Vorgänge in Cincinnati und das Schicksal der Theatergruppe erschien dann in der „Bühnengenossenschaft“ eine von mehreren Mitgliedern der Tournée unterzeichnete Erklärung, welche das Verfahren des Herrn Junkermann scharf geißelte. Es wurde so dargestellt, als ob Junkermann schon in Chicago nach mehrfachen Differenzen mit seinem Geschäftsführer Amberg versucht habe, Krankheit zu simuliren. Er sei dann wieder gesund geworden, als ihm ein erfolgreiches Gastspiel in Cincinnati winkte, Niemand habe dort von einer Krankheit an ihm etwas bemerkt und die Schauspieler seien in dem fremden Lande plötzlich in Not und Elend zurückgelassen worden, während Junkermann nach Deutschland abgereist sei, um in Hamburg sein schon vor der Amerikaner Tournée abgeschlossenes Gastspiel zu absolviren. – Auf Grund dieser Mitteilungen der „Bühnengenossenschaft“, die ihm auch von dem Mitgliede der Tournée, Herrn Robert Guthery ausdrücklich bestätigt wurde, veröffentlichte der Privatbeklagte im „Fremdenblatt“ fünf Artikel, in welchem das Vorgehen Junkermann’s aufs Schärffste gebrandmarkt wurde. Es wurde darin von dem „widerlichen Treiben eines solchen Patrons“, von einem „Scheinheiligen“, „Seelenverkäufer“ &c. gesprochen und unter Hinweis auf das bekannte Durchbrennen des Direktors Junkermann junior gesagt: „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“ Der Privatbeklagte machte geltend, daß er es für eine Aufgabe der Presse gehalten habe, in diesem exorbitanten Falle einmal die Fußangeln zu zeigen, die den Schauspielern durch die Kontrakte gelegt werden. Die thatsächlichen Vorgänge seien durch ein amerikanisches Blatt nach Deutschland gemeldet worden und die Mitteilungen des amerikanischen Blattes seien ihm durch Herrn Guthery bestätigt worden. – Die Zeugenvernehmungen lauteten widersprechend. Der Schauspieler Griebe sagte aus: Obgleich das Engagement bis zum 1. Mai lief, habe Junkermann schon in Chicago den Plan gehabt, die Mitglieder plötzlich zu entlassen. Fräulein E. Lindner hat in dem § 19 nichts Bedrückendes gefunden. Junkermann sei tatsächlich schon in Chicago krank gewesen. Sie habe das Verfahren Junkermanns für korrekt und vorwurfsfrei gehalten, ja, der selbe habe über seine Verpflichtung hinaus die Gagen noch bis zum 5. April bezahlt und 2000 Dollars zur Auslösung der Garderobe der Schauspieler hergegeben. – Regisseur Peters (Hamburg): Junkermann habe seine Krankheit nicht simulirt, sondern sei tatsächlich sehr krank und im höchsten Maße nervös gewesen, da. Er fortgesetzte Differenzen mit Amberg hatte. – Nach Schluss der Beweisaufnahme beantragte Rechtsanwalt Michaelis als Vertreter J.’s die Bestrafung des Privatbeklagten, da die Beweisaufnahme das direkte Gegenteil der Behauptungen des Angeklagten ergeben habe und derselbe bei seinen Angriffen weit über das erlaubte Maß hinaus gegangen sei. – Rechtsanwalt Traeger machte für den Angeklagten den Schutz des § 193 geltend. Auf dem Gebiete der Theaterkontrakte herrschen notorisch die größten Missstände, die oft an den Zustand der Sklaverei heranreichen. Das Gegenteil der Behauptungen des Angeklagten sei durchaus nicht erwiesen, es handle sich nur um das Maß der Glaubwürdigkeit, die den beiden Parteien zuzumessen sei. Wenn auch Herr Junkermann zweifellos an einer intermittirenden Krankeheit gelitten haben möge, so beweise doch die Tatsache, daß er die Rückfahrt über den Ozean antreten und in Hamburg sofort wieder auftreten konnte, daß er bei gutem Willen auch in Amerika hätte aushalten können. Der § 19 überbiete doch Alles, was auf dem Gebiete der Theaterkontrakte dagewesen sei. – Der Gerichtshof verurteilte den Angeklagten sowohl auf Grund des § 185 als auch 186 zu 200 M. Geldbuße. Der Gerichtshof sah durch die Beweisführung keineswegs als erwiesen an, daß Junkermann auf Grund einer simulirten Krankheit das amerikanische Gastspiel abgebrochen habe, billigte dem Angeklagten aber mildernd zu, daß derselbe in gutem Glauben gehandelt habe.“ (Berliner Volkszeitung 15.4.1894, Berliner Börsenzeitung 15.4.1894 und Berliner Tageblatt 15.41894)
Bei Fritz Reuter war in Berlin August Junkermann zwar der Maßstab, aber man hat den Eindruck, dass es den Rezensenten bei dieser Besprechung einer Aufführung am 10. Januar 1894 irgendwie freut, dass in diesem Fall ein anderer Schauspieler mit der Paraderolle Junkermann Erfolg hatte: „Das Belle-Alliance-Theater verschaffte am Donnerstag den Freunden dieses vortrefflich geleiteten Volkstheaters, die sich zahlreich eingefunden hatten, einen höchst vergnüglichen, anregenden Abend. Das nach Fritz Reuter’s klassischem Roman „Ut mine Stromtid“ von A. Steinicke bearbeitete komische Lebensbild „Onkel Bräsig“ zeigt zwar hier und da eine sehr freie „Ausgestaltung“ der Originalvorlage, doch kann man von einer Versündigung gegen den Geist der bearbeiteten Dichtung wohl nicht reden; nur auf eine möglichst drastische Bühnenwirkung war es bei der Bearbeitung hier abgesehen, und für dieses Streben haben gestern die Zuschauer aufs dankbarste quittirt. Die Darstellung der Titelrolle durch Herrn Adolf Steinicke bewies, daß man kein Junkermann zu sein braucht, um einen „Entspektor“ Bräsig von urwüchsigem, derbem, anheimelndem und lebenswarmem Humor auf die Beine zu stellen, der die Sympathien des Auditoriums im Sturme gewinnt und ihre Stimmung bis zum Gipfel behaglicher Fröhlichkeit steigert. Es wurde an diesem Abend gelacht und geklatscht, daß es eine Freude war, das Publikum mit den Darstellern so intimen Rapport stehen zu sehen, was bekanntlich ein Hauptmoment durchschlagenden Erfolges ist.“ (Berliner Volkszeitung 11.1.1895)
Das Deutsche Theater in London
Im Sommer 1899 tauchte ein neues Gerücht auf: „Junkermann sen., der bekannte Reutervorleser und Darsteller Reuter’scher Gestalten, soll im nächsten Winter ein Deutsches Theater in London begründen und leiten.“ (Volkszeitung 24.7.1899)
Die Nachricht erwies sich insofern als falsch, als nicht August Junkermann sondern sein Sohn Karl Junkermann gemeint war, der Direktor des Deutschen Theaters in London wurde. Allerdings verlängerte August Junkermann eine Tournee durch Deutschland bis nach England, um am 31. Januar 1900 bei der Eröffnung des Deutschen Theaters aufzutreten. Im Berliner Tageblatt kam er nicht so gut weg: „Herr Junkermann, der seinen Ruf hier durch seine Reuter-Vorstellungen wohl begründet hat, wird keinen Eintrag dadurch erleiden, daß er seine Rolle erst kräftig berlinerisch anfaßte, dann aber, als sie in Pathetische, um nicht zu sagen Larmoyante, fiel, überflüssig gebildet sprach. Ob es geschmackvoll war, daß er in einem Kuplet „Alte Liebe rostet nicht“ erst die Liebe der Engländer fürs Gas, dann für das Glas und schließlich die Liebe der Königin von England für den Prinz-Gemahl besang, soll dahin gestellt bleiben.“ (Berliner Tageblatt 1.2.1900)
Bei den Aufführungen von „Onkel Bräsig“ am 1. Februar 1900 und „Dörchläuchting“ am 16. Februar 1900 wirkte er vermutlich ebenfalls mit.
Der im Frühjahr 1900 in den Anzeigen des Thaliatheaters in Berlin angeführte Schauspieler Junkermann war der Sohn Hans Junkermann. Dieser spielte in der Ausstattungsposse „Im Himmelhof“. Am 4. März 1900 war die 75. Vocrstellung. In dieser Vorstellung wartete Hans Junkermann mit dem neuen Schnellcouplet „Das neue Jahrhundert“ auf. Bis Juni 1900 kam das Stück, eingerechnet das Gastspiel in Hamburg, auf fast 200 Vorstellungen.
Noch eine Kuriosität am Rande. Interessanterweise erhielten Neuabonnenten der Badischen Presse im Juni 1893 als Werbegeschenk Junkermanns Büchlein „Meine zweite Amerikafahrt“, das sich allerdings nicht auf die Reise 1893 bezog, da es schon 1890 erschienen war.
Der 75. Geburtstag
Am 15. Dezember 1907 feierte August Junkermann seinen 75. Geburtstag. Der kgl. württemb. Hofschauspieler wohnte damals in der Yorckstr. 85. Das Gebäude gehört zu einem Mietshauskomplex, der als Riehmers Hofgarten bekannt ist. Man erfährt in der Zeitschrift Berliner Leben, die ein Gruppenbild der Familie veröffentlichte: „Als „Onkel Bräsig“, seiner Glanzrolle, trat er im Verein mit seinen Söhnen an diesem Abend im Thalia-Theater auf. Seine grosse Darstellungskunst steht noch vollkommen auf der Höhe und die zahllosen Ovationen bewiesen seine große Beliebtheit.“ (Berliner Leben 11.1908,1)
Schlaganfall
Kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs starb August Junkermann am 15. Mai 1915. Die Berliner Tageszeitungen würdigten den bekannten Schauspieler noch in den Abendausgaben in ausführlichen Nachrufen. So die Berliner Börsen-Zeitung: „Der bekannte Reuter-Darsteller August Junkermann ist heute früh in seiner Berliner Wohnung nach längerer Krankheit an einem Schlaganfall gestorben. Er hat ein Alter von 83 Jahren erreicht. Mit ihm ist einer jener Rollen-Spezialisten und Wander-Virtuosen dahingegangen, die jetzt auf der deutschen Bühne im Aussterben begriffen sind. Junkermanns Spezialität war bekanntlich die Reuterdarstellung, die sich ihm in den letzten zehn oder fünfzehn Jahren ausschliesslich zur Reuter-Rezitation wandelte. […] Junkermann sprach das mecklenburgische Platt nicht eigentlich rein, sondern passte es sehr geschickt dem Hochdeutschen an, wodurch er einen grossen Teil der Schwierigkeiten beseitigte, auf die das Verständnis der Reuterschen Dichtungen bis dahin speziell in Mittel- und Süddeutschland gestossen war. […].“ (Berliner Börsenzeitung 15.5.1915)
Die Berliner Volks-Zeitung erinnerte daran, dass Junkermann nicht nur Reuter-Rezitator war: „Nur sehr bejahrte Theaterfreunde werden sich noch erinnern können, daß August Junkermann ursprünglich noch etwas anderes gewesen war, als nur Interpret Fritz Reuters. Reich und vielfältig, auch auf musikalischem Gebiet, begabt, hat er sich in jüngeren Jahren in vielen anderen Gattungen der Schauspielkunst versucht. Er hat in „Robert und Bertram“ gesungen und hat nicht minder im „Uriel Acosta“ mitgewirkt. Am Stuttgarter Hoftheater war er sehr angesehen, und er war stolz darauf, Ehrenmitglied dieser Bühne zu sein.“ (Berliner Volks-Zeitung 15.5.1915 und Berliner Tageblatt 15.5.1915)
Beisetzung auf dem Jerusalemer Kirchhof
Über die Beisetzung am 18. Mai 1915 auf dem Jerusalemer Kirchhof am heutigen Mehringdamm berichtete das Berliner Tageblatt, das die schwache Beteiligung seitens der Theater bemerkte: „Sehr schwach war bedauerlicherweise die Beteiligung aus Schauspielerkreisen bei der Beerdigung von August Junkermann, die ebenfalls gestern nachmittag, und zwar auf dem Jerusalemer Kirchhof in der Belle-Alliance-Straße stattfand. Unter den näheren Verwandten, die erschienen waren, befanden sich auch die beiden unter den Fahnen stehenden Söhne Karl und Fritz sowie der aus Wien herbeigeeilte Schauspieler Hans Junkermann. Neben dem Direktor Berg sah man die Herren Rieck und Schultze vom Thaliatheater sowie Kapellmeister Einödshofer. Kränze mit Widmungen ließen am Sarg niederlegen: das Hoftheater in Stuttgart, die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger, der Lokalverband des Thaliatheaters, Direktor Berg, sowie die Kinder und sonstigen Verwandten des Verstorbenen. Der Chor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche leitete die Feier ein mit dem Gesang: „Sei getreu“, worauf Pastor Le Seur aus Groß-Lichterfelde, ein Neffe des Heimgegangenen, die Gedächtnisrede hielt. Dann wurde der Sarg zur Gruft getragen, und nach dem Gesang: „Laßt mich geh’n und einem kurzen Gebet wurde die Leiche beigesetzt.“ (Berliner Tageblatt 19.5.1915)
Literatur
Wilhelm Kosch: Deutsches Theater-Lexikon, Bd. 2, 1960, S. 935.
Neue deutsche Biographie, Bd. 10, 1974, S. 695.
Weitere Informationen zum deutschen Theater in London findet man hier:
https://opernloderer.blogspot.com/2021/03/theatergeschichte-das-deutsche-theater.html
Theatergeschichte Berlin
Buchbesprechung – Hans Ostwald: Berlin
https://opernloderer.blogspot.com/2021/02/buchbesprechung-hans-ostwald-berlin.html
Theresia Rothauser
https://opernloderer.blogspot.com/2019/09/opfer-der-nazis-die-mezzosopranistin.html
Vor 125 Jahren: Das Opernjahr 1896
https://opernloderer.blogspot.com/2021/01/vor-125-jahren-erstmals-wagners-tristan.html
Die alte Komische Oper in der Friedrichstraße in Berlin
https://opernloderer.blogspot.com/2020/12/eine-andere-komische-oper-1905.html
Kommentare
Kommentar veröffentlichen