Ein Theatertag in Berlin vor 150 Jahren mit der ersten Operette von Johann Strauss

„Zum ersten Male, mit neuen Dekorationen, Costümen und Requisiten“

– Vor 150 Jahren: Theater in Berlin am 1. September 1871 mit der Erstaufführung der Operette „Indigo und die 40 Räuber“ von Johann Strauss – 

von Klaus J. Loderer


Der 1. September 1871 war ein Freitag. Kaiser Wilhelm I. war gerade in Gastein. Aus Paris kamen beunruhigende Nachrichten wegen der dortigen Aufstände. Die Börsianer waren wegen der Hausse gut gelaunt. Der Kastellan des Schlosses Bellevue, Bieberstein, Ritter des Roten Adlerordens und Combattant aus den Freiheitskriegen, feierte sein fünfzigjähriges Dienstjubiläum. Das Wetter war heiter. Es hatte in Berlin 11,2 Grad Réaumur – das sind 14 Grad Celsius. Der Wind aus Südosten war schwach. Am Abend fing man im zoologischen Garten ein frisch geschlüpftes und sofort reißaus nehmendes Talegallahuhn wieder ein.

Opern und Operetten

Die Berliner Theater boten ein breites Angebot. Im königlichen Opernhaus (die heutige Staatsoper unter den Linden) gab es an diesem 1. September um 19 Uhr zu Mittelpreisen „Das Nachtlager von Granada“ von Konradin Kreutzer. Als Besetzung war angekündigt: Fräulein Berger – Gabriele, Herr Woworsky – Gomez und Herr Schmidt – Jäger.


Auch das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater (das ist das heutige Deutsche Theater) brachte ein musikalisches Stück. Es kam um 18 Uhr die 67. Vorstellung der Opern-Burleske „Blaubart“ von Jacques Offenbach. Danach fand ein großes Gartenkonzert statt. Besonders wurde betont: „Wieder-Auftreten des Herrn und der Frau Neumann nach ihrem Urlaube.“ Die Vossische Zeitung berichtete darüber am 3. September: „Das Friedrich-Wilhelmstädter Theater hat, nachdem Herr und Frau Neumann von ihrer Urlaubsreise zurückgekehrt sind, eine seiner Anziehungskräfte wiedergewonnen. Beide haben, vom Publikum freundlich empfangen, am Freitag den Thron des Fürsten Bobèche in Offenbach’s Blaubart wieder bestiegen, und zeigten sich als unbestrittene Meister im Reiche der Komik.“ Später lief im Theater ebenso erfolgreich Offenbachs Die Prinzessin von Trapezunt.


Man kann aber annehmen, das Berliner Publikum besonders auf diese Aufführung gespannt war. Am Victoria-Theater war an diesem Abend Premiere der burlesken Oper mit Ballett „Indigo und die vierzig Räuber“ von Johann Strauss: „zum ersten Male, mit neuen Dekorationen, Costümen und Requisiten.“ Strauss’ heute vergessene erste Operette „Indigo und die 40 Räuber“ wurde am 10. Februar 1871 im Theater an der Wien uraufgeführt. An diesem 1. September 1871 war also die Berliner Erstaufführung. Das Victoria-Theater befand sich im Scheunenviertel und wurde 1891 abgerissen.


Programmankündigung des Victoria-Theaters in Berlin
Vossische Zeitung vom 1. September 1871

Komödien

Mehrere Theater boten am 1. September 1871 Schauspielaufführungen an. Es scheint sich durchweg um Komödien gehandelt zu haben. Selbst das königliche Schauspielhaus am Gendarmenmarkt bot dieses Genre. Dort kamen um 19 Uhr „Der Jude“ von Cumberland und das Lebensbild „Dienstboten“ von R. Benedix. „The Jew“ ist eine 1794 aufgeführte Komödie des englischen Dramatikers Richard Cumberland. Die Besonderheit dieses Stücks ist, dass nach den eher negativen Darstellungen von Juden in früheren englischen Theaterstück nun erstmals ein jüdischer Geldverleiher die positive Hauptfigur spielt. „Die Dienstboten“ sind ein Lustspiel des deutschen Schriftstellers Roderich Benedix. 


Im Wallner-Theater kam ein Doppelabend mit „Ein delikater Auftrag“ und „Mein Wechsel“, im Woltersdorff-Theater (daraus wurde später das Friedrich-Wilhelmstädter. Theater) um 19 Uhr „Herz und Industrie oder Zeit ist Geld“, im National-Theater „Kean oder Leidenschaft und Genie“, im Walhalla-Volks-Theater „Muttersegen oder Die neue Fanchon“, im Belle-Alliance-Theater „Ein deutscher Krieger“, im Réunion-Theater „Die Lieder des Musikanten“.


Im Théâtre Variété war ein Abend mit „Des Uhrmachers Hut“, „Es schickt sich nicht“ und „Gänseblümchen“. Außerdem wurden eine Solokonzert und ein großes Konzert angekündigt „bei brillanter Beleuchtung des Gartens“. In C. Puhlmanns Vaudeville-Theater in der Schönhauser Allee 148 war ein Abend mit Theater, Ballett, Gymnastik, Konzert und Ball. Im Vorstädtischen Theater war der letzte Auftritt von Wilhelmine Bachmann in „Freien nach Vorschrift“.


Dann konnte man noch in den Zirkus gehen. Der Circus Ciniselli zeigte eine große Vorstellung. Auf dem Programm standen „die 3 fliegende Trapeze, großartige gymnastische Produktionen mit Saltomortales, ausgeführt von Herrn Richard Conrads, pas de deux von Herrn Amato und Miß Marie. Aziek, das Wagenpferd, in Freiheit vorgeführt von Frl. Emma Ciniselli.


Im Eiskeller-Etablissement war: großes Extra-Militair-Concert und Schlacht-Musik von der Kapelle des Königl. Sächsischen 1sten (Leib-)Grenadier-Regiments No. 100, König Johann, und einem stark besetzten Tambour- und Hornisten-Corps, verbunden mit großer Illumination und Decorirung des Etablissements.“


Von all diesen genannten Theatern existieren nur noch das Opernhaus als Staatsoper und das Friedrich-Wilhelmstädtisches Theater als Deutsches Theater. 



Zu „Indigo und die 40 Räuber“, der ersten Operette von Johann Strauß:

https://opernloderer.blogspot.com/2021/09/vor-150-jahren-urauffuhrung-der.html


Zum Nationaltheater und zum Vorstädtischen Theater findet man hier weitere Informationen:

https://opernloderer.blogspot.com/2021/02/theatergeschichte-nur-kurz-existierte.html


Geschichte der Komischen Oper in der Friedrichstraße in Berlin

https://opernloderer.blogspot.com/2020/12/eine-andere-komische-oper-1905.html

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Skandal: Enrico Caruso und die spektakuläre Trennung von Ada Giachetti

Vor der Oper: das historische Café Rommel in Erfurt

Buchbesprechung: Paul Abraham, der tragische König der Operette – eine Biographie von Klaus Waller