Franz Lehárs Operette »Die Juxheirat« – Musikalische Komödie in Leipzig – 2021

Wenn die Los-vom-Mann-Präsidentin heiratet

Franz Lehárs selten gespielte Operette »Die Juxheirat« an der Musikalischen Komödie in Leipzig

von Klaus J. Loderer


»Die Juxheirat« gehört zu den weniger bekannten Werken Franz Lehárs. Sie geriet schnell in den Schatten der ein Jahr später uraufgeführten Operette »Die lustige Witwe«. Damit wurde Lehár auf einen Schlag berühmt. »Die Juxheirat« verschwand in der Versenkung. Ein Grund mag auch gewesen sein, dass einige Motive der Handlung eben auch in der »Witwe« vorkommen, etwa, dass der Tenor der weiblichen Hauptperson gegenüber kein Liebesbekenntnis machen soll. Dieses Problem zu lösen, ist den Librettisten in der »Witwe« dann doch wesentlich eleganter gelungen als in »Die Juxheirat«. Dabei hat das Libretto der »Juxhochzeit« mit seiner teilweise scharfen Ironie durch Qualitäten. 


»Die Juxheirat« an der Musikalischen Komödie in Leipzig: Lilli Wünscher (Selma), Julia Ebert (Miss Edith), Theresa Maria Romes (Juliane von Reckenburg), Nora Lentner (Euphrasia) und Mirjam Neururer (Miss Phoebe)

Foto: Tom Schulze


Der Titel »Die Juxheirat« erinnert nicht von ungefähr an Nestroys Posse »Einen Jux will er sich machen«. Auf dieses Stück bezieht sich die weibliche Hauptfigur Selma sogar mit ihrer Juxheirat. Überhaupt hat Librettist Julius Bauer, ein in Ungarn geborener Journalist, der die Textbücher mehrerer Operetten schrieb, viele kulturgeschichtliche Bezüge eingebaut, etwa einen ironischen Überblick zum Nichtverhältnis von Philosophen zu Frauen. Wie der Chauffeur Philly seinem Herrn Flirtunterricht gibt, erinnert ja schon sehr an die Singstunde Davids in »Die Meistersinger von Nürnberg« – daraus entwickelt sich aber eine köstliche Wagner-Parodie, bei der sich nach Tristan-Motiven die Stolzing-Arie »Morgendlich leuchtet« schnell zum Walzer entwickelt. Mit »tristanisieren« und »lohengrinisieren« wird Wagners Gesamtwerk in wenigen Minuten zusammengefasst. Die Dialoge Bauers sind zum Teil Ping-Pong-Spiele der Schlagfertigkeit, deren Witze quer durch die deutsche Geistesgeschichte gehen.

1904 uraufgeführt

Der Handlungsrahmen ist mit der Villa eines reichen amerikanischen Milliardärs in Newport modern angelegt und nimmt die entsprechenden Stücke der 1920er-Jahre vorweg. Immerhin hatte »Die Juxheirat« ihre Uraufführung 1904 im Theater an der Wien. Julius Bauer hat zahlreiche damals neue Elemente eingebaut. Dass der Milliardär Thomas Brockwiller Autos herstellt und zwar in so großer Menge, dass er nun sein zwanzigtausendstes Auto feiern kann, das ist so ein modernes Element, immerhin war die berühmte erste Autofahrt durch Bertha Benz 1888 gerade erst ein paar Jahre her. Und die Ideen der weiblichen Emanzipation waren damals gerade sehr aktuell, etwa die Bewegungen zur Einführung des Wahlrechts für Frauen um die Jahrhundertwende. 1903 wurde in England die Women’s Social and Political Union gegründet. Dass in einer Operette der Zeit studierte Frauen vorkommen, ist durchaus bemerkenswert, in diesem Fall sind es gleich zwei, die Juristin Phoebe und Euphrasia, die sich der Anatomie widmen möchte. Dass eine Baronin einen Grafen heiratet, mag in einer Wiener Operette nicht erstaunen. Andererseits wird mit der ersten Ehe der Milliardärstochter Selma ein Thema angesprochen, das damals in den USA in Mode kam, dass nämlich europäische Adelige amerikanische Frauen mit großer Mitgift heirateten. Armer Graf heiratet reiche Frau ist ja auch das Thema in »Die lustige Witwe«. Eine andere ungleiche Paarung ergibt sich mit Phoebe und Philly – Juristin und Chauffeur.


Lilli Wünsche (Selma) und Adam Sanchez (Harold)

Foto: Tom Schulze


Die Kussprobe

Bevor es aber in dieser Operette zu Paarungen kommen kann, muss erst einmal ein grundlegendes Problem beseitigt werden. Selma, des Milliardärs Tochter und verwitwete Baronin von Wilfort, ist nämlich Präsidentin des LVM. Mit dem Kürzel ist der Frauenbund »Los vom Mann« gemeint. Da ihr Ehemann sie schon auf der Hochzeitsreise betrogen hat, will Selma sich nun der Ehelosigkeit verschreiben. Um sie sind weitere Frauen mit traumatischen Männererlebnissen. Allerdings kommt Selma der Rachefeldzug der Geliebten ihres verstorbenen Ehemanns in die Quere. Dieser hatte seine Angebetete nämlich wegen Selmas Mitgift sitzenlassen – oder genauer gesagt zur Geliebten degradiert. Diese, Juliane von Reckenburg, schleicht sich nun unter dem Namen Miss Grant in den LVM ein, um Selma mit ihrem Bruder Harold von Reckenburg zu verkuppeln. Das soll die Rache sein. Um die Handlung zu würzen, erklärt Juliane Selma, dass der Harold, der bald auftauchen wird, gar nicht Harold sei, sondern seine als Mann verkleidete Schwester Juliane. Da es sich aber doch um den echten Harold handelt, entstehen natürlich einige groteske Situationen, wenn die Frauen versuchen an Harold feminine Elemente zu entdecken. Das kumuliert schließlich in einer Kussprobe. Um die vermeintliche Juliane bloßzustellen und sich an der Geliebten ihres Mannes zu rächen, lässt sich Selma auf eine scheinbare Hochzeit mit Harold, also die titelgebende Juxhochzeit, ein. Schon möchte sie Harold wegen des falschen Eheversprechens vom Sheriff verhaften lassen, da stellt sich heraus, dass Harold doch Harold ist und sie wirklich mit ihm verheiratet ist. Und nun kommt die zweite Komplikation ins Spiel: Selma hat Harold das Versprechen abgenommen, dass er ihr gegenüber nie von Liebe sprechen wird. Als Mann von Ehre tut er das auch nicht, besteht auch nicht auf dem Ehegelöbnis und leitet die Scheidung ein. Da Selma sich inzwischen aber in ihn verliebt hat, zerreißt sie den Scheidungsvertrag.

In Leipzig spielt die Geschichte in den Fünfzigerjahren

In der neuen Produktion der Musikalischen Komödie in Leipzig, deren geplanter Termin am April 2020 durch den Corona-Lockdown ausfallen musste, wegen der Corona-Maßnahmen mit ihren Theaterschließungen immer wieder verschoben werden musse und nun am 2. Oktober Premiere hatte, verlegte Regisseur Thomas Schendel die Handlung in den 1950er-Jahren. Allerdings ist für diese Zeit eine Produktionsleistung von 20000 Autos eher kläglich. Zumindest entwarf Julia Burckhardt für die Fünfzigerjahre einen unglaublichen Reigen vielfältiger Kostüme. Stephan von Wedel deutete in seinem Bühnenbild hinter einem Raum mit goldenen Säulenstümpfen den Ausblick auf das Meer an. Warum die Villa eines Milliardärs allerdings einen ruinösen Säulensaal besitzt, erschließt sich nicht unbedingt. Soll man an gekappte Phalli denken? Zeigt sich darin die vom LVM gestürzte Männlichkeit? Immerhin liegt ein umgestürzter Säulenstumpf so, dass man tatsächlich an einen erigierten Phallus denken könnte. Abgesehen davon, dass der besoffene Arthur mal darauf ritt, wurde damit aber wenig gemacht. Überhaupt blieb die Regie sehr brav. Man muss schon sagen: zu brav. Dabei könnte der Plot eine Steilvorlage sein für ein interessantes Geschlechterspiel, das über die übliche Mann-Frau-Geschichte weit hinausgeht. Es handelt sich ja nicht um die übliche Travestie, bei der die Personen auf der Bühne vom falschen Geschlecht ausgehen, sondern eine vermeintliche Travestie, bei der die Personen auf der Bühne die Geschlechtermerkmale diskutieren – aber eben des falschen Geschlechts. So wird immerhin der Tenor auf seine weiblichen Qualitäten abgeprüft. Und wenn Selma Harold küsst, geht sie davon aus, dass sie eine Frau küsst. Und auch wenn sie dann äußert, dass sie diesen Kuss ganz kläglich findet, so täuscht sie darüber hinweg, dass sie den Kuss mit einer Frau genossen hat. Gleichzeitig deuten die Bemerkungen, dass Harold feminine Züge haben, eine weitere Zweideutigkeit an. Diese schwulen Andeutungen hätte man ruhig etwas schärfen können. Der Text ist ja schon gespickt damit. Immerhin kommt in dieser Operette ein Kuss zwischen zwei Männern vor. Der erfolgt zwar im Rahmen des Flirt- und Verführunterrichts, ist deshalb Anfang des 20. Jahrhunderts aber nicht weniger brisant. Natürlich musste die Geschichte 1904 in einer Ehe zwischen Mann und Frau enden. Es war eben nicht möglich, dass eine Frau eine Frau heiratet. Aber heute geht das. Und damit hätten sich schon für die Juxheirat neue Varianten und für die endgültige Paarfindung viel mehr Möglichkeiten ergeben. Es ist deshalb schon bemerkenswert, dass die Inszenierung diese Aspekte völlig ignorierte. Die Inszenierung war unterhaltsam, die Kostüme waren sehr schön anzuschauen, aber der Paprika fehlte.

Komödiantisches Talent Andreas Rainer

Als kühle Selma war Lilli Wünscher zu erleben. Dass sie sich in der Höhe etwas zurückhielt, mag daran gelegen haben, dass sie sich in der besuchten Sonntagnachmittagsvorstellung am 3. Oktober noch von der Premiere am Vorabend erholen musste. Mirjam Neururer überzeugte als Phoebe mit Witz und Charme. Das Damenquintett ergänzten Theresa Maria Romes als Juliane, Julia Ebert als Edith und Nora Lentner als burschikose Euphrasia (mit Zigarrillo und in geblümtem Hosenanzug).


Mario Ramos (Haushofmeister) und Andreas Rainer (Philly Kaps)

Foto: Tom Schulze


»Die Juxheirat« bietet Platz für viele Tenöre. In der Rolle des zurückhaltenden Liebhabers, der nur als Rennfahrer draufgängerisch ist, blieb Adam Sanchez als Harold von Reckenburg allerdings ziemlich blass. Jeffery Krueger war als Selmas Bruder Arthur schon etwas effektvoller aber leider in der Höhe unsicher. Michael Raschle nahm man die Rolle als kauziger und doch gewiefter Milliardär Brockwiller mit dem kuriosen Auftrittslied »Ich bin ein armer Milliardär« gerne ab. Man schmunzelte über den trockenen Humor des sich wienerisch herablassend gebenden Haushofmeisters (Mario Ramos), der in einer ergänzten Coupletstrophe über Klimaprobleme lamentieren durfte. Hervorzuheben ist allerding Andreas Rainer, der mit komödiantischem Talent den Chauffeur Philly Kaps zu einer Hauptrolle machte und mit vielen Lachern vom Publikum belohnt wurde. Er fungierte in vielen Szenen geradezu als Spielmacher und sorgte für Schwung. 


Für Schwung sorgte natürlich vor allem die Musik. Tobias Engeli brachte mit dem gut geprobten Orchester der Musikalischen Komödie die beschwingten Melodien gut zur Geltung. Für das mal als Kellner Tabletts jonglierende, mal als Äffchen herumalbernde Ballett hat Mirko Mahr eine witzige Choreographie erarbeitet. Der von Mathias Drechlser gut einstudierte Chor sorgte für opulente Gesellschaftsszenen. Das Publikum zeigte sich begeistert und feierte die Aufführung.

 

 

Premiere: 2. Oktober 2021

Besuchte Vorstellung: 3. Oktober 2021

Musikalische Komödie im Haus Dreilinden in Leipzig

 


Weitere Besprechungen von Aufführungen der Musikalischen Komödie


Casanova von Albert Lortzing:

https://opernloderer.blogspot.com/2018/07/opernraritat-komische-oper-casanova-von.html


Prinzessin Nofretete von Nico Dostal

https://opernloderer.blogspot.com/2017/11/nico-dostals-operette-prinzessin.html


 


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