Opernrarität: Komische Oper „Casanova“ von Albert Lortzing – Musikalische Komödie Leipzig – 2018
Venezianische Charade
– Albert Lortzings komische Oper „Casanova“ an der Musikalischen Komödie Leipzig –
von Klaus J. Loderer
Die Handlung spielt in Venedig. Das ist schon durch das Bild auf dem Bühnenvorhang unverkennbar. Und auch die ganze Inszenierung entführt nach Venedig. Dazu hat Bühnenbildnerin Beate Zoff eine der typischen Brücken auf die Bühne gestellt und sogar Motive des Dogenpalasts verarbeitet. Obwohl. Ja obwohl doch das Stück gar nicht in Kernvenedig spielt. Der Dogenpalast passt insofern nicht so ganz. Aber lassen wir die Spitzfindigkeit und nehmen wir das als hübsche Venedig-Collage hin. Und schön sieht das zweifelsohne aus mit den venezianischen Arakaden zur Linken, Kanal und Brücke in der Mitte und einem Plätzchen zur Rechten. So präsentiert die Musikalische Komödie Leipzig den ersten Akt von Albert Lortzings komischer Oper „Casanova“ und hat damit wieder einmal eine interessante Ausgrabung in der reichen verschütteten Welt des musikalischen Lustspiels gemacht.
„Casanova“ an der Musikalischen Komödie Leipzig:
Milko Miles (Rocco) und das Ensemble im ersten Akt
© Tom Schulze
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Lortzing ist fast nur noch durch „Der Wildschütz“ auf den Spielplänen vertreten. Selbst die früher so populären Oper wie „Zar und Zimmermann“, „Undine“ und „Der Waffenschmied“ sind fast in Vergessenheit geraten. „Regine“ ist nach einer kurzen Wiederbelebung sofort wieder in der Versenkung verschwunden. Insofern ist es sehr erfreulich, dass nach Aufführungen in Klagenfurt und anderen Städten nun auch die Musikalische Komödie Leipzig „Casanova“aufführt, zudem diese Lortzing-Oper 1841 in Leipzig enstanden ist und uraufgeführt wurde. Lortzing war seit 1833 als Sänger und Schauspieler am Theater Leipzig, 1844/45 als Kapellmeister.
Die Oper basiert auf dem 1836 uraufgeführten französischen Vaudeville „Casanova au Fort Saint-André“ von Varin (eigentlich Charles Voirin), Etienne Arago und Desvergers (eigentlich Armand-Sacré Chapeau, das durch die Übersetzungen und Bearbeitungen von Ludwig Osten („Casanova im Fort Saint-André“) und Karl August Lebrun auch in Deutschland bekannt war. Lortzing ließ sich dadurch zum Libretto seiner Oper inspirieren. Letztlich basiert auch Paul Linckes Operette „Casanova“ von 1913 auf diesem Vaudeville.
Den Aufenthalt im Gefängnis und seinen Ausflug, die im Kern des Stücks stehen, beschreibt Casanova in seinen Memoiren. Ansonsten ist die Handlung erfunden. Dass das Gefängnis in der französischen Variante Saint-André genannt wird, ist der franzöischen literarischen Grundlage des Stücks geschuldet. Es handelt sich um die kleine Festung Forte di Sant’Andrea. 1743 war Casanova dort unter Arrest. Das ist nicht zu verwechseln mit der berühmten Inhaftierung in den Bleikammern 1755/56, aus denen ihm ebenfalls der Ausbruch gelang, was er 1788 als Buch veröffentlichte.
In der Oper ist Casanova entsprechend dem Klischee als berühmter Frauenheld dargestellt, das dürfte zur Handlungszeit noch nicht der Fall gewesen sein bei einem noch nicht einmal zwanzigjährigen Doktor beider Rechte. Aber der Name Casanova dient hier vor allem als Basis für eine verwickelte Liebesgeschichte mit Casanova als Draufgänger im Gegensatz zu etwas vertrottelten Gegenspielern.
In der Handlung geht es um das Liebespaar Peppo und Bettina. Er ist Schließer im Fort, in dem Casanova unter Arrest sein sollte, es aber nicht ist, weil statt seiner ein Freund sich verhaften ließ. Sie ist Tochter des Kerkermeisters Rocco und Zofe von Rosaura, der Nichte des Festungskommandeurs. Sie schwärmt für die eleganten Verführungskünste Casanovas, er ist eifersüchtig. Das ist das Buffopaar. In der einleitenden Chorszene, in der natürlich der Wein besungen wird, erfahren wir, dass Casanova wegen eines Duells inhaftiert wurde. Wir lernen auch gleich den Kerkermeister Rocco kennen, der alle Dogen aufzählen kann. Casanova treibt sich unerkannt unter dem Namen Abbé da Ponte herum, in der Hoffnung eine verschleierte Dame wiederzufinden. Denn es geht das Gerücht, dass nachts hier ein Geist spuke. Dafür halten die von Peppo herbeigerufenen Soldaten dann den betrunkenen Rocco, als sie Casanova verhaften sollen und gleich vor Angst schlottern.
Im zweiten Akt sitzt Casanova im Kerker, verwöhnt von Bettina, der er Gesangsunterricht gibt und sie porträtiert. Natürlich kocht ihr Verlobter Peppo. Im Kerker taucht in Begleitung des Festungskommandeurs auch seine Nichte Rosaura auf, die er als seine Frau ausgibt. Für Verwirrung sorgt zudem, dass der mit seiner bevorstehenden Verlobung prahlende eitle Gambetto ein Porträt Rosauras verliert. Um am Verlobungsfest teilzunehmen, bricht Casanova aus der Festung aus. So taucht er dann beim Maskenball in der Villa Murano auf, wo Gambetto mit ihm die Verkleidung tauscht. Der Kommandeur wähnt in dem Unbekannten den Abbé da Ponte und hofft auf ein Gedicht. Casanova findet in dem Umhang ein Schreiben, das belegt, dass Rosauras Familie nicht bankrott ist und sie so nicht gezwungen ist, den reichen Gambetto zu heiraten, was er in der Schlussszene öffentlich macht. Bei Lortzing wird Casanova begnadigt, bei Lincke schleicht er sich übringes zurück ins Gefängnis.
Die beiden Hälften des Brückenbogens dienen anders zusammengesetzt im zweiten Akt als Kerker. Im dritten Akt werden sie, mit nach vorn gedrehten Stufen zu Treppen in der Villa. Die Arkaden des Dogenpalasts werden, diagonal gestellt, zu Wänden des Festsaals. Das macht sich mit den ebenfalls von Beate Zoff entworfenen Nobili-Rokoko-Kostümen äußerst dekorativ. Zur Zwischenaktmusik vor dem dritten Akt darf dann der gesamte Chor einmal knisternd und kichernd über die Vorderbühne huschen, um sich auf den Maskenball einzustimmen. Im ersten Akt ist der Chor noch kleinbürgerlich ausstaffiert, während der Kommandeur im dekorativen Morgenrock auftaucht. Auch das sieht überaus dekorativ aus. Nur bei den Soldatenuniformen hat man sich irgendwie im Kapitel der Kostümgeschichte vertan – oder soll die Oper etwa nach der französischen Besatzung spielen?
Regisseur Cusch Jung platziert den Chor geschickt und dekorativ im Bühnenbild. Das ist schön arrangiert. Er hat witzige Ideen etwa für die Belauschung des Treffens Casanova mit der Unbekannten an der Brücke durch Peppo, der sich auch einmal an die Brücke hängt, um nicht bemerkt zu werden. Allerdings ist es etwas merkwürdig, dass Casanova und die Unbekannte sich sehnsuchtsvoll und weit über den Kanalrand lehnen und sich nicht einfach auf der Brücke treffen. Das mag ein treffliches Symbol für unerreichbare Liebe sein, aber wenn eine Brücke da ist, wirkt das einfach lächerlich.
Während Lortzing bei seinen späteren Opern immer ein Ohrwurm gelungen ist, ist die Musik von „Casanova“ zwar nicht minder melodisch aber es fehlt so ein richtiges Erkennungszeichen. Musikdirektor Stefan Klingele präsentiert uns mit dem Orchester der Musikalischen Komödie weite Melodiebögen und feine Verzierungen der romantischen Tradition. Lilli Wünscher gibt der Rosaura mit ihrem Sopran adeligen Glanz. Ebenfalls eine Sopranpartie ist die Bettina; Magdalena Hinterdobler wechselt zwischen leichter Mädchenhaftigkeit und im Wechselspiel mit Peppo zu spröden Spitzen. Die Titelpartie ist in dieser Vorstellung nicht wirklich glücklich besetzt, da der Tenor Radoslaw Rydlewski als Casanova in der Höhe leider unangenehm forciert. Sehr witzig der zweite Tenor: Jeffrey Krueger wuselt als eifersüchtiger Peppo umher. Trocken komisch der Bass-Bariton Milko Milev als geschichtsbeflissener Kerkermeister Rocco mit einem witzigen Couplet im zweiten Akt. Majestätisch Bass-Barion Michael Raschle als Festungskommandeur Busoni. Hinrich Horn ist durch sein Kostüm als Gambetto etwas arg lächerlich gemacht, als Bariton singt er die Rolle allerdings gut. Nur in einer kleinen Rolle Stefan Dittko als Wirt Fabio.
Besuchte Vorstellung: 9. Juni 2018
(2. Vorstellung, Premiere 2. Juni 2018)
Musikalische Komödie Haus Dreilinden Leipzig
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