Theatergeschichte: was macht die Dame im Theater mit dem Hut?

Blick auf den Hut oder auf die Bühne 

Was macht die Dame mit dem Hut im Theater? 

Von Klaus J. Loderer


Zu Zeiten als der Mensch das Haus nicht unbedeckt verließ, ergaben sich durch die Kopfbedeckungen Probleme, die uns heute gar nicht mehr geläufig sind. Was machte man mit den Hüten im Theater. In den seit dem Ende des 19. Jahrhunderts errichteten Theatern konnte man in Deutschland die Hüte üblicherweise an der Garderobe abgeben. Während der Herr den Hut einfach absetzen konnte, war das bei Damen nicht so einfach. Denn die Hüte waren mit Haarnadeln am Haar oder eventuellen Aufpolsternden festgesteckt. Nahm man den Hut ab, wurde die Frisur womöglich verdrückt sichtbar. Also ließen die Damen die Hüte nach Möglichkeit auch in Gebäuden auf. Im Theater war das in einer Loge kein Problem. Da saß niemand dahinter. In den Sperrsitzen war das aber ein großes Problem und sorgte wohl regelmäßig für Auseinandersetzungen im Publikum. Entsprechende Szenen fanden Eingang in den Slapstick der Stummfilme. 


Damenhüte und ihre Dekorationen konnten um 1900 ein beachtliches Ausmaß in Breite und Höhe einnehmen. Als Beispiel sei die Sopranistin Erna Denera mit einem Hut mit Reiherfedern in einem historischen Foto gezeigt. Die Zeitschrift Berliner Leben stellte sie 1909 mit zwei Bildern vor, nachdem sie vom kgl. Hoftheater Wiesbaden an das kgl. Opernhaus Berlin gewechselt war. In Berlin sang sie bis 1921.


Die Sopranistin Erna Denera (1879-1938)

Berliner Leben 1909, 1


Die Dame sollte also im Theater den Hut absetzen. Aber wenn sie das nicht tat. Dann hatten die Zuschauer in den Reihen dahinter ein gewisses Sichtproblem. Aus Zuschauern wurden so Zuhörer.


In der Berliner Börsenzeitung erschien im Jahr 1908 eine Notiz mit einer bemerkenswerten Idee: „Gegen die Rücksichtslosigkeit derjenigen Damen, die im Theater den Hut auf dem Kopfe behalten, ist man schon oft und mit mancherlei Maßregeln zu Felde gezogen. Kürzlich wurde aus Paris über ein drastisches Mittel berichtet, das zwei männliche Theaterbesucher im Kampfe gegen zwei voluminöse Damenhüte anwandten. Ein anderes Verfahren hat, wie man der Frankf. Ztg. aus London schreibt, ein dortiges Theater eingeschlagen, ein Verfahren, das nicht auf Gegenmaßnahmen beruht, sondern durch Höflichkeit zu zwingen sucht und auch unfehlbar seine Wirkung erreicht. Auf dem Theatervorhand steht in klarer, deutlicher Schrift eine Danksagung der Theaterleitung an diejenigen Damen, „die freundlichst ihre Hüte abgenommen und durch diese schätzenswerte Rücksicht es den hinter ihnen Sitzenden ermöglicht haben, die Vorstellung ungestört zu genießen.“ Die Wirkung dieser Inschrift zu beobachten, ist amüsant. Man kommt herein, mit dem bekannten radgroßen Matinee-Hut angetan, und läßt sich häuslich nieder. Unwillkürlich geht der Blick zur Bühne, in großen Lettern leuchtet einem die Danksagung auf dem Vorhang entgegen, man nestelt am Hut und arbeitet daran, bis er herunter ist. Im ganzen Zuschauerraum kann man allabendlich nicht einen einzigen Damenkopf mit einem Hut geschmückt entdecken. Die originelle Idee stammt von Frl. Lena Ashwell, der Pächterin des Kingsway Theatre, und ist auch von anderen Theatern aufgenommen worden.“ (Berliner Börsenzeitung 1.5.1908)

 

Lena Ashwell war der Künstlername von Lena Margaret Pocock (1872-1957). Nach dem Musikstudium in Lausanne und London debütierte sie 1891 als Schauspielerin in „The Pharisee“. 1906 leitete sie das Savoy Theatre und ab 1907 das Kingsway Theatre. 1914 gehörte sie zu den Gründerinnen der United Suffragists. Im Ersten Weltkrieg organisierte sie Truppenunterhaltung an der Front. Im Kingsway Theatre am Haymarket, das früher Novelty Theatre bzw. Great Queen Street Theatre hieß, spielte zwischen 1900 und 1907 zeitweilig das Deutsche Theater London.

 


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