Ausstellung: Vincent Tavenne – R.U.N.D. in der Galerie der Stadt Backnang – 2020

Das Käselabyrinth und die Wand der Beschimpfungen 

– Ausstellung „ R.U.N.D.“ mit begehbaren Rauminstallationen, Skulpturen, Collagen und Aquarellen von Vincent Tavenne in der Galerie der Stadt Backnang – 

von Klaus J. Loderer 


Ein riesiger Ring lehnt an der Wand – viele Meter im Durchmesser. Die Rundung scheint die Bögen gotischen Chors aufzugreifen. Wie die Rippe eines Gewölbes sticht der Ring durch den Raum. Die graue Farbe des Rings vereinigt sich mit dem Grau der Dienste und Rippen des gotischen Raums. Der Ring ist Teil einer Rauminstallation, die Vincent Tavenne im Rahmen der Ausstellung „R.U.N.D.“ in der Galerie der Stadt Backnang zeigt. Verschwinden sonst zierliche Skulpturen fast in dem überhohen Chor, nimmt Tavenne es mit dem Raum auf und möbliert ihn mit großen Objekten. Wie das Gebäude seine Geschichte hat, so wähnt man auch eine Geschichte in der Aufstellung. Der riesige rote Kreis mit seiner fein polierten Oberfläche, der nun an der Wand lehnt, könnte die Tischplatte eines riesigen runden Tischs sein, der sich gut im Zentralraum machen würde. Nun scheint der beiseite geräumt, um einem weiteren Objekt Platz zu machen, bei dem Würfel aufeinander gestapelt sind. Das könnte der Hochaltar einer Kirche sein. Doch ist er leicht aus der Mittelachse herausgerückt. Der Künstler lädt ein, hineinzugehen. Es sind nämlich keine gestapelten Würfel. Es handelt sich um ein hölzernes Gestell, das mit grau gefärbtem Stoff bespannt ist. An zwei Stellen hängt der Stoff wie ein Vorhang herab und lässt es zu, den intimen Raum zu betreten. Auch der schräg stehende weiße Quader, der den Raum so teilt, dass man in nicht sofort überblickt, ist begehbar. Man gerät in eine mystische Welt, die von roten Stoffbahnen gebildet wird. 



Ausstellung Vincent Tavenne – R.U.N.D. in der Galerie der Stadt Backnang, Blick in den gotischen Chor

Foto: kjl


Ein solches Minilabyrinth ist auch im dunklen Quader im ersten Stock versteckt. Man kann zwischen den schwarzen Stoffbahnen herumgehen. Die im Ausstellungsraum stehende Bank verstärkt den Eindruck eines Bühnenbilds. Auf schwarzem Grund erkennt man eine bläuliche Kreisfläche. Ist es die Erde? Vielleicht. Die Flecken deuten das an, ohne dass die Kontinente konkret werden.



Arbeit von Vincent Tavenne in der Galerie der Stadt Backnang

Foto: kjl


Von knalliger Farbigkeit ist das Objekt im Nebenraum. Gelb, rot und blau – die drei Grundfarben. Drei fast raumhohe Ringe sind mit Stoff bespannt. Durch die Aufstellung im Dreieck stützen sie sich gegenseitig und stehen von alleine. Umrundet man das Objekt beginnen sich die Stoffflächen leicht zu bewegen, als atmeten sie. So homogen die Farbflächen auf den ersten Blick sind, erkennt man bei genauerer Betrachtung die verschiedenen Texturen des Stoffs; Bettlaken und Bettdecken hat Tavenne zusammengenäht. 


Das Thema R.U.N.D. greifen auch zwei an der Wand hängende Objekte auf und kontrastieren die Stoffkreise in ihrer Materialität. Diese Kreise sind aus Metall. Das eine Objekt könnte fast eine Spolie aus einer mittelalterlichen Kirche sein, das Gewände eines Rundfensters, einer kleinen Fensterrose. Das Objekt gegenüber macht einen Zeitsprung in die Industrialisierung. Man blickt in das Räderwerk einer Maschine oder in ein riesenhaft vergrößertes Uhrwerk. Zwei ältere Arbeiten sind wie Bühnenbildmodelle angelegt: man blickt durch eine kreisrunde Öffnung in durch „Kulissen“ in der Tiefe gestaffelte Räume. Die davorgesetzte Glasscheibe bewirkt, dass man sich selbst in diesen Räumen wiederfindet.

Auch der riesige „Käsewürfel“ im zweiten Stock ist aus Stoff. Ein Stück Schweizer Käse hängt in einem Holzrahmen. Gelb ist der Stoff eingefärbt. Kreisrunde Löcher sind herausgeschnitten. Sie offenbaren den Blick in das Innere. Dort verlaufen weitere Stoffbahnen mit Löchern unterschiedlicher Größe, die unerwartete Durchblicke ermöglichen. Tavenne hat den Boden des hölzernen Gerüsts mit Matten ausgestattet. Der Ausstellungsbesucher kann sich hinlegen und die Arme hineinstrecken in die runden Öffnungen oder hinaufblicken in dieses Labyrinth gelber Höhlen, in dem man mangels Orientierungspunkten das Gefühl für Größe verlieren kann. 


Das „Käselabyrinth“ kombinierte Tavenne in Backnang mit einer Installation kleiner Objekte an der Wand. Es scheinen auf den ersten Blick Verpackungen zu sein, die Tavenne nachgeformt und mit Produktnamen bemalt hat. Erst auf den zweiten Blick wird die Ironie deutlich. Es ist nämlich eine Sammlung von Beschimpfungen. Niete, Miststück, Blödmann etc. findet man da. Das Päckchen der „Arschgeige“ hat sogar die entsprechende Form. Tarenne legt gerne Begriffsammlungen an. Als in Montbéliard (zu deutsch Mömpelgard) geborener Franzose, der nach Studien an den Akademien in Besançon und Düsseldorf seit vielen Jahrzehnten in Deutschland lebt, ist er fasziniert von den klanglichen Unterschieden des Französischen und des Deutschen. Für die Backnanger Ausstellung hat er – den Ausstellungstitel aufgreifend – ein Plakat angefertigt, bei dem Wörter, die mit R, U, N und D anfangen, so in ein System von Kreisen gesetzt sind, dass es wirkt wie eine Landkarte mit statistischen Werten. Das Thema der abfälligen Titulierung kommt auch in der Wandinstallation der Masken vor. Drei Masken sind als Pfeife, (Einfalts-) Pinsel und Flasche gestaltet. Man könnte sie aufsetzen, sie haben sogar Sehschlitze. Auch die anderen Masken sind nicht einfach nette Karnevalsmasken, sondern ein geradezu dadaistisches Sortiment, das manchen Abgrund des menschlichen Wesens offenbart.



Masken, eine Installation von Vincent Tavenne in der Galerie der Stadt Backnang

Foto: kjl


Zum Thema R.U.N.D. darf die Krönung der geometrischen Formen nicht fehlen, die Kugel. Fast raumhoch schwebt eine solche in einem Raum. Fast scheint es ein Globus zu sein, sieht man doch Längen- und Breitengrade. Wie alle Objekte Tavennes hat auch die graue Kugel ein Innenleben. Durch ein Loch kann man hineinsteigen. Innen ist eine Hängematte gespannt. In den wie ein Regal wirkenden Aussteifungen stehen Bücher zur Lektüre bereit. Hat man sich in dieser Kugelhöhle entspannt, ist der Schock aber umso größer. Denn beim Herauskriechen fällt der Blick auf das Bild einer riesigen Feuersbrunst. Aus vielen in Holzschnitt gedruckter Bögen ist dieses Bild zusammengesetzt. In der flächigen Gestaltung ließ sich Tavenne von japanischer Holzschnitt-Tradition inspirieren.


Wenn man in den oberen Geschossen der Galerie ist, sollte man nicht vergessen, von oben in den Chor hinunterzublicken auf die nun zu Spielzeuggröße geschrumpften Objekte. Deutlich erkennt man das Spiel Tavennes mit geometrischen Flächen und Körpern.

 

Ausstellung

Vincent Tavenne
R.U.N.D.

26. September 2020 – 15. November 2020

Galerie der Stadt Backnang

Turmschulhaus

Petrus-Jacobi-Weg 1

Backnang


Frühere Ausstellungen der Galerie der Stadt Backnang

Anna Ingerfurth 2020

https://opernloderer.blogspot.com/2020/08/ausstellung-bewegungsmuster-mit-bildern.html

Tanja Rochelmeyer 2020

https://opernloderer.blogspot.com/2020/02/ausstellung-surface-to-air-tanja.html


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Skandal: Enrico Caruso und die spektakuläre Trennung von Ada Giachetti

Vor der Oper: das historische Café Rommel in Erfurt

Buchbesprechung: Paul Abraham, der tragische König der Operette – eine Biographie von Klaus Waller