Aus der Geschichte der Schilleroper in Hamburg: Die Eröffnung des Schillertheaters 1905

„Alle Plätze sind bequem, die Passiergänge überall breit genug“ 

– Die Eröffnung des Schillertheaters in Altona 1905 – 

von Klaus J. Loderer 


Die vor einigen Monaten an dieser Stelle veröffentlichten Fotos der Schilleroper in Hamburg sind bereits Geschichte. Im März 2021 wurde die Randbebauung der Schilleroper abgerissen. In Ergänzung der bereits veröffentlichten Übersicht zur Geschichte von Zirkus Busch, Schillertheater und schließlich Schilleroper möchte ich nun auf die Eröffnung des Schillertheaters 1905 eingehen. 

 

Die Premiere platzte. Die Eröffnung des zum Schillertheater umgebauten Zirkusgebäudes war für den 20. April 1905, den Gründonnerstag, angesetzt. Ausverkauftes Haus. Das Publikum wartete gespannt und wurde wieder heimgeschickt. Erst am 21. April 1905, dem Karfreitag, fand die Eröffnungsvorstellung des Schillertheaters statt. Zuletzt wurde das Theater als Schilleroper bespielt.


Die Schilleroper in Hamburg wurde 1905 als Schillertheater eröffnet. Das Foto zeigt das Gebäude im Januar 2021

Foto: Klaus J. Loderer


Die ersten Tage des neuen Schillertheaters lassen sich gut in der Hamburger Presse verfolgen. Am 11. März 1905 kündigte die Altonaer Nachrichten an: „Das Schiller-Theater soll am 8. oder 15. April mit der Aufführung von Schillers „Tell“ eröffnet werden.“ Allerdings waren beide Termine nicht haltbar. Dies könnte mit der noch nicht erfolgten Genehmigung des Umbaus des Zirkusgebäudes in ein Theater zusammenhängen. Involviert waren nicht nur die Behörden der Stadt Altonas – Altona war damals noch kein Stadtteil Hamburgs, sondern eine eigene Stadt im Königreich Preußen – sondern auch die Regierung der Provinz Schleswieg-Holstein in Schleswig.

 

Der 8. und der 15. April verstrichen ohne Eröffnung.  Am 17. April informierten die Altonaer Nachrichten über den neuesten Stand: „Der Minister hat den Umbau des Zirkus Busch in ein Theater, das den Namen Schillertheater erhalten, genehmigt. Das Theater wird am Mittwoch, den 19. D., mit der Aufführung von Schiller’s „Tell“ eröffnet. – die Beleuchtungsprobe fiel zur Zufriedenheit der interessierten Teile aus, es war ein glänzendes Bild und zeigte so recht die hervorragende künstlerische Ausgestaltung. Die Direktion hat beschlossen, für den ersten Abend den Anfang auf 7 ½ Uhr zu verlegen; später beginnen die Aufführungen (der Sonntag ausgeschlossen) regelmäßig um 8 Uhr. Elektrische Bahnverbindung gibt es nach allen Stadtteilen, auch ist das Schillertheater von den beiden Bahnhöfen Sternschanze und Holstenstraße in 5 Minuten erreichbar. Einen hohen Genuß wird uns Herr Karl Grube aus Weimar am Eröffnungstage bereiten; ist dieser Künstler doch von seinem letzten Gastspiel vor 2 Jahren in gutem Angedenken.“


Das Schillertheater in einem Stadtplan von 1912: man erkennt die am Neuen Pferdemarkt verlaufende Stadtgrenze zwischen Hamburg (rechts) und Altona (links). Rot eingezeichnet sind die Straßenbahnlinien

Carl Grube als Stargast

Der 19. April stand nun als Eröffnungstag fest. Mit dem Schauspieler Karl Grube wurde auch ein Stargast angekündigt. Grube war zu dieser Zeit Hofschauspieler am großherzoglichen Hoftheater in Weimar und für die Regie von Schauspiel und Lustspiel zuständig. Bei der Erstaufführung von Sardous Schauspiel „Fedora“ spielte er 1898 Graf Loris Ipanoff und führte Regie. Grube wurde 1866 in Hamburg als Sohn eines Apothekers geboren. Sein Schauspiellehrer  war der in Budapest geborene Leopold Teller, der von 1874 bis 1890 am Hoftheater Meiningen spielte. Ab 1884 war Grube bei den „Meiningern“ und trat auf den berühmten Gastspielen mit auf. 1890-1893 spielte er in den USA, 1893-1895 in Zürich, 1895-1896 in Wiesbaden und 1896-1897 am Deutschen Landestheater in Prag. In Berlin war er schließlich Chefredakteur der „Ostdeutschen Rundschau“. Außerdem schrieb er unter dem Pseudonym Carl Grube-Templin Theaterstücke das Drama „Kurprinz von Brandenburg“ (1900), die Lustspiele „Plutos Schüler“ und „Dr. Ritter aus Chikago“ (1902) und den Schwank „Leonorens Zopf“ (1896). In „Die Meininger“ (1904) und „Randglossen eines Regisseurs“ (1904) verarbeitete er Theatererlebnisse.


Ein bekannter auswärtiger Gast sollte im neuen Schillertheater das Publikum anlocken. Schließlich stand das neue Theater in Konkurrenz zu den anderen Theatern in Altona und Hamburg. Grube trat in „Wilhelm Tell“ und Shakespeares „Die bezähmte Widerspenstige“ (Der Widerspenstigen Zähmung) auf. Mit Schillerstücken waren die Hamburger damals gut versorgt, stand doch am 9. Mai 1905 Schillers 100. Todestag an. So spielte das Deutsche Schauspielhaus am Ostermontag „Don Carlos“ und einige Tage später „Die Jungfrau von Orleans“. Das Hamburger Stadttheater bot am Karfreitag ein Konzert mit Liszts Dante-Sinfonie und Brahms’ „Ein deutsches Requiem“, am Ostersonntag Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ und am Ostermontag Wagners „Walküre“. Am Ostersamstag spielte das Altonaer Stadttheater Verdis „Maskenball“ und am Sonntag die Premiere des Lustspiels „Die neue Aera“ von Hermann Riotte. Max Monti konnte an Ostern im Carl-Schultze-Theater zwei Auftritte der berühmten US-amerikanischen Tänzerin Isadora Duncan bieten.


Eröffnung des Schillertheaters 

Anzeige im General-Anzeiger für Hamburg-Altona vom 21. April 1905


Die geplatzte Eröffnung des Schillertheaters

Doch auch mit dem 19. April 1905 wurde es nichts. Weil die Freigabe des Gebäudes durch den Oberpräsidenten in Schleswig noch nicht erfolgte, musste die Eröffnung auf den 20. April verschoben werden. Doch auch an diesem Gründonnerstag konnte die Eröffnung nicht stattfinden. Das schon im Theater sitzende Publikum wurde wieder heimgeschickt. Der General-Anzeiger für Hamburg-Altona berichtete am nächsten Tag ausführlich: 


„Die Eröffnungs-Vorstellung im Schiller-Theater fand gestern abend nicht statt. Ein zahlreiches Publikum hatte sich eingefunden, das Theater war bis auf den letzten Platz besetzt, und erwartungsvoll harrte die Menge der Dinge, die da kommen sollten. Das war die Tell-Ouverture, ein Festprolog und Wilhelm Tell. Langsam hob sich erst der eiserne, dann der gemalte Vorhang, an der Rampe erschien der weimarische Hofschauspieler Karl Grube, der den „Tell“ spielen sollte. Atemlose Stille im Haus. Nun teilte Herr Grube dem Publikum in verbindlichen Worten mit, daß die Vorstellung nicht stattfinden könne. Vom Regierungspräsidenten in Schleswig sei infolge einiger kleiner Mängel in feuerpolizeilicher Hinsicht die Genehmigung zur Eröffnung des Theaters noch nicht erteilt worden. Am Donnerstag, also heute abend, würde die Vorstellung aber bestimmt stattfinden; die Billets behielten aber für diese oder eine der späteren Vorstellungen ihre Gültigkeit und könnten an der Kasse umgetauscht werden. Der Vorhang fiel, und langsam, aber aufgeregt debattierend, verließ das Publikum die „Eröffnungsvorstellung“. Nach dem Chicagoer Theaterbrand ist man ja auch in Deutschland besonders vorsichtig und peinlich in dieser Beziehung geworden. Im Schillertheater wurden bei der dieser Tage vorgenommenen polizeilichen Schlußbesichtigung hauptsächlich drei Teile bemängelt: 1. waren einige Dekorationen nicht auf Asbest gemalt; 2. waren einige Sitze zu viel, die im Falle des Ausbrechens einer Panik den Ausgang verhindern konnten, und 3. war die vorgeschriebene Zahl der Notausgänge nicht erreicht worden. Herrn Direktor Kampehl-Gürcke war nahegelegt worden, diese Mängel abzustellen, dann stünde der Eröffnung des Theaters nichts im Wege. Tag und Nacht arbeiteten die Handwerker, um die Vorstellung zu ermöglichen. Zur Eröffnung des Theaters war alles den Anordnungen gemäß hergestellt, aber – die Erlaubnis des Regierungspräsidenten war nicht eingetroffen. Herr Grube war schon geschminkt und halb im Kostüm, das gesamte Personal war versammelt, als der Direktor ihnen bekanntgab, daß mangels der Erlaubnis nicht gespielt werden könne. Die Mimen verließen das Theater; Herr Grube kleidete sich wieder an, um dem Publikum die eingangs erwähnte Mitteilung zu machen. Während der Hofschauspieler noch sprach, traf die Erlaubnis ein. Die Vorstellung ließ sich aber, da die Schauspieler zum größten Teil das Theater bereits verlassen hatten, nicht mehr ermöglichen. Nicht unerwähnt darf aber bleiben, daß noch bis kurz vor 7 ½ Uhr an der Kasse Billets verkauft wurden für eine Vorstellung, die, wie die Direktion wußte, gar nicht stattfinden würde. Auch als einige Theaterbesucher ihr bezahltes Garderobengeld zurückverlangten, wurde dieses von den Garderobenfrauen mit der Begründung verweigert, sie könnten doch nicht umsonst arbeiten! Da muß man fragen: Weshalb wurde denn überhaupt Garderobe angenommen und weshalb wurden noch Billets verkauft? Wie soll sich nun heute abend die Sache abwickeln? Es sind für heute schon sehr viele Billets verkauft worden, dazu kommen die Eintrittskarten für die gestrige, nicht stattgefundene Vorstellung, so daß für zahlreiche Plätze heute abend eine doppelte Bewerbung eintreten wird, wenn nicht ein großer Teil des Publikums die gestrigen Billets für einen der folgenden Tage umtauscht, da ja „Wilhelm Tell“ mehrfach wiederholt wird; außerdem stehen an den Osterfeiertagen „Die bezähmte Widerspänstige“ und gleich nach den Feiertagen „Graf Essex“ und „Die zärtlichen Verwandten“ auf dem Spielplan.“ (General-Anzeiger für Hamburg-Altona, 21.4.1905)


Der erwähnte Theaterbrand in Chicago war der Brand des Iroquois Theaters am 30. Dezember 1903, bei dem 602 Menschen starben. Das Theater war erst wenige Wochen zuvor eröffnet worden.


Zuschauerraum des Schillertheaters nach 1905

Die Eröffnung findet doch statt

Hätte der Theaterdirektor die Schauspieler also noch etwas länger warten lassen, wäre die Vorstellung noch zu retten gewesen. Bezüglich der Doppelbelegung der Plätze am Freitagabend war die Sorge des Kritikers überflüssig. An diesem Abend war nämlich ursprünglich gar keine Vorstellung vorgesehen, da es sich um den Karfreitag handelte. Die Sache kam also doch noch zu einem guten Ende – oder zu einem guten Anfang. Am 21. April 1905 fand die Eröffnungsvorstellung dann tatsächlich statt. Für die Eröffnungsvorstellung sei die Neue Hamburger Zeitung zitiert, die übrigens wie der General-Anzeiger im Verlag Wilhelm Girardets erschien. Der unter dem Kürzel en schreibende Rezensent feierte das Schillertheater als dringend notwendiges Volkstheater und leitete seine Gedanken mit einem Schillerzitat ein: 


„Die Schaubühne ist der gemeinschaftliche Kanal, in welchem von dem denkenden, besseren Teile des Volks das Licht der Weisheit herunter strömt und von da aus in mildern Strahlen durch den ganzen Staat sich verbreitet. Richtigere Begriffe, geläuterte Grundsätze, reinere Gefühle fließen von hier durch alle Adern des Volkes; der Nebel der Barbarei, des finsteren Aberglaubens verschwindet, die Nacht weicht dem siegenden Licht.“ So dachte der vierundzwanzigjährige Dichter der Räuber über die „Schaubühne als moralische Anstalt“, und ein Schillertheater, das wirklich ein Volkstheater werden will, kann sich kein schöneres Motto wählen. Wie brennend nötig war uns ein solches Volkstheater! Die Hamburgische Arbeiterschaft hatte bisher wohl ihr Ernst Drucker-Theater, ihren Nauche, ihr Tivoli. Aber nicht eine Bühne, auf der ihnen von ernsthaften Schauspielern ernste, vornehme Volkskunst geboten wurde. Warum veranstalten die großen Theater Hamburgs zur Schillerfeier 30-Pfennig-Aufführungen? Weil man allenthalben fühlt, daß dem reich entwickelten Bühnenleben unserer Stadt hier ein Organ fehlt, dessen Wichtigkeit gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Berlin hat ein ganzes System solcher Schiller-Theater. Im Osten, im Norden, in Charlottenburg – bald auch in Schöneberg, dazu noch das Luisen-Theater – überall ist dort der deutschen Klassik und der besten modernen Dichtung eine Stätte geschaffen worden. Der Bildungsdrang in unserer Arbeiterschaft steht dem der Berliner nicht nach. Nein, er hat hier gewaltige Formen angenommen! Ein rührend mächtiger Hunger nach Wissen und Schönheit beseelt die Bevölkerung unserer Vorstädte, die Fabrikarbeiter, die Handwerker, denen ihre Organisation politisches Gefühl und einzelne Vereinsveranstaltungen ästhetische Bedürfnisse gegeben haben. Ich habe hier den Professor Bruno Wille drei Stunden lang über Goethes Faust sprechen hören – und er blieb nicht an der Gretchentragödie hängen, sondern tauchte tief unter in den Reichtum philosophischer Dichtung – und eine tausendköpfige Schar von Männern, die keinen Kragen trugen und den Hut auf dem Kopfe hatten, lauschte drei Stunden lang, ohne Laut, ohne Regung. Das ist ein Publikum, für das Künstler mit Freuden schaffen können. Ein Publikum, dem Ihr neben unseren Klassikern einen Hebbel, Otto Ludwig, Gerhart Hauptmann – einen Heyermanns [Herman Heijermans] vorspielen könntet, wenn Ihr wirkliches naives Verständnis sucht. Wir werden dem jungen Schiller-Theater ernsthafte und strenge Kritiker bleiben. Dies Unternehmen ist so schön in seiner hohen Zweckmäßigkeit, daß es um keinen Preis verdorben werden darf. Gute und beste Ansätze sind allenthalben zu konstatieren. Da ist zunächst das Haus – in den Zirkus Busch hineingebaut –, dessen amphitheatralischer Bau nirgends jenes ängstliche Gefühl der Enge aufkommen läßt, das ein Erbfehler aller Theater mit drei oder vier Rängen ist. Hier atmet man freier, hier findet das Auge überall Flächen mit satten, tiefen Farben, wenn gerade der – nicht in den Stil passende – Vorhang gefallen ist. Alle Plätze sind bequem, die Passiergänge überall breit genug, die Restaurationen und Plauderräume behaglich. – Das alles sind keine bloßen Aeußerlichkeiten! Wer in’s Theater geht, um nach einem Tag voll harter Arbeit Unterricht und Kultur in sich aufzunehmen, der bedarf eines behaglichen Hörsaals. Das Ensemble, das gegen Ende der Saison gewiß mühsam genug zusammengestellt worden ist, darf auf ernste Beurteilung Anspruch erheben. Ich kann nach einer ersten Vorstellung, die mir über fünfzig fremde Schauspieler vorführten, keine detaillierten Urteile abgeben. Aber daß es eine ehrliche, stilvolle und von jugendlich begeisterten Schauspielern getragen Tellaufführung war, die wir gestern sahen, will ich laut und gern bezeugen. Die Titelrolle lag allerdings in Händen eines Gastes, des Herrn Grube aus Weimar. Über die künstlerische Leistungsfähigkeit des Ensembles – in den Grenzen ihres Zweckes natürlich – scheint trotz dieser Hilflosigkeit festzustehen. – Ob die C. Tr. Crilling und Campehl-Gürcke die richtigen Leiter sind? Die erste Prüfung haben sie bestanden.“ (Neue Hamburger Zeitung, 22. April 1905)


Die am Schluss erwähnten Leiter des Theaters sind der Schauspieler F. C. Krilling (Oberregie) und Hermann Kampehl-Gürcke, der als Direktor aber nur die erste Spielzeit des neuen Theaters leitete. Nur wenig länger blieb Krilling am Schillertheater. Kampehl-Gürcke wurde 1847 in Frankfurt an der Oder geboren. Er betrieb die Erste Norddeutsche Central-Agentur für Theater- und Concert und Variété und starb 1918 in Hamburg.

 


 

Weitere Informationen zur Geschichte der Schilleroper findet man hier:

https://opernloderer.blogspot.com/2021/01/theatergeschichte-die-schilleroper-ein.html

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