Vortrag von Christian Sander über Claude Parent und Le Corbusier – Weißenhofmuseum Stuttgart 2021

Leben in Schrägen 

– Vortrag von Christian Sander über Claude Parent und die Rezeption Le Corbusiers - 

von Klaus J. Loderer


Claude Parent war als Architekturstudent ein Fan Le Corbusiers und in seinen ersten Bauten stark von ihm beeinflusst. Später allerdings äußerte er sich sehr kritisch über den Altmeister. Die Le-Corbusier-Rezeption rückte der Kunsthistoriker Christian Sander ins Zentrum eines Vortrags, den er passenderweise „Vom Vorbild zum Negativbeispiel, Claude Parent und der Wandel in der Rezeption von Le Corbusiers Werk“ nannte. Durch die Corona-Verordnungen mit ihrem Verbot von Publikumsveranstaltungen konnte der Vortrag nicht auf dem Stuttgarter Weißenhof stattfinden und wurde deshalb von den Freunden der Weißenhofsiedlung am 25. März virtuell in Form einer Zoomkonferenz durchgeführt. Etwa fünfzig Personen nahmen am Vortrag teil. Ein Vorteil an dieser Art der Durchführung war immerhin, dass überregional Interessenten teilnahmen.


Anja Krämer stellte als Leiterin des Weißenhofmuseums den Referenten vor, der einen Forschungsschwerpunkt in der Architektur Frankreichs im 20. Jahrhundert hat. Er arbeitet in der Publikationsstelle am LABOR K des Instituts für Stadt- und Regionalplanung (ISR) der Technischen Universität Berlin. Nächstens wird seine Dissertation über die Architektengruppe Architecture Principe von Claude Parent und Paul Virilio erscheinen.


Kirche Sainte-Bernadette-de-Banlay in Nevers

Architecture Principe  – Claude Parent und Paul Virilio

Auf die berufliche Zusammenarbeit von Claude Parent (1923–2016) und Paul Virilio (1932-2018) zwischen 1963 und 1968 ging Christian Sander im Vortrag ausführlich ein. Zur Interpretation von deren 1963 bis 1966 errichteter Kirche Sainte-Bernadette-de-Banlay in Nevers mit ihrer markanten Sichtbetonarchitektur zog Sanders Virilios Beschäftigung mit den Bunkern des Zweiten Weltkriegs heran. Diese Beschäftigung mündete 1976 in die Ausstellung „Bunker-Archäologie“ im Centre Georges Pompidou in Paris. Damals arbeiteten Parent und Virilio aber längst nicht mehr zusammen, nachdem sie über die 1968er-Bewegungen uneinig geworden waren. Virilio erhielt 1969 einen Lehrstuhl an der École Special d’Architecture in Paris.

Claude Parent und Ionel Schein

Le Corbusier kannte Parent durch seine Publikationen. Nach eigenem Bekunden waren es vor allem die Abbildungen von Autos, die ihn beeindruckten. Es war die Bekanntschaft mit dem aus Bukarest stammenden Ionel Schein (1927–2004), die Parent ins Büro von Le Corbusier brachte. Dessen Name sollte an der eher konservativen und in der Tradition der Belle-Époque stehenden Pariser École des Beaux-Arts eher nicht erwähnt werden. Über die modernen Tendenzen rümpfte man dort eher die Nase. Das machte Sander an einer kurzen Analyse des Lehrsystems deutlich. Nach dem Beginn des Studiums in Toulouse studierte Parent ab 1946 in Paris. Für die École des Beaux-Arts war es eher ein Affront, dass Parent und Schein ausgerechnet bei Le Corbusier ein Praktikum machten. Ein Diplom erlangten übrigens beide Architekturstudenten nie. Diese Tätigkeit hinterließ ihre Spuren in den ersten selbständigen Entwürfen Parents, etwa in der Auflösung der Erdgeschosszone und den Fensterbändern. Le Corbusiers Einfluss zeigte sich in einer deutlichen Anwendung der „Fünf Punkte zu einer neuen Architektur“ bei Parent und Schein. Allerdings kann man die frühen Bauten Parents nicht als pure Kopien Le Corbusiers betrachten. Sander spürte auch den Spuren anderer Architekten in Parents Werken nach. So fand er als weiteres wichtiges Vorbild Theo van Doesburg. Das Maison G, das Parent und Schein entwarfen, sorgte für großes Aufsehen.

Vivre à l'Oblique“

Zusammen mit dem Architekturkritiker Patrice Goulet distanzierte sich Parent 1965 aber massiv von Le Corbusier und dessen städtebaulichen Ansätzen. Sander hob besonders Parents Kritik an der Behandlung des öffentlichen Grüns bei Le Corbusier hervor. Eine ganz eigene Richtung schuf Parent mit dem Manifest „Vivre à l'Oblique“ (Leben in Schrägen) mit einer mit verschiedenen Ebenen und Schrägen gestaffelten Räumlichkeit.


Es schloss sich eine kleine, von Michaela Jehle moderierte Diskussion an, in der es etwa um Verbindungen zu Frank Lloyd Wright und dasbesondere Einkaufszentrum Parents in Sens ging.

 


Andere Veranstaltungen in der Weißenhofsiedlung in Stuttgart


Ausstellung Highnoon am Weißenhof

https://opernloderer.blogspot.com/2020/02/ausstellung-highnoon-am-killesberg.html



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