Opernrarität: Nicola Antonio Porporas „Mitridate“ – Schloßtheater Schwetzingen – 2017
Mitridate mal nicht von Mozart
– Winter in Schwetzingen: Nicola Antonio Porporas „Mitridate“ des Theaters Heidelberg im Schloßtheater Schwetzingen –
von Klaus J. Loderer
Die Reihe „Winter in Schwetzingen“ steht für stimmungsvolle
Theaterereignisse in einem zauberhaften historischen Theater. Durch den
Wintereinbruch sieht der überzuckerte Schloßpark in Schwetzingen an diesem
Sonntagnachmittag noch romantischer aus als im Sommer. Das Theater Heidelberg
bringt mit seiner Reihe „Opera napoletana“ vergessene Opernraritäten der
neapolitanischen Schule auf die Bühne.
Semandra (Yasmin Özkan), Sifare (Ray Chenez), Mitridate (David DQ Lee)
Foto: Sebastian Bühler
|
Zum Abschluss der Reihe ist nun die zweite Oper von Nicola
Antonio Porpora (1686-1768) zu sehen. 2012 war es „Polifemo“, 2017 nun
„Mitridate“. Der in Neapel geborene Komponist Nicola Antonio Porpora ist
ansonsten höchstens durch die Verflechtungen mit den Biographien anderer
Komponisten bekannt. So war er in London der große Konkurrent Händels. Porpora führte
ab 1733 für vier Jahre die neu gegründete „Opera of Nobility“. In diese Zeit
fällt auch „Mitridate“. Großer Star dieses Ensembles war der Kastrat Farinelli.
Dieser war Porpora aus seiner Tätigkeit als Gesangslehrer immer noch verbunden,
abgesehen davon, daß es Porpora war, der Farinelli bekannt gemacht hatte.
Farinelli debütierte in Rom nicht zufällig in einer Oper Porporas. Weitere
Kastraten, die Porpora am Conservatorio Sant’Onofrio in Neapel ausbildete,
waren Caffarelli und Porporino. 1742 war Porpora übrigens kurze Zeit Chorleiter
am Ospedale della Pietà in Venedig; diese Einrichtung kennen Vivaldi-Fans aus
dessen Biographie. In Dresden konkurrierte Porpora mit Johann Adolf Hasse
(übrigens auch einer seiner Schüler) seine Schülerin Regina Mingotti mit der
Primadonna Faustina Bordoni (Hasses Ehefrau). In Wien war der junge Joseph
Haydn sein Mitarbeiter.
Porporas ebenfalls in Neapel ausgebildeter Konkurrent
Leonardo Vinci hatte durch Pietro Metastasio (noch ein Schüler Porporas) oft
die besseren Libretti, Porpora durch seine Lehrtätigkeit die Gesangsstars für
seine Opern. Man ahnt schon, daß es sich um Opern mit höchster Virtuosität im
Gesang handelt. Mit der 1736 in London aufgeführten Oper „Mitridate“ (nicht zu
verwechseln mit Porporas 1730 in Rom uraufgeführtem „Mitridate“) ist man
allerdings in der Zeit der Konkurrenz zu Händel. Und hier ist man gespannt auf
die Ähnlichkeiten und Unterschiede. Es fällt schon die abwechslungsreiche
Instrumentierung auf. Im Gegensatz zu den Händel-Opern, die von Solo-Arien
beherrscht werden, geht Porpora freier damit um, baut von mehr Instrumenten begleitete Accompagnato-Rezitative
ein, wechselt Arien mit Duetten ab, oder läßt eine Arie sogar in ein Duett
übergehen und beschließt die Oper mit einem ausführlichen Schlußchor. Daß die
Rolle des Sifare besonders ausgeschmückt ist, erstaunt nicht, sie wurde in
London von Farinelli gesungen.
Der Mitridate-Stoff ist ein Thema, das man durch Mozarts
„Mitridate“ (1770), nach dem Drama von Racine) kennt. Es geht um den pontischen
König Mithridates VI., der über Jahrzehnte mit den Römern im Streit um die
Vorherrschaft in Kleinasien ist und schließlich von Pompejus besiegt wird
(dessen abgeschlagener Kopf dann in Händels „Giulio Cesare“ vorkommt).
Mitridate ist in den literarischen Bearbeitungen einerseits der Held, der den
Römern die Stirn bot, andererseits aber ein Tyrann mit psychotischen Neigungen.
In den thematischen Fortsetzungen in Vincis „Farnace“ (1724) und Vivaldis
„Farnace“ (1727) geht es um Mitridates Sohn Farnace und weiteren Streit mit den
Römern. In „Mitridate“ zettelt die Hosenrolle Farnace allerdings einen Aufstand
gegen den Vater an. Trotzdem ihm sein Vater die Braut Semandra ausspannt,
verteidigt Sifare allerdings Pontos gegen die Römer.
Es mag ungewohnt sein, daß der Held der Oper die höchste Stimmlage
hat. Die für den besten Kastraten der Zeit geschriebene Rolle des Sifare
umfasst neben Arien in Anbetung seiner Geliebten Semandra auch zwei Arien des
Siegs über die Römer. In Schwetzingen triumphiert der junge Countertenor Ray
Chenez mit dieser Rolle. So fein er im Duett mit Semandra ist, so heroisch
gestaltet er seine große Bravourarie im Schlußakt mit schwindelerregenden Koloraturen.
Auch die Titelpartie ist eine hohe Männerstimme. Der Countertenor David DQ Lee
meistert als Mitridate den Spagat zwischen den Liebesbezeugungen zur
verschmähten wie zur umgarnten Frau und manchen Perfiditäten mit feiner
Stimmgestaltung und ist auch schauspielerisch sehr überzeugend – herrlich
dargestellt, wie er sich über das falsche Orakel amüsiert und scheinheilig
Liebe heuchelt, wo er Ismene doch nur schnell loswerden will. Noch eine dritte
Männerrolle ist hoch angelegt: Shashar Lavi enttäuscht stimmlich als Hosenrolle
des Farnace. Auch die beiden tiefen Männerrollen Archelao und Orakel sind mit
Zachary Wilson und Xiangnan Yao sehr gut besetzt. Sehr erfreulich das
schwungvolle Dirigat von Davide Perniceni mit einem filigranen Philharmonischen
Orchester Heidelberg.
Das Bühnenbild von Madeleine Boyd rückt die Handlung noch
etwas weiter in den Orient als der Handlungsort mit den Gestaden des Schwarzen
Meeres eigentlich ist und aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert in die
Gegenwart. Wir blicken in das Atrium eines vorderorientalischen Hauses. Dass
Krieg herrscht, erkennen wir an den Zerstörungen. Das Glasdach hängt beschädigt
runter, ein großer Kronleuchter liegt herum und ein großes Trümmerstück (wo
diese beiden Dinge allerdings heruntergefallen sein sollen, erschließt sich
nicht). In den fliesenumrahmten Nischen an den Seitenwänden sind allerhand
Waffen dekorativ aufgereiht. Mitridate ist ein moderner Machtmacher in
Galauniform (Kostüme Sarah Rolke), der gerne als Orientale à la Gaddafi auf
seinem Rokokothronstühlchen herumlümmelt. Nach der Pause ist dann auch die
Rückwand herausgebombt und man schaut auf einen Zaun. Regisseur Jacopo Spirei
spinnt in diesem Ambiente die Fäden zu diesem zeitlosen Stück um Liebe, Macht
und Machtmißbrauch. Das läuft zwischen den Hauptfiguren spannend ab. Die
Statisterie schmückt das falsche Orakel mit einem Jungfrauenopfer aus und verteilt
im zweiten Teil Stiefel auf der Bühne – die Stiefel der gefallenen Soldaten?
Der Opfer Mitridates? Daß der Bösewicht Farnace, der hier ein jugendlicher
Halbstarker ist, der auch mal die abservierte Braut seines Vaters zu
vergewaltigen versucht, am Ende hingerichtet wird, paßt allerdings nicht, denn
dann funktioniert „Farnace“ nicht spielen. Die Differenzierung der beiden
Frauen in ihrer Kleidung paßt übrigens gut zum Text, ist doch die orientalisch
kostümierte Semandra eine Einheimische, während die europäisch gekleidete
Ismene auch im Stück eine Ausländerin ist. Daß Semandra am Ende traumatisiert
ist, ist wohl der derzeitigen Traumatisierungsmode auf den Bühnen geschuldet.
Besuchte Vorstellung: 10. Dezember 2017
(Premiere: 29. November 2017)
Schloßtheater Schwetzingen
Kommentare
Kommentar veröffentlichen