Nicola Antonio Porporas Oper „Mitridate“ – Theater Heidelberg im Schlosstheater Schwetzingen – 2017
Psychogramm der Liebe
Theater Heidelberg zeigt Nicola Antonio Porporas Oper „Mitridate“ im Schlosstheater Schwetzingen
– von Matthias Woehl –
Ich kenne nur wenige Opern von Porpora. 2012 habe ich im
gleichen Rahmen, dem „Winter in Schwetzigen“ des Theaters Heidelberg seine Oper
„Polifemo“ gesehen, und als CD kenne ich seinen „Orlando“. Das ist wenig, wenn
man bedenkt, das Poropora 50 Opern komponiert und dereinst zu den
erfolgreichsten Opernkomponisten überhaupt gehörte. Warum dem so war, versteht
man, wenn man seinen „Mitridate“ anhört.
Mitridate (David DQ Lee),
Semandra (Yasmin Özkan), Sifare (Antonio Giovannini) Foto: Sebastian Bühler |
„Mitridate“ ist eine aufregende Oper um Liebe, Eifersucht,
Intrige und Täuschung am Hofe des Königs Mitridate. Porpora komponierte dazu
eine dermaßen aufregende, sinnliche und abwechslungsreiche Musik mit
herrlichsten Arien, Duetten und Ensembles in einer Virtuosität, die andere
Komponisten seiner Zeit, wie z.B. Georg Friedrich Händel, in den Schatten
stellt. Woran liegt das? Es mag daran liegen, daß Porpora seinerzeit als einer
der berühmtesten Stimmkenner und Gesangslehrer galt (seine Schüler waren z.B.
Farinelli und Senesio), und sein Wissen um die stimmlichen Fähigkeiten beim Komponieren
voll auskostete. Ihm gelingen Szenen in einer Tiefe, die fast magisch ist und
weit über das normale Maß der Barockmusik hinaus geht. So entstanden Szenen,
wie z.B. der Wutausbruch von Mitridate, welchen man fast als Psychogramm einer
Figur bezeichnen kann.
Regisseur Jacopo Spirei gelingt dazu im ansehnlichen
Bühnebild von Madeleine Boyd eine schöne szenische Umsetzung. In einem Land
zwischen Orient und Okzident, wo die Originalgeschichte auch angesiedelt ist,
spielen die Vorgänge in heutiger Zeit. Das ist für die Liebesproblematik des
Stücks unwichtig, denn das ist in jedem Land oder bei jedem Geschlecht dereinst
oder auch heutzutage das Gleiche. Aber für die politische Komponente des Stücks
hätte man die aktuellen Probleme in dieser Region etwas mehr einarbeiten
können.
Doch kommen wir zur musikalischen Darbietung. Die Rolle des
Mitridate wird von dem Countertenor David DQ Lee hervorragend gesungen. Wie ich
bereits erwähnte, hat Porpora anspruchsvollste Musik geschrieben, denen Lee mit
seinem ausdrucksstarken Mezzosopran und unglaublichen technischen Fähigkeiten
voll gerecht wird. Da ertönen unglaubliche Läufe, abfallende Skalen, zum Teil
sogar über Oktaven, er gestaltet aufregende Wutausbrüche, lässt aber genauso
sanfte Pianotöne erklingen. Auch darstellerisch ist er der eifersüchtige
Liebende, der machthungrige Herrscher oder der intrigante Vater. Herrlich.
Nicht ganz so virtuos, aber ebenfalls herrlich anzuhören, der viel hellere
Countertenor Ray Chenez als sein Sohn Sifare. Szenisch überzeugt er
ebenfalls, er ist eine Idealbesetzung als junger Held, der um die Liebe von
Semandra kämpft. Yasmin Özkan singt mit herrlichem, höhensicherem Sopran die
szenisch undankbare Rolle der Semandra. Diese ist eine Tussi, verknallt aber
ein bisschen naiv, und, wie eine Tussi eben, immer am Heulen. Sie heult (man
muss nur oben den Text mitlesen) aus Glück, sie heult aus Leid, aus Kummer, vor
Freude, aus Langeweile und auch ganz ohne Grund. Ihr Vater Archelao wird von
dem jungen Bariton Zachary Wilson hervorragend gesungen, und eigentlich auch
gespielt, aber da muss man leider sagen: hat das Theater keine Maske? Junge
Menschen kann man schon auf „älter“ schminken. Doch so sah er aus wie der Sohn
seiner Tochter, was szenisch nicht gerade hilfreich ist. Die anderen
Protagonisten singen leider nicht auf gleichem Niveau. Katja Stuber als Ismene
und Shahar Lavi als Farnace forcieren sich etwas zurecht, und legen szenisch
eine peinliche Verführungsszene (oder sollte es eine kleine Vergewaltigung
sein?) hin, die dem Publikum sogar einen Lacher entlockt. Seung Kwon Yang singt
seinen Arcante wie ein kleines Kind, was ebenfalls wenig überzeugte. Großartig
aber Xiangnan Yao als Oraculo.
Großartig spielte das Philharmonische Orchester Heidelberg
unter der Leitung von Davide Perniceni auf, mit ordentlichem Tempo und auch
herrlichen leisen und sphärischen Klängen.
Den einen der anderen nicht geglückten Ton möchte ich
genauso verzeihen wie die eine oder andere szenische Entgleisung, denn
insgesamt war ich von der Musik so überwältigt und gefangen, daß es sich
wirklich gelohnt hat, bei Schnee und Eis mit 30 km/h auf Schwetzingen
zuzurasen, denn absolut beseelt habe ich die Heimfahrt angetreten, bedauernd,
daß es das Stück nicht zum Nachhören auf CD gibt.
Besuchte Vorstellung: 10. Dezember 2017
(Premiere 29. November 2017)
Schloßtheater Schwetzingen
Klaus J. Loderer schreibt in seiner Besprechung mehr zum Hintergrund der Oper
Klaus J. Loderer schreibt in seiner Besprechung mehr zum Hintergrund der Oper
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