Kálmán Operette Ein Herbstmanöver – Stadttheater Gießen – 2017
Husarenliebe im Schloß
Balázs Kovalik inszeniert »Ein Herbstmanöver« von Emmerich Kálmán in Gießen
Mann A liebt eine Frau. Diese heiratet aber den reichen Mann
B, der bald stirbt. Mann A ist zu stolz ihr nun den Hof zu machen, obwohl er
sie immer noch liebt. Dieses Thema kennt man aus Lehárs Operette »Die lustige
Witwe«. Dieser Stoff ist auch der Kern von Emmerich Kálmáns wenig später
entstandener Operette »Ein Herbstmanöver«. Allerdings kommt bei Kálmán noch die
Würze dazu, dass B die Familie von A auch noch aus dessen Schloss vertreibt.
Nun kommt A im Zuge eines Herbstmanövers als Offizier zum Schloss seiner
Familie, will es aber aus Stolz nicht betreten.
Dass diese Geschichte in Ungarn
spielt, die Soldaten Husaren sind und die Musik viel ungarische Anklänge
enthält, trug sicherlich zum Erfolg der Operette bei, die am 22. Februar 1908 unter
dem Titel »Tatárjárás« (Tatarenplage) am Lustspieltheater (Vígszinház) an der
Großen Ringstraße in Budapest mit großem Erfolg uraufgeführt wurde. Fesche
Husaren, heißblütige ungarische Maiden, flotte Marschmusik wie freche Couplets
sind eine gute Mischung für eine erfolgreiche Operette – wenn auch die lustige
Witwe hier eher als traurige Witwe Baronin Riza von Marbach in ihrem Schloss
sitzt und immer noch ihrem damals verschmähten Lörenthy (nicht etwa dem
verstorbenen Ehemann) nachheult. Das sorgt für einen stellenweise tragischen
Unterton in dieser Operette und unterscheidet »Ein Herbstmanöver« vom Tanzmelodienfeuerwerk in »Die lustige
Witwe«. So umweht die Hauptpersonen Riza und Lörenthy ein starker Hauch von
Melancholie, die Kálmán musikalisch sensibel umsetzt, etwa in dem wunderbaren
langsam-traurigen Walzer »Mondenschein«, gewissermaßen das Hauptmotiv für
dieses Paar.
Am Stadttheater Gießen läuft »Ein Herbstmanöver« von Emmerich Kálmán Foto: Klaus J. Loderer |
Für die nötige Komplikation, damit sich das Paar
nicht sofort findet, sorgt in »Ein Herbstmanöver« der Stolz Lörenthys. Es könnte
so einfach sein: die Husaren kommen zum Herbstmanöver, die Offiziere sind im
Schloss einquartiert, man könnte also leicht zueinander kommen. Doch Lörenthy
hat sich geschworen, sein ehemaliges Schloss nie wieder zu betreten. Also
kampiert er erst einmal im Freien. Als Riza seinen Besuch provozieren möchte,
antwortet er hochmütig, sollte das jemals vorkommen, werde er »tanzen wie ein
Schneidergeselle und trinken wie ein Bürstenbinder«. Dem Ball der Baronin
bleibt er zwar fern, als im laufenden Manöver dann doch ein Angriff droht, muß
er doch ins Schloss, um die Offiziere zu holen. Als Mann von Ehre lässt er sich
von Riza beim Wort nehmen, besäuft sich, tanzt und bittet dann Treszka um ihre
Hand. Nun ist die Sache also völlig verfahren: das Happy End weiter entfernt
denn je, denn Lörenthy droht ein Disziplinarverfahren und schließlich gibt es
neben Riza noch eine zweite Frau, die ihn liebt. Da Treszka allerdings die
Tochter des Generals ist, sorgt sie für gute Stimmung beim Herrn Papa und
verzichtet schließlich zugunsten von Riza um seine Hand. Also endlich: Happy
End.
Für Treszka gibt es natürlich auch einen
Verehrer, der ihr die ganz Operette hindurch hinterherläuft, nämlich den
Einjährig-Freiwilligen Marosi. Somit hätten wir nun das Buffo-Paar der Operette
entdeckt: Treszka und die Melde-Gehorsamst-Karikatur Marosi – übrigens in der
Uraufführung eine Hosenrolle (diese waren in Budapest in der Zeit beim Publikum
sehr beliebt).
Die Uraufführung in Budapest war sehr
erfolgreich. Die meisten Musiknummern mussten sogar mehrmals wiederholt werden.
Es handelt sich um das erste größere Werk Kálmáns, der vorher nur mit Liedern,
Musik- und kleinen Bühnenstücken hervorgetreten und vor allem als Musikkritiker
hervorgetreten war. Da die Direktoren des Theater an der Wien damals gerade mit
einer Produktion von Leo Fall in Budapest waren und von »Ein Herbstmanöver«
angetan waren, luden sie Kálmán ein, das Stück auch in Wien herauszubringen.
Karl von Bakonyi übertrug die Sprechtexte ins Deutsche. Die Liedtexte stammen
übrigens von Robert Bodanzky. Kálmán baute die Musik weiter aus, da die Wiener
Produktion im Gegensatz zu Budapest nicht an einer Sprechbühne sondern an einem
auf Operetten spezialisierten Theater herausgebracht werden sollte. Trotz der distanzierten
Kritiken war der Erfolg der von Robert Stolz dirigierten Erstaufführung am 22.
Januar 1909 beim Wiener Publikum sehr gut. Besonders die komischen Nummern
schlugen ein, darunter Marosis anzügliches Kusslied (gesungen von Louise
Kartousch – auch in Wien eine Hosenrolle). Besonderen Erfolg hatte Max
Pallenberg als Reserve-Kadett-Feldwebel Wallerstein mit dem bei der Premiere
dreimal wiederholten Löbl-Couplet, das übrigens als Schallplattenaufnahme
erhalten ist.
War es bei der »Csárdásfürstin« die freche
Darstellung des Adels, über die sich der Adel aufregte, war es bei »Ein
Herbstmanöver« die freche Darstellung des k.u.k. Militärs, über die sich das
Volk amüsierte und die konservative Presse und vermutlich auch das Militär
aufregte. Für diese war wohl schon die Hosenrolle Marosi (in ihrer Wirkung als
Husaren-Amazonen) aber noch mehr der jüdische Wallerstein eine Zumutung. In der
Gießener Produktion machte man aus Wallerstein dann gar noch einen schwulen
Reservisten. Hätte man den Marosi in Gießen als Hosenrolle belassen, hätte man
die Steilvorlage für weitere Anzüglichkeiten gehabt.
»Ein Herbstmanöver« lief überaus erfolgreich mit
mehr als 300 Vorstellungen in Wien. Noch 1909/1910 folgten Aufführungen in
Hamburg, Berlin, Stockholm, Genua, Prag, Laibach, Helsinki, London und Moskau. »Das
Kusslied«, in dem sich »süßes Katzi« auf »Bussi-Schatzi« reimt, entwickelte
sich in Wien schnell zum Gassenhauer, der übrigens sogar noch von Peter
Alexander gesungen wurde. Im Lied geht es um das Mädchen Gretel, das gerne
einmal eine Kavalleriekaserne von innen sehen möchte und vom Husarenkorporal
bis zum Regimentsarzt die gesamte Kaserne küsst. In der anzüglichen
Spätabend-Beisl-Variante erlebt sie in der Kaserne macht sie mit den Husaren
noch ganz andere Dinge.
Nun hat erfreulicherweise das Stadttheater
Gießen »Ein Herbstmanöver wieder ausgegraben. Am 28. Oktober war Premiere. Das
Bühnenbild verspricht eine interessante Produktion. Lukas Noll erdachte sich
einen großen schwarzen Quader, in dem sich ein prächtiger Salon befindet. Und
damit man diesen Salon sehen kann, hat Noll in den Quader ovale Löcher in
unterschiedlicher Größe geschnitten, an den Längsseiten je eine großes, das den
kompletten Einblick erlaubte, an einer Schmalseite ein kleinere Oval mit
Fenstersprossen und Vorhanggeflitter (damit die Baronin wehmütig in den Garten
schauen kann – eines der schönen Bilder dieser Aufführung), an der vierten
Seite eine zweiflügelige Tür und zwei kleine ovale Fensterchen. Damit wir all
diese Seiten sehen können, wurde der Quader auf die Drehbühne gestellt, was die
unterschiedlichsten Bühnenkonstellationen ermöglichte. Somit war mit dem
Bühnenbild die Grundlage für interessante und abwechslungsreiche Bilder
geschaffen. Das konnte mal etwas kitschig sein, wenn zum Mondschein-Lied der
Schnee rieselte und besonders eindrucksvoll, wenn plötzlich der Sturm die
Blätter hereinweht.
Die Kostüme (auch Lukas Noll) versetzen uns zu
Beginn in die Zeit nach der Jahrhundertwende. Da tauchen die in Spitze
gekleideten Freundinnen Treszkas auf, schon durch den Text als
Uniform-Fetischistinnen karikierte verwöhnte Mädels aus Budapest. Eine
ironische Zutat ist der Selfie-Stick, ebenso wie später die leuchtenden
Mobiltelefone. Immer wieder erhält die Inszenierung eine surreale Note. Und
schon bald kommt ein Husarenregiment (in weißen Fantasiehusarenuniformen) mit
Kanone, Chor und vier Ballettherren effektvoll mit der entsprechenden
Auftrittsmusik auf die Bühne. Vor der Pause rauscht dann ein Wesen in moderner
Flecktarnuniform herein, es ist der General. Er leitet zum nächsten Teil über,
der nach einem großen Zeitsprung, eingeleitet von einer modernen
Musikeinspielung, in der Gegenwart spielt.
Eine lustige Operette lässt Regisseur Balázs
Kovalik in Gießen nicht aufführen. Das ahnt man schon während der Ouverture,
wenn Schwarzweißfilmeinspielungen uns auf den Ersten Weltkrieg hinweisen. Ob
1908 eine Endzeitstimmung herrschte, wie uns das Programmheft erzählen will,
sei einmal dahingestellt. Dass man aus dem Manöver dann irgendwie einen echten
Kriegsangriff macht, ist ein interessanter Bühneneffekt, der sogar zur immer
wieder in eine tragische Note umschlagenden Musik Kálmáns passt. Am Ende
kumuliert dies dann in einer neuen Idee mit eingefügten Texten den Untergang
der Titanic zu assoziieren. Das wirkt dann aber doch ziemlich langatmig.
Während in der Aufführung durch die oftmalige
Textunverständlichkeit die eigentlich vorhandenen frechen Anzüglichkeiten aber
weitgehend untergehen, ist eine weitere Grundidee der Inszenierung der Ausbau
der Rolle Wallenberg zu einem schwulen Reservisten, der sich in dem aus der
Kálmán-Operette »Der gute Kamerad« eingefügten Couplet »Parléz-vous-français«
und zum »Pumpern« umgedichteten Duett mit dem Gutsverwalter einlässt. Diese Idee
überzeugt nicht wirklich, auch wenn im Programmheft der Zusammenhang zwischen
Homosexualität und Operette erklärt wird. Es ist nicht neu, dass Operettentexte
mit vielen erotischen Zweideutigkeiten versetzt sind. Und wenn man schon in ein
Couplet eine Strophe über Victor Orbán ergänzt, fragt man sich, warum man das
Stück nicht gleich in das heutige Ungarn mit seiner gerade wieder ziemlich
aufgeflammten Begeisterung für historische Uniformen versetzt hat.
Leider ist Christiane Boesiger mit der Rolle der
Riza völlig überfordert. Auch Maria Seidler als Treszka überzeugt nicht so ganz. Grga Peros als Lörenthy scheint in der Vorstellung
nicht so ganz bei Stimme zu sein. Immerhin kann Clemens Kerschbaumer mit einer frischen
Rollengestaltung als Marosi überzeugen.
Und wer räumt in der von mir besuchten
Vorstellung am 5. November den größten Beifall und einige Bravos ab? Es ist
Rainer Domke als Bence. Der 1935 in Thorn geborene Schauspieler macht mit seiner
trockenen Darstellung des alten Großknechts allerdings auch Eindruck und er ist
der am besten zu verstehende Darsteller des Abends. Denn um die
Textverständlichkeit ist es ansonsten leider sehr schlecht bestellt.
Michael Hofstetter gestaltet mit dem Philharmonischen
Orchester Gießen die Vorstellung überzeugend mit den unterschiedlichen Stimmungen
vom mächtig auftrumpfendem Marsch, über den flotten Csárdás bis zum zarten
Walzer.
Klaus J. Loderer
Besuchte Vorstellung: 5. November 2017
(Premiere 28. Oktober 2017)
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