Filmbesprechung: „Frühling in Paris“ (Seize Printemps) von Suzanne Lindon

Das Mädchen und der Schauspieler – vom Zauber der ersten Liebe 

– Suzanne Lindons Filmerstling „Frühling in Paris“ – 

von Klaus J. Loderer


Eine berührende Szene steht im Mittelpunkt dieses Films: ein Mann gibt in einem Café einer jungen Frau seine Kopfhörer, damit sie seine Lieblingsmusik hört. Er kennt die Musik so gut, dass er weiß, was sie gerade hört. Beide beginnen sich synchron zur Musik zu bewegen. Eine Choreographie entwickelt sich, entwickelt sich, soweit es für am Tisch sitzende Personen möglich ist. Die schöne Szene nimmt ziemlich exakt die Mitte des Films „Frühling in Paris“ ein. Sie wiederholt sich einige Minuten später. Nun stehen beide auf der Bühne eines Theaters. Und wieder entwickelt sich die Choreographie, symbolisiert uns die noch junge Liebesbeziehung – stellt allerdings auch einen der wenigen intensiven Momente dar, die diesem Paar vergönnt ist. Das Paar ist die sechzehnjährige Schülerin Suzanne und der fünfunddreißigjährige Schauspieler Raphaël.

Szenenfoto aus „Frühling in Paris“: Arnaud Valois und Suzanne Lindon


Die Musik zur Szene stellt uns Raphaël als klassische Musik und Anfang einer Oper vor, bei der ihn manchmal der Text störe aber niemals die Musik. Suzanne Lindon, die Regisseurin und Hauptdarstellerin dieses Films, hat eine wunderbare Barockmusik ausgesucht, die einfühlsam die entstehenden Gefühle dieser beiden Menschen unterlegt. Diese berührende Musik von Vivaldi ist allerdings nicht der Beginn einer Oper sondern das „Eia, mater, fons amoris“, was der Dichter Christoph Martin Wieland mit „Lass, o Mutter, Quell der Liebe“ übersetzte, also der siebte Teil von Vivaldis „Stabat Mater“. Man hört den Countertenor Andreas Scholl. Musik und Text – aus der religiösen Sphäre in die weltliche übertragen – passen aber durchaus zu einer beginnenden Liebesgeschichte.

Der französischen Originaltitel „Seize Printemps“ verdeutlicht markant, worum es im Film geht. Eine Sechzehnjährige erlebt den Frühling. Dabei geht es nicht um die Jahreszeit sondern um das Erwachen der Weiblichkeit. In den ersten Szenen ist Suzanne gelangweilt von den Jungs und Mädchen ihrer Schulklasse. Mit diesen kann sie nichts anfangen. Eine Party findet sie öde, Bier mag sie nicht. Sie bevorzugt Diabolo Grenadine. In mehreren Szenen sieht man sie unbeteiligt zwischen den anderen sitzen. Doch dann bemerkt sie vor einem Theater einen Mann mit einem roten Roller. Sie wählt von nun an ihre Wege so, dass sie immer wieder am Theater vorbeikommt. Und sie versucht seine Aufmerksamkeit zu erwecken. Sie erkundigt sich sogar bei ihrem Vater, ob Männer bei Frauen lieber Hosen oder Röcke mögen. Der staunt, warum sie sich plötzlich für die Reparatur von Rollern interessiert. Als sie es endlich geschafft hat, Raphaëls Aufmerksamkeit zu erwecken, fliegt sie geradezu durch die Straßen. Allerdings ist dieser Raphaël sehr zurückhaltend, fast schon introvertiert, hat Probleme mit seiner Schauspielerkunst und den Ideen eines Regisseurs. Das ist ein witziger Seitenhieb auf absonderliche Regieideen.


Nebenbei bekommt man das Leben in einem Theater mit, genauer im Théâtre de l’Atelier am Pariser Montmartre. Wir erleben Proben, die Premiere und die Feier zur Dernière. Bei letzterer langweilt ein Bühnenbildner Suzanne mit detaillierten Ausführungen zur Entwurfsfindung (seine Bemerkung über das Verbot der Farbe grün auf der Bühne ist tatsächlich ein alter Theateraberglaube). Die Entwicklung der Liebesgeschichte läuft parallel zur Theaterproduktion. Mit der Dernière endet auch die Liebesgeschichte. Suzanne ist unglücklich, als sie zum Beginn der Sommerferien das Theater verschlossen findet. Doch kommt sie schnell darüber hinweg. Um eine Erfahrung reicher ist sie am Montmartre unterwegs. Der bietet das Ambiente für den ganzen Film und glücklicherweise ohne das Klischeebild von Sacré-Cœur.


Szenenfoto aus „Frühling in Paris“: Arnaud Valois und Suzanne Lindon

Für die zwanzigjährige Regisseurin Suzanne Lindon, die übrigens auch die Film-Suzanne spielt, ist dieses kleine und luftig dahingepinselte Kammerspiel, der Debütfilm. Ohne Problematisierungszwang geht sie das von ihr verfasste Drehbuch an, das an eigenes Erleben anknüpft. Alles läuft irgendwie selbstverständlich und ohne größere Verwicklungen. Es gibt wenig Dramatik. Die Liebesgeschichte kommt in Gang und verläuft sich wieder. Niemand ist traumatisiert. Arnaud Valois spielt den introvertierten Schauspieler Raphaël. Als ganz normale und von der Geschichte gar nichts mitbekommende Eltern sieht man Florence Viala und Frédéric Piertot von der Comédie Française.

 

 

Frühling in Paris 

Film

Originaltitel: Seize Printemps

Frankreich 2020

Regie: Suzanne Lindon

Darsteller: 

Suzanne – Suzanne Lindon 

Raphaël – Arnaud Valois

Suzannes Vater – Frédéric Piertot

Suzannes Mutter – Florence Viala

74 Minuten

Verleih: MFA+ Film Distribution

 

Kinostart: 17. Juni 2021 

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