Kálmán Operette Ein Herbstmanöver – Stadttheater Gießen – 2017


„Machen wir auf Krieg, dann wird es bedeutend“ 

oder Kálmáns Operette „Ein Herbstmanöver“ im Stadttheater Gießen 

Im Programmheft steht geschrieben: „man soll bloß die Scheuklappen ablegen und das Genre so betrachten, wie es ursprünglich gedacht war. Als Kunstform am Puls der Zeit, mit Witz und Pfiff. Und Sex, in allen Variationen und Formen.“ Warum man der eigenen Aufforderung nicht gefolgt ist bleibt ein Rätsel. Im wundervoll anzusehenden Bühnenbild von Lukas Noll inszeniert Belázs Kovalik genau das, was Operette nicht sein wollte, nicht sein sollte: todernstes Theater. Hier sollten doch die jungen Husaren mit den Mädels flirten, hier sollte Baronin Reza von Marbach ihre große Liebe Oberleutnant Lörenthy wiedertreffen, hier sollten witzige Verwicklungen und Liebeswirren stattfinden – doch weit gefehlt. Statt der Persiflage, die das Stück in einstiger Manier einmal sein sollte, macht Herr Kovalik eine Horrorvision.

Fängt alles noch ganz hoffnungsvoll an, wird es spätestens im zweiten Akt wirklich unschön anzusehen und auszuhalten. Natürlich muss aus dem Manöver ein Krieg werden, Frau Baronin benimmt sich plötzlich wie eine Straßenhure, Couplets müssen mit aller Gewalt aktualisiert werden (man singt plötzlich von Victor Orbán), selbst der Untergang der Titanic muss mit dem aktuellen Flüchtlingsdrama im Mittelmeer verglichen werden. Zum Schluss wird die gesamte „feine Gesellschaft“ noch niedergemetzelt, um wirklich jede aufkommende Regung für die wunderschöne Musik im Keim zu ersticken. Obwohl, im dritten Akt ersetzt man so manche Musik durch dämliche, nicht enden wollende Monologe, die bei mir eher den Fluchtgedanken aus dem Theater wecken.

Vergessen wird dabei die wunderschöne, rührende Liebesgeschichte zwischen den Protagonisten, die unglaublich zarte, ja fast opernhafte Musik, welche das Stück ebenfalls ausmacht. Aus dem Reservisten Wallerstein und dem Gutsverwalter Kurt macht Kovalik ein schwules Paar. Das hätte eigentlich ganz niedlich sein können, aber auch das geht gründlich schief. Überhaupt ist der Regisseur nicht in der Lage, eine wirkliche Beziehung zwischen den Liebenden entstehen zu lassen. Alle diese Bestandteile der Handlung bleibt er uns schuldig. Hauptsache wir sind gesellschaftskritisch, Hauptsache politisch, wir hauen mal kräftig auf die Sch.....!

Ach gesungen wird ja auch. Aber wie. Christine Boesiger als Baronin Riza singt ihre Rolle nur in der oberen Lage, in der Mittellage spricht sie ihre Partie leider nur. Ihr zur Seite ein etwas angeschlagen wirkender Grga Peros als Oberleutnant Lörenthy. Szenisch können beide überhaupt nicht überzeugen. Das mag an der Regie liegen, aber ein Liebespaar, ein sich nach einander verzehren kann ich nun wirklich nicht ausmachen. Das gelingt schon eher Marie Seidler als Trezka (hier fehlt die Höhe) und Clemens Kerschbaumer, der gesanglich eine anständige Leistung abliefert, und der auch szenisch als jugendlicher Liebhaber überzeugt. Der Wallerstein von Tomi Wendt  und sein Liebhaber Kurt (Rainer Hustedt) werden von der Regie so unsympathisch gezeichnet, dass jede Sympathie im Kein erstickt werden. Eine Labsal für das Ohr ist die Rückkehr des Gießener Urgesteins Rainer Domke (der hier bereits 56 Jahre auf der Bühne steht). Ihn konnte man als einzigen verstehen, er war der einzige, der wirklich eine überzeugende Darstellung abgeliefert hat. Unerträglich das Dauergeschrei (sicher von der Regie so gewollt) von Harald Pfeiffer als Feldmarschall Lohonnay. Herrlich spielte das Philharmonische Orchester Gießen unter der Leitung von Michael Hofstetter auf.

Matthias Woehl

Besuchte Vorstellung: 5. November 2017
Stadttheater Gießen

Lesen Sie auch die Besprechung von Klaus J. Loderer

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