Anna Karenina – Braunschweig – 2014
Der berühmteste Ehebruch der Literatur
Jenö Hubays Oper »Anna Karenina« am Staatstheater Braunschweig erstmals nach achtzig Jahren wieder aufgeführt
Das Staatstheater Braunschweig hat in den letzten Jahren in
seinen Spielplan immer wieder vergessene oder selten gespielte Opern
aufgenommen. Auch Werke aus Mittel- und Osteuropa tauchten immer wieder auf.
Nun hat man sich in Braunschweig an eine ganz besondere Rarität gemacht. Mit
der Premiere am 15. Februar in Braunschweig wurde Jenö Hubays »Anna Karenina«
dem Publikum wieder zugänglich gemacht. Die Figur der Anna Karenina ist schon
durch den Roman von Leo Tolstoi legendär. Immerhin vierzehn Verfilmungen gibt
es davon. Doch es gibt auch eine Oper des ungarischen Komponisten Jenö Hubay
auf ein Libretto von Alexander Góth und Andor Gábor. Dieses Werk wurde am 10.
November 1923 am Königlichen Opernhaus in Budapest, der heutigen Staatsoper,
uraufgeführt. Am 22. Oktober 1932 war die deutsche Erstaufführung in Duisburg.
Die Oper wurde in den folgenden Jahren in Bochum, München, Bremen, Nürnberg,
Wien und Chemnitz gespielt. Mit dem Tod des Komponisten 1937 geriet sie
allerdings schnell in Vergessenheit.
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Anna Karenina am Staatstheater Braunschweig Foto: Volker Beinhorn |
Dabei waren die Kritiken damals durchaus
positiv. Im Programmheft der Braunschweiger Aufführung findet sich ein Zitat
aus einer Besprechung der Nürnberger Nachrichten von 1934: »Diese jüngste Oper
des ungarischen Altmeisters Jenö Hubay [...] hat alle Ingredienzen einer
bühnenwirksamen Partitur [...].« Auch musikalisch war man damals man
begeistert: »Die scharfe dramatische Profilierung jeder einzelnen Szene gibt
den Akten eine ideale Geschlossenheit und ermöglicht beträchtliche
Steigerungen. Für die symphonische Weiterführung solcher vokalen Höhepunkte
verfügt Hubay über die differenziertesten rhythmischen und klanglichen
Ausdrucksmittel, bei denen auch rein illustrative Elemente der Musik oftmals
mit verblüffender Wirkung in die Handlung entscheidend eingreifen.« Tatsächlich
bebildert Hubay die Oper an wichtigen Stellen mit lautmalerischen Effekten, die
an symphonische Programmmusiken erinnern. Dies kumuliert im dramatischen
Finale, wenn sich Anna Karenina vor den herannahenden Zug wirft, dessen
Stampfen, Pfeifen und Quietschen das Orchesterfortissimo die Oper effektvoll
beschließt. Das rhythmische Rattern des Zuges zieht sich aber wie ein Leitmotiv
durch die ganze Oper. Wir lernen es kennen in Annas Erzählung eines Albtraums,
den sie auf einer Zugreise hatte. Und immer wieder taucht es in den
Erinnerungen Annas auf.
In der Oper kontrastiert dieses durch den Zug
symbolisierte Gemahnen an den Tod effektvoll mit der leidenschaftlichen Liebe
Annas zu Graf Wronskij, den sie auf eben dieser Zugreise zum ersten Mal sah.
Hubay konzentrierte die Oper sehr stark auf diese Kombination von Liebe und
Tod. Die den Roman viel stärker dominierenden gesellschaftlichen Elemente
interessieren hier nur am Rande. Natürlich reagiert Karenin sehr ungehalten auf
das, was seine Frau so treibt und verweigert lange Zeit die Scheidung. Das
Scheitern der Liebesbeziehung zwischen Anna und Wronskij liegt hier aber
weniger in der gesellschaftlichen Ächtung des Ehebruchs sondern in einer
geradezu hysterischen Eifersucht Annas, die Wronskij mit der dauernden
Forderung bedingungsloser Liebesschwüre martert und ihn damit letztlich
vertreibt.
Die Zeit des alten Russlands lässt die
Braunschweiger Inszenierung geschickt aufleben (Regie: Philipp Kochheim). Man
könnte leicht meinen, dass der Ball, mit dem die Oper beginnt, tatsächlich im
zaristischen Russland des 19. Jahrhunderts spielen soll. Doch stutzt man zuerst
über eine Lederjacke und dann ein Mobiltelefon und begreift dann langsam, dass
man sich auf einem Kostümball befindet. Diese Requisiten einer vergangenen Zeit
ziehen sich aber durch die gesamte Kostümgestaltung (Kostüme: Gabriele
Jaenecke). Eine moderne russische Gesellschaft – aber auch wieder mit vielen
Zitaten – erlebt man dann auf der Rennbahn. Man schmunzelt über das an Mihail
und Raissa Gorbatschow erinnernde Zarenpaar. Im Venedig-Akt lässt Wronskij, der
sich als Fotograf die Zeit vertreibt, Anna mit einem Rokoko-Kostüm kostümieren.
Und im vierten Akt treffen wir Anna wieder in ihrem historischen Ballkleid, mit
dem sie sich, der Gegenwart verweigernd, durch von Ungeziefer befallene Birken
irrt. Thomas Gruber illustrierte die Bühne zurückhaltend aber mit vier
markanten Bildern.
Wäre es eine Wagner-Oper würde man die nicht
einmal zweieinhalb Stunden Musik wahrscheinlich am Stück spielen. Hubay hat
sogar drei verbindende symphonische Zwischenstücke zwischen die vier Akte
eingebaut. Das erstaunt umso mehr, als es kein eigentliches Vorspiel gibt und
die Oper unvermittelt mit der Bühnenmusik des Balls beginnt. Mit
spätromantischer Klangfülle versieht Hubay die Protagonisten mit Gefühlsstürmen
unterschiedlichster Art. Dabei schreckt er auch vor starken Kontrasten nicht
zurück und kontrastiert ein melodienseliges Duett mit Tönen, die an den Rand
der Tonalität gehen, wenn er eine dramatische Wendung illustrieren möchte. Man
ist solchen Melodienreigen nicht gewohnt aus Opern der Zwischenkriegszeit, was
natürlich daran liegt, dass die wohlklingenden Opern dieser Zeit heute kaum
mehr aufgeführt werden. Beim Duett Anna-Wronskij im ersten Akt hält man ob des
üppigen Wohllauts den Atem an. Das sich erst im zweiten Akt findende Liebespaar
Kitty und Lewin erinnert durchaus etwas an das Buffopaar einer Operette.
Das Staatstheater Braunschweig hat die Oper
übrigens in deutscher Übersetzung aufgeführt. Das war sicher sinnvoll, sowohl
für die Sänger wie auch für das Publikum. Das Sänger-Ensemble hatte ein
beachtliches Niveau. Nadja Stefanoff als Anna Karenina war ein besonderer
Glücksfall, da sie sowohl schauspielerisch wie gesanglich die anfängliche
Distanziertheit, die aufkommende Leidenschaft und die letztliche Verzweiflung
gefühlvoll darstellte. Besonders eindrucksvoll gestaltete sie die
Traumerzählung im ersten Akt. Arthur Shen als Wronskij war in der Vorstellung
am 15. März wenig befriedigend, werten wir das zeitweilige Versagen der Stimme
im zweiten Akt aber als Indisponiertheit. Dagegen füllte der Tenor von Matthias
Stier die Höhen der Partie sicher aus. Ekaterina Kudryavtseva erfreute als
Kitty. Beide zusammen blühten in den beiden gemeinsamen Duetten auf. Rossen
Krastev bemühte sich den Karenin trocken, gefühllos und hart zu zeichnen.
Gesanglich gelang ihm dies wunderbar – aber er wirkte viel zu sympathisch. Der
Chor hatte seinen großen Auftritt in der Rennbahnszene im zweiten Akt.
Burckhard Bauche geleitete das Staatsorchester sicher durch die Partitur.
Man wünscht sich, auch einmal andere Opern von Jenö Hubay zu
hören. Es wäre schön, wenn das Staatstheater Braunschweig auch andere Theater
auf den Geschmack bringen würde.
Klaus
J. Loderer
Besuchte Vorstellung: 15. März 2014
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