Theaterkritik: „James Brown trug Lockenwickler“ von Yasmina Reza – Bayerisches Staatsschauspiel – 2023

Being Céline Dion 

– Philipp Stölzl inszeniert Yasmina Rezas neues Stück „James Brown trug Lockenwickler“ im Residenztheater München – 

von Klaus J. Loderer


Yasmina Reza studiert menschliches Verhalten. Sie zeigt uns banale Menschen mit ihrem banalen Verhalten, die eventuell durch irgendetwas Banales zur Weißglut getrieben werden, was die bürgerliche oder sogar kulturbügerliche Fassade platzen lässt. In ihrem neuesten Stück, das im Residenztheater in München vom Bayerischen Staatsschauspiel uraufgeführt wurde, ist es ein Ehepaar, das mit der ganz unbürgerlichen Entwicklung des Sohnes konfrontiert wird. Wie das Paar an die eigenen Grenzen getrieben wird, das machen Juliane Köhler als Pascaline Hutner und Michael Goldberg als Lionel Hutner deutlich, denen es immer weniger gelingt die bürgerliche Façon zu wahren.


v.l.n.r. Johannes Nussbaum und Vincent zur Linden 

Foto © Sandra Then


Die mysteriöse Forelle

Regisseur und Bühnenbildner Philipp Stölzl hat dazu einen mit einem roten und einem grünen Vorhang umschlossenen Raum entworfen. Dieses Konzertambiente rahmt einen Flügel am linken Rand und wäre völlig harmolos, wäre da nicht der Fisch. Aus dem linken Vorhang schaut die Vorderseite eines riesigen Fischs hervor, in den rechten Vorhang verschwindet seine Schwanzflosse. Dieses surreale Motiv unterstreicht die Skurilität des in einer Pflegeeinrichtung spielenden Stücks. Stölz verzichtet völlig auf ein konkretes Bühnenbild mit dem im Text immer wieder beschriebenen Park. Dessen Stimmung wird nur mit dem gelegentlichen Vogelgekrächze angedeutet. Was nun hier real ist, die Pflegeeinrichtung oder das Konzertambiente, das bleibt bewusst in der Schwebe, und basiert einzig auf der Betrachtung der im Stück spielenden Personen. Und diese verschiedenen Realitäten hängen mit den Identitäten zusammen, um die es im Stück geht.

Himmelfahrt einer Diva

In einer vermeintlichen Bühnenwelt und mit chronischer Angst um seine Stimme lebt Jacob (Vincent zur Linden), der Sohn des Paars, der sich für Céline Dion hält. Er ist befreundet mit Philippe (Johannes Nussbaum), einem Weißen, der meint, ein Schwarzer zu sein und die Jazztradition seiner schwarzen „Ahnen“ lebt. Die Identität eines illegalen Einwanderers projeziert er in eine Topfpflanze, die er verbotenerweise in den Park pflanzt. In einem der Dialoge der beiden Jungs meint Jacob einmal zu Philippe: „James Brown trug Lockenwickler.“ Auch Jacob nutzt einen Lockenwickler, was seinen Vater irritiert. Überhaupt fehlt Lionel jegliches Verständnis für seinen Sohn. Zu Beginn des Stücks täuscht er das noch halbherzig vor, so lange er glaubt, dass Jacob in der Einrichtung geheilt werden könnte. Doch hat die namenlose Psychiaterin (Lisa Wagner), die im Auto niemals das Bremspedal benutzt, gar nicht vor, ihre Patienten zu ändern. Hätte sie nicht manchmal einen weißen Kittel an, man könnte sie für eine weitere Patientin halten. 


v.l.n.r. Juliane Köhler, Vincent zur Linden, Michael Goldberg, Lisa Wagner, Johannes Nussbaum 

Foto © Sandra Then


Theaternebel

Die Geschichte kumuliert in einer grotesken Szene im Park der Einrichtung, wenn sich die Psychiaterin sonnen möchte, Philippe sich an seine in den Garten verpflanzte Topfplanze kettet und Lionel einen Nervenzusammenbruch erleidet. Da ist ist die Situation ausweglos. Aber man ist auf dem Theater. So hüllt der dem Fisch entströmende Theaternebel die Szene ein. Immer geringer wird Jacobs Bezug zu seinen Eltern. Als seine Eltern ihn abholen möchten, wähnt sich Jacob-Céline am Beginn einer Tournee. Wie es weitergeht, verrät uns das Stück nicht. Jacob-Céline entschwindet als Diva auf der Schaukel nach oben – der an die Muttergottes erinnernde blaue Schal lässt damit nicht von ungefähr an eine Himmelfahrt denken.


Uraufführung 24. März 2023

Besuchte Vorstellung: 22. Oktober 2023

Residenztheater München


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