Opernkritik: Bellinis Oper „La sonnambula“ – Theater Krefeld Mönchengladbach 2023

Schwarzwälder Kirschtorte und trotzdem kein Happy End 

– Bellinis Oper „Die Nachtwandlerin“ (La sonnambula) am Theater Krefeld – 

von Klaus J. Loderer


Auch wenn es zur anstehenden Verlobung Schwarzwälder Kirschtorte gibt, das im Finale der Oper vorgesehene Happy End im Sinne einer Erneuerung der Verlobung zwischen Elvino und Amina gibt es in der Produktion des Theaters Krefeld Mönchengladbach nicht. Regisseur Ansgar Weigner lässt Teresa ihrer Ziehtochter Amina einen Koffer geben. So verlässt die junge Frau am Ende das Dorf und sucht sich anderswo eine Zukunft. 


Sophie Witte als Amina und Woongyi Lee als Elvino

Foto: Matthias Stutte


Frau am Fenster

Dass sie immer schon vom Blick nach draußen träumte, darauf verweist ein Detail des Bühnenbilds an, nämlich die Verfielfachung eines Bildzitats von Caspar David Friedrichs. Dessen „Frau am Fenster“ bot Hermann Feuchter die Inspiration für sein düsteres Bühnenbild, in dem es immer wieder auftaucht. Mit diesen verschiebbaren Bühnenelementen gelingt es Feuchter Räume anzudeuten. Das gestreifte Kleid der Frau zitierte Kostümbildnerin Susanne Hubrich im Kleid Aminas. Es ist das einzige farbige Kostüm in dieser schwarz gekleideten Dorfgesellschaft. Die ist ganz im Sinne der Biedermeierzeit ausstaffiert. Dass die Oper in den Bergen spielt, wird nur einen Moment deutlich, wenn ein paar Dorfbewohner eine Bergsilhouette auf die Kulissen zeichnen. 

Der Regisseur ergänzt den Hintergrund

Eine enge, bigotte Lebensgemeinschaft mit moralisch herausgestellten moralischen Grundsätzen stellt sich das Produktionsteam für die Bellini-Oper vor. Ansgar Weigner spinnt deshalb im Programmheft die in der Oper nur angedeuteten Hintergründe und Nebenhandlungen weiter, indem er das von Teresa beschworene Gespenst als Aminas in den Selbstmord getriebene Mutter, sie selbst als uneheliche Tochter des verstorbenen Grafen deutet. An ihre unreine Herkunft soll noch das Wort „Bastarda“ an Teresas Haus erinnern. Der Regisseur erläutert auch, dass als einzige im Dorf nur Amina nichts von ihrer Herkunft weiß – wie deutet sie dann aber die Schmiererei. Das im Prinzip logische Konstrukt erschließt sich dem Opernbesucher aber nur, wenn er vorher das Programmheft gelesen hat. Sonst ist er irritiert, warum Amina nach ihrem vermeintlichen Fehltritt nicht als „Putana“ sondern als „Bastarda“ diffamiert wird und er wird das als Projektion sogar auftauchende weiße Gespenst für Amina im Braukleid halten.


Sofia Poulopoulou als Elisa und Matthias Wippich als Graf

Foto: Matthias Stutte


Die Distanz wird größer

Spannende Momente ergeben sich in der Inszenierung in den plötzlichen Meinungswechseln der Dorfbewohner, die zu Beginn bigott Kerzen in der angedeutetten Kirche anzünden, dann im Gasthof ausgelassen Verlobung feiern und am Ende des ersten Akts zur bedrohlichen Kulisse werden, wenn sie im Bett des Grafen Amina bei vermeintlicher Unkeuschheit erwischen. Die immer größer werdende Distanz zwischen den Dorfbewohnern und Amina arbeitet Regisseur Weigner ganz bewusst heraus, so läuft auch der halbherzige Versuch Elvinos, die Verlobung wieder aufzunehmen, ins Leere. Seiner ausgelassenen bis tragischen Rolle wird der Chor hierbei gut gerecht. Nach anfänglicher gesanglicher Unsicherheit steigert sich der Chor – einstudiert von Michael Preiser – schnell zu feiner Differenzierung, lebt die Melodienlinien aus und stellt in einigen Szenen das dominante Element dar. 


Mit dieser Stimmgewalt kontrastiert die feine Interpretation von Sophie Witte als Amina, die die Rolle geradezu zart gestaltet und in den Koloraturen keine Wünsche offen lässt. Der vor der Vorstellung als nach knapp überstandener Erkältung noch etwas indisponiert angekündigte Woongyi Lee glänzt als Elvino in den Höhen. Nur an wenigen Stellen sind bei dem Tenor erkältungsbedingte Unsicherheiten zu bemerken, ansonsten absolviert er die Partie mit Elan. Mit mütterlicher Wärme versieht Janet Bartolova die Rolle der Teresa. 


Auch die zweite Sopranistin, Sofia Poulopoulou, überzeugt als Elisa schon mit ihrer Auftrittsarie. Matthias Wippich ist ein versierter Bass, der den Grafen mit weltläufigem Ton gibt. Miha Brkinjač macht als Alessio zu Beginn den Spielleiter der Verlobungsfeier. Der Tenor Arthur Meunier ist in einer Nebenrolle als Notar zu sehen. Eine solide musikalische Grundlage mit schönen Akzenten schafft Generalmusikdirektor Mihkel Kütson mit den Niederrheinischen Sinfonikern. Er lässt die fröhlichen wie ergreifenden Melodien fließen und bringt die dramatischen Momente gut zur Geltung.

 

 

Premiere Mönchengladbach: 21. Mai 2023 

Premiere Krefeld: 24. September 2023

Besuchte Vorstellung: 17. Oktober 2023

Theater Krefeld


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Skandal: Enrico Caruso und die spektakuläre Trennung von Ada Giachetti

Filmbesprechung: „Frühling in Paris“ (Seize Printemps) von Suzanne Lindon

Vor der Oper: das historische Café Rommel in Erfurt