Opernkritik: Jacques Offenbachs „Die Großherzogin von Gerolstein“ – Staatstheater am Gärtnerplatz in München – 2023

Fastverführung in der Badewanne 

– Jacques Offenbachs Opéra bouffe „Die Großherzogin von Gerolstein (La grande-duchesse de Gérolstein) am Gärtnerplatztheater – 

von Klaus J. Loderer


Gerolstein ist ziemlich bunt. Und das nicht zuletzt dank der farbenfrohen Kostüme Alfred Mayerhofers. Der hat die Großherzogin in eine knallrote Uniform gesteckt. Und Prinz Paul tänzelt im rosa Anzug durch das Land. Überhaupt wird hier viel getänzelt. Die großherzogliche Armee tanzt eher als dass sie paradiert und ihr Stechschritt geht zumal im Finale in einen Cancan über. Da haben die Soldaten dann ihre grünen Uniformjacken längst fallen lassen und zeigen sich im Tanktop. So mag es die Großherzogin am liebsten, die, wie man in München gleich im ersten Akt erfährt, ihre Soldaten nicht nur besingt, sondern schon alle durchprobiert hat. Jetzt kommt der Soldat Fritz dran, ein Neuer. Der ist aber spröde. Er lässt sich zwar gerne zum General befördern und kehrt auch siegreich aus dem Krieg zurück. Aber aus der Luxusbadewanne im Schloss springt er dann doch ziemlich entsetzt heraus, als aus den Fluten plötzlich die Großherzogin auftaucht und über den Helden im Adamskostüm herfallen möchte. Josef E. Köpplinger, Intendant des Staatstheaters am Gärtnerplatz und Regisseur dieser Inszenierung, hat sich einige lustige Szenen einfallen lassen und das Stück etwas umgebaut, um Offenbachs Parodie auf Militaria und deutsche Ländchen mit Leben zu erfüllen.


Julia Sturzlbaum (Wanda), Alexander Grassauer (General Bumm), Juan Carlos Falcón (Großherzogin), Daniel Prohaska (Prinz Paul), Sigrid Hauser (Erusine von Nepomukka), Chor, Ballett und Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz

© Jean-Marc Turmes


Dass Fritz nicht nur die Landesherrin verschmäht, sondern auch noch seine Wanda heiraten möchten, das ist dann zu viel. Dieser wichtige Wendepunkt, der begründet, warum die Großherzogin sich den Verschwörern anschließt, geht in München etwas unter, was sicherlich auch daran liegt, dass die Textverständlichkeit besser sein könnte.


In München ist Gerolstein noch kleiner als sonst. Zur Ouverture erfahren wir in einem Videovorspann (Video: Rapahel Kurig und Meike Ebert) die exakten statistischen Daten des Minigroßherzogtums. Das passt gewissermaßen gerade so ins Gärtnerplatztheater hinein. Und so spaziert eine Touristengruppe, angeführt von der resoluten Fremdenführerin Ulrike Dostal, schon vor Beginn durch das Theater und immer mal wieder über die Bühne. Den Touristen wird schließlich – mangels sonstigem Feind – der Krieg erklärt. Das ist eine Besonderheit von Josef E. Köpplingers Inszenierung, für die Bühnenbildner Johannes Leiacker als Hintergrund eine Bildkollage mit Jacques Louis Davids Gemälde „Leonidas an den Thermopylen“ im Zentrum schuf. Optisch ergibt das zusammen mit Manfred Mayerhofers ironisch-historisierenden Kostümen ein ansprechendes Bild.

Ein Großherzog im Rock

War bei den Aufführungen dieser Produktion in Dresden vor drei Jahren die Großherzogin noch wie üblich mit einer Sängerin besetzt, ist es nun ein Sänger – wie kürzlich an der Komischen Oper Berlin. Das hat eine gewisse Würze, zumal sich mit einem tuntig gezeichneten Prinzen Paul am Ende ein schwules Paar ergibt, das einer ganzen Lustknaben-Armee vorsteht. 


Allerdings ist die musikalische Seite problematisch, denn die Oper wird dadurch sehr einseitig in den Männerstimmen. Juan Carlos Falcón zwar die burschikose Großherzogin überzeugend und hat auch eine schöne Tenorstimme, geht aber leider in den Ensembleszenen unter. Da tönt als einzige Frauenstimme Julia Sturzlbaum heraus, deren jugendlicher Sopran zu Wanda passt. Matteo Ivan Rašić singt Fritz mit hellem Tenor und macht auch wenig bekleidet eine gute Figur.


Gunnar Frietsch (Baron Puck), Sigrid Hauser (Erusine von Nepomukka), Alexander Grassauer (General Bumm)

© Jean-Marc Turmes


Intrigensitzung

Regiert wird das Gärtnerplatz-Geroldstein von einem geradezu furchteinflößenden Triumvirat, das statt Regierungskonferenzen Intrigensitzungen hält. Aus dem Generaladjudanten Nepomuck wurde die Hofdame Erusine von Nepomukka, von Sigrid Hauser als DDR-Gefängnisaufseherin mit Sturmfrisur gespielt. Alexander Grassauer (General Bumm), ein bemerkenswerter junger Bass, sorgt als Kaiser-Wilhelm-I.-Verschnitt für viele Lacher. Gunnar Frietsch ist als Baron Grog zu sehen. Daniel Prohaska ist Prinz Paul, jener Bräutigam, den die Großherzogin so dauerhaft keines Blickes würdigt.. Der erhoffte nächste Liebhaber entpuppt sich zum Entsetzen der Großherzogin schnell als verheiratet, nämlich Baron Grog – Alexander Franzen ganz förmlich diplomatisch.

 

Insgesamt ist „Die Großherzogin von Gerolstein“ eine gelungene Leistung des Ensembles des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Dovilė Šiupėnytė hat den Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz gut gepropt. Von Michael Balkes Dirigat hätte man sich etwas mehr Leichtigkeit und Flirren gewünscht. Aber das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz spielte gut einstudiert.

 

Ensemble, Chor, Ballett und Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz

© Jean-Marc Turmes


Als immer wiederkehrendes Motiv zieht sich der blökende Ruf „Foto!“ des Hoffotografen durch die Inszenierung. Ebenso wiederkehrend ist ein Tutu. Einer der Soldaten muss es tragen – zur Strafe? Zur Belohnung? Jedenfalls ist Adam Cooper die moderne Choreografie der Soldatentruppe gut gelungen und Peter Neustifter, Samuel Tobias Klauser, Luca Giaccio, Giovanni Corrado, Mikael Champs, Hikaru Osakabe, Matthew Jared Perko und Willer Gonçalves Rocha spielen und tanzen eine ziemlich kuriose Soldateska. Ihr Gruppenfoto reiht sich am Ende ein in die historischen Heldengemälde des Hintergrunds. Mil dem darf sich dann die Großherzogin trösten. So tanzt denn alles versöhnt den Cancan.

 

  

Besuchte Vorstellung: Premiere am 26. Januar 2023

Gärtnerplatztheater in München

Koproduktion mit der Staatsoper Dresden, Premiere dort 2020

 

 



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