Opernkritik: Wiederaufnahme von Charles Gounods „Faust“ am Aalto-Musiktheater in Essen

Das Leben im Karussell

– Philipp Stölzls Inzenierung von Charles Gounods Oper „Faust“ wieder im Aalto-Musiktheater in Essen – 

von Klaus J. Loderer


Wie ein Karussell dreht sich die Bühne in „Faust“ unermüdlich bis zum bitteren Ende. Immer neue Figurengruppen werden so aus dem unsichtbaren Off auf die Bühne gefahren oder verschwinden wieder. Die namentlich benannten Figuren der Oper sind diesem Kreisen ebenso ausgeliefert wie der zu Puppen anonymierste Chor. Erbarmungslos nimmt das Schicksal seinen Weg in diesen ewigen Kreislauf. Stillstand gibt es in dieser Aufführung nicht. Die Handlung kulminiert in einem Showdown, wenn Faust und Mephisto wie in einem Actionfilm durch die in der Drehbewegung auftauchenden Türen und Absperrungen durchbrechen, um Marguérite zu befreien. Doch diese bevorzugt die Hinrichtung, die dann mittels Giftspritze auf der Bühne vollzogen wird. Realistisch nüchtern und brutal ist das Finale in der Inszenierung Philipp Stölzls, die 2016 als Koproduktion mit der Deutschen Oper Berlin im Aalto-Theater in Essen Premiere hatte und nun dort wieder für einige Aufführungen zu sehen war. Die Inszenierung hat nichts von ihrer Drastik und Spannung verloren – Sascha Krohn hat die Produktion für die Wiederaufnahme neu einstudiert.


Der Bühnenraum wird von kahlen Wänden gebildet, in dessen Zentrum ein dicker Turm aufragt, um den die ganze Handlung kreist. Regisseur Philipp Stölzl, der auch die Bühne entworfen hat, kommt mit wenigen Elementen wie Marguerites Wohnwägelchen zwischen Tannenbäumchen aus oder einer überdimensionalen Hochzeitstorte für ihren Traum vom Familienglück aus. Besonders im zweiten Teil der Oper hat Stölzl die Handlung ganz auf Marguerite konzentriert, dafür wurden einige Musiknummern umgestellt und etwa die Walpurgisnacht ganz gestrichen. 


Jessica Muirhead als Marguerite in Essen

Foto: Karl Forster 


Wieder singt Jessica Muirhead Marguerite

Mit drastischen und eindrücklichen Bildern illustriert Stölzle das Schicksal dieser jungen Frau, die in einer Szene mit den mysteriösen Geschenken sich als zaubernde Fee verkleiden kann und dann im Schnee einsam ein Kind gebiert. Wieder ist als eindrucksvolle Marguerite Jessica Muirhead zu sehen, die schon in der Premierensaison gesungen hat. Sie versteht es ihrer Stimme eine mädchenhafte Zartheit zu verleihen und verfügt doch auch über die Dramatik, um die Verzweiflung Marguérites auszudrücken.


Faust und Méphistophélès sind in ihren rosa Glitzeranzügen ein ungleiches Zwillingspaar (Kostüme Ursula Kudrna). Der aus Litauen stammende Almas Svilpa gibt als mächtig auftrumpfender Bass-Bariton einen diabolischen und dominanten Méphistophélès, der rücksichtslos die Figuren in einen orgienhaften Taumel stürzt. So bringt sich der verjüngte Faust erst einmal mit Koks in Stimmung, bevor er auf dem Rummelplatz auf die Ballonverkäuferin Marguerite stößt. Als Faust singt der südkoreanische Tenor Sung min Song „Salut, demeure chaste et pure“ mit großer Zartheit und feiner Höhe. Siébel hoppelt Marguerite in Essen als weißer Hase hinterher. Die aus Portugal stammende Mezzosopranistin Liliana de Sousa erfreut mit einem sanften „Faites-luis mes aveux“. Pathetisch schwärmerisch und dann hasserfüllt gestaltet Tobias Greenhalgh Marguerites Bruder Valentin. Er findet sein Ende im Schnee verblutend, abgestochen von einer Gruppe von scheinbar unschuldigen Schulmädchen. Yisae Chol ist als Wagner zu sehen. Als Marthe Schwerdtlein ist die gebürtige Berlinerin Bettina Ranch zu erleben, die mit kokettem Mezzosopran versucht den Teufel persönlich anzubaggern.


Exakte Klänge sind aus dem Orchestergraben zu hören. Die Essener Philharmoniker haben die Partitur gut geprobt. Gerrit Prießnitz sorgt mit seinem Dirigat für Wohlklang. Spannungsvoll baut er die Musik auf, lässt die Romanzen sich sanft ergießen aber das Volksfest deftig auftrumpfen und scheut auch das sich immer weiter aufbauende Pathos im Finale nicht. Klaas-Jan de Groot studierte Opernchor und Extrachor ein.


 

Besuchte Vorstellung: Dernière am 13. November 2022

Wiederaufnahme 9. Oktober 2022

Premiere: 30. Januar 2016 

Aalto-Musiktheater Essen

(Koproduktion mit der Deutschen Oper Berlin 2015)

 


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