„Der Zwerg“ und „Petruschka“ an der Oper Köln

Erbarmungsloser Zwang zur Schönheit 

Doppelabend mit Alexander Zemlinskys Oper „Der Zwerg“ und Igor Strawinskys Ballett „Petruschka“ an der Oper Köln

von Klaus J. Loderer


Die Kombination von Alexander Zemlinskys Oper Der Zwerg“ mit Igor Strawinskys Ballett „Petruschka gab es vor hundert Jahren schon einmal in Köln. Am 28. Mai 1922 wurde die Oper „Der Zwerg“ im nicht mehr existierenden Opernhaus am Kölner Habsburgerring uraufgeführt. Der an moderner Musik interessierte Dirigent und Komponist Otto Klemperer war dort seit 1917 Generalmusikdirektor. Da das Stück nicht abendfüllend war, wurde es mit einem weiteren kurzen Stück kombiniert. Die Wahl fiel auf „Petruschka“ (Pétrouchka, Петрушка), ein Ballett, das bereits ein Jahrzehnt früher in Paris uraufgeführt worden war. 1911 war die Uraufführung in Paris mit Sergej Pawlowitsch Djagilews Ballets Russes und Vaslav Nijinsky als Petruschka. Trotz der guten Besprechungen schaffte es „Der Zwerg“ nicht in die Spielpläne der Theater. Erst seit Ende des 20. Jahrhunderts wird die Oper gelegentlich aufgeführt. Die Kombination der beiden Stücke hat ihre Logik: Die Gemeinsamkeit liegt in der Konfrontation einer zart fühlenden Person, die von ihrer Umgebung für hässlich gehalten wird, mit einer sich als schön erachtenden Frau, die die ihr entgegengebrachte Liebe nicht beachtet. In beiden Stücken gehen die handelnden Personen brutal mit den „Außenseitern“ um. In Köln war in der jetzigen Produktion dieser Zusammenhang aber nicht nachvollziehbar.


„Der Zwerg“: Burkhard Fritz, Damenchor der Oper Köln, Kathrin Zukowski

Foto: Paul Leclaire

 

Im Schönheitswahn

In der Kölner Aufführung von „Der Zwerg“ ging es Regisseur Paul-Georg Dittrich um die Entlarvung von Schönheitswahn, Schönheitsoperationen und Botoxspritzen  im Zeichen der Selbstdarstellung in sozialen Medien. Darauf bezogen sich auch Konrad Kästners Videos. Dass Pia Dederichs und Lena Schmid als Bühne einen weißen Laufsteg gewählt haben, der sich sogar noch zwischen den Stuhlreihen längs durch den gesamten Raum zieht, war da nur konsequent. An der eigentlichen Spielfläche saß aufgereiht wie bei einer Modenschau ein Teil des Publikums, das dann auch in den Geburtstagsjubel einzustimmen hatte. Mit den kleinen Tischchen für die Geburtstagsgesellschaft verschwamm die Grenze zwischen Spielhandlung und Publikum. Das Gürzenich-Orchester (Musikalische Leitung Lawrence Renes) hatte seinen Platz hinter der Spielfläche, was den Vorteil hatte, dass die Klangmassen die Sänger nicht so leicht überdecken konnten. Ein roter geraffter Vorhang sorgte im Hintergrund für effektvolle Auftrittsmöglichkeiten. Doch vor allem wurde die Raumwirkung von großen, von der Decke hängenden Kugeln dominiert, auf denen immer wieder Projektionen, riesenhaft vergrößerte Details des Geschehens, zu sehen waren. Das konnten etwa die Seflies sein, die die Prinzessin und ihre Entourage immer wieder von sich aufnahmen. Damit ist auch klar, dass hier weniger eine Infantin aus der spanischen Geschichte feierte als eine sog. Influencerin, die in Filmchen Schönheitsmittelchen anpreist – mit ebenso banalen, in grell bonbonfarbenen Kleidern (Kostüme Pia Dederichs und Lena Schmid) gehüllten Freundinnen in blond gelockter Anonymität – spielfreudig der Damenchor (Chorleitung Rustam Samedov).


„Der Zwerg“: Damenchor der Oper Köln, Zuschauer, Claudia Rohrbach, Tinka Pypker, Christoph Seidl, Luzia Tietze, Kathrin Zukowski, Maria Koroleva 

Foto: Paul Leclaire


Ein transvestitenhaft ausstaffierter Haushofmeister Don Estoban – Christoph Seidl mit warmem Bass – leitete diesen „Hofstaat“. Da umwuseln Maria Koroleva, Tinka Pypker und Luzia Tietze aus dem Internationalen Opernstudio als Zofen und Mariola Mainka und Eva Budde aus dem Chor der Oper Köln als Gespielinnen die Infantin. Kathrin Zukowski gab diese Donna Clara als ein überzogenes, übersättigtes, selbstverliebtes und ziemlich banales Girly der Gegenwart und überzeugte mit ihren hohen Soprantönen, zu der der gelegentliche kalte Klang gut passte. Die zweite Sopranistin der Oper, Claudia Rohrbach, gestaltete die Zofe Ghita, mit wärmeren und sanfteren Tönen.


Eine deutliche Gegenwelt bildete in der Inszenierung der namenlose Zwerg, im Original ein Geschenk des Sultans, in Köln eher eine Showeinlage. Martin Koch stemmte diese mörderische Tenorpartie durchaus zu einem befriedigenden Ergebnis. Lyrisch blieb er in der Auftrittsarie und sorgte in der Folge für gehörige Dramatik auch wenn die Spitzentöne teilweise sehr gepresst klangen. Es war nun weniger die Erkenntnis der eigenen Hässlichkeit als die Verachtung der Infantin, die am Ende ins Desaster führte. Das Finale endete mit dem interessanten Effekt, der nun die innere Schönheit und die echte Liebe des Zwergs deutlich machte. Alle „Schönheiten“ laterten als Strafe für ihre Bösartigkeit plötzlich – ein netter Querverweis auf eine andere Geschichte Oscar Wildes, von dem ja auch mit „Der Geburtstag der Infantin“ (The Birthday of the Infanta) die literarische Grundlage der Oper stammte.


„Petruschka“: Evan Supple, Nicolás Martinez, Margarida Isabel de Abreu Neto, Long Zou, Ensemble Ballet of Difference

Foto: Paul Leclaire


Der Magier lässt die Puppen tanzen

Völlig stilisiert kam „Petruschka“ auf die Bühne. Auf die Darstellung der an einem konkreten Ort, nämlich einem Jahrmarkt vor der Admiralität in Sankt Petersburg spielenden Handlung verzichtete Choreograf Richard Siegal völlig. Zwar griff er in gewisser Weise das Puppenthema auf, doch blieb das sehr abstrakt. Auf das geisterhafte Thema mit den ein Eigenleben führenden Puppen, das ja das Grundthema dieses Balletts ist, wurde ganz verzichtet. Hier war es ein Magier in scheinbarer Nacktheit (aber im hautfarbenen Trikot, Kostüme Flora Miranda) – Evan Supple –, der seine Puppen tanzen ließ. Bei der Belebung der Puppen hilft ihm sein Assistent Pier-Loup Lacour. Daraus kristallisierte sich ein Beziehungsgeflecht heraus, das in Köln noch einmal anders war als sonst, weil Petruschka von einer Tänzerin gespielt wurde, während die Ballerina der androgyn ausgestattete Tänzer Long Zou war. Margarida Isabel de Abreu Neto passte ihre schmiegsamen Bewegungen der lyrischen Musik an. Petruschka liebt die Ballerina, diese liebt aber den Soldaten (im Original ein prachtvoll geschmückter Mohr). Nicolás Martinéz tanzt diesen selbstverliebten Soldaten derb und brutal und betont den ostinaten Rhythmus der Musik mit eckigen Bewegungen. Dass sein Kostüm an einen Feuersalamander erinnerte, steigerte diese Wirkung noch. Richard Siegal erarbeitete mit dem Ballet of Differrence am Schauspiel Köln eine sehr konzentrierte Choreografie.


Auf die weiteren konkreten Rollen, die im Original den Jahrmarkt ausstaffieren und die Besucher bilden, wie Straßentänzerin, Zigeunerin, Akrobatin, Leutnant, Kutscher, Gouvernante mit Kindern, einen reichen Bauer etc., wurde völlig verzichtet. Da es in Köln keinen Jahrmarkt gab, benötigte man diese natürlich nicht. Insofern war die Anzahl an Personen stark reduziert. Dafür gab es für eine neu eingefügte Gruppe von Transhumanist*innen neue Rollenbezeichnungen wie Soft Robots, Replicants, Fluid Identities, Singularities, Affect Simulators. Als solche waren Elizaveta Barkalova, Martina Chavez, Karin Honda, Livia Gil, Sean Lammer, Benedetta Musso, Ian Sanford und Madison Vomastek zu sehen.

 


Besuchte Vorstellung: 27. November 2022

Premiere am 19. November 2022

Staatenhaus Köln

 

 


 



 

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