Opernkritik: Giuseppe Verdis Oper „Falstaff – Theater Pforzheim – 2021

Die Genießer und die Kostverächter 

– Rhys Jenkins in der Titelrolle von Giuseppe Verdis Oper „Falstaff“ am Theater Pforzheim – 

von Klaus J. Loderer


Was haben die Bürger von Windsor eigentlich gegen den Ritter Sir John Falstaff? Werten sie ihn nur abschätzig wegen seines Bauchs? In Zeiten der Sensiblisierung auf Body-Shaming fällt das auf. Regisseur Thomas Münstermann hat diesen Aspekt in seiner Inszenierung am Theater Pforzheim herausgestellt. Er kann sich dabei auf den Text berufen. Wird Fastaff wegen seines Bauchs beschimpft, so ist er selbst aber auch sehr stolz darauf. Immerhin besingt er seinen Bauch in einer von Verdi geradezu hymnisch gestalteten Arie. In Pforzheim sind zwei Gruppen eindeutig sortiert: die Genießer und die Kostverächter. Die Genießergruppe wird natürlich von Sir John angeführt. Mit dem aus Wales stammenden Bariton Rhys Jenkins erlebt man einen kraftvoll gesungenen Falstaff mit nicht nachlassender Energie und quirliger Lebendigkeit. Um ihn dreht sich im wörtlichen Sinne die Produktion, wenn er im ersten Akt in einem zentral aufgestellten Zuber badend von seinen Dienern umkreist wird. Tenor Philipp Werner (Bardolfo) und Bass Aleksandar Stefanoski (Pistola) stehen ihm gesanglich, an Agilität und burleskem Treiben nicht nach. Von einschmeichelnd bis hintertrieben und mit viel Buffonerie umgarnen sie die Finançiers ihres Trunks.

 

Aleksandar Stefanoski (Pistola), Rhys Jenkins (Sir John Falstaff) und Philipp Werner (Bardolfo)

Foto: Sebastian Seibel


Regisseur Thomas Münstermann spielt mit dem Vorn und Hinten der Bühne. Wir schauen einem Publikum zu, das dem Geschehen um Falstaff zuschauen. Jenes Publikum sitzt auf einer Empore, die in ihrer Form etwas an das Globe Theatre erinnert, jenes Theater in London, in dem die Shakespeare-Stücke aufgeführt wurden. Bühnen- und Kostümbildner Thomas Mogendorf hat das Grundgerüst aus der Produktion „Shakespeare in love“ übernommen, die vor einiger Zeit im Theater Pforzheim lief. Allerdings hat er das Gerüst verfremdet. Die Stützen und Träger sind weiß umhüllt, so dass sie mehr Volumen bekommen. Auf der Bühnenrahmen ist mit zerknittertem Papier versehen. Das sieht erst einmal karg aus – bis die erste Projektion die Bühne verzaubert. Immer wieder entstehen durch die Projektionen bemerkenswerte Stimmungsbilder, die ihren Höhepunkt im Park von Windsor haben. Für die Kostüme hat sich Thomas Mogendorf von der Shakespeare-Zeit inspirieren lassen, geht aber sehr frei und den Kömödienaspekt betonend damit um. Wichtigstes Requisit des Abends ist ein großer Zuber. Er steht die ganze Zeit auf der Bühne, oft sogar an zentraler Stelle. Regisseur Münstermann arbeitet hier mit augenfälligen Zitaten. So erinnert Falstaff im Zuber badend an Marat, später dann im aufgestellten Zuber an Diogenes. Es ist natürlich dieser Zuber, mit dem er im Haus Ford in die Themse gekippt wird.

 

In der Mitte stehend Elisandra Melián (Nannetta), am Boden Rhys Jenkins (Sir John Falstaff), im Hintergrund Chor und Extrachor des Theaters Pforzheim

Foto: Sebastian Seibel



Die bürgerliche Seite hat ihren Einstand mit Dr. Cajus, von Dirk Konnerth bewusst steif und kapriziös gegeben. Er wird an Förmlichkeit noch übertroffen vom von Eifersucht zerquältem Ford, gesungen vom markanten Bariton Paul Jadach. Leider bleibt Santiago Bürgi als Fenton schwach. Die Männer um Ford lässt der Regisseur oft als geschlossene Gruppe erscheinen, die schließlich um Bardolfo und Pistola erweitert wird. Ihre eigene Choreographie haben die Frauen.

 

Herausragend unter den „lustigen Weibern von Windsor“ ist Franziska Rabl, die Mrs. Quickly eine besonders charaktervolle Tiefe verleiht. Das markante Timbre der Mezzosopranistin erfreut. Schon deswegen hat sich der Besuch der zweiten Vorstellung gelohnt, in der sie ihren ersten Auftritt hatte. Als Alice Ford ist Stamatia Gerothanasi zu erleben. Hell und schön fließen die Töne der griechische Sopranistin. Elisandra Melián gibt Nannetta mit hellem und mädchenhaftem Sopran. Jina Choi singt Meg Page.


Santiago Bürgi (Fenton), Aleksandar Stefanoski (Pistola), Philipp Werner (Bardolfo), Paul Jadach (Ford) und Dirk Konnerth (Dr. Cajus)

Foto: Sebastian Seibel


Beschwingt gibt sich der in Exeter geborene Dirigent Robin Davis, nach seinem Engagement am Landestheater Salzburg seit der Spielzeit 2020/2021 Generalmusikdirektor des Theaters Pforzheim, in seinem Dirigat, um den humorvollen Verdi herauszustreichen. Die Badische Philharmonie Pforzheim lässt er filigran spielen. So gehen die vielen Elemente, mit denen Verdi sich immer selbst zitiert, nicht in der Tonmasse verloren.

 

Das „Publikum“ auf der Bühne, das lange Zeit passiv bleibt, greift in der Schlussszene aktiv ein. Es wird zum Partyvolk. Die Bühne wird zur Disco. Und dann betanzen Solisten, Chor (Leitung Johannes Antoni) und Statisten, die Moral, die uns Sir John mit auf den Weg gibt: „Alles ist Spaß auf Erden, der Mensch als Narr geboren.“

 

Besuchte Vorstellung: 26. November 2021

Premiere 20. November 20. November 2021

Theater Pforzheim


 


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