Theatergeschichte: 70 Jahre Komödie im Marquardt in Stuttgart

Ein Haus des Boulevardtheaters 

– Vor 70 Jahren war die erste Premiere in der Komödie im Marquardt in Stuttgart – 

von Klaus J. Loderer 


Boulevardstücke, musikalische Komödien, Mundartstücke, Revuen etc. gehören zum Profil der Komödie im Marquardt, die zu den bekannten privaten Theatern in Deutschlands gehört. Am 1. September 2021 konnte die Komödie im Marquardt auf ein siebzigjähriges Bestehen zurückblicken.


Spielzeithefte der Komödie im Marquardt in Stuttgart
Foto: kjl

Das „Marquardt“ ist ein markantes Gebäude am Stuttgarter Schlossplatz. Zwischen dem Königsbau und dem Königin-Olga-Bau nimmt es die Ecke der Königstraße zur Bolzstraße ein. Im Gegensatz zum Königsbau mit seinen hohen Säulen ist das Marquardt kleinteilig gegliedert. Gesimse, Pilaster, Säulen, Giebelchen über den Fenstern und Figuren dekorieren die Sandsteinfassade. Der Neorenaissanceschmuck war früher noch reicher. Einstens war das Marquardt ein Hotel, das erste Haus am Platze. Um den früher benachbarten Bahnhof entstanden im 19. Jahrhundert einige Hotels. Marquardt, Viktoria, Banzhaf-Royal, Textor, Dierlamm, Europäischer Hof. Die Gebäude stehen nicht mehr. Der Straßenausbau war nach dem Zweiten Weltkrieg wichtiger als historistische Fassaden. Das Marquardt aber wurde wiederaufgebaut – allerdings nicht mehr als Hotel genutzt. Der Architekt Eugen Mertz machte daraus als neuer Eigentümer ein Geschäftshaus. Die Fassaden des 1874 und 1896 errichteten sechsgeschossigen Gebäudes wurden stark vereinfacht. So fehlen heute die Attikabekrönungen und viele Figuren. Mit den Kinos und dem Theater hatte das Marquardt aber weiterhin eine wichtige Funktion im Kultur- und Ausgehleben Stuttgarts. An der gerundeten Ecke entstand ein neuer Eingang. Großer Beliebtheit erfreute sich das Café Marquardt.

Der Eingang zur Komödie im Marquardt in Stuttgart
Foto: kjl

Die erste Premiere am 1. September 1951

Die Komödie im Marquardt entstand als zweite Spielstätte des Jungen Theaters, das in der Turnhalle der Höheren Handelsschule in der Rotebühlstraße spielte. Das eine Theater sollte dem ernsten Theater dienen, das andere dem Unterhaltungstheater. Für die Komödie im Marquardt wurde der Goldene Saal umgebaut und mit einer Bühne versehen. Am 1. September 1951 war die erste Premiere. Aufgeführt wurde „Ninotchka“. Das Theaterstück des ungarischen Schriftstellers Melchior Lengyel (eigentlich Menyhért Lebovics) aus dem Jahr 1937 war 1939 durch Ernst Lubitschs Film mit Greta Garbo berühmt geworden.


Bertold Sakmanns Konzeption für das neue Theater wurde schnell erfolgreich. Immer wieder konnte er bekannte Schauspieler für die Komödie im Marquardt gewinnen. Darunter waren Oscar Heiler und Willy Reichert, Paul Dahlke, Curt Goetz und Valerie von Martens, Theo Lingen, Käthe Dorsch, Margarete Haagen, Gustav Fröhlich, Luise Ulrich, Johannes Heesters und Heinz Rühmann. Die Komödie im Marquardt hatte schon bald einen guten Namen. Neben Boulevardkomödien liefen auf Komödien von William Shakespeare. Es gab kabarettistische Abende, musikalische Produktionen wie „Dreigroschenoper“ und „Kiss me, Kate“ oder Krimiadaptionen nach Edgar Wallace. Mit Ernest Hemmingways Schauspiels „Die fünfte Kolonne“ fand in der Komödie im Marquardt sogar eine deutsche Erstaufführung statt. Später traten in der Komödie Hans-Joachim Kulenkampff, Nicole Heesters, Hardy Krüger, Claus Wilcke oder Harald Juhnke auf. Auf Bertold Sakmann folgte 1976 Elert Bode als Intendant. Auch er prägte das Theater mehr als fünfundzwanzig Jahre. Unter seiner Leitung kam das Alte Schauspielhaus als zweite und größere Spielstätte dazu. Er war auch insofern das Gesicht des Theaters, da er auch Regie führte und als Schauspieler auftrat. Über Jahre trat Reinhart von Stolzmann auf. Im schwäbischen Bereich ist Walter Schultheiß zu nennen.


2002 übernahm Carl Philip von Maldeghem die Leitung. Er führte die Formate Theater über den Wolken, Theater unterm Dach, International Theatre mit originalsprachlichen Texten ein. Ein die Theater unterstützender Freundeskreis entstand 2003. Es folgte 2009 Manfred Langner als Intendant. Es entstand die Kategorie Theater U18 ein. Immer wieder gab es musikalische Stücke, etwa 2010 das Singspiel Im weißen Rössel. Seit 2018 ist Axel Preuß, der zuvor Schauspieldirektor am Badischen Staatstheater Karlsruhe war, für das Haus verantwortlich. Er begann seine Intendanz erfolgreich mit der Theaterfassung des Filmdrehbuchs „Monsieur Claude und seine Töchter“. Die musikalischen Komponenten bildeten Für mich soll’s rote Rosen regnen über Hildegard Knef und die Musik-Comedy Spanisch für Anfängerinnen. Stadt als Bühne entstand als neues Format. Es handelt sich um Produktionen, die auf Bestellung an Wunschorten in der Stadt gespielt werden. Derzeit ist der Monolog „Judas“ verfügbar.


Das Hotel Marquardt in Stuttgart in einer historischen Ansicht


Komödie und Altes Schauspielhaus bilden zusammen die Schauspielbühnen in Stuttgart, die vom Verein Altes Schauspielhaus und Komödie im Marquardt e.V. getragen werden. Vorsitzender des Trägervereins ist seit 2015 der Jurist Andreas Hausmann. Der schlichte Zuschauerraum der Komödie im Marquardt fasst 378 Sitzplätze. An den rechteckigen Zuschauerraum schließt sich im hinteren Bereich die Loge als kleine Empore an. Fest zum Programm gehören seit vielen Jahren Stücke in schwäbischer Mundart. Schulprojekte vermitteln Theater an junge Leute. Das Weihnachtsstück richtet sich Kinder und Familien. 

Die neue Spielzeit

In der neuen Spielzeit 2021/2022 sind sechs Premieren geplant. Die aktuelle Saison begann am 24. September mit Simon Verhoevens „Willkommen bei den Hartmanns“ mit Ursula Berlinghof, Dirk Waanders und Paul Schaeffer. Außerdem sind Volker Heymanns Stück „Dinner for one“ über den berühmten Fernsehklassiker, das Kinderstück „Petterson und Findus“, „Spatz und Engel“ über Edith Piaf und Marlene Dietrich, das Mundartstück „Extrawurscht“ nach Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob und die Revue „Himmlische Zeiten“ geplant.

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