Ausstellung über ungarische Synagogen – Liszt-Institut Stuttgart – 2021

Orientalistische Märchenschlösser 

– Ausstellung »Sie sollen mir ein Heiligtum machen!« über ungarische Synagogen und ihre Gemeinden im ungarischen Kulturinstitut in Stuttgart – 

von Klaus J. Loderer


Die Architektur der Synagogen verläuft im 19. Jahrhundert in einer interessanten Entwicklung. Während der Kirchenbau nach Barock und Klassizismus in Richtung mittelalterlicher Stile wechselte und die allgemeine historistische Stilentwicklung im Zivilbereich eine Zeit lang von der Neorenaissance dominiert wurde, ging die Synagogenarchitektur in eine ganz andere Richtung. Barock und Klassizismus dominierten auch den Synagogenbau. Doch im weiteren 19. Jahrhundert zitierten Synagogen üblicherweise maurische Architektformen. Dieser Orientalismus führt auch in Ungarn zu interessanten und ungewöhnlichen Bauten. Ein großes Foto mit dem Blick in die Kuppel der Synagoge von Szeged zeigt diesen Orientalismus eindrücklich.


Ausstellung über Synagogen im Liszt-Institut in Stuttgart

Foto: kjl


Eine vom Ungarischen Architekturmuseum in Budapest erarbeitete Ausstellung über Synagogenarchitektur ist derzeit im Liszt-Institut in Stuttgart – wie das ungarische Kulturinstitut seit wenigen Wochen heißt – zu sehen. Eine Auswahn von fünfzehn prägnanten Beispielen aus dem Königreich Ungarn vermitteln einen guten Querschnitt durch die verschiedenen Typen der Synagogen. 


Als Beispiel aus dem Mittelalter ist die um 1300 entstandene Synagoge von Ödenburg (Sopron) zu sehen, die bis ins 16. Jahrhundert in Betrieb war und erst im 20. Jahrhundert wiederentdeckt wurde. Für das 18. Jahrhundert wurde die spätbarocke Synagoge von Mád ausgewählt. Ein Zweck der Ausstellung ist auch die Dokumentation der Renovierungen von Synagogen. Als Synagoge wurde 2016 der klassizistische Bau in Altofen (Óbuda) nach einer umfassenden Renovierung wiederbelebt. Das 1820 nach Plänen des Architekten Andreas Landherr errichtete Gebäude hatte viele Jahre als Fernsehstudie gedient. Die zentrale Bima, der Lesepodest, wurde mit ihren vier Säulen rekonstruiert. Als Stadtbibliothek wird die ebenfalls klassizistische Synagoge von Baja seit den 1980er-Jahren genutzt. Damals wurde das 1842-1845 errichtete Gebäude, das einige Zeit die größte Synagoge Ungarns war, umfassend restauriert. Wie modern die jüdische Gemeinde in Baja war, zeigte sich in der Anordnung der Bima an der Ostseite des Saals vor dem Tora-Schrein.


Drei Synagogen in Budapest: die orthodoxe Synagoge, die Synagoge in der Rombach-Gasse und die Große Synagoge in der Tabakgasse

Foto: kjl


Als größte Synagoge Ungarns wurde jene in Baja dann von der großen Synagoge in der Tabakgasse (Dohány utca) in Pest übertroffen. Der Wiener Architekt Ludwig Förster plante das 1854-1859 errichtete Gebäude. Mit dieser Synagoge werden in der Ausstellung die orientalisierenden Bauten eingeleitet. Viele Elemente dieser Synagoge erinnern an Kirchen. Neben den beiden Türmen, der Orgel und den Kanzeln ist es auch die längsgerichtete Struktur mit Emporen. Es war das moderne jüdische Bürgertum Pests, das sich hier eine Reformsynagoge errichten ließ. Dass Rabiner und Kantoren sogar in Soutanen auftraten, zeigt das auf die Ausstellung einstimmende Foto, bei dem man auf den ersten Blick drei Pfarrer zu sehen wähnt. Das war manchen jüdischen Gruppen aber viel zu modern. Die verschiedenen Richtungen hatten in Budapest ihre eigenen Synagogen. Das konservative jüdische Bürgertum ließ sich von Otto Wagner in der Sebastian-Rombach-Gasse (Rumbach Sebestyén utca) Ende der 1860er-Jahre eine eigene Synagoge errichten. Es war sicherlich die Bekanntheit des Architekten, die diese Synagoge, die zeitweilig in ruinösem Zustand war, rettete. Mit einem neuen Dach versehen, diente sie einige Zeit für Ausstellungen. 2017 bis 2021 wurde sie restauriert. Mit einer versenkbaren Bima ist sie nun als Synagoge und als Konzertsaal nutzbar. 1911-1913 entstand die orthodoxe Synagoge in der Kazinczy-Gasse.


Die frisch renovierte Synagoge in Mariatheresiopel (Subotica, Szabadka)

Foto: kjl


Weitere Synagogen mit orientalisierenden Stilmitteln sind die Synagogen in Raab (Györ) und in Großwardein (Oradea, Nagyvárad). Es darf aber natürlich nicht der wichtigste Synagogenarchitekt der Zeit um 1900 fehlen, Leopold (Lipót) Baumhorn. Seine Synagoge in Szeged nimmt einen prominenten Platz in der Ausstellung ein. Der 1899-1903 errichtete Bau ist mit der zentralen Kuppel, Türmen und Giebeln ein markantes Gebäude in der Stadt. Äußerlich wurde die Synagoge in den letzten Jahren renoviert, der Innenraum bedarf allerdings ebenfalls dringend der Erneuerung. Ebenfalls von Baumhorn ist die Synagoge in Neusatz (Novi Sad, Újvidék), die heute als Konzertsaal dient. Marcell Komor und Dezső Jakab entwarfen die sezessionistische Synagoge in Mariatheresiopel (Subotica, Szabadka). Seit 1895 war der jüdische Glaube im Königreich Ungarn gleichberechtigt. Die Synagogen der Jahrhundertwende strahlen das Selbstbewusstsein der neuen Zeit aus. Den Abschluss der Ausstellung bilden ein sephardischer Gebetsraum in einem Mietshaus am Teleki-Platz und der Heldentempel (Hősök temploma) in Budapest.


Dr. Ágnes Ivet Oszkó, Szabolcs Székely-Györkössy und Kornél Almássy 

Foto: kjl


Neben den Tafeln mit Fotos und Daten zu den Gebäuden sind auch einige Objekte ausgestellt, die das religiöse Leben in den Synagogen zeigen. Bei der Ausstellungseröffnung am 20. September erläuterte die Kuratorin Dr. Ágnes Ivet Oszkó in einem kurzen Einführungsvortrag die Konzeption der Ausstellung. Szabolcs Székely-Györkössy von der Ungarischen Akademie der Künste (Magyar Művészeti Akadémia – MMA) und Kornél Almássy, der Direktor des Ungarischen Architekturmuseum (Magyar építészeti Múzeum – MÉM) sprachen Grußworte. Die Gäste begrüßte Institutsdirektor Dezső Szabó. Zur Ausstellung erschien ein zweisprachiges Begleitheft.



Ausstellung

Sie sollen mir ein Heiligtum machen! Ungarische Synagogen und ihre Gemeinden

Építs nekem hajlékot! Magyar zsinagógák és közösségeik

20. September – 31. Oktober 2021

Liszt-Institut

Christophstr. 7, Stuttgart

 

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