Vor hundert Jahren starb der Tenor Enrico Caruso in Neapel

„Caruso war einer der größten Menschendarsteller auf der Opernbühne“ 

– Vor hundert Jahren starb der Tenor Enrico Caruso in Neapel – 

von Klaus J. Loderer


Vor hundert Jahren – am 2. August 1921 – starb Enrico Caruso in Neapel im Alter von 48 Jahren in Neapel an einer Rippenfellentzündung mit Blutvergiftung. Das Zitat der Überschrift entstammt dem in der Vossischen Zeitung veröffentlichten Nachruf des Musikkritikers Max Marschalk.


Caruso war seit einiger Zeit krank. Im Herbst 1920 hatte sich nach einer längeren Tournee durch Nordamerika eine Erkältung zu einer Rippenfellentzündung ausgeweitet. Er weigerte sich allerdings einen Arzt zu konsultieren und sang weiter Vorstellungen. Die letzten Vorstellungen waren an der Metropolitan Opera in New York. Eleazar in Halevys Oper „Die Jüdin“ (La juive) war am 24. Dezember 1920 die letzte von ihm gesungene Partie. Nach dem Zusammenbruch an Weihnachten 1920 war eine Operation unausweichlich. Im Frühjahr 1921 reiste er zur Erholung nach Italien. Er wohnte einige Zeit im Grand Hotel Excelsior Vittoria in Sorrent. Er machte sich schon Hoffnungen auf weitere Auftritte und die Rückkehr in die USA als er einen Rückschlag erlitt. Er wollte nach Rom fahren, wo die linke Niere hätte entfernt werden sollen. Bei einer Übernachtung im Hotel Vesuvio in Neapel starb er überraschend.


Der Tag der Beerdigung war ein Trauertag in Neapel. Caruso wurde in der königlichen Kirche San Francesco di Paola, dem markanten klassizistischen Kuppelbau am Palazzo Reale, aufgebahrt. Hunderttausend Menschen sollen die Beisetzung am 19. August begleitet haben. Er wurde auf dem Cimitero Santa Maria del Pianto beigesetzt. Wie ein Heiliger war der einbalsamierte Leichnam einige Jahre in einem gläsernen Sarg ausgestellt, damit die Verehrer ihn besuchen konnten. Seit 1930 ist der Leichnam nicht mehr sichtbar. Das Mausoleum in Form einer kleinen neugotischen Kapelle erinnert bis heute an ihn.


Weltweit berichteten die Zeitungen vom Tod des großen Tenors. Mit einer kurzen Notiz berichtete die Berliner Volkszeitung am 3. August 1921 in der Morgenausgabe: „Wie uns ein weiteres Telegramm aus Rom mitteilt, ist Caruso an den Folgen einer Rippenfellentzündung gestorben. Mit ihm hat die Welt einen König der Gesangskunst verloren, der historische Geltung behalten wird. Sein Weg über die Bühnen der Welt glich einem Triumphzug, und sein Tod ist nicht allein ein nationaler Verlust Italiens, sondern die ganze Welt wird darum trauern, daß das Gefäß eines Leibes zerbracht, der eine unvergleichlich köstliche Stimme barg.“


Enrico Caruso als Canio


„Caruso war einer der größten Menschendarsteller auf der Opernbühne“ – Max Marschalk in der Vossischen Zeitung

Die ebenfalls in Berlin erscheinende Vossische Zeitung brachte schon in der Morgenausgabe einen ausführlichen Nachruf: „Die Nachricht trifft uns nicht unvorbereitet, denn wir hatten von einer schweren Operation vernommen, der sich der unvergleichliche Meister des bel canto hatte unterziehen müssen. Sie trifft uns nicht unerwartet, aber die Gewißheit, daß wir nun nie mehr der Kunst dieses Phänomens teilhaftig werden können, ist uns deshalb nicht minder schmerzvoll. Caruso war ein Meister des bel canto nicht von er Art derer, die nur eine schöne Seele in schönen Tönen ausklingen lassen, sondern er hatte auch die durchaus ungewöhnliche Fähigkeit, seine Leidenschaften im Singen sich austoben zu lassen, ein volles und reiches Menschentum zu offenbaren, das schöne Singen mit dem charaktervollen Singen zu verbinden.“


Max Marschalk, von 1895 bis 1933 Musikkritiker der Vossischen Zeitung, lobte die schauspielerischen Leistungen Carusos und verglich sie mit denen des russischen Bassisten Fjodor Iwanowitsch Schaljapin (Фёдор Иванович Шаляпин). Das ist insofern interessant, als man heute verschiedentlich lesen kann, dass Caruso als Schauspieler nicht begabt gewesen sei. Doch weiter im Nachruf Marschalks: „Caruso war einer der größten Menschendarsteller auf der Opernbühne. Wir müssen schon Schaljapin heranziehen, wenn wir einen ihm Ebenbürtigen nennen wollen. Schaljapin ist bewußter, mehr auf ein reiches und interessantes Nuancieren bedacht, während Caruso seine stärksten Wirkungen erreichte, indem er sich ohne viel Grübelei auf seine elementare Naturkraft verließ. Wir erinnern uns an die gewaltigen Ausbrüche seiner Leidenschaft im letzten Akt der „Carmen“, an seinen vom echtesten Schmerz durchwühlten Canio in den „Bajazzi“. Die erste Partie, mit der er vor die Berliner hintrat, war, wenn ich mich recht erinnere, der Herzog von Mantua im „Rigoletto“. Es war im Theater des Westens und die Ueberraschung war ungeheuer groß: das „Donna e mobile“, das er wunderbar chevalesk vortrug, mußte er dreimal wiederholen. Der Kreis der Partien, die er sang, war sehr klein. Wir kennen ihn eigentlich nur noch als Rudolf in „Bohème“ und als Rhadames in der „Aida“. Als Rhadames hatte er einmal mit er Destinn zu singen, die sich lange gesträubt hatte, neben dem berühmten Gast aufzutreten. In dem großen Duett des dritten Aktes entzündeten sich die beiden Künstlertemperamente aneinander, und es gab einen heißen Wettstreit, der die Kräfte gewaltig steigerte, und das Publikum raste, wie es nur rast, wenn das Unerhörte Ereignis wird. Wir werden ihn nicht mehr hören, aber seine echte und edle Gesangskunst ist uns doch erhalten, und zwar auf unzähligen vorzüglichen Grammophonplatten, so daß wir uns stets einen Begriff von ihr und eine Erinnerung an sie verschaffen können.“


Die erwähnte Sängerin Emmy Destinn war um 1900 gefeierte Primadonna der Berliner Hofoper. Sie hieß eigentlich Emmy Kittl (Emilie Věnceslava Pavlína Kittlová). Mit dem Pseudonym Emmy Destinn bzw. Ema Destinnová übernahm sie den Künstlernamen ihrer Lehrerin Maria Loewe. Ab 1908 sang sie an der Metropolitan Opera in New York, wo sie am 10. Dezember 1910 zusammen mit Enrico in der Uraufführung von Puccinis „La fanciulla del West“ auftrat.


Gedenktafel am Grand Hotel Excelsior Vittoria in Sorrent

„Ein Großer im Reich des Gesanges ist von uns gegangen: ein Künstler und ein Mensch“ – Lothar Band in der Berliner Volkszeitung

In der Abendausgabe veröffentlichte dann auch die Berliner Volkszeitung am 3. August 1921 einen ausführlichen Nachruf von Lothar Band: „Nicht immer paart sich beides. Selten genug bei reproduzierenden Künstlern, denen trotz hoher Künstlerschaft oft noch allzuviel menschliche Eitelkeit anhaftet. Hier aber, bei Caruso, hatten sich beide Seelen, die in seiner Brust wohnten, völlig aufeinander abgestimmt: als Künstler war er Menschendarsteller, als Mensch ein freier, seines köstlichen Besitzes bescheiden bewußter Künstler.

Vielleicht rührte diese glücklich in die Erscheinung tretende Mischung daher, daß Caruso nicht Stimmprotz im reklamehaften Sinne war, sondern sich in zielsicherem Streben zu jener Höhe der Vollendung aufgeschwungen hatte und sich damit auf seine Mittel stets verlassen konnte, ihre Wirkung aber auch im Ganzen kannte. Niemals fand sich bei ihm ein Zurückgreifen auf die urwüchsige Kraft seines Organs, alles fügte er in künstlerischem Aufbau zueinander, hierbei von sicherem Instinkt und eben seiner stets verläßlichen Technik gut beraten. Er war ein Könner, ein ausgereifter Künstler, kein Phänomen oder Stimmheros im übelen Sinne. 

Das Bestrickende an dieser edlen Stimme war ihr milder, sinnlicher Klang, ein Geschenk seiner italienischen Heimat, ihre weiche Schmiegsamkeit und die Leichtigkeit der Ansprache, die in allen Lagen des umfangreichen Organs sich stets gleich blieb, das Ergebnis seiner emsigen Studien. So ausgerüstet trat Caruso als Darsteller mit unendlicher Bescheidenheit in das Bühnenbild. Man mußte ihn in „Carmen“ gesehen haben. Mitten in der aufziehenden Wache erschien auch Don José, unauffällig, kaum kennbar unterschieden. Und erst mit den Tönen seines Gesanges fiel die Gestalt auf. So entwickelte er in feinstem Verständnis für den Bühnenvorgang seine großen Partien aus bescheidenen Anfängen.

Wer ihn als Mensch kannte, der bewunderte sein schlichtes Auftreten, das er trotz der vielen Triumphe sich bewahrt hatte. Aus Neapel stammend, durch die Schule italienischer Meister gegangen, fiel er auch in seinem Heimatlande zuerst auf. Ueber Petersburg. Kam er bald nach Südamerika, kehrte nach Europa zurück, war auch in Berlin des öfteren zu Gast, um sich dann aber doch für längere Zeit in New.York festzusetzen. Alle die auf diesen Reisen gesammelten Lorbeeren, die vielen ehrenden Anerkennungen lenkten ihn nie von seinem Künstlertum ab. Er blieb sich seiner Aufgabe streng bewußt, legte seine Erfahrungen als Sänger in einer kleinen Schrift nieder und war daneben der heitere, humorvolle Mensch, der gern zum Zeichenstift griff und in flotten Karikaturen seine Mitwelt festhielt. 

Ein Kehlkopfleiden drohte ihm die Stimme zu rauben und gefährdete seine Gesundheit. Jetzt ist er einer anderen Krankheit in seiner Heimatstadt erlegen. Der weitgedehnte Kreis seiner Künstlerfahrt hat sich geschlossen. Ein Großer im Reich des Gesanges ist von uns gegangen: ein Künstler und ein Mensch.“


Direkt im Anschluss findet man in der Berliner Volkszeitung noch den kurzen Hinweis als Meldung aus Paris: „Caruso hinterließ ein Vermögen von 50 Millionen Dollars.“


Das Mausoleum Enrico Carusos auf dem Friedhof Santa Maria del Pianto in Neapel

„Seine seelische Ausdrucksfähigkeit wie seine unfehlbare Gesangstechnik waren unvergleichlich“ – Berliner Börsen-Zeitung

Die Berliner Börsen-Zeitung brachte nach einer ganz kurzen Notiz in der Morgenausgabe am 3. August erst am 4. August 1921 in der Morgenausgabe einen Nachruf. Darin liest man als Neuigkeit noch von einem Gelübde Carusos:  „Zum Tode Enrico Carusos wird aus Rom noch gemeldet: In Neapel, wo er im Jahre 1873 geboren wurde, ist Enrico Caruso heute früh ½ 7 Uhr in einem Hotelzimmer gestorben. Als er in Amerika zum ersten Male sich operieren lassen mußte, hatte er ein Gelübde getan, zum Heiligtum der Jungfrau in Pompeji zu pilgern und ihr eine bedeutende Summe für seine Heilung zu schenken. Diesem Gelübde war er vor wenigen Tagen nachgekommen, indem er 20000 Lire in dem Opferstock der kleinen Kirche ließ. Aber vor drei Tagen hatte er einen neuen Fieberanfall. Im Sorrent warfen ihn heftige Schmerzen auf das Lager. Spezialisten aus Rom kamen zu spät. Die Baufellentzündung hatte bereits um sich gegriffen. Um 4 Uhr morgens trat die Agonie ein. Caruso, ein Schüler von Guglieleno Vergine, erregte zuerst Aufsehen im Jahre 1899 in Mailand als Loris bei der Premiere von Giordanos „Fedora“. Er faßte später in London festen Fuß, wurde aber erst seit 1904 nach einer Amerika-Tour der Held des Tages, besonders in den Opern Verdis und Puccinis. In Carusos Stimme paarte sich männliche Kraft mit einem köstlichen Wohllaut. Seine seelische Ausdrucksfähigkeit wie seine unfehlbare Gesangstechnik waren unvergleichlich. Dabei war er als Schauspieler in all seinen Schöpfungen ein großer und echter Menschendarsteller. Seine größten künstlerischen Triumphe hat er hier in Berlin, wo er seit 1904 in regelmäßigen Zwischenräumen erschien, als Don José in „Carmen“, Canio in „Bajazzi“ und Rhadames in „Aida“ gefeiert. Aber auch sein Richard im „Maskenball“ und sein Namorino in Donizettis „Liebestrank“ werden unvergessen bleiben. Caruso hat auch eine kleine Gesangslehre geschrieben. Auch als geschickter Karikaturenzeichner hat er sich einen Namen gemacht. Nach römischen Blättermeldungen beläuft sich das Vermögen, das Caruso hinterläßt, auf etwa 30 Millioneen Lire. Pariser Zeitungen wissen dagegen von einer Hinterlassenschaft von 50 Millionen Dollars zu berichten.“ Soweit der Nachruf der Berliner Börsen-Zeitung



Über Caruso und seine Geliebte Ada Giachetti

https://opernloderer.blogspot.com/2021/04/skandal-enrico-caruso-und-ada-giachetti.html

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