Theatergeschichte: Vor 95 Jahren entstand der Neubausaal in Schwäbisch Hall

Früher Zeughaus und heute Theatersaal 

– Der Neubausaal in Schwäbisch Hall wurde vor 95 Jahren eröffnet – 

von Klaus J. Loderer


Die Altstadt von Schwäbisch Hall überragen zwei Gebäude: der Turm der Kirche St. Michael und ein riesiges Gebäude am höchsten Punkt der ummauerten Stadt, der als Neubau bezeichnet wird. Das historische Gebäude ist dicht bedrängt durch die direkt daran vorbeiführende Bundesstraße 14. Trotz des Namens ist der Neubau allerdings schon ein halbes Jahrtausend alt. Errichtet wurde er von der freien Reichsstadt Hall, deren Wohlstand auf der Salzgewinnung basierte. Der Neubau diente als städtisches Magazingebäude für Getreide und als Zeughaus oder Büchsenhaus für Waffen. Die Größe dieses wehrhaft wirkenden Gebäudes ist bemerkenswert. Der Bau mit Seitenlängen von 42 auf 25 Meter und einer enormen Höhe – allein unter dem riesigen Satteldach sind fünf Geschosse – kommt an das Volumen des Chors der Michaelskirche heran. Der Neubau übertrifft die Dimensionen aller Bürgerhäuser der Stadt. Es entstand 1505-1533. Der Dachstuhl ist durch eine dendrochronologische Untersuchung auf 1526/1527 datiert. Ungewöhnlich ist der Grundriss in Form eines Parallelogramms, dem auch die innere Struktur mit ihren Balkenlagen entspricht.


Mit der Anektierung der Reichsstadt Hall durch Württemberg ging der Neubau in Staatsbesitz über. Das Königreich verkaufte ihn 1825 für 4500 Gulden an zwei Privatleute, Georg Leicht und Henle Reiß. Das kam in Hall nicht so gut an und so kaufte die Stadt ihnen das Gebäude ab. Der Neubau blieb ist ins 20. Jahrhundert fast unverändert erhalten.


Blick über Schwäbisch Hall: links die Kirche St. Michael und rechts der Neubau

Foto: Klaus J. Loderer


Der Neubausaal

Ein Umbau erfolgte in den 1920er-Jahren. Was Schwäbisch Hall fehlte, war ein großer Veranstaltungssaal. Im Neubau soll schon im 17. Jahrhundert Theater gespielt worden sein. Da die Stützen mehr als sechs Meter auseinanderstehen, war dies sicher möglich. Ein eigentlich größer geplante Projekt musste aus finanziellen Gründen reduziert werden. Nach der Inflation waren die Zeiten immer noch hart für die Städte und Gemeinden. Wie in vielen Städten erfolgte die Finanzierung durch Stiftungen. Waren es in Backnang und Mühlacker einzelne Industrielle, die einen Theatersaal finanzierten, trugen in Hall zahlreiche Bürger mit Spenden zur Finanzierung bei. 


Durchgeführt wurde unter der Leitung des Stadtbaumeisters Benz ein innerer Umbau des Neubaus. Zur Gewinnung eines großen Saals wurden im ersten und zweiten Stock je drei Stützen und der Boden in acht Feldern herausgenommen. Über dem Saal entstand ein Sprengwerk zur Ableitung der Lasten. Zur Erschließung mussten zusätzliche Treppen eingebaut werden. So entstand ein Saal mit dem ungewöhnlichen Grundriss eines Parallelogramms. Die Reste des dritten Stocks wurden als Empore genutzt. Dadurch gab es eine tiefe rückwärtige Empore, die sich auf der rechten Seite weiterzog. Gestützt wurden die Emporen durch die historischen Stützen, die mit ihren Kopfstreben bis heute ein markantes Element des Saals ausmachen. Sie ergeben mit den mächtigen Unterzügen und Deckenbalken ein rustikales Bild. Die Balken waren stellenweise mit Bemalung versehen. Passend zum historischen Ambiente wurde ein Geländer mit hölzernen Balustern eingesetzt. An der linken Seite wurden die kleinen Fenster zu größeren Fenstern erweitert.

Festakt in Anwesenheit des württembergischen Staatspräsidenten

Am 19. Dezember 1926 wurde der Neubausaal der Öffentlichkeit übergeben. Am Festakt nahm der württembergische Staatspräsident Wilhelm Bazille teil. Der 1874 in Esslingen am Neckar geborene Jurist und Politiker gründete 1919 die Württembergische Bürgerpartei, die 1920 eine Landesgruppe der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) wurde. Er war ab 1919 Landtagsabgeordneter und ab 1920 auch Reichstagsabgeordneter. Von 1924 bis 1928 war er Staatspräsident von Württemberg (was dem heutigen Ministerpräsidenten entspricht). 1930 legte er seine Mandate nach innerparteilichen Zwistigkeiten nieder, war aber noch bis 1933 unter Eugen Bolz württembergischer Kultminister. 1934 beging Wilhelm Bazille Selbstmord.


Auch in der Nachbarstadt Backnang berichtete die erscheinende Tageszeitung Murrtal-Bote am 20. Dezember 1926 unter der Überschrift „Einweihung des Haller Festsaales“ über den Festakt: „Hall, 19. Dez. In festlicher Weise wurde Sonntag vormittag 11 Uhr der prachtvolle Festsaal im Neubau eingeweiht. Erschienen waren zu der Feier Staatspräsident Bazille, Landtagspräsident Körner und viele andere hervorragende Männer auswärtiger staatlicher und städtischer Verwaltungen. Von der Stadt Hall waren die Spitzen der staatlichen und städt. Behörden und die gesamte städtische Beamtenschaft, außerdem viele Bürger und Bürgerinnen erschienen, so daß der geräumige Saal nebst Galerien vollständig besetzt war. Eingeleitet wurde der Weiheakt mit einem musikalischen Vortrag. Zunächst folgte die Uebergabe des Saales an die Stadt durch Stadtbaumeister Benz. Er machte dabei verschiedene Angaben über Einrichtung und Ausstattung des Saales, der 465 qm groß, 29 Meter lang, 16 Meter breit und 8 Meter hoch ist. Er faßt bei Konzertbestuhlung 1000-1100 Sitzplätze und hat 200 bis 300 Stehlplätze. Die Saalgalerie hat 250 Sitzplätze und etwa 200 Stehplätze. Die Seitengalerie kann noch durch einen 13 Meter langen und 5 Meter breiten Raum erweitert werden. Die Baukosten betragen nach dem jetzt durchgeführten vereinfachten Plan etwa 160000 Mark und sind zu einem guten Teil durch freiwillige Zeichnungen und Stiftungen aus der Bürgerschaft und von auswärts wohnenden Hallern aufgebracht worden. Der Stadtbaumeister dankte allen, die mitgearbeitet haben, dieses Werk zu vollenden. Er schloß mit dem Wunsche, es möge das in den Saal einziehende leben von schöner und reiner Kunst und von treuer Liebe zu unserer deutschen Heimat getragen sein.

Regierungsrat Klein übernahm im Namen und Auftrag der Stadt Hall den Festsaal von der Bauleitung. Aus dem geschlossenen Wissen aller sei das vor Augen liegende Werk entstanden, als Zeichen für die künftigen Geschlechter, daß der einzelne im Gemeinwesen nichts, die Gesamtheit alles bedeutet. Der Saal möge beitragen zur Entfaltung eines regen, künstlerischen Lebens und zu neuem Wachsen, Blühen und Gedeihen der Stadt Hall. In diesem Sinne übergab Regierungsrat Klein den Saal seiner Bestimmung und hieß den Herrn Staatspräsidenten und die zahlreich erschienenen Vertreter der Behörden aus Stadt und Land namens der Stadt herzlich willkommen.

Oberstudiendirektor Müller begann seine Festrede mit den Schiller’schen Worten aus der „Glocke“: „Zum Werke, das wir ernst bereiten, geziemt sich wohl ein ernstes Wort“. Er pries die Erstellung des Haller Festsaales als eine Tat, die für die zukünftige Entwicklung der Stadt eine ganz besondere Bedeutung zugemessen sei. Sodann schilderte er in großen Zügen die Entstehung und weitere Entwicklung der Haller Saalbaufrage. Er dankte allen, die mit Hand, Geist und materiellen Mitteln die Entstehung des Werkes ermöglich hätten. Zum Schluß führte der Redner noch aus, daß, wenn der Neubau sich äußerlich auch kaum verändert habe, man ihn doch in Zukunft mit ganz anderen Augen ansehen würde, denn er sei aus einem langen Schlafe zu neuem Leben erwacht. Die Haller und ihre Gäste möge der Neubausaal zu wissenschaftlichem Streben und zu ernster Arbeit im Dienste an Volk und Vaterland aufrufen.

Professor Dr. Fehleisen-Tübingen gab seiner Freude über das Gelingen des Werkes Ausdruck und gab dann einen Ausschnitt aus der Geschichte des Neubaues. Zum Schluß sprach er der Stadt Hall seine Glückwünsche aus. Mit dem wunderschönen Mozart’schen „O Schutzgeist alles Schönen“, unter der Orchesterbegleitung vom Männerchor des Musikvereins vorgetragen, fand der eindrucksvolle Weiheakt sein Ende.

Anschließend daran fanden im Hotel zum Lamm und im Soolbad Festessen statt. Im Lamm begrüßte Regierungsrat Klein die Festgäste, insbesondere den Staatspräsidenten. _ Um 5 Uhr und 8 Uhr abends fanden ausverkaufte Konzerte des Musikvereins Hall unter Deißingers Leitung und unter Mitwirkung des Philharmonischen Orchesters Stuttgart statt, die einen großartigen Verlauf bei stürmischem Beifall nahmen. Bei den Konzerten zeigte sich besonders die ausgezeichnete Akustik des herrlichen Saales, der für lange Zeit eine Sehenswürdigkeit der alten Stadt Hall bilden wird.“


Es bleibt im Zeitungsbericht unklar, ob der erwähnte Architekt Georg Fehleisen nur einen Festvortrag hielt oder ob er am Projekt beteiligt war. Er wurde 1893 in Schwäbisch Hall geboren und studierte ab 1912 Architektur an der Technischen Hochschule Stuttgart. Das Studium wurde durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen. 1921 bis 1925 war er beim Hochbauamt Duisburg und dann im Büro von Georg Metzendorf in Essen. 1925 promovierte er über das Kloster Alpirsbach. 1928 ließ er sich als freier Architekt in Bensheim nieder. Neben zahlreichen Privathäusern entwarf er die Deutsche Milchwerke AG in Zwingenberg und das Sanatorium in Schriesheim. Fehleisen starb 1936 an den Folgen eines Autounfalls.


1979 erfolgte ein weiterer Umbau des Neubaus, bei dem der Küchenanbau ergänzt wurde. Heute ist die Bestuhlung des Konzert- und Theatersaals auf 450 Plätze im Parkett und 150 in der Galerie ausgelegt. Zeughaussaal wird der Saal im Erdgeschoss genannt.

 

 

Literatur

Der Neubau. Schwäbisch Hall 1980.

Albrecht Bedal: Haller Häuserbuch. Künzelsau 2014, 459-465.

Andreas Maisch: Kronenwirt Henle Reiß kauft den Neubau. In: Jüdisches Leben in Schwäbisch Hall, von der Revolution 1848 bis 1933. (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Schwäbisch Hall; 21). Schwäbisch Hall 2004, S. 3-8.

 

 


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