Vortrag zur britischen Theaterarchitektur: Claire Appleby stellt die Liste „Theatres at Risk“ vor

31 Theater im Vereinigten Königreich, die auf ihre Neubelebung warten 

– Online-Vortrag von Claire Appleby zur Liste „Theatres at Risk“ der britischen Stiftung Theatres Trust – 

von Klaus J. Loderer


Bei historischen Theatern mag man zuerst an Italien denken, doch besitzen auch andere Länder eine Vielzahl historischer Theatergebäude. Im Vereinigten Königreich sind das neben den bemerkenswerten Art-Deco-Theaterbauten des 20. Jahrhunderts vor allem die üppig dekorierten Theater der viktorianischen und edwardianischen Zeit. Denkt man an das Londoner Westend, sind es vor allem Theater aus diesen Epochen. Aber im ganzen Land gibt es zahlreiche historische Theater. Mehrere Vereinigungen haben sich der Erforschung und Erhaltung dieser Theater verschrieben. Da ist etwa die Frank Matcham Society, die sich dem Werk des für England so wichtigen Theaterarchitekten widmet. Breiter gefasst ist das Interesse der 1976 gegründeten Stiftung Theatres Trust, die sich für Theatergebäude einsetzt, um diese für Aufführungen zu erhalten. Dabei ist die Erhaltung für lebendiges Theater das oberste Ziel. Der Theatres Trust unterstützt finanziell und inhaltlich die Aufarbeitung der Theatergeschichte, Planung, Konzeption, Weiterentwicklung und Öffentlichkeitsarbeit. Wichtig ist dem Theatres Trust, das Bewusstsein für historische Theatergebäude zu schärfen. Basis der Arbeit ist die Liste „Theatres at Risk“. Zur Finanzierung der Arbeit sammelt die Stiftung Spenden und arbeitet mit anderen Geldgebern wie Historic England und dem Pilgrim Trust zusammen. In den letzten drei Jahren wurden mit 203.000 Pfund an Fördermitteln insgesamt fünfzehn Theater unterstützt.


Foto: Theatres Trust

Die aktuelle Liste „Theatres at Risk“ stellte die Architektin Claire Appleby vom Theatres Trust in einem von der Frank Matham Society veranstalteten Online-Vortrag am 20. Juli 2021 vor. Alle vorgestellten 31 Theater wurden ursprünglich als private Theater errichtet. Doch auch wenn sie in Eigentum einer Stadt sind, bedeutet das nicht unbedingt einen Schutz. Es wurde im Vortrag schnell deutlich, dass egal, ob es sich um öffentliche oder private Eigentümer handelt, die Erhaltung eines Theatergebäudes schnell unsicher werden kann, wenn das entsprechende Bewusstsein für das Gebäude fehlt. Zudem sind Theatergebäude in Innenstadtlagen allein schon durch den hohen Wert des Grundstücks oft gefährdet, zugunsten ertragsreicherer Nutzungen abgerissen zu werden. Die Liste „Theatres at Risk“ reicht von gut erhaltenen bis zu ruinösen Gebäuden. Einige Theater wurden bisher als Bingo-Halle genutzt – im Vereinigten Königreiche eine typische Nutzung alter Kinos und Theater. Es handelt sich bei der Liste allerdings nicht um eine vollständige Liste der gefährdeten Theatergebäude im Vereinigten Königreich. Davon wird es wesentlich mehr geben. Denn wenn eine Erhaltung unmöglich erscheint, nimmt der Theatres Trust ein gefährdetes Gebäude nicht in die Liste auf. Über die Aufnahme entscheidet ein Punktesystem. Die Gefährdung kann darin mit immerhin drei von neun Punkten gewertet werden. Das Theater benötigt aber mindesten vier Punkte zur Aufnahme in die Liste. Und die restlichen Punkte bewerten die Aussichten auf eine künftige Nutzung.


Auch wenn die künftige Nutzung im Bereich von Musik, Theater oder zumindest im Veranstaltungsbereich sein sollte (worunter auch Amateuraufführungen gerechnet werden), im Notfall unterstützt der Theatres Trust auch Umnutzungen von Theatern. Das ist etwa der Fall beim Palace Theatre in Swansea in Wales. Hier sieht die aktuelle Planung die Umnutzung in ein Bürogebäude vor. Dabei werden einige der Treppenhäuser geopfert. Claire Appleby betonte aber, dass die Einbauten in den Zuschauerraum, von dem immerhin die Rangbrüstungen sichtbar bleiben, reversibel gestaltet seien.

Ein historischer Zirkus – Brighton Hippodrome

Mit der neuesten Planung für das Brighton Hippodrome, einem historischen Zirkusgebäude, ist Claire Appleby nicht ganz zufrieden. Das Projekt sehe zwar die Erhaltung des Zuschauerraums mit seiner markanten Kuppel vor, allerdings werde die Bühne zugebaut. Schlimmer allerdings sei die Überbauung des Hinterhofs durch ein Hotel, was eine künftige Nutzung der Bühne durch die mangelnde Zugänglichkeit ausschließe. 


Für das Granada in Walthamstow, einem Stadtteil im Nordosten Londons, das 1930 als Kino mit mehr als zweitausend Sitzplätzen eröffnet wurde und bis 2003 unter wechselnden Namen als Kino genutzt wurde, konnte Claire Appleby ein neues Nutzungskonzept vorstellen. So soll der Art-Deco-Giebel rekonstruiert werden. Durch Verkleinerung des Zuschauerraums sollen zusätzliche Räume gewonnen werden. Aus dem hinteren Teil des Parketts könnte eine stimmungsvolle Bar werden, indem die historische Decke freigelegt wird. Weitere Räume für verschiedene Nutzungen sind über dem Foyer geplant. So könnte ein neues kulturelles Zentrum des Stadtteils werden.

Ein Theatergebäude auf Reisen

Ein ungewöhnliches Theatergebäude hob Claire Applegy mit dem Century Theatre in Snibston heraus. Dabei handelt es sich um das einzigartige Beispiel eines mobilen Theaters, das ab 1952 mehr als zwanzig Jahre lang unterwegs war. Der Bausatz konnte leicht auf- und abgebaut und mit vier Sattelschleppern transportiert werden. Es blieb dann einige Jahre in Keswick stehen und zog 1996 ein letztes Mal nach Snibston bei Leicester um. Das Theater ist noch in Betrieb, allerdings schloss 2015 das benachbarte Museum, weil die Grafschaft Budgetkürzungen vornahm. Ein weiteres ungewöhnliches Theater aus der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhundert ist das Theatr Ardudwy in Harlech in Wales, erbaut als Kulturzentrum des College-Campus’ und ein bemerkenswerter Solitär im Stil des Brutalismus’.


Wenig Interesse für das Hippodrome, einem Theater aus den 1930er-Jahren, besteht nach Claire Appleby bei der Stadtverwaltung von Dudley in den West Midlands. Dabei sei das Theater ein interessanter Bau in den Formen der frühen Moderne. Die zahlreichen Veränderungen im Inneren lassen sich wohl leicht wieder zurückbauen. Durch die Nutzung als Bingo-Halle sei der Theatersaal gut erhalten.

Ein Eisenbahnertheater

Als Unterhaltungszentrum für die Mitarbeiter der Great Western Railway wurde das Mechanics’ Institute im Railway Village (Eisenbahndorf) in Swindon in Wiltshire errichtet. Der im Tudor-Stil errichtete und 1855 eröffnete Bau besaß damals einen Lesesaal, Bäder, eine Markthalle, Läden und im Obergeschoss einen Theatersaal. Ungewöhnlich für die damalige Zeit war der Bühnenturm. Zu den kuriosen Theatern der Liste gehört das Theater in einem ehemaligen Gerichtssaal in Spilsby in Lincolnshire. Das Hippodrome in Derby ist inzwischen eine Ruine. 


Das seltene Beispiel einer erhaltenen historischen Untermaschinerie besitzt die Bühne im 1899 nach Plänen des Architekten Bertie Crewe erbauten Victoria Theatre in Salford, einer Stadt im Ballungsraum Manchester. Der äußerlich unscheinbare Backsteinbau hat einen reizvollen Zuschauerraum mit elegant schwingenden Rängen. Dass dort schon 1901 Filme gezeigt wurden, lässt das Victoria Theatre auch zu einem wichtigen Zeugnis der Kinogeschichte werden.


Zu den wenigen historischen Gebäuden von Plymouth, einer im Zweiten Weltkrieg stark zerstörten und danach sehr modern wiederaufgebauten Hafenstadt in Devon, gehört das Palace Theatre, das seit 2006 auf der Liste „Theatres at Risk“ steht. In dem 1898 erbauten viktorianischen Varieté-Theater war zuletzt eine Diskothek. Das Theater steht zwar unter Denkmalschutz, doch ist seine Zukunft weiterhin ungewiss.

 


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