Fotoausstellung: Zoltán Tombor und Ralph Fischer – Ungarisches Kulturinstitut Stuttgart 2021

Die Vergänglichkeit in der Moderne, von ungesehenen Kleinigkeiten in der Architektur 

– »Dialog«, Ausstellung mit Fotos von Zoltán Tombor und Ralph Fischer im Ungarischen Kulturinstitut in Stuttgart – 

von Klaus J. Loderer 

 

Die Ausstellung »Dialog über das Erleben von Architektur« gibt einen ungewöhnlichen Blick auf die Architektur. Dass der Titel der Ausstellung den in Ungarn geborenen Bauhauskünstler László Moholy-Nagy zitiert, gibt dem Ausstellungsbesucher einen Hinweis auf das Bauhaus in Dessau. Das kommt tätsächlich mehrfach in den Fotos vor, allerdings so, dass es auf den ersten Blick nicht sofort erkennbar ist. Es geht aber bei allen Fotos dieser Ausstellung nicht um die leicht erkennbare Großform der Architektur. Man sieht keine Gesamtansichten. Vielmehr geht es um den Blick auf das Detail. Doch auch das Detail ist im technischen Sinne nicht das Thema der Ausstellung. Wir sollen Motive erleben. Ob wir die Motive erkennen, ist nicht so wichtig. Aber wir sollen die grafische oder farbliche Wirkung wahrnehmen und eben erleben.


Ausstellung »Dialog« – Fotos von Ralph Fischer und Zoltán Tombor

Foto: Klaus J. Loderer


 

Das ungarische Kulturinstitut in Stuttgart hat in der von der damaligen Direktorin Véra Szolnoki vor mehr als zwanzig Jahren ins Leben gerufenen Reihe Künstlerbegegnungen erneut die Arbeiten zweier Künstler zusammengestellt. In diesem Fall hat man den Eindruck, diese beiden Fotografen müssen seit Jahren zusammenarbeiten und ihre Fotos genau für diese Ausstellung aufeinander abgestimmt haben. Allerdings sind sich Zoltán Tombor und Ralph Fischer noch nie begegnet. Es ist vielmehr dem glücklichen Umstand zu verdanken, dass Kurator Márton Barki auf die Idee kam, die Arbeiten genau dieser beiden Fotografen zusammenzubringen. Wieder ist ein Künstler aus Stuttgart und einer aus Budapest. Das Ergebnis ist beglückend. Die ungewöhnliche Hängung, bei der die Arbeiten zu Bildgruppen zusammengerückt sind, sich sogar überlappen und fugenlos aneinander stoßen ergibt ein spannungsvolles Bild. So wirken diese Bildgruppen fast wie Collagen. Teilweise setzen sich Linien des einen Bildes in einem anderen fort. Der Blick beider Fotografen ist ganz ähnlich. Man merkt beider Interesse am ungewöhnlichen Motiv. Beide haben ein Auge für Muster und Strukturen, bei Zoltán Tombor ist es die Schulung durch die Modefotografie, bei Ralph Fischer das Interesse für Material und moderne Architektur. Beide lieben es, durch starke Vergrößerung oder einen geschickten Ausschnitt die Motive zu verfremden, auf ein Muster zu reduzieren und zu abstrahieren. Durch einen technischen Kniff sind die Arbeiten trotzdem leicht zu unterscheiden. Zoltán Tomors Fotos sind auf dünne Metallplatten aufgezogen, Ralph Fischers Fotos aus edlem Papier.


Ausstellung »Dialog« – Fotos von Ralph Fischer und Zoltán Tombor

Foto: Klaus J. Loderer


Korrespondierende Bildpaare

Da durch die besonderen Umstände der Corona-Verbote eine Vernissage nicht möglich war, konnten sich die beiden Fotografen auch dort nicht begegnen. Den titelgebenden Dialog übernehmen aber die Bilder. Das tun sie auf eine ganz bemerkenswerte Art. Sie scheinen zu interagieren. Die Kuratoren Márton Barki und Bernadette Dán haben die Bilder der beiden Fotografen zu Paaren zusammengefügt. Schon die zwei Bildpaare im Eingangsbereich zeigen, wie gut die Fotos beider Künstler zusammenpassen. Da sind zwei Fotos ohne Zwischenraum übereinandergestellt. Dass beide Bilder eine markante ockerfarbene Fläche besitzen, lässt sie zu einem Motiv verschwimmen. Wir konzentrieren uns so stark auf die Farbwirkung, dass wir erst bei längerer Betrachtung bemerken, dass die Motive nicht zusammenpassen. Das andere Bildpaar ergibt eine kuriose räumliche Ergänzung: Die Fotos einer Türschwelle und eines Hydranten sind so zusammengefügt, dass eine neue räumliche Situation mit einer vermeintlichen Ecke entsteht. Und der gelbe Sicherheitshelm korrespondiert dann wieder farblich mit den vorher genannten Bildern. Dass die Beschriftung genau diesen Farbton hat, treibt das System natürlich auf die Spitze. Schon diese ersten Bilder zeigen die besondere Vorliebe beider Fotografen für die Diagonale. Es erstaunt nicht, dass Fischer häufig Treppenhäuser fotografiert. Die Korrespondenz des nächsten Bildpaars erfolgt über die Farben: ockergelb, weiß und Blautöne. Bei Fischer ist es ein Treppenhaus, bei Tombor eine fleckige Wand. Doch könnte man Fischers Foto auch für eine abstrakte Komposition aus Dreiecken und Tombors Foto für eine Berglandschaft mit bewölktem Himmel halten.


Ausstellung »Dialog« im Ungarischen Kulturinstitut in Stuttgart

Foto: Klaus J. Loderer


Vergänglichkeit

Verfall ist ein häufiges Motiv bei Tombor. Da blättert Putz von einer Wand, ein alter Rollladen hängt schief vor einem Fenster, ein trockener Brunnen ist zu einer öden Fläche verkommen. Doch auch Fischer macht darauf aufmerksam, wie in vermeintlich klinisch reiner moderner Architektur, die Kräutlein sich ihren Platz erkämpfen. So zeigen beide auf ihre Art Vergänglichkeit.

 

Für die grafische Wirkung des Schattens interessieren sich beide. Harte Schlagschatten reduzieren die Motive zur Grafik. Und beide mögen den Schatten von Bäumen auf Gebäuden, woraus sich gewissermaßen ein Dialog von Natur und Architektur ergibt. Auch das Widersprüchliche und das Absurde fangen beide gerne ein. Ein schönes Beispielpaar sind zwei Fotos von Treppen: bei Tombor steht eine nirgendwo hinführende grüne Treppe aus fünf Stufen vor einer Betonwand ohne jegliche Öffnung; bei Fischer steht eine junge Frau quer zum Treppenverlauf direkt vor einer Betonwand, ohne dass dort eine Tür oder ein Fenster wäre.


Ausstellung »Dialog« im Ungarischen Kulturinstitut in Stuttgart

Foto: Klaus J. Loderer


Neues Sehen

Ralph Fischer zeigt in seinen Bildern die Architektur der klassischen Moderne, das »Neue Bauen«, in vieler Hinsicht verfremdet. Er spricht gerne vom »Neuen Sehen«, einer zu Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelten neuen Ästhetik, die in ihrer prägnanten Schärfe auch heute noch neuartig wirkt. Er selbst steht in dieser Tradition der Fotografie. Dass in dieser Ausstellung Bilder eines deutschen und eines ungarischen Fotografen zusammengefügt sind, verweist auch darauf, dass schon in den 1920er-/1930er-Jahren die Fotografie in der Art der Bauhaus-Ästhetik begeistert von jungen Fotografen in Ungarn gepflegt wurde. Nicht zuletzt gehörte László Moholy-Nagy, von dem der Titel der Ausstellung entlehnt ist, zu den Entwicklern dieser neuen Seh-Ästhetik am Bauhaus.


Das Bauhaus und die Meisterhäuser in Dessau sind für Ralph Fischer ebenso Musen wie die ehemalige Hochschule für Gestaltung in Ulm und die Stuttgarter Weißenhofsiedlung. Genau hat er diese Bauten studiert, die Wirkung in Licht und Schatten. So fand er ungewöhnliche Blickwinkel und macht auf die vielen Schattierungen von Weiß bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen aufmerksam. Trotz all dieser orthogonalen Systeme fischt er sich aber immer wieder die Diagonalen als Bildmotive heraus, die durch Schatten und Spiegelungen entstehen. Lenkt Fischer unser Auge auf unbekannte Details bekannter moderner Gebäude, zeigt uns Tombor eine faszinierende Nebenwelt anonymer Architekturen. Fischer und Tombor schärfen unseren Blick auf die unbeachteten Belanglosigkeiten und inszenieren sie für uns.


Fotos von Ralph Fischer und Zoltán Tombor im Ungarischen Kulturinstitut Stuttgart

Foto: Klaus J. Loderer


Zoltán Tombor und Ralph Fischer

Zoltán Tombor wurde 1973 in Budapest geboren. Zur Fotografie kam er als Autodidakt. Acht Jahre arbeitete er in Mailand, wo er sich zu einem gefragten Fotografen im Bereich Mode und Werbung entwickelte. »Vogue«, »Glamour« und »Harper’s Bazaar« sind nur einige der Zeitschriften, in denen Fotos von ihm erschienen sind. 2011 zog er nach New York und arbeitete viele Jahre in Brooklyn, bevor er nach Budapest zurückkehrte.


Dr. Ralph Fischer arbeitet als Werkstoffingenieur und ist als freier Fotodesigner tätig. Außerdem ist er ein Experte in Fotografiegeschichte. Sein besonderes Interesse gilt der klassischen modernen Architektur. Das Bauhaus und die Meisterhäuser in Dessau, die Weißenhofsiedlung und die ehemalige Hochschule für Gestaltung in Ulm hat er detailliert untersucht und über Jahre in einer großen Zahl an Fotos dokumentiert. Mit dem Kreativ-Zentrum Gerberviertel setzt er sich für die Lebendigkeit eines Stuttgarter Stadtviertels ein.


Im Ungarischen Kulturinstitut wurde bei dieser Ausstellung sogar der Flur zu den Toiletten bebildert – natürlich mit einem passenden Bildpaar: ein Motiv aus einer Dusche und eine Wand in der HfG, von der die Waschbecken abgerissen wurden. Auch in der Beschriftung geht die Ausstellung einen neuen Weg. Neben den Bildtiteln ist ein QR-Code angebracht, über den man von den Fotografen erzählte kurze Bemerkungen zu den Fotos abrufen kann.


Oben: »Triptichon« von Zoltán Tombor, unten »Triptichon« von Ralph Fischer

Foto: Klaus J. Loderer


 

 

Ausstellung

Dialog über das Erleben von Architektur

Dr. Ralph Fischer und Zoltán Tombor

9. März bis 9. April 2021

Ungarisches Kulturinstitut

Christophstr. 7

Stuttgart

 


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