Theatergeschichte: die Morwitz-Oper – sommerliche Volksoper in Berlin um 1900
„Die zweite „Berliner Oper“ in Sicht!“
– Die Planungen für eine Volksoper am Kurfürstendamm wurden nicht ausgeführt, Heinrich Morwitz spielte mit seiner Morwitz-Oper immer in fremden Theatern –
von Klaus J. Loderer
Während der sommerlichen Theaterferien, in denen das kgl. Opernhaus unter den Linden nicht spielte, versorgte die Morwitz-Oper über mehr als ein Jahrzehnt die Berliner mit Opernvorstellungen. Ein eigenes Theatergebäude hatte die Morwitz-Oper nie. Die Idee einer Volksoper am Kurfürstendamm konnte er nicht ausführen. Im Belle-Alliance-Theater war er mit seinem Opernprojekt gescheitert, doch im Theater des Westens konnte mit der Sommeroper Erfolge feiern. Er bespielte wechselnde Theater, denn in Berlin standen ja in den Sommermonaten genüg Theatergebäude zur Verfügung.
Hinter dem privaten Opernunternehmen steckte Heinrich Morwitz (1837-1909), von der Ausbildung Banker, dann aber Theaterdirektor und Theaterunternehmer. Er machte sich nach Stationen in verschiedenen Städten an das Projekt einer Sommeroper in Berlin. Die anspruchsvollen Opernaufführungen sollten durch niedrige Eintrittspreise breite Bevölkerungsschichten erreichen, zumal die Sonntagnachmittagsvorstellungen zu halben Eintrittsreisen erfolgten. Die Berliner Börsenzeitung fasste das zusammen: „Die Morwitz-Oper hat sich im Laufe der Jahre als rechte und echte Volksbühne speciell in den Kreisen des hauptstädtischen Kleinbürgertums ein festes Stammpublicum geworben und was sie bietet, ist völlig auf die Ansprüche und Bedürfnisse dieser Kreise zugeschnitten. Sie bestreitet ihr Repertoire mit Vorliebe aus der älteren Opernliteratur und bevorzugt dabei sehr verständiger Weise die Spieloper, bringt aber auch zuweilen ganz neue Werke, und das Alles in Aufführungen, die, mit dem entsprechenden Maßstabe gemessen, als durchaus annehmbare bezeichnet werden könnnen.“ (Berliner Börsenzeitung 18.6.1905)
Die Spielpläne reichten von deutschen über italienische Opern bis hin zur Grande Opéra. Es gab häufig „Der Wildschütz“ und „Zar und Zimmermann“ von Lortzing, ebenso wie Rossinis „Barbier von Sevilla“, Bizets „Carmen“, Verdis „Troubadour“ und „La Traviata“. Zu den besonderen Erfolgsstücken gehörte „Der Postillon von Lonjumeau“. Bemerkenswert ist allerdings der Anteil an damals modernen Opern. So war jede Spielzeit mindestens eine zeitgenössische Oper dabei.
Heinrich Morwitz und vier Darsteller der Morwitz-Oper 1903
Berliner Leben, 1903, 8 |
Theaterdirektor Heinrich Morwitz
Der Neue Theater-Almanach 1911 zeichnete die Stationen seines Lebens in einem Nachruf auf: „Heinrich Morwitz kam frühzeitig nach Berlin, wo er sich dem Bankfach widmete, für das er in dem Hause Bleichröder ausgebildet wurde. Von frühester Jugend an für Kunst und Künstler schwärmend, stand er stets in nähern Beziehungen zum Theater, dem er sich in den 70er Jahren zwar nicht als ausübender Künstler, sondern als Theatersekretär und Manager für Gastspiele, dann als Bühnenleiter widmete. Breslau, Liegnitz, Bremen, Leipzig, Reichenberg i.B. und Basel waren die Stationen seines direktorialen Wirkens. Seine stets bewährte Vorliebe für das musikalische Genre zeitigte in ihm den Wunsch, nach dem Ableben von Dir. Josef Engel und dem Uebergang des Krollschen Etablissements an die Hofoper eine neue Berliner Sommeroper zu gründen. Zu diesem Zweck pachtete er 1894 auf ein Jahr das Belle-Alliance-Theater. Die Wintersaison mit ihrem Schauspiel- und Possenrepertoire schlug nicht besonders ein, desto besser aber die vorausgegangene erste Sommeroper, die ein längeres Gastspiel es schon von Kroll her bekannten Heinrich Bötel und Franceschina Prevosti sowie zwei interessante Schillingsche Novitäten „Das Hexenlied“ und „Zarora“ brachte. Und nun begann die lange Serie der Morwitzschen Sommeropern, in denen der umsichtige und rührige Direktor seinem Publikum so viel Gutes und Neues zu bescheidenen Preisen brachte, daß man sein Unternehmen ein volkstümliches in des Wortes bester Bedeutung nennen durfte. 1897 sehen wir Heinrich Morwitz im Theater des Westens. Von nun ab bildete die Morwitzsche Sommeroper eine stehende Institution im Theaterleben Berlins. Sie domizilierte im Metropol- und Berliner, sowie acht Jahre lang im Schillertheater und fand ihren Abschluß am 20. September d. J. mit der 14. Saison im Friedrich-Wilhelmstädtischen Schauspielhaus.“
Die erste Sommeroper im Belle-Alliance-Theater
1894 wurde Heinrich Morwitz Direktor des Belle-Alliance-Theaters in der Belle-Alliance-Straße (heute Mehringdamm). Das Berliner Tageblatt kündigte die Sache begeistert an: „Die zweite „Berliner Oper“ in Sicht! – Das Belle-Alliancetheater, das schon im vorigen Jahre eine leider nur zu kurzlebige Oper brachte, soll jetzt unter anscheinend weit günstigeren Auspicien wieder der Musik zurückgewonnen werden. Der in der Theaterwelt bestens bekannte Direktor Herr Heinrich Morwitz übernimmt die Bühne vom 1. Mai ab. Herr Direktor Morwitz ist seit 20 Jahren im Besitze einer Reichskonzession und im Besitze der besten Zeugnisse über seine Direktionsführungen in Leipzig (Carolatheater), in Barmen-Elberfeld und Basel, er ist langjährigen Mitglied des Deutschen Bühnen-Vereins und, wie uns ausdrücklich versichert wird, im Besitze mehr als ausreichender finanzieller Mittel. Herr Direktor Morwitz beabsichtigt nun, an die Traditionen des aufgelösten Krollschen Theaters anzuknüpfen. Wie wir hören, ist bereits ein großer Theil von akkreditirten Mitgliedern der Krollschen Oper von ihm gewonnen worden. Auch beliebte Zuggäste der Krollschen Oper werden im Sommer im Belle-Alliancetheater auftreten. Wir wünschen Herrn Morwitz Glück. Sein Glück wäre ja auch das des Publikums.“ (Berliner Tageblatt, 16.3.1894)
Morwitz begann mit einer vom 6. Mai bis 9. September 1894 dauernden sommerlichen Opernsaison. Im Sommer wurde auch das Theaterorchester von 22 Musikern auf 42 aufgestockt. Ebenso wuchs der Chor von 24 auf 30 Sängerinnen und Sänger. Unter den Gästen war der Tenor Heinrich Götel, der auch später fester „Star“ bei Morwitz war – ebenso wie Franceschina Prevosti. Mit im Programm war das Melodram „Das Hexenlied“ von Max von Schillings (1868-1933). Bei der unter den Neuheiten erwähnten Oper „Zamora“ handelt es sich wohl um „Le tribut de Zamora“ von Charles Gounod.
Abschied nach nur einer Saison
Die anschließende Wintersaison war allerdings weniger erfolgreich. So beendete Morwitz seine Direktion schon im Frühjahr. Die Berliner Börsenzeitung schrieb traurig: „Die Direction Morwitz schloß am Dienstag Abend im Belle-Alliance-Theater in bezeichnender Weise. Wenn der Geschäftsgang einen Bühnenleiter in die fatale Lage bringt, wie man zu sagen pflegt, der Ungunst der Verhältnisse weichen zu müssen, so pflegt der Schluß leider meist ein solcher zu sein, der mit dem Beginne in schreiender Weise contrastirt. Anders bei Director Morwitz. Er hat mit einem vortrefflichen Opernensemble begonnen, aber die zweiten Opern habe kein Glück mehr in Berlin und nachdem die Contracte mit den Künstlern unter schweren Opfern bis zum letzten Tage correct eingehalten wurden, ward die Oper aufgegeben und der Posse, dem Volksstück sollte im Belle-Alliance-Theater eine Stätte bereitet werden. Die Theaterbesucher Berlins vertheilen sich aber zu sehr, es sind der Unterhaltungsstätten zu viele, weshalb auch fast alle schlechte Geschäfte machen. Unter weiteren Opfern hielt Director Morwitz die Saison durch und konnte am letzten Tage seiner Directionsführung mit einem Wohlthätigkeitsact schließen – ein Abgang, wie ihn wenige scheidende Directoren zu Wege brachten. Als Mensch und Bühnenleiter hinterläßt Herr Morwitz einen guten Namen, und es steht zu hoffen, daß wir ihn bald in fruchtbringender Thätigkeit beim Theater wieder wirken sehen. Die letzte Vorstellung unter seiner Direction im Belle-Alliance-Theater wird überdies den zahlreichen Anwesenden – das Haus war total ausverkauft – unvergänglich in Erinnerung bleiben. Zu Gunsten des gegenwärtigen Theaterkassirers und früheren Schauspielers Louis Randolf wurde eine Vorstellung zu Wege gebracht, deren Wiederholung dringend zu wünschen wäre. Randolf hatte sich Raimunds „Verschwender“ zum Benefiz gewählt und klopfte bei zufällig in Berlin anwesenden oder hier in Engagement befindlichen Künstlern und Künstlerinnen bittend an, und mit gewohnter Herzensgüte und Hilfsbereitschaft sagten sie alle zu. So kam, wie gesagt, durch die Mitwirkung hervorragender Kräfte für die Hauptrollen eine wahre Mustervorstellung zu Stande. Besondere Erwähnung verdienen in erster Linie Hans Pagay (Valentin) und Kathi Thaller (Rosel). Beide charakterisirten in vollendeter Weise und und erfreuten sich während des ganzen Abends des regsten Beifalls. Vortrefflich war auch Helene Falcke als Fee Cheristane und Ernst George als „Azur“. Alle Mitglieder des Theaters selbst thaten ebenfalls voll ihre Schuldigkeit. Der Benefizant feierte sein 30jähriges Jubiläum als Theaterangehöriger in echt künstlerischer Art – aber wie sehr er sich als Kassirer auch über gute Einnahmen freut, die Einnahme vom Dienstag wird ihn doch besonders beglückt haben.“ (Berliner Börsenzeitung, 2.5.1895)
Das Theater des Westens in Berlin |
Sommeroper im Theater des Westens
1897 veranstaltete Heinrich Morwitz erstmals die Sommeroper im 1896 eröffneten Theater des Westens. Die geplante Eröffnungspremiere mit „Die Hugenotten“ fiel aus. Ad. Mohr war als Kritiker der Berliner Volkszeitung in der zweiten Vorstellung der Meyerbeer-Oper und schaute sich auch Victor Ernst Nesslers „Der Trompeter von Säckingen“ an. Da sich dieses Blatt an die Arbeiter und kleinen Leute richtete, ist es nicht erstaunlich, dass Mohr den volkstümlichen Aspekt der niedrigen Eintrittspreise der Sommeroper lobend hervorhob: „So lange unsere General-Intendantur konkurrenzlos am Opern- und Königsplatz waltet und die ständige zweite Oper nicht über das Stadium frommer Wünsche und unklarer Projekte hinauskommt, muss das musikliebende Publicum der Reichshauptstadt, sofern es nicht finanziell zu den „Oberen Zehntausend“ gehört, schon zufrieden sein, wenn ihm von Zeit zu Zeit von berufener Seite für zivile Eintrittspreise eine Reihe künstlerisch anständiger Opernaufführungen geboten wird. Daß Herr Direktor Morwitz für ein derartiges Unternehmen der rechte Mann, hat sich schon gelegentlich seiner früheren Impresa im Belle-Alliance-Theater herausgestellt; wir begrüßen daher die von ihm am ersten Pfingstfeiertage in dem schmucken Theater des Westens eröffnete Opern-Saison mit unverhohlener Befriedigung, umsomehr, als der glückliche Ausfall der ersten Vorstellung, Meyerbeer’s „Hugenotten“, bis zu einem gewissen Grade als Bürgschaft für das erfreuliche Prosperieren des Unternehmens angesehen werden darf. War auch noch nicht Alles, wie es der anspruchsvolle Zuhörer gewünscht haben mochte, machten sich im Ensemble, speziell in den Chor- und Orchesterleitungen noch allerhand Mängel bemerkbar, so wurde doch im Großen und Ganzen so viel des Anregenden und künstlerisch Hochachtbaren geboten, daß sich das Gesamtergebniss zu einem für die beteiligten Hauptfaktoren durchaus günstigen und ehrenvollen gestaltete. Als fertigste und künstlerisch abgerundetste Leistung des Abends haben wir die Königin der Frau Hermine Schuster-Wirth zu bezeichnen. Die Sängerin erfreut gleichmäßig durch den Wohlklang ihrer allerdings nicht großen Stimme, durch die perlende Sauberkeit der Koloratur und geschmackvolle, feinpointirte Vortragsweise; vortheilhafte Bühnenerscheinung und angemessene Repräsentation tragen noch zur Erhöhung des günstigen Eindruck bei. Die Valentine des Frl. Margarethe Kahler stand gesanglich und darstellerisch auf einem respektablen Mittelniveau; das Duett mit Marcel im dritten Akt gelang nicht überall tadellos, dagegen brachte Fräulein Kahler in der großen Scene mit Raoul nicht blos ihre stimmlichen Qualitäten in bester Geltung, sondern offenbarte auch ein ansehnliches Quantum Energie und Leidenschaft in der Darstellung. Herr Ludwig Bernhardt ist stimmlich wohlbegabt, sang seinen Raoul de Rangis zum Teil mit Geschmack und Empfindung und hatte namentlich im vierten Akt einzelne treffliche Momente; eine fertige, abgeschlossene Leistung bot er weder in Gesang noch Spiel; der ritterliche Freimut des protestantischen Edelmannes kam nur in bescheidenem Maße zur Veranschaulichung. Vortrefflich wirkte Herr Hans Keller mit seinem markigen, wohllautenden Bass als Marcel, auch die Herren Franz Fitzau (Nevers) und Ernst George (St. Bris) verdienen für die charakteristische Durchführung ihrer Partien lebhafte Anerkennung; endlich sei noch erwähnt, daß Frl. Sophie David einen anmutigen und gesanglich wohlversirten Pagen Urbain hinstellte, daß Herr Christian Thate sich mit seinem frisch gesungenen Rataplan-Liede einen tüchtigen Applaus holte und daß auch die kleinen Partien der Edelleute, der Nachtwächter &c. so gut besetzt waren, wie man es unter den obwaltenden Verhältnissen billigerweise verlangen konnte. Eine schwierige Aufgabe hatte Herr Kapellmeister Alfred Thienemann an der Spitze eines ungenügenden und für die akustische Wirkung sehr unglücklich placirten Orchesters zu lösen; er entledigte sich indess derselben mit anerkennenswerter Umsicht und hielt überhaupt das Ganze wacker zusammen. Gelänge es ihm allmählig, die Chöre der Segnungen einer höheren musikalischen Zivilisation teilhaftig zu machen und vor allem, ihnen einen strafferen Rhythmus einzuimpfen, so sollte es uns herzlich freuen. Der äußere Erfolg der Vorstellung ließ nichts zu wünschen übrig; vielfach erscholl der Applaus bei offener Szene und die Hauptdarsteller erfreuten sich nach allen Akten wiederholter lebhafter Hervorrufe. Auch die zweite Aufführung, Neßler’s vielgeliebter und vielgeschmähter „Trompeter von Säckingen“ nahm einen glücklichen Verlauf. Die Titelpartie war Herrn Joseph Fanta anvertraut, einem jungen Sänger mit sympathischer, ausgiebiger Baritonstimme, der zur Zeit allerdings noch überwiegend naturalistische Pfade wandelt, aber auf denselben seine Sache sehr brav machte und mit dem famosen: „Behüt’ Dich Gott“ die Thränendrüsen empfindsamerer Menschenkinder in lebhafte Aktion zu versetzten wusste. Recht erfolgreich führte sich Frl. Anna Triebel als des Freiherrn holdseliges Töchterlein Maria ein. Ihr klangvoller, wohlgeschulter Sopran, verbunden mit freiem, natürlichem Spiel und einer anmutigen, mädchenhaften Erscheinung, wirkte in günstigster Weise und ließ sie als durchaus qualifizirte Vertreterin des jugendlichen Gesangsfaches erkennen. Herr Hans Keller erfreute als Freiherr von Schönau nicht minder wie am Tage zuvor durch seine Basses Grundgewalt, während ihn manch’ Einer nebstbei wegen seiner beneidenswerten Trinkfähigkeit bewundert haben mag. Höchst repektable Leistungen boten ferner Frl. Johanna Sedeln als Gräfin Wildenstein und Herr Hugo Kirchner als Conradin, desgleichen die Herren Julius Hagen (graf Wildenstein), Ernst Fourneß (Damian) u. A. Durch die ganze, von Herrn Kapellmeister Max Wolfheim schwungvoll geleitete Vorstellung ging ein frischer, lebendiger Zug, der seine Wirkung auf das zahlreich erschienene Publikum nicht verfehlte und dasselbe zu reichen Beifallsspenden und Hervorrufen animirte.“ (Berliner Volkszeitung, 9.6.1897)
Die Größe des Ensembles für die Sommeropern lag üblicherweise bei etwa zwanzig Solisten, einem gemischten vierzigköpfigen Chor und 40 Musikern im Orchester. Das Ensemble stockte Morwitz mit Gästen auf. Der Tenor Heinrich Bötel (1854-1938) gehörte zu den regelmäßigen Gästen. Er konnte sogar internationale Stars wie Franceschina Prevosti aufbieten.
Sommersaison 1898
Am 5. Juni 1898 eröffnete die Sommeroper im Theater des Westens mit „Die schwarze Kaschka“. Es handelte sich um eine 1895 in Breslau uraufgeführte Oper von Georg Jarno (1868-1920) mit einem Libretto von Viktor Blüthgen (1844-1920). Von Jarno ist heute nur noch „Die Försterchristel“ bekannt.
Die Berliner Börsenzeitung kündigte am 30. August das Ende der Spielzeit an: „Heute findet in der Morwitz-Oper im Theater des Westens die vorletzte Vorstellung der Spielzeit statt. Gleichzeitig verabschiedet sich Franceso d’Andrade in Rossinis komischer Oper „Der Barbier von Sevilla“ in seiner berühmten Partie als Figaro. Der Künstler sing als Einlage in der Gesangsstunde das spanische Volkslied „Lo que esta de dios“ und Frl. Clara Stolzenberg die große Arie aus „La perle du Brésil“. – Morgen schließt die Spielzeit der Morwitz-Oper mit der beliebten Lortzingschen komischen Oper „Der Wildschütz“ bei halben Preisen.“ (Berliner Börsenzeitung, 30.8.1898)
Das Projekt eines Sommeropernhauses am Kurfürstendamm
Allerdings bot das Theater des Westens Heinrich Morwitz keine Zukunft. Schon früh hatte er seine Fühler anderweitig ausgestreckt und berichtete im Juni 1898 über seine Pläne. Kurz notierte die Berliner Börsenzeitung: „Director Morwitz, dessen Vertrag mit den Besitzern des Theaters des Westens mit diesem Sommer abläuft, beabsichtigt zur Fortführung seiner sämmtlichen Opernunternehmungen die Errichtung eines eigenen Theaters am Kurfürstendamm. Das Haus soll aus Eisen und Glas aufgeführt werden und seinem Zweck nur einige Jahre dienen.“ (Berliner Börsenzeitung, 16.6.1898)
Dieses Sommertheater in leichter Stahlskelettbauweise sollte nicht heizbar sein. Um Kosten zu sparen, stellte sich Morwitz gar eine Wellblechverkleidung vor. Das Berliner Tageblatt war einige Tage später etwas ausführlicher: „Es ist bekannt, daß mit Ende der Sommersaison Direktor Morwitz das „Theater des Westens“ räumt, um Herrn Hofbauer Platz zu machen. Nun hat aber Direktor Morwitz, wie wir aus bester Quelle erfahren, nicht die Absicht, alle Erfahrungen, welche er während seiner Thätigkeit in Berlin gesammelt hat, brach liegen zu lassen. Er hofft, sie vielmehr noch reichlich zu verwerthen und zwar in einem neuen, äußerlich allerdings ganz bescheiden gehaltenen Hause, das er am Kurfürstendamm zu gründen gedenkt. Der Plan ist schon fertig. Danach dürfte sich allerdings die Stätte sehr gut für den Sommer, aber eben nur für den Sommer eignen. In der einfachen Konstruktion, in Wellblech und Glas, wird im Großen und Ganzen das geräumige Theater gehalten sein – ein Luftschloß wird es sein, aber hoffentlich nicht in dem gewöhnlichen Sinne. Die Front wird sich dem Kurfürstendamm zuwenden. Man wird zunächst in einen großen Garten gelangen, welcher ringsum von Hallen umgeben ist. Dort werden vor der Aufführung und in den Pausen Konzerte des Philharmonischen Orchesters stattfinden. Sollte das Wetter ungünstig sein, so sind jene Wellblechhallen, die den Garten umschließen, weit genug, um die Gäste bequem aufzunehmen. Der Zuschauerraum wird dem gegenwärtig entworfenen Plane entsprechend hauptsächlich aus einem Parkett bestehen. Nur im Hintergrunde wird eine balkonartige Loge erbaut werden. Direktor Morwitz will, wie jetzt am Theater des Westens, dann auch am Kurfürstendamm die interessantesten Werke mit namhaften Gästen dem Publikum vorführen. Dabei wird der Preis keines Sitzplatzes fünf Mark übersteigen; außerdem wird der Hintergrund des Zuschauerraumes sechshundert billige Stehplätze enthalten. Hat Direktor Morwitz Erfolg, so wird er das Unternehmen möglicherweise weiter ausbauen, niemals aber glaubt er sich dazu entschließen zu können, ein Operntheater für den Winter einzurichten. Für die zugkräftigen Stücke hält er nun einmal diejenigen, welche das königliche Opernhaus besitzt; im Sommer ist die Erlaubniß zur Aufführung dieser Werke für eine andere Bühne durch die Koulanz der königlichen Generalintendantur zu erlangen – im Winter ist das aber selbstverständlich ausgeschlossen.“ (Berliner Tageblatt 20.6.1898)
Aus diesem Sommeropernhaus am Kurfürstendamm wurde letztlich nichts. Nach nur zwei Spielzeiten war die Sommeroper aber noch nicht richtig etabliert. Aber es fand sich schließlich eine Lösung. Die Berliner Börsenzeitung berichtete: „Der Fortbestand der Morwitz-Oper ist für den Sommer 1899 gesichert. Nachdem mehrfache Verhandlungen mit hiesigen Bühnen mangels entsprechender Gartenanlagen zu keinem Ziele geführt haben, sind die Vereinbarungen mit Herrn Director Loewenfeld fürs Schiller-Theater derart vorgeschritten, daß dem Abschluß in den nächsten Tagen nichts mehr im Wege steht. Director Morwitz, der erfolgreiche Leiter der Sommeroper im Theater des Westens, hat das Schiller (Wallner)-Theater vorgezogen, eil dasselbe über einen besonders schönen, geräumigen Garten verfügt.“ (Berliner Börsenzeitung, 20.11.1898)
Das Schillertheater spielte im Wallnertheater in Berlin |
Sommeroper im Schillertheater
Im Theater des Westens leitete Max Heinrich die Sommerspielzeit 1899. Heinrich Morwitz nutzte für seine Sommeroper 1899 das Schillertheater. Damit ist aber nicht das damals noch gar nicht existierende Schillertheater in Charlottenburg gemeint, sondern das 1864 eröffnete ehemalige Wallnertheater in der Nähe des Bahnhofs Jannowitzbrücke. Hatten die Berliner schon längst von der Morwitz-Oper gesprochen, hieß sie nun auch offiziell so. Als zeitgenössische Oper wurde Moritz Lions 1896 entstandene Oper „Winapoh“ gespielt (Libretto von Carl Nohaschek).
„Wildschütz“
Auch die Sommerspielzeit 1900 erfolgte im Schillertheater. „Dinorah“ von Meyerbeer, „Die beiden Schützen“ von Lortzing und „Zampa“ von Ferdinand Hérold standen als Neueinstudierungen auf dem Programm. Über die Aufführung von Lortzings „Wildschütz“ am 26. Juni 1900 kam in der Berliner Börsenzeitung eine Besprechung: „Lortzing ist und bleibt einstweilen noch immer der rechte Mann für unsere kleineren Opernbühnen. Das hat man gestern wieder im Schillertheater gesehen, wo die Morwitz-Oper ihrem Publicum gestern mit einer ganz vortrefflichen Aufführung des „Wildschütz“ einen in jeder Beziehung genußreichen Abend verschafft hat. Mit seinem echt volksthümlichen Ton und seinem köstlichen musikalischen Humor ist der „Wildschütz“ ganz die geeignete Kost für das Publikum einer Opernbühne in der Art der Morwitz-Oper. Die Anforderungen sind hier in Text und Musik nirgends so hoch gegriffen, daß nicht der Componist und damit auch das Publicum voll auf seine Rechnung kommen könnte. In der That präsentirte sich der „Wildschütz“ gestern Abend im Schiller-Theater von seiner vortheilhaftesten Seite. Die Mitwirkenden waren offenbar sämmtlich mit Lust und Liebe an ihre so ungemein dankbaren Aufgaben herangetreten. Herr Schaarschmidt, der Vertreter der Titelrolle, spricht zwar den reinsten Pleisse-Dialect, aber warum soll man sich nicht auch einmal einen sächselnden Baculus gefallen lassen, wenn er Stimme und Komik hat. Und Beides ist bei Herr Schaarschmidt ausreichend vertreten. Freilich ist seine Komik fast allzu discret, die Rolle verträgt ganz wohl ein derberes Auftragen. Jedenfalls gelang Herrn Schaarschmidt die Fünftausendthaler-Arie ganz ausgezeichnet. In Frl. Koch stand diesem Baculus ein musikalische wie darstellerisch sehr gewandtes Gretchen zur Seite, der es auch an schelmischer Laune nicht fehlte. Frl. Tuscher ferner, die gestern die Baronin Freimann sang, ist dem Publicum noch von der Morwitz-Oper im Belle-Alliance-Theater her in guter Erinnerung. Ihre bedeutende gesangliche Routine, ihre Spielgewandtheit und ihr frisches Temperament kamen der Rolle vortrefflich zu Statten. Auch Herr Fanta (Graf Ebersbach), Frl. Hawliczekc (Gräfin Ebersbach) und Herr Raven (Pancratius) sind dem Publicum der Morwitz-Oper gerade in diesen Rollen von früher her aufs vortheilhafteste bekannt. Die Achillesferse der gestrigen Vorstellung bildete der Baron Kronthal des Herrn Zimmermann, der mit seiner harten, trockenen Tenorstimme und seiner absolut hilflosen Darstellung zuweilen nahezu komisch wirkte. Der Chor hielt sich, abgesehen von dem etwas unsauber gesungenen Tanzchor der Mädchen im dritten Act, recht gut, ebenso das von Herrn Capellmeister Wolf temperamentvoll geleitete Orchester.“ (Berliner Börsenzeitung, 27.6.1900)
Im Sommer 1901 bekam Morwitz Konkurrenz durch die Sommeroper von Balduin Zimmermann und Oskar Schramm, die zuerst im Carl-Weiß-Theater und dann im Berliner Theater spielte. Dort traten u.a. Werner Alberti, Otto Brucks, Robert Biberti, Max Halper und Ottilie Metzger auf. Die Morwitz-Oper spielte eine dritte Sommerspielzeit im Schillertheater. Am 27. August 1901 war die letzte Vorstellung der Saison: Heinrich Bötel sang in Adolph Adams komischer Oper „Der Postillon von Lonjumeau“
Für das nächste Jahr kündigte die Berliner Börsenzeitung einen Wechsel des Theaters an: „Zwischen Herrn Director Heinrich Morwitz und dem Metropol-Theater ist ein Vertrag abgeschossen, wonach Herr Morwitz vom 16. Mai bis 15. August nächsten Jahres mit seiner Morwitz-Oper im Metropol-Theater, Unter den Linden, Opernvorstellungen veranstaltet. Für das Repertoire sind Novitäten, Neueinstudirungen größerer Werke, sowie die Heranziehung von Gästen ersten Ranges in Aussicht genommen.“ (Berliner Börsenzeitung, 27.8.1901)
Die historische Fassade des Metropoltheaters ist nicht erhalten – der Zuschauerraum dient heute der Komischen Oper Berlin |
„A basso porto“ im Metropoltheater
1902 nutzte die Morwitz-Oper das Metropoltheater (die heutige Komische Oper). Dass man nun auch ein Ballett mit 16 Tänzerinnen hatte, lag wohl daran, dass man das Ballett des Metropoltheaters nutzte. Die Berliner Börsenzeitungberichtete über die Premiere von „A basso porto“ (Am untern Hafen) von Nicola Spinelli (1865-1909): „Die Morwitz-Oper, die sich seit Jahren als eine recht annehmbare musikalische Volksübhne bewährt hat, ist aus ihrem hiesigen Heim, dem Schiller-Theater, in das Metropol-Theater übergesiedelt, wo Director Morwitz gestern Abend seine diesjährige Sommersaison mit Spinellis lyrischem Drama „A Basso Porto“ eröffnete. Die Spinellische Oper, eines der letzten Ueberbleibsel aus der kurzen Blüthezeit des Jungitalienischen Verismus, ist seiner Zeit von Herrn Director Morwitz in Berlin eingeführt und später auch von unserer Kgl. Oper übernommen worden. Bei dieser Erstaufführung erzielte „A Basso Porto“ einen starken Erfolg, hauptsächlich in Folge der Darstellung der weiblichen Hauptrolle durch Frau Moran-Olden, deren Mitwirkung sich Herr Morwitz auch für die jetzige Reprise der Oper gesichert hat. Ihrer Darstellung der „Maria“ war es denn auch in erster Linie zu verdanken, dwenn es die Spinellische Oper, deren aphoristische Musik übrigens mit ihren fortwährenden Interjectionen, ihrem Gemisch von überhitzter Leidenschaft und sentimentalem Ueberschwang bei öfterem Anhören mehr und mehr an Wirkung verliert, auch gestern wieder zu einem Erfolge brachte. Wie damals verband Frau Moran-Olden in ihrem Vortrag heiße Leidenschaft mit scharfer Charakteristik. Ihr noch immer kraftstrotzendes Organ klang gestern freilich etwas angestrengt, so daß auch die Intonation zuweilen darunter litt. Mit der Intonation war es überhaupt gestern auf der ganzen Bühne etwas mangelhaft bestellt. Namentlich der Chor sündigte in diesem Punkte den Abend über wirklich mehr, als recht ist, ganz besonders im zweiten Finale, wo es einige Male zu recht bösen Kakophonien kam. Aber auch bei einigen Solisten, die übrigens dem Berliner Publicum aus der Morwitz-Oper der früheren Jahre schon sämmtlich bekannt sind, ließ gerade die Intonation zu wünschen. Namentlich der Bassist Herr Carlhof (Pascale) leistete Erkleckliches im Detoniren und auch Herr Studemund (Luigino) secundirte ihm zuweilen recht eifrig darin. Im Uebrigen bewies Herr Studemund, daß sein sehr „blonder“ Tenor an Kraft und Fülle nichts verloren, seine Vortragsweise aber leider an Feinheit und Lebendigkeit nicht zugenommen hat. Dagegen fand sich Frl. Roeder in der Rolle der Gesella recht gut zurecht, wenigstens in den ersten Scenen; an dem scharf zugespitzten Pathos der Scene, in welcher sie der Comorra den Verrath Vivillos mittheilt, erlahmte freilich ihre Kraft. Am besten hielt sich neben Frau Moran-Olden Herr Lauppert, der schon bei der Erstaufführung der Oper als Partner der Künstlerin fungirt hatte und gestern, wie damals, in dem kaltherzigen Bösewicht Cicillo eine interessante scharf gezeichnete Charakterstudie bot. Schade, daß sein Bariton gar so wenig Wohlklang aufweist! Der einzige homo novus am gestrigen Abend, Capellmeister Lederer, ein anscheinend noch sehr jugendlicher Herr, leitete die Vorstellung sehr temperamentvoll, auch gab er sich viel Mühe, das Ganze – Solisten, Chor und Orchester – stets möglichst straff zusammen zu halten, was ihm freilich nicht immer gelingen wollte. Nun, in einem neuen Hause pflegt gewöhnlich noch manches unfertig zu sein, also heißt’s einstweilen noch abwarten.“ (Berliner Börsenzeitung, 17.5.1902)
Die Berliner Börsenzeitung kündigte auch gleich an: „Heute beginnt in der Morwitz-Oper im Metropol-Theater Heinrich Boetel sein Gastspiel als Manrico im Troubadour, die weiteren Hauptpartien singen Frl. König, Frl. Hawlizeck, Herr Fanta, Herr Neugebauer, Capellmeister Josef Wolf dirigirt. – Director Morwirtz hat auch für diese Sommersaison wieder ein freies Abonnement eingerichtet.“ (Berliner Tageblatt, 17.5.1902)
Im August 1902 findet man in der Berliner Börsenzeitung: „Im Metropol-Theater beginnt die Morwitz-Oper ihre vorletzte Woche und schließt definitiv am 17. ds. nach 3monatiger Spielzeit. Die in Theaterkreisen umlaufenden Gerüchte wegen einer Fortsetzung dieser Saison in Berlin C sind ebenso unbegründet wie die Nachricht betreffs einer Morwitz-Oper pro 1903 in Berlin N. Director Morwitz, der allerdings etwas theatermüde war, hat sich definitiv entschlossen sein Berliner Opernunternehmen, welches sich gewiß großer Popularität erfreut, weiter fortzuführen und so ist der Bestand pro 1903 und weiter gesichert. Ob Director Morwitz in dem jetzigen Heim oder in sein früheres Gastheim zurückkehrt oder ob eine Combination zwischen Beiden sich realisiren wird, darüber werden die betheiligten Directoren sich einige Zeit nach Schluß der Saison entschließen.“ (Berliner Börsenzeitung 5.8.1902)
Man erfährt aus einer Anzeige in dieser Zeitung, was gerade gespielt wurde: am 5. August Smetanas „Die verkaufte Braut“, am 6. August „Carmen“ mit Franceschina Prevosti und am 7. August „Ernani“.
„Fedora“ im Schillertheater
Auch 1903 gab es wieder eine Morwitz-Oper, allerdings weder im Metropoltheater noch im Schillertheater sondern erstmals im Berliner Theater, das in der Charlottenstraße stand. Die Zeitschrift Berliner Leben kündigte in der Juni-Nummer 1903 an: „In den verödeten Hallen des „Berliner Theaters“ ist die Morwitz-Oper eingekehrt, und Heinrich Bötel lässt sich dort in seinen von früher bekannten Glanzpartien vernehmen.“ Und in der August-Nummer erschien eine Bildseite mit Porträts von Darstellern der Morwitz-Oper. Man erfährt dazu: „In diesem Sommer schlug Direktor Morwitz sein Domizil im Berliner Theater auf. Seine bedeutendsten Erfolge erzielte er mit A Basso Porto und durch die Gastspiele von Signora Prevosti, Heinrich Bötel, Sedlmayer, Kronberger; in den letzten Tagen brachte ihm die Aufführung von Giordanos Oper Fedora mit Prevosti und Gröbke in den Hauptpartien einen vollen künstlerischen Erfolg.“ 1898 in Mailand uraufgeführt, war „Fedora“ damals eine zeitgenössische Oper, und auch Victorien Sardous Theaterstück „Fédora“ von 1882 wurde damals noch gespielt. Gustav Reppert ging in Berliner Leben noch ausführlicher auf Umberto Girodanos Oper ein: „Ein anderes Sensationsstück, Sardous Fedora, ist jüngst als lyrische Oper wiedererstanden. Der Inhalt des fünfaktigen Stückes ist in der Oper in drei Akte zusammengedrängt, die im wesentlichen die drei Hauptmomente von Sardous Drama enthalten, die Ermordung des Fürsten, die Szene, in der Fedora Boris das Geständnis des Mordes entreisst und ihn trotzdem vor den Schergen Russlands rettet, und den letzten Moment, in dem Boris erfährt, dass Fedora den Tod seiner Mutter und seines Bruders verschuldet hat und Fedoras Selbstmord. Ebenso grob und brutal und mit äusserlichen Effekten arbeitend wie das zurechtgehackte Libretto ist auch die Musik. Signora Prevosti, die geborene Interpretin der Fedora, fascinierte vom ersten Auftreten an das Publikum und verhalf, unterstützt durch das tüchtige Ensemble der Morwitz-Oper, dem Werke Giordanos zu einem durchschlagenden Erfolge. Weniger auf der Höhe stand der Partner der Prevosti, der Kölner Tenor Gröbke, der seinen Boris etwas sehr süsslich und provinziell darstellte. Er hatte sich eine Siegfriedperücke aufgetan.“ (Berliner Leben 1903, 8)
Außerdem führte man die 1868 entstandene Oper „Der Heideschacht“ von Franz von Holstein (1826-1878) auf, einem Komponisten, der in Leipzig die Bach-Gesellschaft leitete. Für die Vorstellung von Rossinis „Der Barbier von Sevilla“ am 17. Juli 1903 wurde angekündigt: „Siga. Franceschina Prevosti, die heute in der Morwitz-Oper im Berliner Theater als „Rosine“ im „Barbier“ auftritt, singt zum ersten Male als Einlage in der Gesangstunde Große Arie aus der Oper „La Perle du Brèsil“ von Felicien David.“ (Berliner Volkszeitung, 17.7.1903). Schauen wir uns dieses Wochenende noch genauer an. Am Samstag 18. Juli sang Heinrich Bötel in Verdis „Troubadour“. Am Sonntag 19. Juli gab es nachmittags Webers „Oberon“ und abends mit Franceschina Prevosti und Willy Cronberger „Lucia di Lammermoor“. Das war vermutlich eine stark gekürzte Fassung, denn es folgte „Cavalleria Rusticana“. Das weitere Theaterangebot war sehr eingeschränkt. Im Metropoltheater lief am 17. Juli die 187. Vorstellung der Revue „Neuestes! Allerneuestes!!“ mit 300 Mitwirkenden. Im Apollotheater gab es „Die Liebesinsel“, im W. Noack’s Theater „Das Geheimnis der alten Mamsell“ nach dem Roman von E. Marlitt und im Passage-Theater „Lina Goltz“. Die anderen Theater hatten Sommerspause.
„Der polnische Jude“
1904 spielte die Morwitz-Oper wieder im Schillertheater. Man bespielte zuerst das Schillertheater O (das ehemalige Wallnertheater), dann das Schillertheater N (das ehemalige Friedrich-Wilhelmstädtische Theater). Auf dem Spielplan stand u.a. die Volksoper „Der polnische Jude“ von Karel Weis (Libretto von Victor Léon und Richard Batka), uraufgeführt 1901 am Neuen Deutschen Theater in Prag. Die Berliner Börsenzeitung brachte eine Besprechung der Premiere am 29. Juli 1904: „Die Morwitz-Oper brachte gestern Abend als ihre erste Novität die zweiactige Volksoper von Karl Weis „Der Polnische Jude“ heraus, deren Bekanntschaft dem Berliner Publicum bereits im Sommer 1902 durch das damals bei Kroll gastirende Ensemble der Stuttgarter Hofoper vermittelt worden ist. Wenn die Oper des czechischen Componisten damals einen unleugbaren starken äußeren Erfolg davontrug, so dürfte das in der Hauptsache der ganz vortrefflichen Aufführung zu danken gewesen sein. Denn im Grunde gehört der „Polnische Jude“ durchaus nicht zu den wirklichen Meisterwerken der neuesten Deutschen Opernliteratur. Abgesehen von dem ersten Act, dessen Tänze wenigstens ein gewisses nationales Gepräge aufweisen, ist der Musik nirgends eine besondere Physiognomie nachzurühmen. Weis versteht sich auf die Behandlung des Orchesters wie des modernen Declamationstils, aber diesem Stil einen tieferen dramatischen Inhalt zu geben, ist ihm nicht gelungen. Jede Wendung des Textes wird möglichst dick unterstrichen, und andererseits finden sich in der Musik zahlreiche Ansätze zu breiter Stimmungsmalerei, die sich jedoch einzig in er Traum- resp. Gerichtsscene zu wirklicher charakteristischer Kraft und Ursprünglichkeit erhebt. – Dazu kommt, daß auch die Handlung mit ihrer langsamen, stockenden Entwickelung und ihrem Mangel an eigentlicher Spannung nicht besonders anzuregen vermag. Die gestrige Aufführung bewies, wenn sie sich auch erklärlicher Weise mit der des Stuttgarter Ensembles nicht entfernt messen konnte, doch überall ein richtiges Verständniß für den Stil der Musik wie für den Empfindungsgehalt der einzelnen Situationen. Die Solisten, denen hier freilich, mit einer Ausnahme, nur unbedeutende Aufgaben zugewiesen sind, zeigten sich diesen Aufgaben in der Hauptsache sehr wohl gewachsen. Jene Ausnahme wird repräsentirt durch die Rolle des Mathis, auf die. Das Ganze sozusagen zugeschnitten ist und vor der alle andren weit zurücktreten. In Herrn Waschow, der dem Berliner Publicum von seiner mehrjährigen Thätigkeit am Westen-Theater noch in bester Erinnerung steht, hat Herr Director Morwitz einen vorzüglichen Vertreter dieser Hautrolle der Oper gewonnnen. Herr Waschow gab dem von Gewissensbissen und Traumerscheinungen gequälten Wirth und Mörder eine scharf charakteristische Physiognomie und verhalf durch seinen dramatisch bewegten Vortrag selbst dem überlangen Monolog im zweiten Acte zu einer gewissen Wirkung. Gleich den Solisten hielten sich Chor und Orchester unter der energischen Leitung es Herrn Capellmeisters C. Wolf recht wacker. Die Regie schließlich war sichtlich bestrebt gewesen, die einzelnen scenischen Bilder möglichst stimmungsvoll zu gestalten, wenn freilich auch die verschiedentlichen Visionen in der Traum-Scene etwas undeutlich ausgefallen waren. Bei der ungemein freundlichen Aufnahme, die das anscheinend gänzlich ausverkaufte Haus dem Werke gestern Abend bereitete, ist es nicht ausgeschlossen, daß die Morwitz-Oper in dem „Polnischen Juden“ trotz alledem und alledem das lang ersehnte Zug- und Kassenstück gewonnen hat.“ (Berliner Börsenzeitung 30.7.1904)
„Im Schiller-Theater O (Wallner-Theater) spielt die Morwitz-Oper nur noch 4 Abende. Heute Donnerstag wird „Figaros Hochzeit“ mit Gustav Waschow, Margarethe Frankenstein, Marg. Koch, Gertrud Careni, Freiburg, Frank, Rünsky &c in den Hauptpartien gegeben. Freitag verabschiedet sich Heinrich Bötel im „Troubadour“. Die Morwitz-Oper siedelt für die letzten 16 Abende der diesjährigen Spielzeit ins Schiller-Theater N (Chausseestraße) über.“ (Berliner Börsenzeitung, 18.8.1904)
Heinrich Bötel verabschiedete sich noch nicht ganz. Im Wallnertheater kam am 20. August noch Meyerbeers „Robert der Teufel“. Am 21. August 1904 gab es im Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater als Sonntagnachmittagsvorstellung „Der Freischütz“ und abends „Der Postillion von Lonjumeau“ mit Heinrich Bötel.
Auch die folgenden Jahre bespielte die Morwitz-Oper im Sommer das Schillertheater. Über den Beginn der Saison 1905 schrieb die Berliner Börsenzeitung: „Zur schönen Mittsommerszeit pflegt sich in Berlin mit großer Regelmäßigkeit die Morwitz-Oper einzustellen, die diesmal, wie schon in früheren Zeiten öfter, ihr Heim im Schiller-Theater O aufgeschlagen hat.“ (Berliner Börsenzeitung 18.6.1905). Als Eröffnungsvorstellung lief „Der polnische Jude“ aus dem Vorjahr.
Meyerbeers „Afrikanerin“ und Lortzings „Zar und Zimmermann“
Am 16. Juni 1906 war die Premiere von Meyerbeers „Afrikanerin“. Die Kritik in der Berliner Börsenzeitung beginnt zwar etwas herablassen, entwickelt sich dann aber positiv: „Die Morwitz-Oper, die allsommerlich die selbstgewählte Rolle einer anspruchslos-soliden Volksopernaufführung nach besten Kräften zu erfüllen trachtet, hat diesmal wieder im Schiller-Theater O ihr Heim aufgeschlagen und ihre Saison am Sonnabend mit der „Afrikanerin“ eröffnet, die vogestern Abend ihre ersten Wiederholung erlebte. Das Meyerbeersche Werk geht freilich mit seinen szenischen und dekorativen Ansprüchen über den Rahmen resp. die Leistungsfähigkeit einer Volksbühne etwas hinaus, trotzdem aber darf der kühne Versuch des Herrn Direktor Morwitz als in der Hauptsache geglückt bezeichnet werden, wenigstens nach der musikalischen Seite hin. Herrn Albert Fischers Nelusco erhob sich sogar recht weit über das Niveau künstlerischer Wohlanständigkeit. Herr Fischer sang die Rolle mit scharfer kraftvoller Akzentuation, und in seiner Darstellung überraschte er durch seine ungemein charakteristische Zeichnung des finsteren Afrikaners. Auch Frl. Margarete König, seit Jahren ein ständiges Mitglied der Morwitz-Oper, erwies sich in der Selica-Partie wieder als eine Sängerin von Temperament und tüchtigem Können, und Herr J. Recht, dessen Tenor freilich schon etwas angegriffen klingt, wußte als Vasco immerhin durch verständige Gesangsmanier zu interessieren. Von den übrigen Mitwirkenden ist nur zu sagen, daß sie nach Maßgabe ihrer nicht immer ganz zureichenden Kräfte sich redlich bemüht zeigten, der Vorstellung, die Herr Kapellmeister Grimm mit bemerkenswerter Sicherheit leitete, zu einem möglichst befriedigenden Gesamteindruck zu verhelfen.“ Der Kritiker hatte sich am 19. Juni 1906 auch Lortzings Oper „Zar und Zimmermann“ angeschaut, die er gleich im Anschluss besprach: „Daß man sich aber in der Morwitz-Oper trotz alledem bei Lortzing sehr viel heimischer fühlt als bei Meyerbeer, bewies die gestrige Aufführung des „Zar und Zimmermann“, die sich – gleichfalls unter Herrn Grimms Leitung – in allen ihren Teilen flott und sicher abspielte und den naiven, volkstümlichen Humor Meister Lortzings überall zu entsprechendem Ausdruck kommen ließ. Der Chor, der mit wirklicher Frische sang, hätte sich freilich einige Male, so im ersten Finale, etwas größerer „Reinlichkeit“ befleißigen müssen. Von den Vertretern der vier Hauptpartien sind die Herren Frank (Bürgermeister), Schmiedeck (Zar) und Frl. Margarete Koch (Marie) dem Publikum der Morwitz-Oper schon seit längeren Jahren bekannt. Herr Frank ist gerade kein Buffo von überwältigendem Humor, aber ein routinierter Sänger und Darsteller, der sich auf komische Wirkungen sehr gut verseht; Herr Schmiedeck weiß eine kraftvolle Baritonstimme mit Geschmack zu verwenden und steht auch als Schauspieler seinen Mann, und Frl. Koch schließlich zeigte sich gestern ebenso spielgewandt und musikalische versiert wie früher. Den französischen Gesandten sang ein homo novus, Herr Hochhheim, mit zwar sehr heller, aber ausgiebiger und namentlich in der Höhe recht klangvoller Tenorstimme. Der junge Mann hat allerdings noch so gut wie alles zu lernen. Sein Vortag ist noch stark dilettantenhaft gefärbt und leidet besonders an einer fehlerhaften Tonbildung. Neu war resp. ist auch Herr Elmhorst, der als Peter Iwanow einen frischen, liebenswürdigen Naturburschen-Humor entwickelte und sich auch mit dem musikalischen Teil seiner Rolle gut abfand. – So fand das sehr gut besetzte Haus mancherlei Ursache zu kräftigen Beifallsäußerungen, die fast jedem einzelnen von den Solisten zugute kamen.“ (Berliner Börsenzeitung, 20.6.1906)
Spohrs Jessonda“
Am 1. Januar 1907 eröffnete das Schillertheater in Charlottenburg. Dort spielte die Morwitz-Oper aber nie. Im Sommer 1907 bespielte man wieder das Schillertheater O (also im ehemaligen Wallnertheater). Neu auf dem Spielplan war am 25. Juli 1907 Louis Spohrs Oper „Jessonda“: „Eine fast hundertjährige „Novität“ präsentierte sich gestern abend dem Publikum der Morwitz-Oper, Spohrs dreiaktige Oper „Jessonda“, die, im Jahre 1823 entstanden, hier seit 1885 […] nicht mehr gegeben worden ist, also für das heutige Publikum den Reiz völliger Neuheit hat. – Wenn man ihr nur die 84 Jahre, die sie auf dem Rücken hat, nicht gar so deutlich anmerken würde! Aber wie der Text, diese typische Geschichte von der indischen Rajahswitwe, die von den fanatischen Brahminen zum Feuertode bestimmt ist, aber von ihrem Geliebten, einem portugiesischen Offizier, gerettet und natürlich hinterher auch zur Frau genommen wird, so mutet auch Spohrs Musik mit ihren vielen schablonenhaften Zügen das moderne Ohr schon recht antiquiert an, trotz der edlen Melodik, von der, wie zugegen werden muß, manche Nummer der Partitur erfüllt ist. Spohrs eigentliche Bedeutung als Komponist liegt auf dem Gebiet der instrumentalen Lyrik, vor allem in seinen Violin-Konzerten. Von seinen zehn Opern hat sich eben nur die „Jessonda“ behaupten können und selbst in dieser Partitur spürt man nirgends eine wirkliche Individualität heraus, am allerwenigsten eine dramatische Potenz. Es ist alles geschickt gemacht, sauber instrumentiert, sangbar und wohlklingend, aber von einem tieferen dramatischen Gehalt kann nicht die Rede sein; auch hat Spohr nicht einmal den naheliegenden Versuch gemacht, seiner Musik ein dem exotischen Stoffe entsprechendes Lokalkolorit zu geben. Es herrscht überall eine Gleichmäßigkeit der Stimmung und des Ausdrucks, die jede wirkliche Spannung ausschließt und schließlich direkt ermüdend wirkt. Die einzelnen Arien tragen ein mehr oder minder konventionelles Gepräge und nur durch einige Ensemble-Sätze geht ein kräftigerer dramatischer Pulsschlag. Die gestrige Aufführung in der Morwitz-Oper bewies, daß man dort dem Studium des Spohrschen Werkes eine ganz besondere Liebe und Sorgfalt gewidmet hatte. Nur der Chor zeigte sich, namentlich in den Männerstimmen, noch ziemlich unsicher; im Soldatenchor, der allerdings im Tempo zu schnell genommen war, geriet er sogar etwas in Zwiespalt mit dem Orchester. Die Damen König und Heintze boten, als Jessonda und Amazili, mit ihrem empfindungsgesättigten Vortrag ein anziehendes poesievolles Bild des indischen Schwesternpaares. Herr Groß ferner brachte als Nadori besonders in der großen Arie des zweiten Akts, seine blühende klangvolle Tenorstimme zur schönsten Geltung. Nur ist sein Vortrag noch etwas unfrei und vermißt man an ihm das richtige Maßhalten im Ausdruck. Den Tristan sang Herr Troitzsch mit kraftvollem Ton und in. Entsprechender ritterlicher Haltung und Herr Berger schließlich war ein würdiger Oberbramine, der es allerdings mit der Intonation wenig genau nahm. Das Spohrsche Werk, dem die verständnisvolle Regie des Herrn Leffler, namentlich im zweiten Akte, einen recht stimmungsvollen szenischen Rahmen gegeben hatte, fand bei dem gutbesetzten Hause eine immerhin freundliche Aufnahme, die zu großem Teile wohl der von Herrn Kapellmeister Thieme umsichtig und temperamentvoll geleiteten Aufführung zu danken gewesen sein mag.“ (Berliner Börsenzeitung, 26.7.1907)
„König für einen Tag“
1908 war man ebenfalls im Schillertheater O. Am 13. Juni 1908 eröffnete Donizettis „Regimentstochter“ die Saison. Unter den Neuproduktionen war „König für einen Tag“ Mit der erstgenannten Oper ist nicht Verdis „Un giorno di regno“ gemeint. Der Titel wurde auch genutzt für die Oper „Wenn ich König wär’“ (Si j’étais roi) von Adolph Adam. Von Adam lief in der Morwitz-Oper ja über viele Jahre „Der Postillon von Lonjumeau“. Doch auch „König für einen Tag“ scheint erfolgreich gewesen zu sein. So liest man in der Berliner Börsenzeitung: „Die Morwitz-Oper im Schiller-Theater O hat mit Adams komischer Oper „König für einen Tag“ (Si j’étais roi) nach dem Urteil der Presse der deutschen Opernbühne ein wertvolles Repertoirestück gewonnen. Die bisherigen Wiederholungen fanden alle ein stark besuchtes, beifallfreudiges Haus, das besonders durch die zahlreichen komischen Partien der Musik in große Heiterkeit versetzt wurde. Zu der nächsten Wiederholung, die morgen stattfindet, haben verschiedene auswärtige Direktoren ihr Erscheinen zugesagt – ein Beweis, daß diese interessante Novität der Morwitz-Oper auch außerhalb der Reichshauptstadt Aufmerksamkeit erregt hat.“ (Berliner Börsenzeitung, 8.7.1908)
„Hoffnung auf Segen“
Die zweite Neuproduktion, „Hoffnung auf Segen“, war eine recht neue Oper und wurde am 11. Juli 1908 aufgeführt. Man erfährt darüber in der Berliner Börsenzeitung: „Die Morwitz-Oper, die neulich ihrem Publikum durch die Ausgrabung des Adamschen „König für einen Tag“ eine angenehme Ueberraschung bereitet hat, brachte gestern das Werk eines neuen, hier noch völlig unbekannten Komponisten heraus, des Herrn Charles Grelinger, der sich die schwierige Aufgabe gestellt hat, Heijermanns Seestück „Die Hoffnung auf Segen“ zu einem vieraktigen Musikdrama umzugestalten. In der Tat eine sehr schwierige Aufgabe, denn das Heijermannsche Schauspiel, dessen Handlung hier als bekannt vorausgesetzt werden kann – es ist bereits auf mehreren Berliner Bühnen, u. a. auch im Schillertheater, der allsommerlichen Heimstätte der Morwitz-Oper in Szene gegangen – bietet mit seinem gleichmäßig trüben Inhalt dem Komponisten allzuwenig Gelegenheit zu musikalischem Stimmungswechsel, zu lebhafterer dramatischer Bewegung. Es herrscht in dem Stück, namentlich in seiner zweiten Hälfte, eine trostlos resignierte Stimmung, und wenn es dem Dichter gelungen ist, trotzdem jede Monotonie fernzuhalten, so ist bei dem durch die Musik bedingten langsameren Fortschreiten der Handlung die Gefahr solcher Monotonie für den Komponisten unendlich viel größer. An dieser Klippe wäre auch wohl ein Größerer gescheitert, und Herr Charles Grelinger ist leider nur ein ganz Kleiner, einer, dem nur das Handwerksmäßige seiner Kunst aufgegangen ist und dem absolut nichts einfällt, was nicht schon anderen vor ihm eingefallen wäre. Sein Orchester lebt nur von alten, abgebrauchten Floskeln und Phrasen, über deren Trivialität man sich schon seit vielen Jahren überall einig ist, und in den Singstimmen dominiert ein stelziges Pathos, das gegen die trockene Alltagsprosa des Textes oft recht seltsam absticht. Von irgend welcher Personen-Charakteristik oder Stimmungsmalerei ist nirgends die Rede, es ist ein endloses Gewurstel, eine Musik ohne Ruhe- oder gar Höhepunkte, und wo der Komponist sich einmal zu frischerer Bewegung aufzuraffen oder wie zu Anfang des zweiten Aktes, heitere Töne anzuschlagen versucht, verfällt er sofort in faustdicke Neßlerei. Kurz, es ist eine verfehlte Sache, an die man trotzdem in der Morwitz-Oper viel Mühe und Fleiß gewidmet hat. Die Aufführung, die vom Komponisten selbst geleitet wurde, konnte sich in der Tat sehen resp. hören lassen. Besonders die Herren Paul Maier (Geerd) und Grassegger (Reeder Bos) brachten durch kraftvollen Vortrag und ihre bewegte Darstellung beinahe so etwas wie dramatisches Leben in die Oper und ihnen schlossen sich neben Herrn Clemens (Barend) noch die Damen König (Jo), Segall (Witwe Kniertje) wirksam an. Das gut besetzte Haus zeigte sich dem anwesenden Komponisten gegenüber sehr liebenswürdig und gab ihm nach den Aktschlüssen wiederholt Gelegenheit, mit den Darstellern auf der Bühne zu erscheinen. Ob auch „Die Hoffnung auf Segen“ noch wiederholt auf der Bühne erscheinen wird??“ (Berliner Börsenzeitung, 12.7.1908)
Charles Grelinger
Bei „Hoffnung auf Segen“ (Op hoop van zegen) handelt sich um eine 1907 im Paleis voor Volksvlijt in Amsterdam uraufgeführte Oper, die auf dem gleichnamigen Theaterstück von Hermann Heijermans (1864-1924) basierte. Das 1900 uraufgeführte Schauspiel sorgte im Théâtre Antoine in Paris ebenso für Aufsehen wie in London und wurde auch in Deutschland mehrfach aufgeführt. Der in Amsterdam geborene Komponist Charles Grelinger (1873-1942) wurde nach dem Studium am Konservatorium von Amsterdam Repetitor an der Nederlandsche Opera. Bei Daniël de Lange studierte er Kontrapunkt und Kompositionslehre. Er arbeitete dann als Dirigent in der Schweiz. Als Jude wurde er von Paris nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Zu seinen Bühnenwerken gehört die Pantomime „Pierrot Musicien“ von 1896, die in Amiens 1897 uraufgeführte Oper „Sombreval“, die Oper „Les Pharaos“ von 1899, die komische Oper „Nicolas Nickleby“ nach Dickens, das lyrische Drama „L’arbe de Noël“, die Operette „Le pantalon rouge“, die lyrischen Dramen „Ashavere“ und „Werther et Charlotte“.
Von „Hoffnung auf Segen“ erfährt wenige Tage nach der Premiere: „Herr Direktor Morwitz hat sich nach dem einstimmigen Urteil der Presse, welches die Länge des dritten Aktes der Oper „Hoffnung auf Segen“ bemängelt, kurz entschlossen, diesen so bedeutend zu kürzen, daß die effektvolle Handlung des ersten, zweiten und vierten Aktes nicht aufgehalten wird.“ (Berliner Börsenzeitung, 14.7.1908)
Heinrich Morwitz
|
Die letzte Saison
Die letzte Morwitz-Opernsaison fand 1909 im Friedrich-Wilhelmstädtischen Schauspielhaus in der Chausseestraße statt. Unter den Stücken findet man u.a. „Das Nachtlager von Granada“, „Frau Diavolo“ und „Martha“. Am 5. Oktober 1909 starb Heinrich Morwitz.
In einer Notiz erwähnte Der Merker den Todesfall: „Heinrich Morwitz, der Begründer und Leiter der Berliner Sommeroper, ist am 5. Oktober gestorben.“ (Der Merker, 1909, 3)
Etwas ausführlicher würdigte die Berliner Volkszeitung den Verstorbenen: „Direktor Heinrich Morwitz, der Leiter des bekannten, seinen Namen führenden Berliner Volksopernunternehmens, ist in der vergangenen Nacht in der Privatklinik des Professors Israel gestorben. Morwitz, der im 72. Lebensjahre stand, mußte sich wegen eines Darmleidens Ende August einer Operation unterziehen, die gut verlief. Nun ist er einem Anfall von Herzschwäche erlegen. – Direktor Morwitz leitete in früheren Jahren erfolgreich die Stadttheater in Basel und Barmen, bis er etwa vor zehn Jahren in Berlin seine Volksoper etablierte, in der er dem Publikum saubere Vorstellungen meist klassischer Opern bot und auch manches interessante neue Opernwerk vorführte.“ (Berliner Volkszeitung, 5.10.1909)
Franz Gottscheid, der zugleich Direktor des Stadttheaters in Posen war, führte mit seiner Gottscheid-Oper die Sommeropern im Schillertheater fort. Doch scheint dies nur einen Sommer erfolgt zu sein.
Eine Anekdote über den Bassisten Adolf Carlhof und eine Aufführung von Webers „Oberon“ findet man hier:
https://opernloderer.blogspot.com/2021/03/operngeschichte-eine-anekdote-uber.html
Kommentare
Kommentar veröffentlichen