Buchbesprechung: „Dem edlen Bürgersinn dies Haus geweiht, 100 Jahre Theater Stralsund“ von Juliane Voigt

Ein bewegtes Jahrhundert 

– Ein Buch von Juliane Voigt zum hundertjährigen Jubiläum des Theaters Stralsund – 

von Klaus J. Loderer


Am 16. September 2016, mitten im Ersten Weltkrieg, fand in Stralsund die Eröffnung des neuen Theaters statt. Genauer gesagt war es damals schon nicht mehr ganz neu. Das Theatergebäude war seit mehr als einem Jahr fertig – aber man hatte es nicht in Betrieb genommen. Durch die zeitliche Lücke zwischen dem alten und dem neuen Theater, in dem auch noch der Direktor starb, konnte man nicht einfach vom alten in das neue Haus umziehen. So musste der neue Direktor Otto Henning für die Spielzeit 1916/17 einen komplett neuen Theaterbetrieb aufbauen.


2016 war in Stralsund das hundertjährige Jubiläum angesagt, zu dem im Verlag Theater der Zeit ein umfangreiches und schön gestaltetes Buch über die Geschichte des Theaters erschienen ist. Ein wichtiger Schwerpunkt des Buchs ist die Rückführung der Innenräume in den Originalzustand im Rahmen einer 2006 bis 2008 durchgeführten Revonierung. Die heutigen Räume kann man auf den großformatigen Farbaufnahmen mit den kleinen Schwarzweißaufnahmen vergleichen. Man staunt, wie der Zuschauerraum von 1968 bis 2006 aussah. Beim damaligen Umbau hatte man die Wanddekorationen nur mit Holzpaneelen verschalt. Darunter fand man originale Wandbespannungen und Stuckarbeiten. Die Logen musste man allerdings rekonstruieren.


Diese Rückführung der Innenräume in den Zusand von 1916 nimmt die Autorin Juliane Voigt als Aufhänger. So widemt die Kulturjournalistin, Theaterkritikerin und Fotografin das erste Kapitel einem Abriss zur Baugeschichte. Was den Architeken Carl Moritz angeht, zieht sie interessante theoretische Äußerungen zum Theaterbau der Zeit um 1900 heran, was ja beweist, dass sich der Architekt intensiv mit diesem Bautypus beschäftigte. Sie übersieht aber völlig, dass es sich um einen gefragten Theaterarchitekten handelt, der immerhin acht Theatergebäude plante, darunter das Opernhaus in Köln und die Theater in Barmen, Düren und Kattowitz.


Gleich im nächsten Kapitel zeigt die Autorin, dass die Stralsunder Theatergeschichte weiter zurückreicht. Sie erinnert an das Theater in der Mönchstraße und an das Schauspielhaus am Alten Markt, von dem sie leider gar nicht erwähnt, wann es überhaupt errichtet wurde. Außerdem wäre für ortsfremde Leser der Hinweis interessant gewesen, wo dieses Theater genau gestanden hat. 


Es folgt ein mit zahlreichen Szenenfotos illustrierter chronologischer Gang durch die Theatergeschichte bis zur Gegenwart. Das ist ein interessant zu lesender Querschnitt mit Einbindung in die Zeit. Nach der Eröffnung des Theaters lag der Schwerpunkt auf Schauspiel und Operette. Die Opernsparte wurde zuerst durch Gastspiele des Theaters Rostock abgedeckt, bis eine entsprechende Abteilung aufgebaut war. 1918 wurde das Theaterorchester durch Übernahme der Musiker der aufgelösten Bataillonskapelle gegründet. 1934 fanden die Marktspiele Stralsund statt. 1949 wurden die Theater der Region zum Mecklenburgischen Landestheater zusammengefasst. Nach der Wende erfolgte die Umwandlung des Theaters in eine GmbH. Spannend liest es sich, wie einige Intendanten scheiterten. Im Sommer 2003 fanden erstmals die Ostseefestspiele im Hafen statt, die zumindest im ersten Jahr durch das gute Wetter erfolgreich liefen. Heute bilden die Theater Stralsund, Putbus und Greifswald als Theater Vorpommern eine Gemeinschaft.


Anschließend werden das Salonorchester „Blauer Pavillon“ und das Amateurtheater Stralsund vorgestellt. Dann folgt ein etwas kurioser Text von Oliver Kluck, einem regionalen Autor, der sich damit brüstet, bis zu seinem Weggang aus Stralsund noch nicht einmal bemerkt zu haben, dass es dort ein Theater gibt, und sich an der Bundesrepublik und am Theaterpublikum reibt. Am Ende des Buchs findet man ein ausführliches Premierenverzeichnis von 1916 bis 2015.


Als Festschrift enthält das Buch natürlich auch Grußworte. Bei den Zeilen der Bundestagsabgeordneten stutzt man, dass sie es zwar registriert hat, dass die Menschen Vorpommern mit ihren Theatern verbunden und verwurzelt sind, sie selbst sich aber nicht in diese Verbundenheit einschließt. Dass Politiker nicht unbedingt Theaterfreunde sind, ist eben so. Aber genau diese Bundestagsabgeordnete hat sich bisher gerne öffentlich in Opernhäusern gezeigt, es handelt sich nämlich um die Bundeskanzlerin.

 

 


Juliane Voigt


Dem edlen Bürgersinn dies Haus geweiht

100 Jahre Theater Stralsund


Verlag Theater der Zeit

Berlin 

2015

ISBN 978-3-95749-054-4

142 S., zahlr. Ill.

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