Filmbesprechung: Mafiadrama „Il Traditore – als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra“

Verdi darf nicht fehlen 

– Marco Bellocchios Mafiafilm „Il Traditore – als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra“  – 

von Klaus J. Loderer

Einträchtig gruppiert man sich zum Gruppenfoto. Eine ganz normale Familie, die ein Fest in einer luxuriösen Villa am Meer feiert? Nicht so ganz, denn zumindest die Herren widmen sich dem Drogenhandel. Zwei Mafia-Clans möchten zusammenarbeiten, um das Geschäft ganz zu übernehmen. Eintracht? Nicht ganz. Das merkt man schnell in diesem Film, der die blutigen Machtkämpfe der 1980er-Jahre auf Sizilien in ein üppiges Filmdrama umsetzt. In den nächsten Minuten erlebt man die Flucht eines Mafia-Paten nach Brasilien, während im heimischen Sizilien seine Familie massakriert, brutal abgeschlachtet wird. Das wirkt in diesem Film besonders brutal, weil die Geschichte nicht einfach fiktiv ist. Die Personen lebten, die Filmhandlung beruht auf historischem Hintergrund. Auch wenn immer mal wieder sogar Zeitungsausschnitte eingebaut sind, ist es doch kein Dokumentarfilm. Regisseur Marco Bellocchio hat ein monumentales Filmdrama geschaffen, das als spannender Thriller aufgebaut ist und von opernhaften Kontrasten lebt. Da prallt die spektakuläre Aussicht aus einer Villa in Rio de Janeiro auf das Meer zusammen mit den heruntergekommenen Straßen Palermos. Packend ist dieser Film nicht zuletzt durch den Einbau vieler scheinbar banaler Szenen, die oft wirken als hätte eine versteckte Kamera eine Dokumentation gedreht. Das bremst die Handlung manchmal. Doch ist das ein Kunstgriff, um danach umso mehr zu beschleunigen und mit einem neuen Knaller aufzuwarten. So springt der Film auch immer wieder und die Sequenzen preschen wie Schlagzeilen vor.

„Il Traditore“ – eine ehrenwerte Gesellschaft. Im Mittelpunkt: Tommaso Buscetta (Pierfrancesco Favino im weißen Anzug) und seine Frau Cristina (Maria Fernanda Candido)
© Copyright Pandora Film
Das italienische Kinopublikum kennt den Namen der Hauptfigur Tommaso Buscetta genannt Don Masino, der in einer spektakulären Aktion aus der Cosa Nostra ausstieg und mit der Polizei zusammenarbeitete und so die Basis legte für den großen Prozess in Palermo, den Maxi-Prozess gegen die Mafia. Buscetta ist der titelgebende „Il Traditore“ – der Opernfan kennt das Wort aus dem Operngrundwortschaft, also der Verräter.

Dem deutschen Filmpublikum ist eher ein anderer Name bekannt: Giovanni Falcone. Das ist jener Richter, der sich dem Kampf gegen die Mafia verschrieben hat und den wir hier als Gegenspieler Buscettas erleben. Von den 475 Angeklagten wurden 1986 im sog. Maxi-Prozess 360 schuldig gesprochen. Wir wissen schon, wie die Frage Buscettas an Falcone, wer von beiden wohl zuerst sterben wird, beantwortet werden muss. Der Kinobesucher sitzt geradezu mit im Auto, wenn die Cosa Nostra am 23. Mai 1992 einen ihrer spektakulärsten Mordanschläge durchführt, der nicht von ungefähr als Massaker von Capaci bezeichnet wird. 

Falcone, der bis heute in Italien eine Symbolfigur gegen die organisierte Kriminalität ist, den bedauert man, zumal man weiß, dass man sein Schicksal nicht ändern kann. Eindrücklich ist eine originale Filmsequenz eingearbeitet, die die Witwe eines ermordeten Leibwächters Falcone zeigt. 

Zu Buscetta entsteht eher ein zwiespältiges Verhältnis, was natürlich auch am facettenreichen Spiel von Pierfrancesco Favino liegt. Man kann seinen Schmerz nachvollziehen, wenn er erfährt, wie seine beiden ältesten Söhne ermordet wurden. Man mag diesen Don Masino zu Beginn noch für einen harmlosen Playboy und Lebemann halten, ihn bedauern, wenn er von der brasilianischen Polizei gefoltert wird, man mag Angst um ihn haben, wenn er nach Italien zurückgebracht wird, doch durchschauen wir ebenso wie Richter Falcone seine Versuche sich als völlig harmlos darzustellen. Zumal im Film immer wieder Rückblicke eingebaut sind, die etwa seine grotesk privilegierte Rolle im Gefängnis zeigen, wenn für den Herrn sogar Prostituierte ins Gefängnis eingeschleust werden. Er ist eitel dieser Herr, dieser aus armen Verhältnissen stammende Mafia-Boss. Von den gefärbten Haaren abgesehen, lässt er sich für den Prozess in Palermo einen neuen Anzug anmessen. Dieser Kronzeuge ist elegant und lässig, ganz im Gegensatz zu den Mafiosi in den Käfigen, die ein groteskes aber vergebliches Affentheater anfangen, um den Prozess zum Platzen zu bringen – köstlich die Verzweiflung einiger römischer Rechtsanwälte, die vergeblich auf das Sprechen des Hoch-Italienischen dringen, weil sie den sizilianischen Dialekt nicht verstehen.

Buscettas angebliche Ehrenhaftigkeit wird im Film von Falcone schnell entlarvt als jene eines Mannes, der seine Karriere als Killer der »ehrenwerten Gesellschaft« begonnen hat. Ehrenwert bedeutet in diesem Fall, dass man keine Kinder ermordet. Eine Geschichte, die Buscetta Falcone erzählt, handelt dann auch von seinem ersten Auftragsmord, der erst einmal daran scheiterte, weil der zu Ermordende die Sache erfasste und ein kleines Kind auf den Arm nahm. Die Geschichte ist in Episoden immer wieder in den Film eingebaut als Rückerinnerung Buscettas. Beim eiskalten und doch ziemlich schäbigen Ober-Mafia-Pate Salvatore Riina genannt Totò (Nicola Calì) hat man es leichter mit der Antipathie.

Verdi darf in einem solchen Film natürlich nicht fehlen. An markanten Stellen schallen seine mächtigen Akkorde auf, etwa des Vorspiels zum Gefangenenchor im Nabucco, die bei den Verurteilungen im Maxi-Prozess wie die Trompeten des Jüngsten Gerichts wirken.

Was man auf Sizilien von Buscetta hält, das ist im Film deutlich zu spüren, wenn selbst Witwen von Ermordeten ihn als Verräter beschimpfen. Den Biss ins Ohr kennt der Opernfreund aus „Cavalleria Rusticana“. Ein glückliches Leben ist Buscetta nicht mehr vergönnt. Wir erleben seine Angst im Zeugenprogramm unter neuer Identität in den USA mit wechselnden Wohnorten, mit der Panik, wenn ein Straßensänger an Weihnachten als Sizilianer zu erkennen ist. Es könnte ja ein Killer der Mafia sein. Da zuckt man auch als Filmzuschauer zusammen. Denn wer die Cosa Nostra verrät, der lebt gefährlich.

Schon im Frühjahr war der Kinostart geplant. Durch die Schließung der Kinos wurde der Start immer wieder verschoben und schließlich auf den 13. August 2020 festgelegt.


Il Traditore
Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra

Originaltitel: Il Traditore

Regie: Marco Bellocchio
Produzenten: Beppe Caschetto, Viola Fügen, Simone Gattoni, Caio Gullane, Fabiano Gullane, Michael Weber

Rollen und Darsteller: Tommaso Bucscetta (Pierfrancesco Favino), Cristina (Maria Fernanda Candido), Pippo Calò (Fabrizio Ferracane), Totuccio Contorno (Luigi Lo Cascio), Giovanni Falcone (Fausto Russo Alesi), Totò Riina (Nicola Calì) u.a.

Drehbuch: Marco Bellocchio, Valia Santella, Ludovica Rampoldi, Francesco Piccolo
Kamera: Vladan Radovic
Ton: Gianluca Stazi
Musik: Nicola Piovani
Kostüme: Daria Calvelli
Visual FX: Rodolfo Migliari
Italien, Frankreich, Deutschland, Brasilien  2019
Originalsprache: italienisch
153 Minuten
Verleih: PANDORA Film

Kinostart in Deutschland: 13. August 2020



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