Filmbesprechung: „Operndiven – Operntunten“ (Folles d’opéra) von Rosa von Praunheim
„Schwule wissen, was schön ist“ oder die Flucht aus dem Alltag
– Arte zeigt am 19. April 2020 Rosa von Praunheims neuen Film „Operndiven – Operntunten“ (Folles d’opéra) –
von Klaus J. Loderer
Maria Callas darf bei einem solchen Thema nicht fehlen. Sie eröffnet diesen Film über Operntunten und ihre Diven sogar. Das ist naheliegend und ein wunderbarer Einstieg, widmet Regisseur Rosa von Praunheim diesen Film doch dem großen Callas-Verehrer und seinem früheren Partner Werner Schroeter, der selbst 1996 mit dem Film „Poussières d’amour“ – zu deutsch „Abfallprodukte der Liebe“ – seinen Operndiven ein Denkmal setzte.
Nadine Secunde und Kevin Clarke vor dem Festspielhaus in Bayreuth
Foto: Rosa von Praunheim Filmproduktion
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Sex und Oper – Sex in der Oper
Was Oper mit Erotik zu tun hat, das kitzelt Rosa von Praunheim aus seinen Gesprächspartnern heraus. „Oper und Sex, das gehörte einfach zusammen,“ erfährt man von Tilman Krause, Feuilletonredakteur der Zeitung „Die Welt“, der von seiner Zeit in Paris und vom dortigen schwulen Leben schwärmt: „Ganz Paris war Cruising,“ womit im Jargon keine Segeltour sondern die Suche nach erotischen Vergnügen gemeint ist. „Heterosexuelle sind arme Schweine“ bedauert er diese Männer, „wir Schwulen hatten ja alle Möglichkeiten, wir hatten [...] ein ungemeines Privileg homosexuell zu sein.“ Auch für Berlin kann er aus dem Nähkästchen plaudern. Er stellt eine inzwischen geschlossene Klappe, also eine öffentliche Toilette, die auch dem Vergnügen dient, neben der Deutschen Oper vor. Sind es diese freien Bekenntnisse, die den Fernsehsender arte veranlassten, den Film auf einem Sendeplatz nach 23 Uhr zu verstecken? Dass Oper mal nicht so altjüngferlich steif und prüde aufgefasst wird, das ist im Film erfrischend. Vielleicht trauen sich Schwule einfach leichter, diese erotischen Aspekte in Opern zu erkennen, genauso wie sie überhaupt weniger verklemmt mit dem Thema Sex umgehen. Obwohl auch das im Film recht brav bleibt. Das Thema hätte Rosa von Praunheim ruhig wie in seinen früheren Filmen schärfer würzen dürfen. Kevin Clarke lässt schmunzelnd nicht unerwähnt, dass ausgerechnet in der oft für ihren Konservatismus verschrienen Wagnerdynastie Siegfried Wagner doch eher dem eigenen Geschlecht zugeneigt war und erzählt von schwulem Cruising im Park vor dem Bayreuther Festspielhaus und der Siegfried-Wagner-Gedächtnisklappe. Er spricht auch die Sängerin Nadine Secunde, mit der er sich für den Film in Bayreuth getroffen hat, darauf an, ob sie das bemerkt habe, die aber nur trocken verneint. Das sind nette Anekdoten. Dass Wayne Koestenbaum, der sich schon in den 1990er-Jahren mit dem Thema Schwule und Oper auseinandersetzte (1993 erschien sein Buch „The Queen’s Throat“, deutsche Ausgabe 1996 als „Königin der Nacht“), eine optische Ähnlichkeit zwischen dem Stimmapparat einer Sängerin und einer weiblichen Vagina erkennt, mag mal so stehen bleiben, beide Organe kennen Schwule ja eher weniger, ebenso wie die Doppeldeutigkeit von „Queen“ als Operndiva und Operntunte. Daraus zu schließen, dass sich ein schwuler Opernfan nun so mit einer Operndiva identifiziert, dass er gleich einen Blow Job ausüben möchte, schießt aber doch ziemlich über das Ziel hinaus. Nicht jeder schwule Opernfan hat nur „verteidigende Erfahrungen“ – wie Hugo von Hofmannsthal es dem Baron von Lerchenau im „Rosenkavalier“ so schön in den Mund legt. Da ist Tilman Krauses Beispiel der Erotik in Richard Wagners Musik fundierter. Zum Thema Sex in der Musik hätte man gerne noch mehr gehört.
Oper und Schwule
Natürlich räsoniert der Film über den Zusammenhang von Oper und Schwulen. „Du warst immer auf der Suche nach dem Schönen“ sieht Rosa von Praunheim Schroeters Liebe zur Oper. „Die Oper nimmt irgendwas Schmerzvolles und macht Schönheit daraus,“ zitiert Nadine Secunde einen Freund. Und immer wieder ist von Flucht aus dem Alltag die Rede: Die Oper „ist so weit entfernt von der täglichen Schinderei wie möglich,“ deutet das der Regisseur und Intendant der Komischen Oper Berlin Barrie Kosky. Oper „ist für Schwule ein Rettungsanker, ein Ort, an dem sie überleben können.“ Da kann die Oper ein Rettungsanker vor den alltäglichen Diskriminierungen sein, die allerdings im Film unerwähnt bleiben. Aber das war immer ein wichtiger Punkt. Der Film sollte wohl negative Aspekte vermeiden. Allerdings taucht immer wieder die „Obsession für den Tod“ auf, wie Barrie Kosky es nennt. Axel Ranisch spricht von der unerfüllten Liebe: „Es gibt selten Happy End.“ Einen markanten Unterschied sieht Kevin Clarke zwischen Schwulen und Lesben: „Schwule lieben die großen Diven, die laut und toll und schrill sind und over-the-top und hoch singen und noch höher und am allerhöchsten.“ Lesben mögen Mezzosoprane, sie bevorzugen Stimmen, die aus dem Unterleib kommen.
Axel Ranisch in seiner Küche
Foto: Rosa von Praunheim Filmproduktion
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Doch was hat es nun mit der Operntunte auf sich? Der Begriff Tunte kann ja ein verletzendes und diskriminierendes Schimpfwort sein. Auch in der schwulen Szene wird es unterschiedlich gehandhabt, von abwertend bis zu selbstironischer Eigenbeschreibung. Die Interviewpartner des Films dürfen eine Selbsteinschätzung abgeben. Kevin Clarke bekennt sich ganz freimütig: „Ich hätte mich früher ungern als Tunte oder als Operntunte bezeichnet. Jetzt [...] habe ich diesen Begriff für mich angenommen und ich finde ihn auch gut, weil er sehr treffend ist.“ Axel Rannick hält sich für einen Opern-Nerd. Barrie Kosky kokettiert: „Ich bin ein schwules jüdisches Känguru.“ Tilman Krause urteilt hart. Für ihn ist eine Operntunte ein Vokalidiot: „Die Operntunten sind unausstehlich, weil sie nur über Opern reden und damit angeben, was sie alles gesehen haben.“ Er mag lieber den umfassender interessierten Opernfan, der das ganze Ensemble im Blick hat.
„Régine Crespin war die Diva der Diven“
Gut gelungen ist im Film die Zusammenstellung der Musik. Fast wirkt es, als würden wir in der privaten Atmosphäre der in ihren Wohnungen gefilmten Interviewpartner nur zufällig lauschen, wenn sie Musik hören. Wir verspüren ihre Rührung oder Begeisterung. Und es ist ja auch interessant zu sehen, in welchem Ambiente sie leben, natürlich alle mit vielen CDs und Büchern, Tilman Krause mit Antiquitäten und Gemälden, Axel Ranisch poppiger. Auffällig ist im Film, dass wir viele historische Aufnahmen zu hören bekommen. „Régine Crespin war die Diva der Diven“ – meint Tilman Krause. Doch gesanglich kommt er bei einer anderen Sängerin ins Schwärmen: „Elisabeth Schwarzkopf ist die Frau, die mir die größten musikalischen Ekstasen geschenkt hat. Ihre vier letzten Lieder sind unübertroffen.“ Sophie Koch ist die einzige jüngere Sängerin, die vorgestellt wird. In der Mehrzahl leben die zu hörenden Diven schon gar nicht mehr. Als weitere Interviewpartnerinnen erleben wir Nadine Secunde, die wir als Sieglinde hören, und die Grande Dame der Koloratursoprane, Edda Moser, die zum Hintergrund ihrer Königin der Nacht erzählt. Zum Thema Operntunte meint sie distinguiert: „Das ist der große Unterschied, dass homophile Männer eine Frau viel besser verstehen als diese Normalverbraucher.“ Womit man wieder beim Thema der schwulen Opernwelt ist. „Die Opernwelt ist sehr schwulenfreundlich,“ meint Axel Ranisch. Er schränkt aber auch gleich ein: „Die Technik ist komplett unschwul,“ womit er den Bereich hinter den Kulissen meint.
Spiel mit Geschlechterrollen
„Vielleicht finden Schwule Oper so toll, weil sie so oft mit Geschlechterrollen spielt,“ bringt Axel Ranisch einen weiteren Aspekt ins Spiel. Ein solches Changieren beherrscht Christoph Marti gut, der mit den „Geschwistern Pfister“ gerade die Opernbühnen aufmischt und nach „Ball im Savoy“ an der Komischen Oper Berlin „Roxy und ihr Wunderteam“ die Titelrolle mit einem besonderen Flair erfüllt – eine Diva der besonderen Art. Fälschlicherweise entsteht allerdings im Film der Eindruck dass es sich um eine Inszenierung von Barrie Kosky handelt, denn Regisseur Stefan Huber wird gar nicht erwähnt. Tatsächlich Kosky-Regiearbeiten sind die Ausschnitte aus „Die Perlen der Cleopatra“ und „Ball im Savoy“, wobei deren Hauptdarstellerin Dagmar Manzel kaum als Operndiva durchgeht. Kosky dekoriert seine Operetteninszenierungen geradezu mit Tuntengeschwadern, was die Operntunten in Massen anlockt.
„Schwule wissen, was schön ist“, lobt Edda Moser. Mit Wayne Koestenbaums Wunsch, er möchte bei Opernmusik sterben und dem Gesang von Maria Callas hätte der Film einen guten Abschluss gehabt. Der Kreis um die Primadonna assoluta hätte sich geschlossen. Allerdings ist dann leider noch Operettenklamauk aus der Komischen Oper Berlin nachgeschoben.
Operndiven – Operntunten
Folles d’opéra
Regie: Rosa von Praunheim, Markus Tiarks
Kamera: Lorenz Haarmann, Dennis Pauls, Johnny Frohman (New York)
Redaktion: Kathrin Brinkmann
Produktion: Rosa von Praunheim Filmproduktion
Deutschland 2019
ZDF
Sprache: deutsch
55 Minuten
Ausstrahlung der deutschen Fassung:
19. April 2020, 23.05 Uhr, arte
23. April 2020, 5 Uhr, arte
27. April 2020, 1.25 Uhr, arte
In der arte-Mediathek vom 18. April bis 18. Mai 2020 verfügbar
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