Premierenkritik: Opernrarität „Halka“ von Stanislaw Moniuszko – Theater an der Wien – 2019

Krimi im Hotel 

– Regisseur Mariusz Trelinski verlegte die polnische Nationaloper „Halka“ von Stanislaw Moniuszko aus der bäuerlichen Atmosphäre in ein modernes Designhotel – 

von Klaus J. Loderer

Dem Theater an der Wien gelang mit „Halka“ ein Operncoup. Die außerhalb Polens wenig bekannte polnische Nationaloper „Halka“ von Stanislaw Moniuszko hätte eventuell selbst im opernbegeisterten Wien nur für begrenztes Interesse gesorgt. Die Starbesetzung mit Piotr Beczala (für eine eigentlich kleine Rolle) und Tomasz Konieczny führte dazu, dass schon Wochen vor der Premiere alle Vorstellungen restlos ausverkauft waren.

Beide enttäuschen nicht und schaffen denn auch ein besonderes Opernerlebnis. Als Jontek singt Piotr Beczala mit klarem Tenor und viel Schmelz. Einfühlsam ist diese Stimme, fein in der Phrasierung. Der Klang geht unter die Haut. Tomasz Konieczny ist als Janusz ein arroganter Lebemann. Der Bassbariton kann volltönend auftrumpfend.

„Halka“ im Theater an der Wien: Solisten und Arnold-Schoenberg-Chor
Foto: Monika Rittershaus
Überhaupt glückt dem Theater an der Wien eine gute Sängerbesetzung. Corinne Winters Sopran wirkt manchmal etwas schrill, doch passen Stimme und Austrahlung in diese kühl-moderne Produktion. Doch stimmlich entwickelt sie sich und nimmt am Ende mit einer ergreifenden Sterbeszene ein. Als Stolnik trumpft der Bass Alexey Tikhomirov ununterbrochen angeberisch auf. Mezzosopranistin Natalia Kawalek mimt Zofia als schnippisches und stimmlich schrilles Püppchen. Der Bass Lukasz Jakobski ist ein lässiger Dziemba.

Lukasz Borowicz spielt mit dem ORF-Radiosymphonieorchester Wien eine aufwühlende Musik, vielleicht trägt er fast zu sehr auf. Seine Interpretation dieser spätromantischen Partitur ist ein Hörgenuss. Er schwelgt in den Melodien, lässt großen Gesamtklang aufbäumen. Der Arnold-Schoenberg-Chor ist präzise (Leitung: Erwin Ortner) und wie immer überaus spielfreudig.

Stanisław Moniuszko

Der Komponist Stanisław Moniuszko ist fast nur in Polen bekannt. Dort wird er aber als „Vater der polnischen Nationaloper“ verehrt. Der aus einer polnisch-armenischen Familie stammende Adelige komponierte zahlreiche Operetten und Opern. In Berlin nahm er Kompositionsunterricht und lebte dann im zum Zarenreich gehörenden Wilna (Vilnius). 1847 komponierte er seine erste Oper, „Halka“, nach einem Libretto von Wlodzimierz Wolski. Die Hoffnung auf eine Aufführung in Warschau zerschlug sich schnell. Erst die vieraktige Fassung wurde 1858 in Warschau aufgeführt und machte Moniuszko schlagartig berühm. „Halka“ wurde als Nationaloper gefeiert. Moniuszko wurde Leiter der Warschauer Oper.

Ein Bauerndrama

In der Oper geht es um das Bauernmädchen Halka, das von dem reichen Edelmann Janusz Odrowąż geschwängert wurde, der nun seine Hochzeit mit Zofia, der Tochter des Schlossherrn Stolnik, vorbereitet. Sie findet ihn auf seiner Verlobung, wird aber abgewiesen. Ihr Jugendfreund, der Leibeigene Jontek, rät ihr, Janusz zu vergessen. Doch sie beschließt in ihrem Zonn, die Kirche, in der Janusz heiraten will, in Brand zu stecken. Das Erscheinen des Hochzeitszugs verhindert das. Sie stürzt sich in den Fluss. In der ersten Fassung der Oper waren sozialkritischen Aspekte deutlich. Die Kritik am Adel entschärfte Moniuszko allerdings in der zweiten Fassung.

Sozialdrama im Hotel

Der polnische Regisseur und künstlerische Leiter der polnischen Nationaloper Teatr Wielki in Warschau Mariusz Trelinski hat die Handlung für die Aufführung im Theater an der Wien aus der ländlichen Atmosphäre Polens mit rustikaler Folklore in die 1970er-Jahre übertragen. Dazu hat Bühnenbildner Boris Kudlicka ein kühl-modernes Gebäude entworfen, ein schickes Design-Hotel mit viel Glas. Modisch Siebzigerjahre sind die Kostüme mit Minikleidchen und Schlaghosen von Dorothée Roqueplo. Passend dazu die blonden Langhaarperücken von Lukasz Pycior. Die stark gemusterten Stoffe des Chors sind nur in schwarz-weiß gehalten. Einziger Farbklecks ist Halkas grüner Unterrock.

„Halka“ im Theater an der Wien:
Tomasz Konieczny (Janusz), Piotr Beczala (Jontek) und Corinne Winters (Halka)
Foto: Monika Rittershaus
Trelinski geht die Handlung als Krimi und Rückblick an. Eine abgedeckte Leiche liegt auf einem Tisch. Polizisten marken Stellen und fotografieren sie. Janusz wacht in einem Hotelzimmer auf und erinnert sich an die Vorgänge. Wir sehen die Oper aus seiner Perspektive. Er wird dadurch unweigerlich zur Hauptfigur. Wie ein Gespenst erscheint das Zimmermädchen Halka, mit dem er ein Verhältnis hatte. Er beendete die Affäre, um Zofia zu heiraten. Wir erleben die Vorbereitungen für die Hochzeit. Durch die Drehung der Bühne können wir das Gebäude immer wieder aus unterschiedlichen Perspektiven sehen, mal das Zimmer Janusz’, mal die Personalräume, Eingangsbereich und Festsaal. Die sich eigentlich über längere Zeit erstreckende Handlung ist in Wien gerafft auf einen Tag, eben das Hochzeitsfest. Das bringt allerdings das Problem, dass Halka immer in räumlicher Nähe zu Janusz ist, was nicht immer ganz überzeugt. Der Hoteldirektor bringt Janusz den Hochzeitsanzug. Der reiche und angeberische Stolnik trifft mit seiner Tochter Zofia ein. Während im Festsaal immerfort Party herrscht (was auf die Dauer doch etwas eintönig wird), wobei der Arnold-Schoenberg-Chor eine ausgelassen Partygesellschaft mimt, die noch ergänzt wird von einem Tanzensemble. Im wörtlichen Sinne wird auf dem Tisch getanzt. Die Personenführung ist gut gemacht. Die Regie nutzt die Gegebenheiten des Bühnenbilds aus.

Janusz versucht die Geschichte mit Halka zu vertuschen. Dabei geht es ihm weniger um Halka als darum, dass seine Hochzeit platzen könnte. Sein chronisches Selbstmitleid macht ihn nicht sympathischer. Er gibt dem Kellner Jontek Geld, damit dieser Halka wegschafft. Als dieser sich weigert, wir er zusammengeschlagen. Wir können sehen, wie Halka immer mehr in Panik gerät. Der Kellner Jontek kann sie nicht mehr besänftigen. Nach einem hysterischen Anfall wird sie vor die Tür gesetzt. Man lässt sich die Party nicht stören. Auf der leergeräumten Bühne (nur ein paar Baumstämme deuten einen Wald an) begräbt Halka ihr totes Kind und nimmt sie Abschied von Janusz, während im Hintergrund der Hochzeitszug die Bühne quert.

Besuchte Vorstellung: Premiere am 15. Dezember 2019
(Koproduktion mit dem Teatr Wielki Opera Narodowa Warschau)
Theater an der Wien, Wien



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