Premierenkritik: „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss – Theater Pforzheim – 2020

Opernintrigen in der Wellnessgrotte 

– Elisandra Melián reüssiert als großartige Zerbinetta in „Ariadne auf Naxos“ im Theater Pforzheim – 

von Klaus J. Loderer

Das Theater Pforzheim macht sich gut als Wellnesscenter. Die Bühne ist gefliest, seitlich sieht man „Grotten“ als Zugänge zu Dampfbad und Sauna, hinten ist eine Bar. Ein Gemälde mit Bacchus und Ariadne erinnert an den Mythos. Bühnenbildner Jörg Brombacher hat den Orchestergraben in ein Schwimmbecken verwandelt. Da ist der Auftritt des Dirigenten nur konsequent. Florian Erdl kommt im Bademantel, zieht den unter Johlen des Publikums auch noch aus und steigt dann nur mit einer Badehose bekleidet in das Schwimmbad hinunter, in dem ihn die Badische Philharmonie Pforzheim erwartet. Der Herr im schwarzen Frack entpuppt sich als Haushofmeister und versucht eine Party im Wellnesscenter zu organisieren mit Oper und Feuerwerk. Knallhart und tyrannisch gibt Thomas Peters diesen Herrn. Kurzfristig muss er einen besonderen Wunsch des Hausherrn umsetzen, nämlich noch ein komisches Stück einbauen. Textautor Hugo von Hofmannsthal und Komponist Richard Strauss haben es sich schon genial ausgedacht, wie die Hauptdarstellerinnen der beiden Stücke zusammenprallen und wie es sein könnte, wenn wenige Minuten vor Beginn der Ablauf einer Oper komplett umgestellt werden muss. Regisseur Tobias Materna findet in Pforzheim eine kurzweilige Lösung für die intrigante Geschichte. Eher zufälligerweise begegnen sich die Leute zwischen Saunagängen. Nur einmal finden sich alle auf der Bühne zusammen. Wenn der Haushofmeister die neuesten Anweisungen verkündet, kauert das gesamte Ensemble immer enger zusammen, wie um eine drohende Gefahr abzuwenden. Einen kurzen Moment ist das Ensemble solidarisch, zerfällt dann aber sofort wieder in schlimmere Eifersüchteleien denn je.

Intrigen in der Wellnessgrotte: „Ariadne auf Naxos“ im Theater Pforzheim
Foto: Sabine Haymann
Es sind schon sehr markante Typen, die in diesem Wellnesstempel zusammentreffen. Die Primadonna ganz damenhaft mit langem schwarzem Kleid und weißem Schal um die Haare, die Komponistin mit Plateauschuhen und langem weißem Mantel (um aus der Hosenrolle des  Komponisten eine Komponistin zu machen, hat man den Text an vielen Stellen geändert, das allerdings nicht ganz konsequent durchgehalten). Der Tanzmeister im Paillettenanzug, zwei Frauen im Handtuch. Zwischen Tenor und Perückenmacher entspinnt sich ein eskalierender Dauerstreit, wenn der Perückenmacher gleich mehrmals neue Perücken ins Dampfbad pfeffert. Um sich zu beruhigen, macht der Tenor Dehnungsübungen und führte seine Muskeln vor. Damit man seine Muskeln auch gut sieht, ist Benjamin Werth in ein hautenges Trikot gesteckt.

Anna Gütter (Komponistin), Dorothee Böhnisch (Primadonna), Lukas Schmid-Wedekind (Lakai), Elisandra Melián (Zerbinetta), Paul Jadach (Musiklehrer), Arthur Canguçu (Offizier), Philipp Werner (Tanzmeister) und Mathias Tanges (Perückenmacher)
Foto: Sabine Haymann
Das Theater Pforzheim kann mit einer Reihe an guten Sängern aufwarten. Paul Jadach präsentiert als empörter Musiklehrer einen charaktervollen und angenehm im Ohr klingenden Bariton. Anna Gütter nimmt man diese nervöse Komponistin, die dauerhaft kurz vor dem Nervenzusammenbruch steht, ganz ab. Die Sopranistin hat überzeugende Gesten für ihr Spiel gefunden, überzeugt aber auch durch ihren Gesang, der die Psyche dieser Rolle gut auslotet und stimmlich ihre Dramatik auskostet.

Ihr Gegenspieler als Tanzmeister ist hier Philipp Werner. Betont lässig gibt sich der Tenor und legt sowohl ironische Arroganz wie Leichtigkeit in seine Stimme. In einer kleinen Rolle ist Arthur Canguçu als draufgängerischer Offizier zu hören. Als hochnäsiger Lakai ist Lukas Schmid-Wedekind zu sehen. Schon im ersten Teil überrascht Elisandra Melián als Zerbinetta.

Ines Vinkelau (Najade), Anna Gütter (Echo), Dorothee Böhnisch (Ariadne) und Helena Steiner (Dryade)
Foto: Sabine Haymann
Der zweite Teil des Stücks, die eigentliche Oper „Ariadne auf Naxos“ lebt vom Kontrast zwischen der den Tod herbeisehnenden Ariadne und der lustigen Zerbinetta. Lorena Díaz-Stephens verdeutlicht diesen Unterschied schon in den Kostümen. Schwarz-weiß ist die Welt der Ariadne. Najade, Dryade und Echo umschlingen Ariadne mit weißen Bändern als wollten sie sie wie eine Mumie einwickeln. Ines Vinkelau, Helena Steiner und Anna Gütter geben ein harmonisches Terzett. Betont statuenhaft (wie Zerbinetta im Text bemerkt) versieht Dorothee Böhnisch als Ariadne ihre Arie „Es gibt ein Reich“ mit einer unendlichen Ruhe und mit abgedunkeltem Klang.

Grell farbenfroh hat Lorena Díaz-Stephens Zerbinettas Anhang gestaltet. Mit Rüschenumhängen und Röckchen verwischen die Geschlechterklischees zu einer bunten Androgynität. Wie die Orgelpfeifen lässt Regisseur Tobias Materna die vier Herren im Gleichschritt zu einem wohltönenden Quartett hereinmarschieren. Arthur Canguçu (Scaramuccio), Paul Jadach (Harlekin) und Lukas Schmid-Wedekind (Truffaldin) haben wir schon im ersten Teil gehört. Bisher stumm war der slowakische Tenor Patrik Horňák, der mit weichem, fast samtigem Tenor als Brighella heraussticht. Einen liebreizend verführerischen Ton schlägt Paul Jadach mit „Lieben, hassen“ an.

Arthur Canguçu (Scaramuccio), Patrick Horňák (Brighella), Paul Jadach (Harkelin), Lukas Schmid-Wedekind (Truffaldin) und Elisandra Melián (Zerbinetta)
Foto: Sabine Haymann
Ganz violett gekleidet mit weit gebauschtem Überwurf über der hautengen Hose gleicht Zerbinetta einem aufblühendem Veilchen, einer Blüte der Versuchung. Zu einem großartigen Auftritt macht Elisandra Melián ihre Arie „Großmächtige Prinzessin“ über ihre Vorstellung von Liebe. Schon der Gedanke an ihre verflossenen Liebhaber beschert dieser Zerbinetta einen Orgasmus, wenn sie sich lasziv ganz vorne niederlässt. Verführerisch tänzelt sie über die Bühne und flirtet kokett mit Herren im Publikum. Stimmlich steigert sich die spanische Sopranistin im Verlauf der Arie zu immer neuen Höhepunkten. Glockenklar fließen ihre Koloraturen dahin. Mit scheinbarer Leichtigkeit klettert die Stimme zu den Spitzentönen hinauf. Das Publikum ist kaum zu halten und bricht schon vor Ende der Arie in Begeisterung aus, ist durch die Sopranistin kaum zu bändigen, dass man auch den Schluss hören kann. 

Bacchus Benjamin Werth taucht als Schiffbrüchiger mit Schwimmweste auf. In kurzer Hose, Poloshirtund mit blonder Perücke erkennt man leicht das Vorbild: Ken, der Freund der Barbiepuppe. Als Bacchus weist ihn nur die Weinflasche aus.

Benjamin Werth (Bacchus) und Dorothee Böhnisch (Ariadne)
Foto: Sabine Haymann
Auch ein paar Reminiszenzen an den ersten Teil sind eingebaut. Der Tanzmeister dirigiert einmal aus den Kulissen heraus die Damen. Wenn sich ein Kulissenstück dreht, sieht man den Komponisten mit Lampe in der Partitur lesen. Gegen Ende fällt die Inszenierung allerdings schwer ab. Schließlich schreiten Ariadne und Bacchus gegen das Licht im Hintergrund und verschwinden im Nebel der Ewigkeit. Florian Erdl kann dazu als kommissarischer Generalmusikdirektor mit der Badischen Philharmonie mit opulent-festlichem Gesamtklang aufwarten. Mit großem Jubel bedankt sich das Publikum.

Besuchte Vorstellung: Premiere am 15. Februar 2020
Stadttheater Pforzheim


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