Opernrarität: „Die Verlobung im Kloster“ (Обручение в монастыре) – Staatsoper Berlin – 2020

Selbsthilfegruppe für Opernabhänge 

– Dmitri Tcherniakovs Inszenierung von Sergej Prokofjews lyrisch-komische Oper „Die Verlobung im Kloster“ (Обручение в монастыре) dümpelt an der Staatsoper Berlin eher langweilig dahin, ist aber musikalisch auf hohem Niveau – 

von Klaus J. Loderer

Die Idee einer „Vereinigung anonymer Opernabhängiger“ mag lustig sein und könnte eine halbstündige Kurzoper sicherlich gut ausfüllen. Eine paar nette Ideen sind Regisseur und Bühnenbildner Dmitri Tcherniakow dazu auch eingefallen, Selbsthilfegruppen, Stuhlkreise und Stressbewältigungsseminare für Manager auf den Arm zu nehmen, obwohl man schon nicht versteht, warum Opernabhängige überhaupt von ihrer Leidenschaft geheilt werden müssen und warum das ausgerechnet dadurch geschehen soll, dass die Selbsthilfegruppe eine Oper schreibt. Dazu denkt man sich „Die Verlobung im Kloster“ aus und versieht sie mit einer nach eigener Meinung absonderlichen Handlung, zumindest deutet das jede Idee kommentierende Gelächter auf der Bühne das an. Der Regisseur ist also so wenig von der Oper überzeugt, dass er sich gar nicht die Mühe macht, ihre Handlung auf die Bühne zu bringen. Die Seminaridee ist für eine vieraktige Oper, die immerhin dreieinhalb Stunden dauert, dann doch etwas wenig, sehr wenig, viel zu wenig. Entsprechend verlassen in der Pause viele der sowieso nicht so zahlreichen Zuschauer das Theater. Sie möchten sich weitere gelangweilte Stunden nicht antun. Ach so, diese Aufführung soll ja Opernabhängige von ihrer Sucht befreien. Die Regie kann sicherlich dazu beitragen, dass Opernabhängige im Anfangsstadium endgültig von ihrer Sucht befreit werden und nie wieder ein Opernhaus betreten.

„Die Verlobung im Kloster“ an der Staatsoper Berlin mit der Premierenbesetzung 2019: 
Stephan Rügamer (Don Jerome), Lauri Vasar (Don Carlos), Maxim Paster (Moderator), Aida Garifullina (Luisa), Goran Jurić (Mendoza), Violeta Urmana (Die Duenna), Bogdan Volkov (Don Antonio), Anna Goryachova (Clara d’Almanza) und Andrey Zhilikhovsky (Don Ferdinand)
Foto: Ruth und Martin Walz
Zu Beginn werden die Teilnehmer des Seminars – ein Opernblogger, ein Kritiker, eine Operndiva, einer ihrer Fans etc. – vorgestellt und nehmen in einem mit Theatersitzen (es scheinen die alten Sperrsitze des Zuschauerraum der Berliner Staatsoper zu sein) ausgestatteten nüchtern-weißen Raum Platz. Von Anfang an hat man allerdings Probleme, die Personen auf der Bühne mit den Rollen in Verbindung zu bringen, da immer alle irgendwo herumsitzen. Und man muss schon suchen, wer gerade singt und welcher Text im Übertitel zu wem gehört (es wird in russischer Sprache gesungen). Insofern bleibt die gerade davon lebende Handlung, dass die Personen sich nicht kennen, nebulös. Es ist noch nicht einmal das Konzept, dass die Darsteller in ihre Rolle hineintreten, Rollen und Handlung werden schlichtweg ignoriert. Es wird gewissermaßen deklamiert. Die vielen Ironien und komischen Begebenheiten gehen völlig unter. Auch die zahlreichen räumlichen Wechsel können im Einheitsbühnenbild nicht nachvollzogen werden. Dann bricht die Oper nach der Hochzeit im Kloster, die hier weder Hochzeit noch in einem Kloster ist, ab. Ist der Rest gestrichen? Nein, das ist nur ein Gag. Der Vorhang geht noch einmal auf. Es folgt noch die letzte Szene, angekündigt als alternatives Finale.

„Die Verlobung im Kloster“ an der Staatsoper Berlin mit der Premierenbesetzung 2019: 
Lauri Vasar (Don Carlos), Goran Jurić (Mendoza), Violeta Urmana (Die Duenna), Aida Garifullina (Luisa) und Bogdan Volkov (Don Antonio)
Foto: Ruth und Martin Walz
Man staunt, wie es möglich ist, eine kurzweilige Verwechslungskomödie – das Libretto von Sergej Prokofjwe und Mira Mendelson basiert auf der Komödie „The Duenna“ von Richard Brinsley Sheridan – durch ein solches Regiekonzept kaugummizäh und langatmig dahindümpeln zu lassen. Die Oper ist in Deutschland schon unbekannt genug. Jeder Zuschauer, der sich hier langweilt, wird diese Oper doch nie wieder anschauen. So entsteht der Ruf einer unspielbaren Oper. Und das ist schade, denn die Musik von Sergej Prokofjew ist abwechslungsreich und arbeitet auch die Ironien des Librettos gut heraus, seien es die unterschiedlichen Charakterisierungen der Rollentypen oder die groteske Musikprobe für das Hochzeitsmenuett. Um die Handlungszeit im 18. Jahrhundert zu verdeutlichen, sind Reminiszenzen an die Musik der Zeit eingearbeitet.

Es geht eigentlich um Luisa, die von ihrem Vater Don Jerome mit dem reichen Fischhändler Mendoza verheiratet werden soll, aber den armen Antonio liebt. Ihr Bruder Ferdinand liebt Clara. Und die Duenna hat ein Auge auf den Fischhändler geworfen. Da Mendoza seine Braut nicht kennt, wird er von ihr gleich mehrmals hereingelegt und trägt sogar noch dazu bei, dass sie ihren Antonio heiraten kann. So denkt Mendoza zwar er heiratet Luisa, stellt aber am Ende fest, dass es sich um die Duenna handelt, mit der Luisa die Rolle getauscht hat. Und auch Ferdinand bekommt seine Clara. Prokofjew arbeitete 1940/1941, also mitten im Zweiten Weltkrieg, an der Oper. Durch den Krieg konnte sie nicht wie geplant in Moskau aufgeführt werden. Die Uraufführung fand schließlich 1946 im Kirovtheater in St. Petersburg (damals Leningrad) statt.

Musikalisch überzeugt die Produktion

Musikalisch ist die Produktion aus dem vergangenen Jahr – nun in leichter Umbesetzung – sehr überzeugend. Das liegt einerseits am spannenden Dirigat von Alexander Vitlin. Und auch die Sängerbesetzung ist komplett gut geglückt. Stephan Rügamer singt als Don Jerome die Tenorpartie nicht nur vorzüglich, er hat noch einen besonderen Auftritt mit einem lustigen Trompetensolo. Seine Tochter Luisa ist bei der armenischen Sopranistin Nina Minasyan in guten Händen. Bogdan Volkov kommt als Don Antonio in strahlende Höhen. Andrey Zhilikhovsky ist zwar als indisponiert angekündigt, allerding singt der Bariton seinen Don Ferdinand anstandslos, bleibt auch in den Höhen sicher und ist im Spiel herrlich verklemmt. Die russische Mezzosopranistin Anna Goryachova gibt eine charaktervolle und bestimmt auftretende Clara d’Almanza. Witzig gestaltet der kroatische Bass Goran Jurić den Mendoza. Der estnische Bariton Lauri Vasar ist ein guter Don Carlos. Ihren Sinn für das Komische kann auch Violetta Urmana als Duenna beweisen. Maxim Paster mimt einen Moderator und unermüdlichen Kursleiter.

Das abgetrennt gespielte Finale ist für die unheilbar Opernabhängigen: Am Schluss werden die Opernabhängigen hineingezogen in einen Rausch der Opernfiguren. Der Chor tritt unvermittelt in allen möglichen historischen Opernkostümen auf (Kostüme Elena Zaytseva). Der Opernabhängige kann jedes davon mühelos der richtigen Oper zuordnen. Ob er sich an „Die Verlobung im Kloster“ erinnern wird, ist eine andere Frage.

Besuchte Vorstellung: 4. Januar 2020
(8. Vorstellung nach der Premiere am 13. April 2019)
Staatsoper unter den Linden, Berlin



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