Opernpremiere: „Der Rosenkavalier“ von Richard Strauss – Staatsoper Berlin – 2020

Japanspleen und Sezessionsstil 

– Bunt allein reicht für einen „Rosenkavalier“ nicht – André Heller fällt nicht wirklich Neues zur Oper von Richard Strauss ein – 

von Klaus J. Loderer 

Es sind vor allem die sängerischen Leistungen, die den neuen „Rosenkavalier“ an der Staatsoper unter den Linden ausmachen, fast möchte man sagen, ihn retten. Da ist die großartige Camilla Nylund zu nennen. Die Marschallin ist eben eine ihre Paraderollen. Ganz große Dame in der Erscheinung bietet sie eine wunderbar strahlende Höhe, wie man sie von ihr gewohnt ist. Sie bewahrt die Contenance und ist einfach präsent. Ganz im Gegensatz zu Günther Groissböck, der mit weit ausladenden Gesten den Raum füllt. Auch bei ihm ist der Ochs eine seiner Paraderollen. In dieser Aufführung ist Groissböck sogar noch präsenter als sonst, denn die Staatsoper spielt eine sehr ausführliche Fassung und das bedeutet noch mehr Text für den Ochs. Aber Günther Groissböck erlebt man doch gerne auf der Bühne. Flexibel und charmant ist sein Bassbariton, mal verführerisch, mal überheblich selbstverliebt und klettert genau so in die Tiefe, wie man das am Schluss des zweiten Akts erwartet. Nadine Sierra und Michèle Losier finden im Duett bei der Rosenübergabe zu einem wunderbaren Zusammenklang. Michèle Losier muss sich als Octavian im ersten Akt allerdings stimmlich zuerst in die Rolle finden. Nadine Sierra singt mit feinem Sopran und gibt sich zurückhaltend. Roman Trekel verkörpert stimmlich die Solidität des Edlen von Faninal. Die Steifheit mag der Rollengestaltung dienen. Atalla Ayan erfreut mit guter Höhe als italienischer Sänger. Karl-Michael Ebner und Katharina Kammerloher überzeugen als Intrigantenpaar Valzacchi und Annina.

Camilla Nylund (Feldmarschallin Fürstin Werdenberg) und Michèle Losier (Octavian)
Credits: Ruth Walz
Weniger überzeugt die Staatskapelle Berlin. Der Beginn klingt hallig und fast wie aus einem Nebenraum. Mit Zubin Mehta hat man zwar einen berühmten Dirigenten engagiert, doch wirkt sein Dirigat über weite Strecken langatmig und verstaubt. Da hätte man sich mehr Frische und Pointierung gewünscht. So dümpelt das Orchester immer wieder lustlos dahin.

Stürmischer Applaus setzt am Schluss ein. Der steigert sich mt den Sängern. Das Publikum feiert Günther Groissböck frenetisch. Noch stärkeren Applaus erhält Camilla Nylund. Michèle Losier ist vom Beifall geradezu überwältigt. Ihre Tränen verbirgt sie nur mühsam hinter den Händen. Auch Zubin Mehta und die Staatskapelle Berlin werden gefeiert. Das Produktionsteam um André Heller (Regie), Xenia Hausner (Bühne) und Arthur Arbesser (Kostüme) bekommt gehörig Buhs ab, genauer gesagt ergießt sich von den Rängen ein Buhsturm, während das Parkett mit Bravos gegenhält.

Dass das Bühnenbild sich irgendwie am Wiener Sezessionsstil orientiert, erkennt man schon vor Beginn. Blaue Wände mit Klötzchenmusterbordüren verdecken die Proszeniumslogen. Auf den Eisernen Vorhang ist ein alter Besetzungszettel projektiert. 9. Februar 1917. Auf den Tag genau vor 103 Jahren. „K.K. Hofoperntheater“. Also in Wien. Ich stutze zwar, weil es doch eigentlich Hofopernhaus hieß. Ich stutze über den Bühnenbildner Kolo Moser. Der hat doch nie einen „Rosenkavalier“ gemacht. Lotte Lehmann, Mitzi Jeritza, Richard Tauber – große Namen. Egon Friedell, Hugo von Hofmannsthal und Stefan Zweig sollen mitgespielt haben. Was war das für eine absonderliche Besetzung? Es gab diese Aufführung schlichtweg nicht, aber versteht das Berliner Publikum diesen Witz? Wird dieser Besetzungszettel bald die Forschung durcheinander bringen? Im Programmheft steht zwar in einem Interview mit André Heller, dass die Aufführung erfunden ist. Aber es ist so eine Sache, wenn man Inszenierungen nur dann versteht, wenn man in der Einführung war oder das Programmheft gelesen hat.

Aber was soll uns dieser Besetzungszettel eigentlich sagen? Schauen sich Octavian und Marschallin diese Aufführung an? Oder sehen wir gewissermaßen die Rekonstruktion dieser fiktiven Aufführung? Dann passiert aber schon mit dem Bühnenbild der erste Denkfehler. Denn auch wenn man darin Zitate von Joseph Maria Olbrich und Koloman Moser findet, diese Künstler hätten den Rosenkavalier damals in barockem Ambiente spielen lassen – passend zur Handlungszeit – aber auf gar keinen Fall in Jugendstildekor.

Warum die Handlung hier in den Ersten Weltkrieg verlegt ist, erschließt sich nicht. Das Thema kommt auf der Bühne nicht vor. Aber mit allzu strengen logischen Anfordungen darf man in dieser Inszenierung nicht kommen. Die Marschallin hat einen Japanspleen, ist entsprechend eingerichtet und hat auch die Dienerschaft ostasiatisch verkleidet. Eine nette Idee ist, dass Octavian die Marschallin zeichnet. Am Ende des Akts zerrupft sie das Bild in kleine Fetzen. Das passt zu dieser überspannten Frau, die durch das Feststellen des Alterns gerade in einer ziemlich panischen Stimmung ist. Der Regiegag mit dem Tischlein Deck Dich wird endlos ausgereizt: der Diener Mohamend klatscht in die Hände und lässt so ein Tischchen erscheinen, der als verkleidete Octavian lässt es so wieder hinab, dann wieder hinauf, bis schließlich der Diener es wieder hinabbefördert. Wie man es von André Heller erwartet, erscheint beim Lever ein Zauberer, der Papierkunstwerke schafft. Warum haben die drei adeligen Waisen eine Mutter dabei?

Katharina Kammerloher (Annina), Lenard Vrielink (Haushofmeister), Günther Groissböck (Baron Ochs auf Lerchenau), Roman Trekel (Faninal), Nadine Sierra (Sophie) und Michèle Losier (Octavian) 
Credits: Ruth Walz
Im zweiten Akt bleibt offen, ob der neureiche Faninal für sein Fest das Sezessionsgebäude gemietet hat, dessen Eingangsdekoration man erkennt, oder ob sich Faninal sein Wohnzimmer entsprechend gestalten ließ. Jedenfalls gibt es so eine Art Ausstellungseröffnung für Gustav Klimts Beethovenfries, zu der der Maler persönlich kommt, der samt seiner Muse Emilie Flöge (die im anfänglichen Besetzungszettel die Kostüme geschaffen haben soll) im typischen Kittel über die Bühne spaziert und sich huldigen lässt. Um den Raum zu füllen, darf der Damenchor in Kleider mit Jugendstilmustern dekorativ herumstehen, der Rosenkavalier ist ganz silbern Rokoko, Faninal im seltsam modern herausstechenden Goldanzug, die Leitmetzerin zu burschikos mit Riesenzylinder. Ochs ist der eleganteste Herr auf der Bühne. Wenn sich Anina auf sein Knie setzt, hofft man schon ein pikantes Ende des Akts, der endet dann aber genauso bieder wie er anfing.

Günther Groissböck (Baron Ochs auf Lerchenau) und Michèle Losier (Octavian)
Credits: Ruth Walz
Für den letzten Akt hat sich Xenia Hausner einen Wintergarten mit Palmen und einem orientalischen Zelt ausgedacht. Wenn dann alle Dekorationselemente hinausgeräumt sind und mit dem Ochs auch der einzige Schauspieler weg ist, versagt nun allerdings die Regie. Die Beziehungen der Personen vermag sie nicht deutlich zu machen. Man steht unschlüssig herum und der Akt plätschert in Langeweile aus. Das vom Publikum goutierte Ende mit dem das Taschentuch der Fürstin suchenden Mohamed ist ja schlichtweg Regieanweisung. Immerhin schnüffelt er am Taschentuch – dann kann sich die Fürstin ja vom Mohamed trösten lassen.

Letztendlich sind Bühnenbild und Kostüme zwar schön bunt, sind aber doch nur ein zusammengewürfeltes Pasticcio der Zeit um die Entstehung der Oper und leider auch nicht gut recherchiert (etwa, dass Octavian eine englische Uniform trägt – in Wien – mitten im Ersten Weltkrieg). So richtig stimmig ist das aber nicht. Man liest in einem Interview im Programmheft von den Ideen André Hellers. Man findet sie nur auf der Bühne nicht. Die Regie hangelt sich brav an den Regieanweisungen entlang. Dass man Heller mit Wolfgang Schilly noch einen erfahrenen Bühnenmann zur Seite gestellt hat, nutzte nicht wirklich etwas. Die Personenführung ist steif und fast unbeholfen. Camilla Nylund und Günther Groissböck scheinen aus anderen Produktionen zu wissen, was man in einem „Rosenkavalier“ machen kann, die Neulinge stehen verloren auf der Bühne herum. Es kann interessant sein, Künstler aus anderen Bereichen eine Oper machen zu lassen. In diesem Fall ist das leider kläglich gescheitert.

Besuchte Vorstellung: Premiere am 9. Februar 2020
Staatsoper unter den Linden, Berlin



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Skandal: Enrico Caruso und die spektakuläre Trennung von Ada Giachetti

Filmbesprechung: „Frühling in Paris“ (Seize Printemps) von Suzanne Lindon

Vor der Oper: das historische Café Rommel in Erfurt