Opernkritik: Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ („Les contes d'Hoffmann“) – Deutsches Nationaltheater Weimar
Fantastisch Welten
– Christian Weise spielt in „Hoffmanns Erzählungen“ im Deutschen Nationaltheater Weimar mit Scheinwelten und vielen Zitaten –
von Klaus J. Loderer
Schrill und bunt sind „Hoffmanns Erzählungen“ am Nationaltheater Weimar. Und es kommen von Akt zu Akt immer neue schrille und bunte Ideen dazu. Es ist eine besondere Traumwelt, die in immer wieder Überraschungen bietet. Für Kurzweiligkeit ist also gesorgt. Regisseur Christian Weise hat sich zusammen mit Paula Wellmann (Bühne) und Lane Schäfer (Kostüme) ein unendliches Spiel mit Schein und Wirklichkeit ausgedacht, aus dem starke und einprägsame Bilder entstanden sind.
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„Hoffmanns Erzählungen“ – Oleksandr Pushniak (Lindorf), Chris Lysack (Hoffmann), Jan Krauter (Der andere Hoffmann)
© Candy Welz
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Das passt zu dieser Oper natürlich gut, ist das doch eine Geschichte, in die viele weitere Geschichten eingebaut sind, die alle ihren übernatürlichen Aspekt haben. Schon der Dichter E.T.A. Hoffmann spielte ja wie viele Romantiker mit den Wirklichkeiten. Jacques Offenbach stand da nicht nach. In Weimar erleben wir in wilder Folge eine Scheinwelt nach der anderen. Was da Schein und was Wirklichkeit ist, lässt sich gar nicht immer so genau auseinanderhalten. Das macht aber auch den Reiz der Produktion aus. Das fängt schon am Anfang an. Einen doppelten Hoffmann präsentiert man uns, einer schwarzhaarig, einer blond. Einer singt und spielt, der andere spielt. Hoffmann kann sich so schon mal in zwei Charaktere trennen (eine Anspielung auf „Die Elixire des Teufels“), der lyrisch schmachtende Hoffmann und der erotisch-liebende andere Hoffmann. Im Giuletta-Akt verliert Hoffmann dann seinen Zwillingsbruder, wenn er sein Spiegelbild verschenkt.
Taejun Sun ist ein Neuzugang im Ensemble des DNT. Im Dezember sang er als Gast an der Oper Köln – dort schon ab 2014 als Mitglied des Internationalen Opernstudios Köln bekannt. Nun übernahm der koreanische Tenor in Weimar neben mehreren Mozartrollen die Titelrolle in der laufenden Serie von „Hoffmanns Erzählungen“ und kann darin mit einer feinen und doch strahlenden Höhe überzeugen. Jan Krauter ist als der andere Hoffmann ein überaus aktiver und agiler Widerpart.
Die Produktion arbeitet übrigens mit noch einer Trennung, nämlich von Stimme und Person. Man hat sich für eine Fassung mit gesprochenen Dialogen entschieden. Die von Schauspielern vorher eingesprochenen (stark gekürzten) Texte werden über Lautsprecher eingespielt. Die Personen auf der Bühne bewegen dazu nur den Mund. Gesungen wird natürlich live – und übrigens in deutscher Sprache. Außerdem sind Zitate von Arthur Rimbaud eingefügt. Dessen „Ich ist ein anderer“ ist das Motto der Aufführung.
In die Stilistik des Malers Ernst Ludwig Kirchner taucht die erste Szene ein. Was ist gemalt und was ist echt in diesem Wirtshaus? Ein expressionistisches Gemälde mit einer Gesellschaft in einem grünen Raum mit violetten Türen bildet das zentrale Element des Bühnenbilds. Drei Türen sind im Gemälde, eine vierte Tür schwebt im Raum. Doch halt, bewegen sich die Köpfe der Personen im Gemälde nicht? Doch, das tun sie. Die Gesichter gehören Chorsängern. Weitere Chormitglieder tragen gemalte Figuren aus Gemälden der 1920er-Jahre vor sich. Anita Berber erkennt man im knallroten Kleid. Da tanzt gar ein riesiges Sektglas mit einer Sektflasche. Auch dieser besonders widerliche Rat Lindorf könnte einem Bild von Otto Dix entsprungen sein. Bassbariton Oleksandr Pushniak gibt den Lindorf (und später Coppelius, Mirakel und Dapertutto mit einer teuflischen Verschlagenheit und Düsternheit, dass es einen friert. Andreas (Alexander Günther) ist ein trauriger Verkäufer von Programmheften für die Oper „Don Giovanni“. Um das zu verdeutlichen ist für Stella, die Opernsängerin, auf die Hoffmann wartet, eine Arie eingefügt – allerdings aus der „Zauberflöte“.
Jeder Akt hat sein Thema, gemeinsam ist der leuchtend grüne Fußboden und Hintergrund. Dadurch, dass die Chorsänger grüne Ganzkörperanzuge tragen, kann der Chor im Bühnenbild gewissermaßen verschwinden oder durch Drehung plötzlich auftauchen, denn oft tragen die Chorsänger nur an der Vorderseite ein Kostüm. Oder sie können fast ungesehen Objekte über die Bühne bewegen, die dann wie schwebend wirken.
Nur ein Gerüst symbolisiert das Haus des Physikers Spalanzani (Jörn Eichler), ein Frankenstein für Mädchenpuppen. Der Chor ist hier keine festlich gekleidete Gästeschar sondern ist zu einheitlichen Mädchenpuppen mit langen Zöpfen und toten Glubschaugen anonymisiert, ein ganzes Puppenlager für gewisse Obsessionen. Chef d'Œuvre Spalanzanis und ist aber Olympia, die in Weimar tatsächlich eine von Gloria Iberl-Thieme und Veronika Thieme sehr lebensecht geführte Puppe ist, ein Mädchen mit rosa Kleidchen und roten Haaren, eine Lolita, die dem anderen Hoffman ziemlich frech auf den Schoß hüpft. Die grandios mit schönen Koloraturen aufwartende Ylva Stenberg ist als Sängerin der Olympia im Chor verborgen.
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„Hoffmanns Erzählungen“ – Chris Lysack (Hoffmann), Emma Moore (Antonia) und Jan Krauter (Der andere Hoffmann), im Hintergrund: Heain Youn (Mutter) und Daeyoung Kim (Crespel)
© Candy Welz
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Die Idee mit den lebenden Bildern wird im plüschigen Bordell weitergeführt. Hier hängt eine Vielzahl von Nackedei-Bildern an der Wand – die Köpfe sind aber eben immer echte Choristen. Auch hier gelingt wieder der Kniff mit den grüngekleideten Choristen, die im Hintergrund mit Wellen und Segelschiff Lagune spielen. Hoffmann ist hier in eine noch absonderlichere Welt als normalerweise im geheimnisvollen Venedig gelandet. Pitichinaccio (Alexander Günther) sitzt als Transe in Lackstiefeln und Korsett auf einem Barhocker, Dapertutto (Oleksandr Pushniak) lagert als weitere transige Puffmutter auf einer Chaiselonge. Und selbst Schlemihl (Walter Farmer Hart) hat einen androgynen Charakter. Zwei Löwen tummeln sich auf der Bühne und wackeln mit ihren an erigierte Phalli erinnernden Schwänzen – das Publikum kichert dazu. Eine laszive Heike Porstein zieht als blondes Gift Giulietta Hoffmann mit holder Weiblichkeit in ihren Bann, doch auch diese ist nur Schein. In einem unbedachten Moment wird sie als Ladyboy geoutet, wenn ein Penis unter ihrem Glitzerkleid hervorrutscht.
In der stark gekürzten Schlussszene verzichtet die Regie darauf, den Dichter als Betrunkenen zu deklassieren, statt dessen ist die Szene auf die hymnische Apotheose der Muse auf die Kunst konzentriert. Statt der drei noch einmal vorgestellten angehimmelten Wesen wählt Hoffmann die Kunst. Die Muse entwickelt sich in dieser Aufführung überhaupt zur wichtigsten weibliche Rolle. Die japanische Sängerin Sayaka Shigeshima hört man mit schönem und einschmeichelndem Mezzosopran. Sie verwandelt sich auch nicht in Niklaus sondern bleibt im strengen Kostüm mit Aktenmappe eher eine Art Privatsekretärin wie Poirots Miss Lemon. Dass die Muse im wörtlichen Sinne Hoffmann küsst, was der andere Hoffmann gar nicht toll findet, passt nur zu gut dieser schrillen Show.
Stafan Lano geht die Partitur mit der Staatskapelle Weimar kurzweilig und abwechslungsreich an. Er gönnt dem Zuschauer das Schwelgen in den wunderbaren Melodien und schafft dramatische Akzente. Der Opernchor hat in dieser Produktion viel zu tun, ist fast dauerhaft präsent mit choreographischen Nummern und trägt massiv zum Bühnenbild bei. Gesanglich wurde er von Jens Petereit gut einstudiert. Der Chor hat denn auch das letzte Wort, wenn er die Hymne der Muse im überwältigenden Fortissimo dem Publikum mit auf den Weg gibt.
Besuchte Vorstellung: 31. Januar 2020
(Premiere am 8. September 2019)
Deutsches Nationaltheater Weimar




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