Opernkritik: Händels Oratorium „Semele“ als Opernkrimi – Komische Oper Berlin
Das Geheimnis des offenen Kamins
– Georg Friedrich Händels Oratorium „Semele“ szenisch an der Komischen Oper Berlin –
von Klaus J. Loderer
Der ausgebrannte Innenraum und der Aschehaufen deuten in Händels Oratorium „Semele“ an der Komischen Oper Berlin schon zu Beginn der Oper an, wie die Geschichte ausgehen wird. In dem düsteren Raum erleben wir als Rückblick die Geschichte, angelegt wie ein Krimi. Semele wird am Ende verglühen, wenn Jupiter ihren Wunsch erfüllt, sich ihr in wahrer Gestalt zu zeigen. Regisseur Barrie Koskys, der die Inszenierung 2018 kurzfristig von der erkrankten Laura Scozzi übernommen hat, zeigt die Machtgier von Juno und Semele deutlich. So hat man wenig Mitleid mit der Junos Intrige zum Opfer fallenden Semele. Eher bedauert man das gemütliche Dickerchen Jupiter, von solchen Frauen umgeben zu sein. Als Jupiter ist der englische Tenor Stuart Jackson, der die Rolle von Alan Clayton übernommen hat, zu erleben. Eindrücklich moduliert er mit den Stimmungslagen die Entwicklung der Handlung. Liebevoll ist sein Ton zuerst, doch wird er zunehmend mahnend, verzweifelt und schließlich resigniert hämisch. Besonders die sanften Töne erfreuen bei diesem Tenor, der sehr zarte Töne in der Höhe anzuschlagen weiß. Sydney Mancasola (Semele) hat zwar einen schönen Sopran, bekommt aber an manchen Stellen eine leichte Schärfe.
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Händels Oratorium „Semele“ szenisch an der Komischen Oper Berlin:
Nicole Chevalier (Semele) und die Chorsolisten (Premierenbesetzung 2018)
Foto: Monika Rittershaus
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Eindrucksvoll und gleichzeitg geheinmnisvoll ist das Bühnenbild von Natacha Le Guen de Kerneizon. Es sei auch einmal die gute Arbeit der Werkstätten des Bühnenservice der Stiftung Oper in Berlin erwähnt. Schwarz verkohlt sind die barocken Wandvertäfelungen. Verbrannte Möbel stehen herum. Man erkennt einen offenen Kamin und Flügeltüren. Die seitlichen Wände schwingen in die Tiefe, bis sie im Nebel verschwinden. Wohin führt dieser Raum? Im Grundriss müsste dieser Raum eine Wellenlinie ergeben. Weniger als realer Raum denn als ein Sinnbild für das 18. Jahrhundert scheint er. Das würde zur Entstehungszeit des Oratoriums passen. Doch die Kostüme von Carla Teti holen die Geschichte ins 20. Jahrhundert.
Die antike Geschichte hat ja durchaus zeitlose Aspekte, etwa, dass Ino Athamas liebt, ihr Vater Cadmus aber bestimmt, dass er ihre Schwester Semele heiraten soll. Dass Semeles Verehrer sie bei der Hochzeit entführt macht, die Sache noch spannender. Dummerweise ist dieser Verehrer schon verheiratet. Seine Ehefrau findet diese Affäre gar nicht lustig und sinnt darüber nach, wie man Semele los werden könnte. In Berlin wird daraus ein Opernthriller.
Wie Juno hier den halbnackten Schlafesgott Somnus betört, ihr in der geplanten Intrige zu Diensten zu sein, ist ein nettes Kabinettstück. Ezgi Kutlu (noch die Juno aus der Premierenbesetzung) ist eine charaktervolle Mezzosopranistin. Für einen Schuss Erotik sorgt der kalifornische Bassbariton Evan Hughes als Somnus (ebenfalls aus der Premierenbesetzung), der auch mit seiner Stimme aufhorchen lässt.
Wie in einem Krimi gibt es in der Berliner Produktion immer wieder überraschende Momente. Mal wachsen Büsche an unerwarteten Stellen im Bühnenbild. Der offene Kamin birgt manches Geheimnis. Das Verschwinden Semeles verschiebt Barrie Kosky leicht. Eigentlich erzählt Cadmos (Philipp Meierhöfer) davon, wie ein Adler Semele entführt habe. Doch wir dürfen einen dramatischen Abgang erleben: mysteriöse Kräfte ziehen Semele in den offenen Kamin hinein. Später erscheint sie wie gefangen hinter dem Spiegel.
In der Schlussszene sitzt Semele geschunden, blutig und mit starken Verbrennungen auf dem Kaminsims und sieht bei der Hochzeit ihrer Schwester zu. Endlich kann Ino ihren geliebten Athamas heiraten. Die Szene ist eine Wiederholung. Fröhlich schwingt Ino den Schleier; eher gezwungen hantierte Semele zu Beginn des Stücks mit dem Schleier, als sie Athamas heiraten sollte. Countertenor Terry Wey gestaltet mit sicherer Höhe den Prinzen Athamas. Die polnische Mezzosopranistin Karolina Gumos erfreut als Ino.
Sehr exakt sind die Chorsolisten der Komischen Oper Berlin (Einstudierung David Cavelius). Ebenso exakt das Orchester der Komischen Oper unter der Leitung des Barockspezialisten Konrad Junghänel, der seinen hohen künstlerischen Anspruch umzusetzen wusste.
Besuchte Vorstellung: 21. Dezember 2019
(11. Vorstellung seit der Premiere am 12. Mai 2018)
Komische Oper, Berlin
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