Operettenrarität: „Frühlingsstürme“ von Jaromír Weinberger – Komische Oper Berlin – 2020

Liebe im Krieg, Liebe ohne Happy End 

– Komische Oper Berlin lässt Jaromír Weinbergers Operettenrarität „Frühlingsstürme“ wieder aufleben, die Regie von Barrie Kosky überzeugt, Dinah Ehm hat dazu schöne Kostüme entworfen – 

von Klaus J. Loderer

„Du wärst für mich die Frau gewesen“ singt Richard Tauber mit seinem weichen Tenor traurig auf einer Odeon-Schallplatte. Es ist sicherlich die schönste Melodie der Operette „Frühlingsstürme“ von Jaromír Weinberger, 1896 in Prag geboren und dank seiner 1927 herausgebrachten Oper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ ein bekannter Komponist. Die Aufnahme entstand am 16. Januar 1933. Am 20. Januar 1933 war die Uraufführung im Admiralspalast in Berlin mit Staraufgebot, einen Monat zuvor war im nahen Großen Schauspielhaus Paul Abrahams „Ball im Savoy“ herausgekommen. Fast gleichzeitig erschienen sind die beiden Operetten in Charakter, Stimmung und Musik völlig unterschiedlich, das eine grotesk überdreht mit einer wilden Mischung der Musikrichtungen und vielen Jazzeinsprengseln, das andere in fast spätromantischem Melodienreigen und der Vorwegnahme großer Hollywood-Filmmusiken. 

Jaromír Weinbergers Operette „Frühlingsstürme“ an der Komischen Oper Berlin:
Tansel Akzeybek (Ito), Vera-Lotte Boecker (Lydia), Tanzensemble
Foto: Iko Freese / drama-berlin.de
Beide Stücke wurden nicht lange gespielt, nicht, weil sie kein Erfolg gewesen wären, schlichtweg weil ihre Komponisten Juden waren und nun nicht mehr gelitten waren in Deutschland. Denn zehn Tage nach der Uraufführung der „Frühlingsstürme“ wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt und die nationalsozialistische Umgestaltung des Landes begann. SA-Schergen verprügelten Richard Tauber, damals immerhin ein berühmter Sänger und Filmstar. Er verließ Deutschland ebenso wie Jaromír Weinberger. Bei ihm wiederholte sich mit seiner 1937 in Wien uraufgeführten Oper „Wallenstein“ die Geschichte, da die Oper mit dem sog. Anschluss vom Spielplan flog. Weinberger emigrierte in die USA, wo er sich 1967 das Leben nahm. In der Tschechoslowakei fanden noch einige Aufführungen der „Frühlingsstürme“ in tschechischer Sprache statt. Dann verschwand die Operette. Eine Wiederaufführung gestaltete sich allerdings als schwierig, denn die Partitur ist verschollen. Einzig der Klavierauszug hat sich erhalten. Und aus den Schallplattenaufnahmen lassen sich Teile der Instrumentierung erkennen. Norbert Biermann hat die Operette rekonstruiert und neu arrangiert, um aufführsfähiges Material herzustellen, das als Basis für eine Aufführung an der Komischen Oper in Berlin dienen konnte. Denn „Frühlingsstürme“ wünschte sich Intendant Barrie Kosky unbedingt als Teil der Zwanzigerjahre-Operettenreihe der Komischen Oper.

„Frühlingsstürme“ ist eine Operette, in der es kein Happy End für das Hauptpaar gibt. Überhaupt gibt es viele ernsthafte und gar tragische Töne in diesem Stück. Ein Kriegslager, eine Verhaftung wegen Spionage, ein Todesurteil, das sind nicht gerade Elemte eine Komödie. Und eine solche sind die „Frühlingsstürme“ auch nicht, auch wenn es komische Elemente gibt. Wie in „Das Land des Lächelns“ gibt es für die Europäerin kein Happy End mit dem ostasiatischen Geliebten. Ein Krieg und sonstige Umstände verhindern eine Ehe zwischen der Russin Lydia und dem japanischen Offizier Ito. Dass sie ihren als Spion gejagten Geliebten durch einen Flirt mit dem General zu retten versucht, sorgt ganz wie in einer Verdi-Oper für einen Eifersuchtsanfall seinerseits. Nachdem Lydia erfährt, dass Ito verheiratet ist, gibt sie schließlich doch dem russischen General Katschalow ihre Hand, der ihr schon die ganze Zeit den Hof macht. Dessen Tochter Tatjana bekommt den deutschen Journalisten Roderick – also immerhin ein Happy End für das Buffopaar.

Eine riesige Kiste steht im Zentrum der Aufführung der Komischen Oper Berlin. Bühnenbildner Klaus Grünberg und Anne Kuhn haben diese Kiste in der Größe eines Hauses als Schatzkiste gebaut, in der gewissermaßen die verschollene Operette versteckt ist. Öffnet sich die Kiste, ist sie im ersten Akt das zigarrengeschwängerte Generalstabszimmer russischer Offiziere in der chinesischen Mandschurei im russisch-japanischen Krieg von 1904/1905. Im zweiten Akt ist sie Lydias Salon und ihr Boudoir. Mit dem überraschenden Öffnen und Schließen sind darin schnelle Umbauten möglich, die in schneller Folge Szenenwechsel ermöglichen. Da schweben rote Lampions herunter und beleuchten eine innige Szene mit Lydia und Ito.

Ungewöhnlicherweise ist eine der männlichen Hauptrollen, General Wladimir Katschlaow, eine Sprechrolle. Allerdings hat er in Berlin in gewisser Weise doch eine Art Gesangsrolle. Er versucht sich in einer Szene auf das Treffen mit seiner angebeteten Lydia vorzubereiten und trällert dazu „Eugen Onegin“. Schauspieler Stefan Kurt mimt hier nun wirklich einen Backfisch, der obwohl hoher Offizier in absoluter Unbeholfenheit als verliebter Geck Gesten und Sätze ausprobiert – ein köstliches Kabinettstückchen. Überhaupt stattet Kurt diesen General mit einer schönen Mischung aus liebenswürdiger Vertrotteltheit und Respektsperson aus.

Seine frech-vorlaute Tochter Tajana ist in Form der Sopranistin Alma Sadé ein kleiner Hansdampf. Sie wird umwirbelt vom volltönenden Bariton Dominik Köninger, der geradezu eine Mimikri an Rollen entfaltet. Der deutsche Kriegsberichterstatter Roderick Zirbitz schleicht sich als Koch in das russische Lager ein und flirtet auch gleich mit der Tochter des Generals. Später verkleidet er sich gar als chinesischer Zauberer. Musikalisch ist dieses Buffo-Paar mit Leichtigkeit und flotten Tänzen unterlegt.

Im Zentrum des Geschehens steht aber Lydia, der die Sopranistin Vera-Lotte Boecker ein verführerisch-mystisches Gepräge verleiht, das sie auch in ihre lyrische Stimme legt. Kostümbildnerin Dinah Ehm hat sie mit eleganten Kleidern mit einem Schuss Exotik versehen, um die Mondänität dieser Witwe zu unterstreichen. Als chinesischer Diener in schlichtem Gewand tritt Ito auf, ein japanischer Spion im japanischen Lager. Ihn kennt Lydia schon als stillen Verehrer aus St. Petersburg. Mit äußerlicher Schlichtkeit konzentriert sich der Tenor Tansel Akzeybek auf den stimmlichen Ausdruck. Immerhin hat Weinberger die Rolle mit sehr sinnlichen Melodien versehen wie „Frühling in der Mandschurei“. Akzeybek kann wie immer mit Höhe glänzen. Nur kurz ist die Innigkeit des Paars im zweiten Akt, dann versucht ihm Lydia zur Flucht zu verhelfen, indem sie den General zu einem Treffen einlädt, um ihm das Passwort zu entlocken. Hier ist die Operette spannender Spionagekrimi mit Verfolgungsjagden. Barrie Kosky hat das passende Quentchen Actionkrimi eingebaut.

Schauspieler Luca Schaub gibt Großfürst Michailowitsch eine komödiantische Note, während Tino Lindenberg einen gestrengen Oberst Baltischew gibt, der zwar ob der Witwe Lydia auch aus der Fassung gerät, ihr aber nicht traut. Sascha Goepel spielt Rittmeister Strotzky.

Jaromír Weinbergers Operette „Frühlingsstürme“ an der Komischen Oper Berlin:
Domini Köninger (Roderich Zirbitz), Alma Sadé (Tatjana), Stefan Kurt (General Katschalow), Vera-Lotte Boecker (Lydia), Arne Gottschling (Hotelconcierge), Komparserie
Foto: Iko Freese / drama-berlin.de
Im dritten Akt treffen sich alle Beteiligten in einem Hotel in San Remo zu den Friedensverhandlungen. Hier kann sich Kostümbildnerin Dinah Ehm mit mondänen Damenhüten austoben. Um diesen textlastigen Akt mit weiterer Musik zu versehen, wurde ein Quartett für die vier singenden Hauptrollen eingebaut, das Norbert Biermann für diese Szene aus an anderer Stelle vorkommender Musik nachkomponiert hat. Außerdem hat Regisseur Barrie Kosky den Akt mit allerhand Slapstick aufgepäppelt, um einen Spannungsabfall zu vermeiden. An der unvermeidlichen Hoteldrehtür kommt es zu kuriosen Drehszenen und in der Zimmerpalme zu Versteckszenen. Ansonsten hält sich Barrie Kosky mit Klamauk sehr zurück. Einen kurzen Auftritt hat die Tänzerin Martina Borroni als Itos Frau Sayuri.

Immer wieder taucht in der Inszenierung ein Tänzerinnenensemble auf, das den Ersatz dafür bietet, dass der zweite Akt zwar während eines Balls spielt, der Ball aber praktisch nicht vorkommt, weder mit großen Tanzeinlagen noch mit Chorsätzen – ganz im Gegensatz zu anderen Operetten wie „Die Fledermaus“ oder „Wiener Blut“. Auch hierfür hat man mit etwas mehr Musik nachgeholfen. Mit den wie immer perfekt einstudierten Tänzerinnen (Choreographie Otto Pichler) sorgt Barrie Kosky für die nötigen Spritzer Operettenshow. Nun springen in einer Szene die Tänzerinnen in chinesischer Tracht aus einer Kiste heraus, sind Tennisspielerinnen, frech-kesse Tänzerinnengarde, schlingen sich als große Papierdrachen durch das Bühnenbild oder wippen lasziv mit Straußenfederfächern auf einer Showtreppe, auf deren Spitze das Liebespaar im Traum vom Glück schwelgt. Und sogar ein richtiges Feuerwerk wird auf der Bühne abgefeuert.

Für die musikalische Grundlage sorgt der aus Kanada stammende Kapellmeister Jordan De Souza mit dem Orchester der Komischen Oper Berlin. Er kann mit großer Besetzung in reichem Orchesterklang schwelgen, kann die Melodien auskosten. Einige davon haben Ohrwurmqualität.

Und was sind die Frühlingsstürme? „Frühlingsstürme“ ist das Losungswort im zweiten Akt, das echte Losungswort, das der General Lydia dann doch nicht verrät. Da er ihr ein falsche Losungswort nennt, das sie sofort an Ito weitergibt, wird dieser von einem russischen Posten gestellt. Das hat sich Librettist Gustav Beer so ausgedacht, dass die Geschichte spannender wird.

Besuchte Vorstellung: 8. Februar 2020
(3. Vorstellung nach der Premiere am 25. Januar 2020)
Komische Oper Berlin

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