Filmkritik: »Ewiger Winter – die Vergessenen des 2. Weltkriegs « (Örök tél)
Zur Zwangsarbeit verschleppt in die Sowjetunion
– Ungarischer Film »Ewiger Winter – die Vergessenen des 2. Weltkriegs« als DVD erschienen –
von Klaus J. Loderer
Es ist ein beklemmender und bedrückender Film. Im Film »Ewiger Winter« (Örök tél) geht es um die Verschleppung junger Frauen aus Ungarn zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion. Als »Malenki Robot« ist diese Verschleppung auch bekannt. Der Untertitel des Films »Die Vergessenen des 2. Weltkriegs« weist nicht nur darauf hin, dass dieses Thema allgemein wenig bekannt ist, sondern auch darauf, dass in Ungarn während der kommunistischen Zeit nicht darüber gesprochen werden durfte. Schließlich wäre das eine Kritik am sowjetischen Brudervolk gewesen. Nicht von ungefähr ist der Film als Filmdrama bezeichnet. Die internationale Resonanz auf den Film war so positiv, etwa beim Filmfestival in Montreal, dass die Hauptdarstellerin Marina Gera sogar für einen Emmy nominiert wurde.
Der Film, der auf dem Buch »Lánykák, az idő eljárt« des Journalisten János Havasi basiert, zeichnet vor dem historischen Hintergrund die erfundene Geschichte einer verschleppten Frau nach. Doch kann diese Geschichte beispielhaft für alle Verschleppten stehen. Mit der Zwangsarbeit vor allem ungarndeutscher Frauen sollten diese Reparationen leisten für den Angriff des Deutschen Reichs auf die Sowjetunion.
Der Film lebt vor allem von den anrührenden Bildern. Die Dialoge sind knapp gehalten. Und der Film versucht eine nüchterne Position einzunehmen. Man merkt, dass es Regisseur Attila Szász nicht darum ging, die russischen Wächter als Monster darzustellen und die ungarndeutschen Verschleppten als Helden. Er erzählt eine Geschichte, die brutal ist und unter die Haut geht. Und natürlich bekommt man mit der verschleppten Frau Sympathie und bangt um ihr Schicksal.
Ein wichtiges Thema im Film ist der Dachboden des Elternhauses von Irén. Der Film beginnt damit, dass sie auf den Dachboden des Elternhauses steigt und die Christbaumspitze herunterholt. Dieser Dachboden wird in der weiteren Handlung ein Motiv für die Projektion ihrer Sehnsüchte. Wenn sie im Arbeitslager in einem Erdloch einen dreitägigen Arrest absitzen muss, träumt sie davon, dass sie unter dem Bunker eine Falltür findet, die in ihr Elternhaus führt und sie dort ihre Tochter und ihren Ehemann (der längst im Zweiten Weltkrieg gefallen ist, was sie aber nicht weiß) wiedertrifft. Auch am Ende nach der Rückkehr nach Ungarn birgt für sie die Treppe zum Dachboden ein Mysterium. Es symbolisiert im Film die immer wiederkehrenden Erinnerungen an das Lager, eine unverarbeitete Erinnerung, mit der alle Betroffenen leben mussten, sofern sie den Aufenthalt überhaupt überlebt haben.
Das Dorf, aus dem Irèn kommt, wird als Szekcsö in der Tolnau bezeichnet – ein Name, der symbolisch für alle ungarndeutschen Dörfer stehen kann und sich auch bewusst nicht auf Kaposszekcsö oder Dunaszekcsö festlegt. Gedreht wurde im Freilichtmuseum in Szentendre. Dort stehen der markante Glockenturm und das schöne weiße Haus mit dem offenen Bogengang. Die Lagerszenen entstanden in den Studios von Mafilm in Fót. Teilweise wurde mit 300 Statisten gedreht.
Es ist ein trauriges Weihnachtsfest, das die Familie am Anfang erlebt. Irén ist mit ihrer Tochter ins Elternhaus in zurückgekehrt, da ihr Haus in Budapest zerbombt wurde. Als ihre Tochter an Heiligabend anzweifelt, dass der Vater je wiederkehren werde, gibt ihr die Mutter eine Ohrfeige. An Weihnachten kommt die Aufforderung, dass sie sich zu einem Ernteeinsatz in Baja melden muss. Die jungen Frauen des Orts wissen nicht, wo es hingeht. Sie ahnen nicht, dass sie vier Jahre in der Sowjetunion verbringen werden. Als die Tore der Güterwagen geschlossen werden, brechen sie in Panik aus. Wir lernen bei der Fahrt verschiedene Frauen kennen, deren Schicksal der Film weiterverfolgt. Sofort fällt die rauchende Éva (Diana Magdolna Kiss) auf, die sich als Ruthenin nicht zugehörig fühlt, die im Lager weil sie russisch kann, sofort eine Vorzugsposition erhält als Übersetzerin und Geliebte des Kommandanten.
Im Lager im Donezbecken in der Ukraine wird Irén mit einem unmenschlichen und ungerechten System konfrontiert. Unter Tag müssen die Frauen im Kohlebergwerk schuften, bei erbärmlichem Essen, unzureichender Unterbringung und eisiger Kälte. Irén versucht der taubstummen Anna zu helfen, für die sie von Anfang Mitlied und Verantwortung empfunden hat. Doch Irén kann Anna nicht retten, als sie an Typhus erkrankt. Bei einer verzweifelten Rettungsaktion muss sie Anna im Schnee zurücklassen. Die Lagerwächter verweigern jede Hilfe und ihr Versuch diese durchzusetzen bringt ihr selbst nur Arrest im Bunker ein. Nur noch halblebendig und inzwischen selbst an Typus erkrankt, wird sie in den »Transitraum« geworfen, den Sterberaum der Krankenstation ohne jegliche medizinische Versorgung. Doch Irén wird vermisst. Rajmund (Sándor Csányi, den man aus dem Film »Kontroll« kennt) rettet sie, indem er sie auf die Krankenstation bringt. Von ihm lernt Irén, wie man in diesem System durchkommt. Die Währung sind Zigaretten, mit denen Rajmund Arzt und Krankenschwester besticht. Lange widersteht Irén seinen Avancen. Als sie hört, dass der Krieg aus ist, packt sie ihr Köfferchen und wartet auf die Abreise. Als sie hört, dass es keine Rückkehr nach Ungarn geben wird, verändert sie das. Sie arrangiert sich mit dem System und wird genauso hart. Als Éva von ihr etwas Schwefelsalbe gegen Räude haben möchte, verweigert Irén ihr diese kalt. Irén opfert sogar ihre Bibel, um aus den Seiten Zigaretten zu drehen. Markant zeigt der Film, wie sie nun an der Seite von Rajmund zu den Privilegierten des Lagers gehört.
Der Film konzentriert sich auf den ersten, endlos erscheinenden Winter. Die Sommer des vierjährigen Aufenthalts blendet der Film erst einmal aus um den Frühling umso eindrucksvoller als Symbol der Hoffnung auf die Rückkehr nach Ungarn einzuführen. Dort erwartet die Rückkehrer allerdings ein genauso unmenschliches kommunistisches System. Zum Abspann läuft ein Lied, das die im Film auch mitspielende Sängerin Szandra Holczinger nach einer alten Überlieferung aus ihrem Heimatort singt. Die Erstausstrahlung des Films bei Duna Televízió war am 25. Februar 2018, dem ungarischen Gedenktag der Opfer der kommunistischen Diktatur.
Filmdrama
Ewiger Winter
Die Vergessenen des 2. Weltkriegs
Originaltitel: Örök tél
Regie: Attila Szász
Produzenten: Tamás Lajos und Ábel Köves
Drehbuch: Norbert Köbli
Musik: Gergely Parádi
Szupermodern Stúdió
Ungarn 2018
DVD
Koch Media 2019
Deutsch, ungarisch
(Dolbi Digital 5.1)
deutsche Untertitel
110 Minuten
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