CD-Besprechung: Emil Nikolaus von Rezniceks Oper „Benzin“
Wenn einem Luftschiff der Treibstoff ausgeht und auf der Insel der Circe landet
– Aufnahme der Produktion der Oper Chemnitz von Emil Nikolaus von Rezniceks Oper „Benzin“ bei CPO erschienen –
von Klaus J. Loderer
Am 28. November 2010 fand im Opernhaus Chemnitz eine ungewöhnliche Uraufführung statt. Achtzig Jahre nach ihrer Komposition kam Emil Nikolaus von Rezniceks Oper „Benzin“ erstmals auf die Bühne. Die Opernhäuser in Hamburg und Leipzig lehnten 1929 eine Aufführung ab. Man wollte wohl vermeiden, einen gefeierten Helden der Luftschifffahrt Hugo Eckener mit einer wenn auch fiktiven Liebesaffäre zu kompromittieren. Denn in der Oper geht es tatsächlich um den Kapitän eines Luftschiffs, der einen Weltrekord aufstellen möchte. Dann geht ihm allerdings kurz vor dem Ziel der Treibstoff aus und er landet auf einer kleinen Insel. War diese Handlung zur Zeit der Komposition sehr modern, kombinierte Reznicek, der auch das Libretto schrieb, sie mit der mythologischen Geschichte von Odysseus und Circe. Dazu verwandte er Calderons Theaterstück „Über allen Zauber Liebe“ (El mayor encanto amor). Die moderne Circe, die Milliardärstochter Gladys, hypnotisiert die Männer. Da Luftschiffkommandant Ulysses Eisenhardt ihr widersteht, rächt sie sich, indem sie ihm das Benzin verweigert. So sitzt man auf der Insel fest. Schließlich gibt es doch ein Happy End, die beiden werden ein Paar und fliegen zusammen nach New York. So ist das „heiter-phantastische Spiel mit Musik“ eine witzige Umsetzung des Mythos.
Reznicek, von dem die Ouverture seiner früher einmal sehr populären Oper „Donna Diana“ als Ohrwurm-Titelmelodie der Fernsehsendung „Erkennen Sie die Melodie“ noch einmal bekannt wurde, komponierte auch für „Benzin“ eine melodienreiche Musik, die wenig gemeinsam hatte mit atonalen Tendenzen der zeitgenössischen Musik. Eher sah er sich mit den spätromantischen Meistern verbunden. Im Parlandoton der einleitenden Szene finden sich Zitate des Tanzmeisters aus „Ariadne auf Naxos“. Neben Richard Strauss kann man Anklänge an Wagner finden. Bezüge zu Motiven um Siegfried kommen nicht von ungefähr. Ulysses Eisenhardt hat sogar eine regelrechte Heldentenor-Arie, die in der Mitte mit einem Wiegenlied kontrastiert. Und auch Schreker hat seine Spuren hinterlassen. Obertupfer ist ein bayerisches Gegenstück zum Ochs auf Lerchenau.
Um ein heranfliegendes Luftschiff anzudeuten, bildet das Brummen des Propellers die Grundlage zum Beginn der „Marseillaise“ im kurzen instrumentalen Vorspiel. Mit einem ähnlichen Fanal beginnt auch Rezniceks symphonischem Stück „Der Sieger“. Ein grotesker Marsch unterlegt die Ankunft der hypnotisierten Männer. Unvermittelt ist ein Stück aus einer völlig anderen musikalischen Richtung eingebaut. Zur rhythmischen Gymnastik erklingt als Jazzeinsprengsel ein Foxtrott, gespielt von einer kleinen Bühnenmusik. Später wird zum Abendessen noch einmal die Jazzband aufspielen. Das hat seine Logik, da immer bei Tänzen aktuelle Musik eingesetzt ist, während die Musik zur Untermalung der Seelenzuständen in klassischer Tradition steht. Das führt im dramatischen Zusammentreffen von Gladys und Ulysses im zweiten Akt zu unvermittelten Aufeinandertreffen der Musikstile. Mit vielen Stimmungswechseln abwechslungsreich ist das Sport-Duett von Ulysses und Gladys. Mit einem munteren Walzer endet der erste Akt. Im wunderbaren Notturno im zweiten Akt erkennt man im Geigensolo Anklänge an sein eigenes Violinkonzert von 1918. Grotesk ist der Benzin-Galopp. Wie in seinen Sinfonien kommt es auch in „Benzin“ immer wieder zu großen orchestralen Gesten, wie die pathetischen Momente im Zwischenspiel und in der Einleitung zur letzten Szene, in der sogar noch eine Orgel eingebaut ist.
Als glücklich darf man die Besetzung bezeichnen. Da sind vor allem die Hauptpersonen Ulysses Eisenhardt und Gladys Thunderbolt, gesungen von Carsten Süß und Johanna Stojkovic. Eine weitere Sopranpartie verkörpert Guibee Yang als Violet, die in ihrem Duett mit Andreas Kindschuh (Ingenieur Freidank) in Wohlklang schwelgen lässt. Zwei hübsche komödiantisches Kabinettstückchen bieten Susanne Thielemann (Lissy) und Tiina Penttinen (Nell) mit ihren Verehrern André Riemer (Maschulke) und Martin Gäbler (Obertupfer). Frank Beermann leitet die Robert-Schumann-Philharmonie kurzweilig. Kleine Auftritte hat der Chor der Oper Chemnitz.
Emil Nikolaus von Reznicek
Benzin
[Recording: Opernhaus Chemnitz,
28. – 29. November 2010]
Chor der Oper Chemnitz
Robert-Schumann-Philharmonie
Frank Beermann
Deutschlandfunk Kultur
CPO, Georgsmarienhütte, 2017
CPO 7777 653-2
2 CDs (93:09)
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